OGH 1Ob152/97b

OGH1Ob152/97b24.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** H***** Gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte Partei Mag.Herwig B*****, vertreten durch Dr.Gerhard Brandl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 62.813,15 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 16.Jänner 1997, GZ 2 R 405/96b‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 5.Oktober 1996, GZ 9 C 1263/96f‑12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1997:0010OB00152.97B.0624.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

 

Im März 1995 beauftragte der Landeshauptmann des Landes Kärnten (im Wege des Amtes der Kärntner Landesregierung) als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung die klagende Partei mit der Durchführung von Straßenbauarbeiten im Bereich einer Bundesstraße, und zwar im Zuge der Herstellung einer „Zubringerstraße“. Der klagenden Partei oblag die mit 31.10.1995 befristete Dammschüttung; für die übrigen Straßenbauarbeiten war der 31.5.1996 als Fertigstellungstermin festgelegt. Die Auftragssumme betrug S 19,419.186,60. Die Verrechnung der Leistungen sollte nach Einheitspreisen ‑ entsprechend der Menge des geschütteten bzw eingebauten Materials ‑ erfolgen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Fertigstellungstermine war ein nach Tagen zu berechnendes Pönale vereinbart.

Der Beklagte hatte sich bereits 1982 mit anderen Personen zu einer lose organisierten Bürgerinitiative zusammengeschlossen, die sich aus Natur‑ und Umweltschutzgründen gegen den Bau der Zubringerstraße wendete. Bei einem Treffen von Mitgliedern dieser Bürgerinitiative, an dem auch der Beklagte teilnahm, wurde der Beschluß gefaßt, die Baustellenzufahrt zu blockieren, um durch den so ausgeübten Druck auf den Auftraggeber der klagenden Partei einen Baustop zu erreichen. Deshalb fuhr der Beklagte mit mehreren anderen Personen am 2.10.1995 zur Abzweigung zur Baustelle im Bereich der Bundesstraße. Gegen 14 Uhr wollte der Lenker eines mit Schüttmaterial beladenen LKWs der klagenden Partei zur Baustelle einbiegen; der Beklagte und andere Mitglieder der Bürgerinitiative blockierten die Zufahrt zur Baustelle zum Teil dadurch, daß sie sich aneinander ketteten. Weder dieser LKW noch vier andere Lastkraftwagen, die ebenfalls Schüttmaterial geladen hatten, konnten daraufhin diese Zufahrt benutzen. Sie war in der Zeit von 14 Uhr bis 18,20 Uhr durch die Demonstranten zur Gänze blockiert. Der Beklagte, der sich selbst nicht angekettet hatte, trat als Sprecher der Bürgerinitiative gegenüber den Gendarmeriebeamten, den Vertretern der klagenden Partei, den Organen der Straßenverwaltung und dem zuständigen Bezirkshauptmann auf. Die Baustelle selbst wurde weder vom Beklagten noch von den anderen Mitgliedern der Bürgerinitiative betreten, sie blieben im Bereich der Bundesstraße. Die Baufahrzeuge der klagenden Partei benützten eine andere, allenfalls mögliche Zufahrt nicht. Die beladenen LKW blieben bis zum nächsten Tag abgestellt. Durch die Blockade der Zufahrt entstand der klagenden Partei „ein Vermögensschaden durch frustrierten Aufwand an LKW, anderen Baumaschinen und Personal“. Der Auftraggeber der klagenden Partei lehnte eine Übernahme der entstandenen und ihm gegenüber geltend gemachten Kosten unter Hinweis darauf ab, daß er diese weder verursacht noch zu verantworten habe. Die „Versammlung“ vom 2.10.1995 war der Behörde nicht angezeigt worden. Deshalb wurde über den Beklagten im Verwaltungsweg eine Geldstrafe verhängt.

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten den Ersatz ihres mit S 62.813,15 bezifferten Schadens an frustriertem Aufwand. Der Beklagte habe in gesetzwidriger Weise die Demonstration vom 2.10.1995 organisiert und dadurch die Zu‑ und Abfahrt der Baufahrzeuge unmöglich gemacht.

