OGH 1Ob185/65

OGH1Ob185/6511.11.1965

SZ 38/194

Normen

ABGB §775
ABGB §782
ABGB §786 Z4
JN §42
ABGB §775
ABGB §782
ABGB §786 Z4
JN §42

 

Spruch:

"Beharrlichkeit" setzt ein bewußtes und gewolltes Festhalten an der anstößigen Lebensart voraus, das sich in der Regel aus der Fortsetzung der anstößigen Lebensweise durch längere Zeit bzw. der Vielzahl der Verstöße erschließen lassen wird

§ 42 (2) JN. gilt auch im Außenstreitverfahren. Ob eine Verkürzung im Pflichtteil gewollt wurde, ist nicht allein nach dem Wortlaut des Testamentes zu beurteilen. Liegt ein Enterbungsgrund vor und war dieser für die Verkürzung kausal, ist sie rechtmäßig erfolgt

Entscheidung vom 11. November 1965, 1 Ob 185/65.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz

Text

Am 24. Oktober 1929 schlossen Ing. Franz und Hedwig S. mit der Klägerin (einer deutschen Staatsangehörigen) in Klagenfurt einen Adoptionsvertrag ab. Das Amtsgericht Ulm erteilte dem Vertrag mit Beschluß vom 12. Dezember 1929 die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung.

Am 20. Dezember 1929 legten Ing. Franz und Hedwig S. den Adoptionsvertrag dem Bezirksgericht Klagenfurt zur Bestätigung vor.

Das Bezirksgericht Klagenfurt faßte am 1. Februar 1930 den Beschluß, es willige auf Grund der vom Amtsgericht Ulm am 12. November 1929 erteilten Genehmigung in die Annahme der Klägerin an Kindes Statt ein und bestätigte gemäß § 181 ABGB. den Adoptionsvertrag. Nach der damals getroffenen Verfügung wurde der Beschluß den beiden Anwälten und nach Rechtskraft auch der politischen Landesbehörde zugestellt.

Nachdem Hedwig S. schon früher verstorben war, starb auch Ingenieur Franz S. am 30. Juni 1962; sein letzter ordentlicher Wohnsitz war Velden gewesen. In seinem Testament hatte er die beiden Beklagten - es handelt sich um seine Nichte und deren Gatten - zu Erben eingesetzt und der Klägerin, die durch Beschluß des Bezirksgerichtes N. vom 9. Juni 1960 wegen Geisteskrankheit voll entmundigt worden war, Vermächtnisse im Gesamtwert von 289.777.50 S ausgesetzt.

Im vorliegenden Prozeß belangte die durch ihren Kurator vertretene Klägerin - sie befindet sich derzeit in einer Heilanstalt - die Beklagten auf Pflichtteilergänzung in Höhe von 636.422 S mit der Begründung, es sei ein Reinnachlaß im Wert von 1.852.400 S ermittelt worden, woraus sich ihr Pflichtteil mit 926.200 S errechne.

Die Beklagten wendeten ein, die Adoption der Klägerin durch den Erblasser sei gar nicht rechtswirksam geworden; dieser sei nämlich im Zeitpunkt der Bestätigung des Adoptionsvertrages durch das Bezirksgericht Klagenfurt jugoslawischer Staatsbürger, die Klägerin selbst deutsche Staatsbürgerin gewesen; die Vertragsparteien hätten auch in Jugoslawien gewohnt; es habe daher die inländische Gerichtsbarkeit für die Bestätigung des Adoptionsvertrages gefehlt; weiters sei die Klägerin mit Urteil des Bezirksgerichtes K. vom 5. Juni 1954 wegen Übertretung nach § 461/201 c StG. zu zwei Monaten Arrest und mit Urteil des Landesgerichtes K. vom 6. April 1955 wegen Verbrechens nach §§ 8, 190, 192 StG. und 7 StaatsschutzG. sowie wegen Vergehens nach § 26 (1), Z. 2 WaffenG. und Übertretung nach § 460 StG. zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt worden, habe also beharrlich eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart geführt und zudem nach den Beklagten zugekommenen vertraulichen Berichten auch die Absicht gehabt, dem Erblasser Gewalt anzutun, sie sei also hinsichtlich jedweden über den Legatswert hinausgehenden Anspruches als enterbt anzusehen.

