OGH 11Os193/96 (11Os194/96, 11Os195/96)

OGH11Os193/96 (11Os194/96, 11Os195/96)4.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Ebner, Dr. Schmucker und Dr. Habl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sprinzel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard P***** wegen jeweils der Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Jugendgerichtshofes Wien vom 31. Mai 1995, GZ 16 a U 101/92-19, vom 6. August 1996, GZ 9 U 387/96-33, und vom 22. Oktober 1996, GZ 9 U 387/96-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Weiß, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es verletzen das Gesetz

1./ der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 31. Mai 1995, GZ 16 a U 101/92-19, in der Bestimmung des § 43 Abs 2 iVm § 56 StGB;

2./ der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 6. August 1996, GZ 9 U 387/96-33,

a./ in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft und

b./ infolge Unterbleibens der Einsichtnahme in den Akt über die frühere Verurteilung, AZ 16 a U 101/92 des Jugendgerichtshofes Wien in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO,

3./ der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 22. Oktober 1996, GZ 9 U 387/96-35, in dem im (Straf-)Prozeßrecht geltenden allgemeinen Grundsatz der Bindung des Gerichtes an seine eigenen Entscheidungen.

Die Beschlüsse des Jugendgerichtshofes Wien vom 6. August 1996 und 22. Oktober 1996, GZ 9 U 387/96-33 und 9 U 387/96-35, werden aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 5. Mai 1992, GZ 16 a U 101/92-11, wurde Gerhard P***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Obgleich von der Einlaufstelle des Jugendgerichtshofes Wien mit Vermerk vom 26. Mai 1995 bekanntgegeben wurde, daß zum AZ 14 U 187/95 des Jugendgerichtshofes Wien gegen den Genannten ein weiteres Verfahren anhängig ist (S 80 im Akt 16 a U 101/92), sprach der Jugendgerichtshof Wien nach Ablauf der Probezeit (8. Mai 1995) mit (rechtskräftigem) Beschluß vom 31. Mai 1995 (ON 19) die endgültige Strafnachsicht aus.

In dem bereits seit Jänner 1993, zunächst noch unter AZ 20 c U 126/93 anhängigen, später unter AZ 14 U 187/95 und 9 U 387/96 fortgeführten Strafverfahren wurde Gerhard P***** mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 6. August 1996, GZ 9 U 387/96-33, erneut des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB (Tatzeit: 1. Juli 1994 bis 5. August 1996) schuldig erkannt und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich faßte das Gericht, entgegen § 494 a Abs 3 StPO ohne in die Akten über die frühere Verurteilung Einsicht zu nehmen, den Beschluß, vom Widerruf der im Verfahren 16 a U 101/92 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, die bezügliche Probezeit aber auf fünf Jahre zu verlängern (AS 113 in 9 U 387/96 des Jugendgerichtshofes Wien).

Mit Beschluß vom 22. Oktober 1996, GZ 9 U 387/96-35, wurde die mit Beschluß vom 6. August 1996 erfolgte Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre zu AZ 16 a U 101/92 des Jugendgerichtshofes Wien "für nichtig erklärt".

Rechtliche Beurteilung

Die bezeichneten Beschlüsse des Jugendgerichtshofes Wien vom 31. Mai 1995, 6. August 1996 und 22. Oktober 1996 verletzen, wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, das Gesetz.

Im Verfahren 16 a U 101/92 des Jugendgerichtshofes Wien blieb der knapp nach Ablauf der Probezeit verfaßte Vermerk über die Anhängigkeit eines weiteren Verfahrens gegen den Beschuldigten bei der Entscheidung vom 31. Mai 1995 über die endgültige Strafnachsicht unbeachtet.

Gemäß § 43 Abs 2 StGB darf aber eine bedingt nachgesehene Strafe nur dann endgültig nachgesehen werden, wenn die Nachsicht nicht widerrufen wird. Die Begehung einer weiteren Straftat während der Probezeit einer bedingt nachgesehenen Strafe kann aber einen - die Verlängerung der Probezeit bewirkenden - Widerrufsgrund darstellen (§§ 53 Abs 1, 56 StGB). Da gegen Gerhard P***** bei Ablauf der im Verfahren 16 a U 101/92 des Jugendgerichtshofes Wien gesetzten Probezeit (8.Mai 1995) das neue Strafverfahren wegen der (auch) innerhalb der Probezeit begangenen Unterhaltsverletzung bereits anhängig war, endete die Probezeit (hier) sechs Monate nach rechtskräftiger Beendigung des neuen Verfahrens (§ 56 StGB), weshalb die Entscheidungsprämissen für den Ausspruch der endgültigen Strafnachsicht zum Zeitpunkt der Beschlußfassung am 31. Mai 1995 nicht gegeben waren.

Dessen ungeachtet entfaltete der gemäß § 497 StPO gefaßte Beschluß (selbst schon vor Eintritt der Rechtskraft) Bindungswirkung, derzufolge ein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung des Beschlusses nicht berechtigt ist, über den Entscheidungsgrund neuerlich abzusprechen. Der rechtswidrige Beschluß vom 6. August 1996, GZ 9 U 387/96-33, mit dem der Jugendgerichtshof Wien sohin im Folgeverfahren die Entscheidungskompetenz über die Verlängerung der Probezeit zu Unrecht in Anspruch nahm, konnte somit weder den Beschluß vom 31. Mai 1995 beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Die konstitutive Wirkung des Beschlusses vom 31. Mai 1995 blieb vielmehr unberührt (vgl EvBl 1989/64, 11 Os 103/96 ua).

Für die mit Beschluß vom 22. Oktober 1996, GZ 9 U 387/96-35, ausgesprochene "Nichtigerklärung" der mit Beschluß vom 6. August 1996 verfügten Probezeitverlängerung ermangelt es wiederum jeglicher gesetzlicher Grundlage, weil es sich bei einer Entscheidung gemäß § 494 a Abs 1 StPO weder um eine prozeßleitende Verfügung noch sonst um einen jener Fälle handelt, in denen das Gericht zur Korrektur seiner eigenen Entscheidung (wie etwa im Fall des § 243 StPO) befugt ist (vgl Lohsing/Serini, Österr.Strafprozeßrecht4, S 229 f).

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