OGH 1Ob95/97w

OGH1Ob95/97w29.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bernhard S*****, vertreten durch Dr.Josef Friedrich, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Evelin K*****, vertreten durch Dr.Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 518.513,54 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22.November 1996, GZ 3 R 209/96x-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 14.Mai 1996, GZ 13 Cg 158/95h-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 21.402,-- (darin S 3.567,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist der uneheliche Sohn des am 3.7.1992 verstorbenen Herbert T*****. In einem von diesem am 14.5.1991 errichteten Testament wurden die Beklagte zur Alleinerbin eingesetzt und die beiden ehelichen Töchter auf den Pflichtteil verwiesen; der Kläger wurde mit Stillschweigen übergangen. Unter Zugrundelegung eines Reinnachlasses von S 3,111.081,25 erhielten die Töchter des Verstorbenen von der Beklagten einen Pflichtteil von je S 777.700,--.

Der Kläger begehrt von der beklagten Alleinerbin die Bezahlung eines Pflichtteils im Betrag von S 518.513,54, was einem Sechstel des Reinnachlasses entspricht.

Die Beklagte wendete ein, der Erblasser habe den Kläger (stillschweigend) im Sinne des § 782 ABGB enterbt, weil er keiner geregelten Arbeit nachgegangen und 20mal vom Gericht bestraft worden sei. Zuletzt sei der Kläger 1982 wegen Raubes zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er habe eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart beharrlich geführt, sodaß seine Enterbung unter anderem gemäß § 768 Z 4 ABGB berechtigt gewesen sei. Sein Vater habe immer wieder erklärt, dem Kläger niemals einen Erb- oder Pflichtteil zukommen zu lassen. Im Testament sei er nicht erwähnt worden, damit nicht offenkundig werde, der Erblasser habe einen straffälligen und beschäftigungslosen Sohn.

Dem hielt der Kläger entgegen, er habe zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine anstößige Lebensart mehr geführt, denn er sei seit dem Jahre 1982 nicht mehr bestraft worden, nach der Haftentlassung (im Jahre 1989) habe er sich wohlverhalten.

Das Erstgericht sprach dem Kläger den von ihm begehrten Pflichtteil zu. Der Kläger weise zwar 20 Vorstrafen (unter anderem einer wegen schweren Raubes in der Dauer von acht Jahren) auf, doch sei er seit Verbüßung seiner letzten Freiheitsstrafe (1989) nicht mehr straffällig geworden. Der Enterbungsgrund des § 768 Z 4 ABGB liege nicht vor, weil der Umstand der oftmaligen Verurteilung keine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart darstelle.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Erblasser habe immer wieder erklärt, der Kläger werde nie etwas von ihm bekommen, weil er mehrmals straffällig geworden sei. Es habe seinem Willen entsprochen, dem Kläger "nichts zukommen" zu lassen. Aus der Strafhaft (zuletzt infolge Verurteilung nach § 142 StGB zu acht Jahren Freiheitsstrafe) sei der Kläger am 7.3.1989 letztmals entlassen worden. Zumindest bis zu seiner letzten Verurteilung im Jahre 1982 habe der Kläger beharrlich ein gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößiges Leben geführt, weil er verschiedenste Eigentums- und Gewaltdelikte begangen habe. Diese Lebensart des Klägers sei für dessen bewußte und gezielte Übergehung in den Testamenten seines Vaters aus den Jahren 1988 und 1991 ursächlich gewesen. Die Übergehung habe auf rechtmäßiger Enterbungsabsicht beruht und sei im Sinne des § 782 ABGB als stillschweigende Enterbung anzusehen. Es wäre dem enterbten Kläger oblegen, den Wegfall des Enterbungsgrunds vor Errichtung des Testaments zu beweisen. Dem Vorbringen des Klägers sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß er sich im Verlauf seiner langjährigen Haftstrafe nachhaltig gebessert habe; auch die Beweisergebnisse ließen einen solchen Schluß nicht zu. Allein der Umstand, daß der Kläger von der Haftentlassung im März 1989 bis zur Testamentserrichtung im Mai 1991 keine Straftaten begangen habe, lasse nicht den Schluß zu, daß der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung von einer Besserung der vom Kläger nahezu 20 Jahre hindurch praktizierten Lebensweise hätte ausgehen müssen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Gemäß § 768 Z 4 ABGB kann ein Kind enterbt werden, wenn es eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart beharrlich führt. Was gegen die öffentliche Sittlichkeit verstößt, hängt von der Zeitanschauung, aber auch von der des gesellschaftlichen Lebenskreises des Erblassers ab. Ein strafbares Verhalten verstößt jedenfalls gegen die öffentliche Sittlichkeit, insbesondere wenn eine Fülle von - nicht unbedeutenden - Straftaten verübt wurde und dies zu langjährigen, tatsächlich verbüßten Haftstrafen führte (3 Ob 636/80;

SZ 38/194 = EF 4572; Welser in Rummel, ABGB2, Rz 5 und 8 zu § 768;