Die Klägerin machte dazu geltend, daß die Geisteskrankheit, die zu ihrer vollen Entmündigung geführt habe, schon zur Zeit ihrer Straftaten bestanden habe, aber im Anfangsstadium nicht erkannt worden sei, bzw. ihre Anzeichen unterbewertet worden seien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Begründung seines Urteils läßt sich, wie folgt, zusammenfassen: Aus dem Strafakt des Landesgerichtes K. ergebe sich zwar, daß der Erblasser im Zeitpunkt der Adoption tatsächlich jugoslawischer Staatsbürger gewesen sei und ebenso wie die Klägerin seinen Wohnsitz in Jugoslawien gehabt habe, weshalb an und für sich die inländische Gerichtsbarkeit zu einer Bestätigung des Adoptionsvertrages gefehlt habe, doch sei es den Beklagten verwehrt, dies geltend zu machen, da der Bestätigungsbeschluß des Bezirksgerichtes K. in Rechtskraft erwachsen sei; er könnte nur mehr vom Obersten Gerichtshof über Antrag des Bundesministeriums für Justiz gemäß § 42 (2) JN. für nichtig erklärt werden; was aber den Lebenswandel der Klägerin betreffe, sei es zwar richtig, daß sie in den Jahren 1954 und 1955 wegen versuchten Raubes und kleinerer Diebstähle einmal zu 2 Monaten Arrest und einmal zu 10 Jahren schweren Kerkers verurteilt worden sei, doch lägen beide Verurteilungen innerhalb eines Jahres und schon aus diesem Gründe könne nicht gesagt werden, daß sie "beharrlich" eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart geführt habe; ob der Erblasser die Absicht gehabt habe, die Klägerin zu enterben oder nicht, sei ohne rechtliche Bedeutung, weil jede Enterbung einen rechtmäßigen Enterbungsgrund voraussetze, ein solcher aber nicht vorliege; der begehrte Betrag sei richtig ermittelt.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes hinsichtlich der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 42 (2) JN. in Außerstreitsachen und erachtete es deshalb für unzulässig, im vorliegenden Verfahren den Adoptionsvertrag in materiellrechtlicher Hinsicht einer Prüfung zu unterziehen, nahm aber zur Frage einer Enterbung der Klägerin folgenden Standpunkt ein:

Die Verurteilung vom 5. Juni 1954 zu einer am 30. Juni 1954 verbüßten Strafe von 2 Monaten strengen Arrestes habe sich auf eine ganze Reihe von Straftaten bezogen und zwar habe die Klägerin im Jahre 1952 in einer Gastwirtschaft eine von einem Gast anscheinend verlorene Brieftasche an sich genommen und den darin enthaltenen Geldbetrag von 860 S für sich verwendet, im März 1954 in einem Gemüsegeschäft 4 Zitronen, 6 Eier und zu einem späteren Zeitpunkt 13 Stück Blumen- und Gemüsesamen, im März 1954 in einem anderen Geschäft eine Schachtel Sardinen und bei späterer Gelegenheit ein Paket Marmelade, im Jahr 1953 in zwei Angriffen in einem Delikatessengeschäft 40 S, im März 1954 aus einer Schreibtischlade 100 S, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in einer Schlosserwerkstätte einen Bund Dietriche, um sie für andere Diebstähle parat zu haben, eine Geldbörse mit 30 S, einer Mitbewohnerin eine Holzhacke und der Anna S. 20 S, vom Altar der Johanniskirche 5 S, am 29. April 1954 in einer Trafik zwei Romanhefte, zwei weitere Hefte in einer anderen Trafik, im Februar 1954 in einer Buchhandlung ein Buch und einer Bekannten bei einem Besuch ein Feuerzeug, im Oktober 1953 im Krankenhaus ein Handtuch und ein Geschirrtuch, im Sommer 1953 einem Sommergast 20 S, vor Weihnachten 1953 in einem Ledergeschäft eine Damengeldbörse im Wert von 120 S gestohlen; am 6. April 1955 sei die Klägerin zu 10 Jahren schweren Kerkers verurteilt worden, weil sie am 9. Jänner 1955 mit einem Dritten einen Raub bei einer Händlerin verabredet, am 11. und 12. Jänner 1955 je einen Raub mit einer Pistole versucht, am 10. Jänner 1955 einer Frau die Börse mit 57 S, der Leopoldine K. eine Börse mit 190 S und verschiedenen Kaufleuten Schokolade und Zuckerwaren, ferner in der Zeit vom September 1954 bis Jänner 1955 mehreren Kaufleuten Lebensmittel im Wert von zirka 450 S, einem Sommergast 60 S und einer Frau 10 S gestohlen habe; unter diesen Umständen müsse die beharrliche Führung einer gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößigen Lebensart im Sinn des § 768 Z. 4 ABGB. bejaht werden; sie habe diese Lebensart - wenn man berücksichtige, daß sie am 16. Jänner 1955 verhaftet worden und Ing. Franz S. am 30. Juni 1962 gestorben sei -, bis zu dessen Tod geführt; liege also ein rechtmäßiger Enterbungsgrund vor, müsse eine Übergehung des Noterben gemäß § 782 ABGB. als stillschweigende Enterbung angesehen werden, sofern der Enterbungsgrund für die Übergehung kausal gewesen sei; die Beklagten hätten nur unter Beweis gestellt, daß der Erblasser vor Abfassung seines Testamentes ausdrücklich erklärt habe, er wolle der Klägerin nur die aus dem Testament vom 22. Juli 1961 ersichtliche Sicherung ihres Lebensunterhaltes zuwenden, daß er sie aber darüber hinaus wegen der aus dem vorliegenden Enterbungsgrund ersichtlichen Vorkommnisse enterbte; sei dies richtig, könne die Klägerin den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht stellen.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zunächst ist das Argument der Beklagten zu prüfen, die Klägerin sei überhaupt nicht als Adoptivtochter des Ing. Franz S., anzusehen, weil die Adoption mangels inländischer Gerichtsbarkeit zur Zeit des Bestätigungsbeschlusses des Bezirksgerichtes K. rechtsunwirksam und ungültig sei; die Bestimmung des § 42 (2) JN. sei in Außerstreitsachen überhaupt unanwendbar, sie sei nämlich im Abs. 4 dieser Gesetzesstelle nicht zitiert; in Außerstreitsachen ergangene Beschlüsse würden auch gar nicht der materiellen Rechtskraft teilhaftig.