Der Beklagte wendete ein, er habe die Versammlung nicht organisiert. Der klagenden Partei sei eine andere Zufahrtsmöglichkeit zur Baustelle zur Verfügung gestanden. Sie habe im Rahmen der sie treffenden Schadenminderungspflicht keinerlei Vorkehrungen getroffen. Das Verhalten des Beklagten sei nicht rechtswidrig gewesen, weil er im Notstand gehandelt habe. Über eine von mehreren Grundeigentümern gegen die Trassenverordnung erhobene Verfassungsgerichtshofbeschwerde sei noch nicht entschieden worden. Die Dammschüttung ermangle der wasserrechtlichen Bewilligung. Der Beklagte habe nicht beabsichtigt, der klagenden Partei einen Schaden zuzufügen. Die Aktion habe sich ausschließlich gegen die politischen Entscheidungsträger, also den Auftraggeber der klagenden Partei, gerichtet. Ein allenfalls entstandener Schaden habe sich in der Sphäre des Auftraggebers ereignet, weshalb es der klagenden Partei an der Aktivlegitimation mangle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ‑ nach Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruchs ‑ ab. Das Verhalten des Beklagten sei für den entstandenen Schaden kausal und rechtswidrig gewesen. Er habe den Schaden auch verschuldet, weil ihm bewußt gewesen sei, daß die Vornahme der Bauarbeiten durch die gegen den Auftraggeber der klagenden Partei gerichteten Maßnahmen verhindert werden könnten. Durch die Blockade der Baustelle habe die klagende Partei einen Vermögensschaden erlitten. Sie hätte ohne Behinderung das Werk (früher) fertigstellen und somit die LKW und Baumaschinen sowie das Personal anderweitig einsetzen können. Der Schaden sei aber nicht in der Sphäre der klagenden Partei, sondern in jener von deren Auftraggeber eingetreten. Die Umstände, die die Werkausführung verzögert hätten, seien der Sphäre des Werkbestellers und nicht jener der klagenden Partei zuzurechnen. Der Auftraggeber wäre verpflichtet gewesen, der klagenden Partei den durch die aufgezwungene Stehzeit verursachten Schaden aufgrund des Werkvertrags zu ersetzen. Die klagende Partei hätte gerichtliche Schritte gegen ihren Auftraggeber „mit guter Aussicht auf Erfolg“ einleiten können. In der Unterlassung solcher Schritte liege ein Verstoß gegen die sie treffende Schadenminderungspflicht. Dies führe zum Entfall des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs.