Gschnitzer/Faistenberger, Erbrecht2, 56; Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht, 280 f; Eccher in Schwimann, ABGB, Rz 10 zu § 768). Der Kläger bestreitet auch gar nicht, daß sein Lebenswandel bis zur letzten Verurteilung im Jahre 1982 einen Enterbungsgrund im Sinne des § 768 Z 4 ABGB darstellte. Er zieht auch lediglich im Wege unzulässiger Bekämpfung der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts und gar nicht konkret in bezug auf das Testament aus dem Jahre 1991 in Zweifel, daß ihn sein verstorbener Vater - wie die Vorinstanzen als Tatsachen unanfechtbar feststellten (vgl 3 Ob 636/80; NZ 1979, 194) - im Testament vom 14.5.1991 absichtlich mit Stillschweigen übergangen habe und ihn somit im Sinne des § 782 ABGB rechtmäßig habe enterben wollen (siehe hiezu 3 Ob 636/80; NZ 1979, 194; Welser aaO Rz 2 zu § 771; Gschnitzer/Faistenberger aaO 57; Ehrenzweig/Kralik aaO 286; Weiß in Klang III2 891; Stubenrauch, Kommentar zum ABGB I8 939 ff;

Umlauft, Pflichteilsminderung nach § 773a ABGB, in NZ 1990, 143 [146 f]). Der Kläger vertritt jedoch die Ansicht, es liege kein Enterbungsgrund vor, weil er sich nach seiner letzten Verurteilung durch ein Strafgericht im Jahre 1982 wohlverhalten und insbesondere keine Straftaten mehr begangen habe; er sei durch die letzte Verurteilung und die daran anschließende Haft geläutert worden. Im Zeitraum von der letzten Verurteilung bis zur Haftentlassung am 7.3.1989 war allerdings die Möglichkeit des Klägers, neuerlich Straftaten ähnlich der von ihm 11 Jahre hindurch verübten (insbesondere Diebstähle und Raub) zu begehen, ganz wesentlich eingeschränkt war, weil er sich in Haft befand. Daß er bis zur Haftentlassung seine Lebensart dermaßen nachhaltig gebessert habe, daß von einer beharrlichen, gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößigen Lebensart nicht mehr die Rede sein könnte, hat er somit nicht bewiesen. Der Beweis des Wegfalls des Enterbungsgrunds obliegt aber dem Kläger, denn der Erbe hat nur das Vorliegen des von ihm behaupteten Enterbungsgrunds, also die Berechtigung der Enterbung des Pflichtteilsberechtigten, zu behaupten und zu beweisen (SZ 48/19 uva). Wurde der Kläger in der Zeit von 1971 bis 1982 insgesamt 20mal wegen verschiedener Eigentums- und Gewaltdelikte strafrechtlich zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, war ihm während der Verbüßung der letzten Freiheitsstrafe bis zum 7.3.1989 relativ wenig Möglichkeit zur Begehung ähnlicher Straftaten geboten und verfügte der Erblasser letztwillig am 14.5.1991, also etwas mehr als zwei Jahre nach der letzten Haftentlassung des Klägers, über sein Vermögen unter Übergehung des unehelichen Sohnes, dann kann dieser Sachverhalt nur dahin beurteilt werden, daß der Kläger rechtmäßig (stillschweigend) enterbt wurde. Die im Vergleich zu dem langen Zeitraum, in dem der Kläger Straftaten größeren Ausmaßes verübte, kurze Zeitspanne zwischen der Haftentlassung und der Testamentserrichtung rechtfertigt noch nicht den Schluß, daß der Kläger seine beharrliche, gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart aufgegeben habe; einen anderen Beweis als den der Tatsache, daß zwischen Haftentlassung und Testamentserrichtung eine gewisse, vergleichsweise jedoch kurze Zeit verstrichen sei, konnte der Kläger für den Wegfall seiner beharrlich anstößigen Lebensart weder anbieten noch erbringen. Vielmehr lagen die Voraussetzungen des § 768 Z 4 ABGB auch zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments durch den Erblasser vor, weil der Kläger einen sehr langen Zeitraum hindurch seine Lebensweise nie entscheidend geändert hatte (vgl 3 Ob 636/80; SZ 38/194; Ehrenzweig/Kralik aaO 281; Eccher aaO). Gerade bei einer gewiß schändlichen Lebensart wie hier genügt es auch nicht, daß der Enterbte sie kurz vor dem Tod des Erblassers aufgibt, um seinen Pflichtteil zu retten (Ehrenzweig/Kralik aaO 285).

Abgesehen davon, daß der Vater des Klägers bereits etwa ein Jahr nach der Errichtung des Testaments verstorben ist und dieser Zeitraum - wie der Revisionswerber selbst zugesteht - bei der Beurteilung der Frage, ob das beharrliche Führen einer anstößigen Lebensart vorlag, nicht ins Gewicht fällt, ist der spätere Wegfall eines Enterbungsgrunds (also nach der Enterbung in einer letztwilligen Erklärung) ohne Belang (Weiß aaO 892), weil die einmal ausgesprochene (rechtmäßige) Enterbung könnte nur durch einen ausdrücklichen, in der gesetzlichen Form erklärten Widerruf (§ 772 ABGB) aufgehoben werden könnte (GlUNF 2241; Stubenrauch aaO 941; Weiß aaO 891; Welser aaO Rz 1 zu § 772; Ehrenzweig/Kralik aaO 285).

Die Enterbung des Klägers gemäß § 768 Z 4 ABGB erweist sich demnach als berechtigt.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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