Bei ihren Ausführungen berufen sich die Beklagten vor allem auf die Lehre Faschings (Anm. 13 zu § 42 JN.), allein zu Unrecht. Wohl äußert dieser Autor u. a. auch die Vermutung, die Nichtanführung des Abs. 2 im Abs. 4 des § 42 JN. könnte auch darauf zurückzuführen sein, daß der Gesetzgeber eine nach Rechtskraft erfolgende Nichtigerklärung außerstreitiger Beschlüsse nicht für nötig erachtet habe, weil das Außerstreitgesetz keine ausdrücklichen Rechtskraftnormen enthalte und nach dem damaligen Stand von Lehre und Rechtsprechung eine materielle Rechtskraft außerstreitiger Beschlüsse überwiegend abgelehnt worden sei, aber gerade dieser Autor bezeichnet eine Nichtanwendbarkeit des Abs. 2 im Rahmen des Abs. 4 als unbefriedigend. Auch Stagel (Anm. 8 zu § 42 JN. in Stagel - Michelmayr, ZPO.[12]) tritt für die Anwendbarkeit des Abs. 2 in einem nach Abs. 4 zu beurteilenden Fall ein. Den gleichen Standpunkt hat der Oberste Gerichtshof in SZ, XXVII 308 eingenommen. Er findet keinen Anlaß davon abzugehen, zumal es gar nicht richtig ist, daß Beschlüsse in Außerstreitsachen materieller Rechtskraft nicht fähig wären. Gewiß muß es sich dabei um Entscheidungen über, widerstreitende Interessen oder sonst um rechtsregelnde Verfügungen handeln. Handelt es sich aber um einen solchen, im Außerstreitverfahren nicht mehr anfechtbaren Beschluß, ist eine Nachprüfung im Prozeß grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. dazu Ott, Rechtsfürsorgeverfahren S. 260, SZ. XXV 139, EvBl. 1965 Nr. 225). Anders wäre es nach dieser Judikatur nur, wenn durch den Außerstreitbeschluß in Rechte Dritter, im Außerstreitverfahren ohne eigenes Verschulden nicht eingeschrittener Interessenten unmittelbar eingegriffen worden wäre oder eine gesetzliche Sonderbestimmung ein Klagerecht normierte. Letzteres ist hier gewiß nicht der Fall. Im seinerzeitigen Adoptionsbestätigungsverfahren hatten die Beklagten - selbst wenn sie damals schon gelebt haben sollten, was den Akten nicht zu entnehmen ist - aber auch keine Beteiligtenstellung; ihre Beeinträchtigung erfolgte zudem nicht unmittelbar durch die Bestätigung der Adoption, sondern läßt sich erst daraus ableiten, daß Ing. Franz S. gerade sie zu Erben eingesetzt hat. Daß die Zweitbeklagte allenfalls schon damals unter bestimmten Voraussetzungen für eine gesetzliche Erbfolge in Betracht gekommen wäre, vermag daran nichts zu ändern.