Das Berufungsgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Anspruch der klagenden Partei dem Grunde nach zu Recht bestehe; die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt. Zu Recht habe das Erstgericht die Kausalität des Verhaltens des Beklagten für den eingetretenen Schaden ebenso wie die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens als gegeben angesehen und das Vorliegen eines Verschuldens bejaht. Der Beklagte habe die Handlungen, die zur Behinderung der Tätigkeit der klagenden Partei geführt hätten, gewollt, sodaß ihm (bedingter) Vorsatz zur Last fiele. Es sei aber entgegen der Ansicht des Gerichts erster Instanz auch die Aktivlegitimation der klagenden Partei zu bejahen, weil es dem Geschädigten nicht verwehrt sein könne, seinen Schadenersatzanspruch unmittelbar gegen den (deliktischen) Schädiger geltend zu machen. Gegen die ihr obliegende Schadensminderungspflicht habe die klagende Partei nicht verstoßen, soweit sie einen aus deliktischem Verhalten entstandenen Schaden direkt gegen den unmittelbaren Schädiger und nicht gegen ihren Werkvertragspartner geltend gemacht habe. Der Anspruch der klagenden Partei sei also dem Grunde nach zu bejahen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Beklagte gesteht selbst zu, daß sein Verhalten für den Schadenseintritt kausal war. Da er sich an der Blockade der Zufahrt zur Baustelle unmittelbar beteiligt hatte, ist sein Verhalten tatsächlich als kausaler Beitrag zu dem der klagenden Partei entstandenen Schaden gewertet worden; es genügt, insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Verhalten des Beklagten war aber ‑ wenngleich aus anderen Überlegungen als jenen der Vorinstanzen ‑ auch rechtswidrig. Die klagende Partei macht einen bloßen (reinen) Vermögensschaden geltend. Dessen Verursachung macht nach herrschender Auffassung nur ersatzpflichtig, wenn eine vorwerfbare Verletzung eines absoluten Rechts, eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB oder ein sittenwidriges Verhalten des Schädigers vorliegt oder sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens sonst unmittelbar aus dem Gesetz ableiten läßt (SZ 67/238; JBl 1994, 695; SZ 65/76; SZ 65/94; JBl 1990, 104; SZ 63/166; SZ 52/93 uva). Festgestellt ist, daß die Versammlung vom 2.10.1995 entgegen § 2 Abs 1 des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) nicht wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zwecks, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich angezeigt wurde. Wegen der Übertretung dieser Gesetzesbestimmung wurde der Beklagte auch im Verwaltungsstrafverfahren bestraft. § 2 Abs 1 VersG stellt ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB dar. Es kommt dabei gar nicht darauf an, ob die Behörde berechtigt gewesen wäre, eine ordnungsgemäß angezeigte Versammlung der schließlich durchgeführten Art im Sinne des § 6 VersG zu untersagen, ob also der Zweck der Versammlung den Strafgesetzen zuwiderlief oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdete. Wohl ist die Versammlungsfreiheit ein durch Art 12 StGG und Art 11 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht und hat die Behörde deshalb auch bei einer geplanten Untersagung der Versammlung die öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung gegen die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung abzuwägen (VfSlg 12.155/1989, 11.832/1988, 11.651/1988 ua), durch die im § 2 VersG normierte Verpflichtung zur Anzeige einer Versammlung ‑ die einer vorherigen behördlichen Bewilligung nicht bedarf ‑ soll die Behörde jedoch nicht nur in die Lage versetzt werden, zu beurteilen, ob ein Untersagungsgrund nach § 6 VersG vorliegt, sondern soll dadurch auch gewährleistet werden, daß die Behörde allenfalls erforderliche Vorkehrungen ‑ etwa Verkehrsumleitungen bzw den Schutz vor Gegendemonstrationen ‑ treffen kann (VfSlg 11.866/1988; vgl JBl 1973, 463). Durch die Unterlassung dieser Anzeige war es der Behörde gar nicht möglich, Vorkehrungen zu treffen, um die mit der geplanten Versammlung verbundenen Beeinträchtigungen, vor allem auch Vermögensnachteile für durch die Versammlung betroffene Personen, hintanzuhalten bzw auf das unumgängliche Maß zu mindern. In diesem Zusammenhang ist auf das Vorbringen des Beklagten selbst zu verweisen, daß eine andere Zufahrtsmöglichkeit zur Baustelle bestanden habe, die aber ‑ nach den Feststellungen infolge Unkenntnis der Tragfähigkeit der Straße etc ‑ nicht genutzt wurde. Jedenfalls wäre es Sache des Beklagten gewesen, zu beweisen, daß der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten ‑ also auch bei ordnungsgemäßer Anmeldung der Versammlung ‑ eingetreten wäre (Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 8 zu § 1311 mzwN aus der Rechtsprechung). Diesen Beweis konnte der Beklagte nicht erbringen. Sein Verhalten war nicht nur rechtswidrig, sondern es ist auch der gebotene Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen, weil § 2 VersG ‑ wie erwähnt ‑ unter anderem auch dazu bestimmt ist, andere vor Schaden zu bewahren (vgl. dazu auch Reischauer aaO Rz 21). Die Frage, ob die der Behörde oblegene Interessenabwägung zu einer Untersagung der Versammlung geführt hätte, muß demnach gar nicht geprüft werden. Es trifft auch nicht zu, daß bei der hier vertretenen Rechtsansicht jede Versammlung „unabsehbare Schadenersatzforderungen“ und „eine Flut von Schadenersatzprozessen“ nach sich zöge und damit eine „nahezu vollkommene Einschränkung des Versammlungsrechts“ Hand in Hand ginge, vielmehr soll durch die Anmeldung einer Versammlung der Behörde ‑ vor allem ‑ die Möglichkeit geboten werden, andere Personen vor Nachteilen ‑ welcher Art auch immer ‑ zu bewahren. Wird dieses Schutzgesetz übertreten, dann haftet der Verursacher auch für bloßen Vermögensschaden.

Das konventions‑ und verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht findet dort seine Schranken, wo durch die Versammlung in die Privatrechtssphäre Dritter eingegriffen wird. Die dem Dritten zustehenden privaten Rechtsbehelfe können grundsätzlich nicht unter Berufung auf das verfassungsmäßig gewährleistete Versammlungsrecht gemindert oder gar aufgehoben werden (SZ 67/92).

Das Verschulden des Beklagten am Zustandekommen des Schadens kann nicht zweifelhaft sein, weil er die Vorkehrungen, die dazu dienten, die mit dem Bau der Zubringerstraße im Zusammenhang stehenden Arbeiten zu verhindern und durch die der Schaden verursacht wurde, gewollt hat. Daß das betroffene Bauunternehmen dadurch Verzögerungen hinnehmen mußte und deshalb einen Schaden erleiden konnte, hätte dem Beklagten zumindest bewußt sein müssen, sodaß ihm jedenfalls Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Aber auch die Aktivlegitimation der klagenden Partei zur Geltendmachung des ihr entstandenen Schadens ist gegeben, weil es einem Geschädigten nicht verwehrt werden kann, den unmittelbaren (deliktischen) Schädiger in Anspruch zu nehmen. Mag auch im geltend gemachten Umfang allenfalls eine Leistungspflicht des (Werk‑)Vertragspartners bestehen, so verletzt der Geschädigte die ihm obliegende Schadenminderungspflicht nicht schon dadurch, daß er nicht vorweg den allenfalls aus dem Vertrag Verpflichteten vor dem unmittelbaren Schädiger in Anspruch nimmt (vgl SZ 67/135). Die darauf bezogenen Ausführungen des Berufungsgerichts sind frei von Rechtsirrtum.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 und § 393 Abs 4 ZPO.

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