Als "Nicht-Akt" läßt sich der Adoptionsbestätigungsbeschluß des Bezirksgerichtes K. vom 1. Februar 1930 keinesfalls ansehen und bei der Prüfung, ob damals wirklich die inländische Gerichtsbarkeit gefehlt hat, kann es nicht darauf ankommen, was die Parteien eines Zivilprozesses vorbringen oder in einem solchen unbestritten lassen. Nur nach amtswegiger Klärung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände würde sich zuverlässig beurteilen lassen, ob die inländische Gerichtsbarkeit wirklich gefehlt hat. Mangels einer Antragstellung der obersten Administrativbehörde hat aber auch der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Prozeß von einer Überprüfung der Adoptionsbestätigung abzusehen. Die Klägerin ist demnach als Adoptivtochter des Erblassers zu behandeln.

Sie meint nun ihrerseits, von einer "Übergehung" im Sinn des § 782 ABGB. könne keine Rede sein, demnach auch nicht von einer "Enterbung", weil ihr ja im Testament selbst Legate ausgesetzt worden seien, eine "Enterbung" hätte nur, ausdrücklich erfolgen können. Aus dem Zusammenhalt der unter der Marginalrubrik "b) bei einer gänzlichen Übergehung" zusammengefaßten Bestimmungen der §§ 776 ff. ABGB. mit den unter "a) bei einer widerrechtlichen Enterbung oder Verkürzung in dem Pflichtteile" erlassenen Bestimmungen des § 775 ABGB. ergibt sich aber jedenfalls, daß es nicht nur eine rechtmäßige Enterbung d. h. gänzliche Entziehung auch des Pflichtteiles, sondern auch eine rechtmäßige Verkürzung im Pflichtteil d. h. eine rechtmäßige Teilentziehung des Pflichtteiles gibt (vgl. dazu auch Weiss in Klang[2] III 874 unter I), was naturgemäß auf einen letztwilligen Ausspruch auf Belassung eines gewissen Teilanspruches bzw. eine letztwillige Zuwendung hinausläuft, die den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch nicht voll decken soll und auch tatsächlich nicht voll deckt. Ob der Erblasser mit einer ausdrücklichen Zuwendung, die den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch nicht voll deckt, eine Verkürzung im Pflichtteil wollte oder etwa - vielleicht auf Grund irriger Wertvorstellungen - meinte, durch seine Zuwendung dem Pflichtteilsanspruch ohnehin Rechnung zu tragen, ist eine Frage der Auslegung seiner letztwilligen Verfügung. Wenn die Beklagten dazu darauf verweisen, das Kreisgericht W. habe als II. Instanz im Pflegschaftsverfahren P 8/60 des Bezirksgerichtes N. bereits die Ansicht vertreten, schon aus dem Wortlaut des Testamentes ergebe sich, daß die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruches dem Willen oder Wunsch des Erblassers widerspreche, ist für sie damit nichts für die Entscheidung im vorliegenden Prozeß gewonnen, weil es bei der Ermittlung des wahren Willens des Erblassers nicht nur auf den Wortlaut des Testamentes ankommt (SZ. XXV 203). Darum wird erst nach Durchführung der von beiden Seiten beantragten Beweise beurteilt werden können, ob der Erblasser die Klägerin im Pflichtteil tatsächlich verkürzen wollte, weiters aber auch, ob ihre Lebensart dafür kausal war. Daß die Beklagten letzteres beweisen müssen, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Damit ist aber auch bereits den Rekursausführungen der Beklagten der Boden entzogen.

Entgegen den Ausführungen der Klägerin teilt der Oberste Gerichtshof im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin eine Lebensart geführt hat, die den Grund für eine rechtmäßige Enterbung bzw. Verkürzung im Pflichtteil im Sinn des § 768 Z. 4 ABGB. abgäbe. Daß der objektive Tatbestand eines solchen Enterbungsgrundes gegeben ist, bestreitet auch die Klägerin in ihrem Rekurs praktisch nicht, sie meint aber, im ergänzenden Verfahren wäre ihr die Möglichkeit zu geben, durch Zeugen nachzuweisen, daß nur ihre im Strafverfahren noch nicht erkannte und damals noch im Anfangsstadium befindliche Erkrankung Ursache ihres Fehlverhaltens gewesen sei. Es kann ihr nun insofern beigepflichtet werden, als das im § 768 Z. 4 ABGB. normierte Tatbestandsmerkmal der "Beharrlichkeit" auch ein subjektives Element enthält, weshalb nicht nur auf die Fortsetzung der anstößigen Lebensweise durch längere Zeit - wie dies das Berufungsgericht getan hat - oder etwa die Vielzahl der Verstöße abgestellt werden darf. "Beharrlichkeit" im Sinn des § 768 Z. 4 ABGB. setzt vielmehr ein bewußtes und gewolltes Festhalten an der anstößigen Lebensart voraus, das sich freilich in der Regel aus der Fortsetzung der anstößigen Lebensweise durch längere Zeit bzw. der Vielzahl der Verstöße erschließen lassen wird. Unter den besonderen Umständen des Falles bedarf es aber wohl noch ergänzender Überlegungen, wobei auch zu berücksichtigen ist, daß es bei dem von der Klägerin aufgeworfenen Beweisthema nicht so sehr auf einen Zeugen - als einen Sachverständigenbeweis ankäme.

Es ist nun zunächst nicht richtig, daß die Abartigkeit der Klägerin in dem für sie besonders gravierenden Strafverfahren des Landesgerichtes K. übersehen worden wäre. Sie wurde psychiatriert und der damals zugezogene Sachverständige hat bei ihr schwere Störungen der sittlichen Gefühle als Anlaß für ihr asoziales Verhalten festgestellt; er zählte das Erscheinungsbild, bei dem charakterliche Abartigkeiten bis in die frühe Jugend mitberücksichtigt wurden, dem Bereich der "moral insanity" zu, kam aber abschließend zum Ergebnis, daß die Klägerin der Fähigkeit, die Folge ihrer Handlungen einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht völlig beraubt gewesen sei. Dieses Gutachten fand dann auch seinen Niederschlag in einer an die Geschworenen gerichteten Zusatzfrage bzw. der ihnen dazu erteilten Rechtsbelehrung. Selbst wenn man nun zugunsten der Klägerin unterstellt, durch Einholung von Sachverständigengutachten unter Berücksichtigung der seitherigen Entwicklung ihres Geisteszustandes - im Entmündigungsverfahren wurde übrigens nicht volle Klarheit geschaffen, ob es sich um eine organische Gehirnerkrankung Schizophrenie oder nur eine schwere Hysterie mit Anfällen und Dämmerzuständen handelt - wäre erweislich, die Klägerin sei in höherem Maße moralisch und geistig minderwertig gewesen, als seinerzeit erkannt wurde, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß sie seinerzeit wegen der einleitend aufgezählten Delikte rechtskräftig verurteilt wurde. Solange die strafgerichtlichen Verurteilungen aufrecht sind, ist das Gericht auch im vorliegenden Prozeß daran gebunden (§ 268 ZPO.). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Klägerin für alle ihre Delikte steht also fest und es bliebe auch bei nachträglichem Nachweis vor dem Zivilgericht, die geistigen und moralischen Abwehrkräfte der Klägerin seien doch noch geringer gewesen, als sie seinerzeit erkannt worden waren, doch bindend auch dabei, daß diese Kräfte ausgereicht hätten, das Strafbare der Handlungsweise einzusehen und nach dieser Einsicht auch zu handeln, Gerade letzteres rechtfertigt aber auch hier den Schluß aus der Vielzahl der Delikte und der Fortsetzung des anstößigen Verhaltens durch längere Zeit auf die "Beharrlichkeit" der anstößigen Lebensführung im Sinn des § 768 Z. 4 ABGB.

Aus diesen Erwägungen ist der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zu bestätigen.

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