OGH 2Ob2426/96w

OGH2Ob2426/96w30.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monica P*****, vertreten durch Mag.Albin Huber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Christian R*****, 2. Josef R***** und 3.***** Versicherungs AG, ***** alle vertreten durch Dr.Gernot Gasser, Rechtsanwalt in Lienz, wegen S 71.399,60 sA, infolge Revision der zweit- und drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16.Oktober 1996, GZ 4 R 439/96d-23, womit infolge Berufungen sämtlicher Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 11.Juli 1996, GZ 12 C 1438/95k-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin den Betrag von S 71.399,60 samt 4 % Zinsen seit 18.6.1995 zu bezahlen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 26.255,88 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 4.375,98, keine Barauslagen) Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit S 26.219,42 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 3.376,57 und Barauslagen von S 5.960) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 30.5.1995 ereignete sich in Innsbruck auf der König-Laurin-Allee ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin und Halterin des in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen PKW Mazda 323 und der Erstbeklagte als Lenker des vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Opel Kadett beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von S 71.399,60 sA mit der Begründung, sie sei im Bereich der Bushaltestelle etwas weiter nach rechts gefahren; in der Folge habe sie zur Gänze auf den linken, geradeaus führenden Fahrstreifen wechseln wollen; sie habe links geblinkt und sich durch einen Blick in den Rückspiegel davon überzeugt, daß sie niemand behindere. Während des Fahrstreifenwechsels sei der Erstbeklagte plötzlich ausgeschert, um sie links zu überholen.

Die beklagten Parteien wendeten ein, daß die Klägerin ihr Fahrzeug ganz nach rechts gelenkt habe, sodaß für den Erstbeklagten genügend Platz gewesen sei, um links zu überholen. Da die Klägerin auch kein Blinkzeichen gesetzt habe, habe der Anschein bestanden, daß sie nach rechts einbiegen wolle. Der Erstbeklagte habe links geblinkt und sich von der Gefahrlosigkeit des Überholmanövers überzeugt. Als sich die beiden Fahrzeuge auf etwa gleicher Höhe bewegten, habe die Klägerin ohne Betätigung des Blinkers und ohne sich von der Gefahrlosigkeit ihres Manövers zu überzeugen, ihr Fahrzeug nach links gelenkt. Der dem Zweitbeklagten entstandene Schaden von S 11.410,94 wurde compensando gegen die Klagsforderung eingewendet.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit S 35.699,80 und die eingewendete Gegenforderung mit S 5.705,44 als zu Recht bestehend fest; es wurden daher die beklagten Parteien zur Zahlung von S 29.994,36 verurteilt und das Mehrbegehren auf Zahlung von S 41.405,24 sA abgewiesen.

Das Erstgericht verwies bei der Feststellung der örtlichen Gegebenheiten auf die folgende, einen integrierenden Bestandteil seines Urteils bildende Skizze:

Im übrigen wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Im Unfallszeitpunkt herrschte Tageslicht; der Unfall ereignete sich im Ortsgebiet, die Fahrbahn ist nahezu eben, die Sicht war auf über 50 m gegeben. Die König-Laurin-Allee wird im Unfallsbereich in östliche Richtung als Einbahn geführt; die Fahrzeugbreiten der unfallsbeteiligten Fahrzeuge betragen jeweils ca 1,65 m.

Die Klägerin fuhr auf der König-Laurin-Allee mit einer Geschwindigkeit von ca 30 km/h Richtung Osten; sie hielt zum rechten Fahrbahnrand (und nicht zur Markierung der Bushaltestelle) einen Abstand von zumindest 2,5 m und zum linken Fahrbahnrand einen jedenfalls 2,45 m übersteigenden Abstand ein. Die Entfernung der Klägerin vom linken Fahrbahnrand ermöglichte es dem Erstbeklagten, der mit einer Geschwindigkeit von ca 40 bis 50 km/h hinter der Klägerin hergefahren war, links am Fahrzeug der Klägerin vorbeizufahren bzw dieses zu überholen. Als der Erstbeklagte nur mehr wenige Meter hinter dem Fahrzeug der Klägerin war, lenkte die Klägerin ihr Fahrzeug nach links, sodaß es in der Folge auf der Höhe der dortigen Parkfläche zur Kollision der beiden Fahrzeuge kam, und zwar im Bereich der in der Skizze eingezeichneten Punkte A bzw B. Eine genauere Feststellung des Kollisionsortes war nicht möglich. Die Fahrzeuge kollidierten in einem spitzen Winkel zueinander.

Die Klägerin hätte, wenn sie bei Beginn ihrer eigentlichen Linksauslenkung in den linken Außenspiegel geschaut hätte, das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug wenige Meter hinter sich auf Überholkurs sehen können. Wenn sie dann von einem weiteren Linkslenken Abstand genommen hätte, wäre der Unfall vermieden worden. Der Erstbeklagte hatte keine Möglichkeit, auf das Linksauslenken der Klägerin zu reagieren. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Klägerin links geblinkt hat oder nicht.

Die Klägerin erlitt durch den Unfall eine Verstauchung der Halswirbelsäule und eine Prellung der linken Schulter, unfallskausale Spätfolgen sind auszuschließen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß sich die Klägerin bei Beginn des Abbiegemanövers davon hätte vergewissern müssen, daß dies ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer möglich sei. Für den Erstbeklagten sei hingegen eine unklare Verkehrslage gegeben gewesen. Da keine zwei Fahrstreifen vorhanden gewesen seien, wäre er verpflichtet gewesen, das Überholen zu unterlassen. Es sei daher von einem gleichteiligen Verschulden der beiden Fahrzeuglenker auszugehen.

Das von sämtlichen Parteien angerufene Berufungsgericht gab den Berufungen der klagenden Partei sowie der zweit- und drittbeklagten Parteien nicht Folge. Hingegen gab es der Berufung des Erstbeklagten statt und wies das gegen ihn gerichtete Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, aus der Skizze ergebe sich, daß die Fahrbahn der König-Laurin-Allee eine Gesamtbreite von 8,1 m aufweise. Im Bereich des rechten Fahrbahnrandes befinde sich eine Bushaltestelle, die durch weiße, nicht unterbrochene Linien in Längs- und Querrichtung so markiert sei, daß sie eine Breite von 2,5 m aufweise. Es verbleibe damit eine restliche Fahrbahnbreite von 5,6 m. Zu prüfen sei, ob der links vom Fahrzeug der Klägerin befindliche Fahrbahnteil so breit gewesen sei, daß der Erstbeklagte im Sinne des § 15 Abs 4 StVO beim Überholen einen der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden seitlichen Abstand einhalten konnte. Zu Lasten der für ein Verschulden des Erstbeklagten beweispflichtigen Klägerin sei davon auszugehen, daß die Klägerin vor ihrem Linksausschwenken einen Abstand von jedenfalls mehr als 3,25 m und höchstens 3,95 m zum linken Fahrbahnrand eingehalten hatte. Berücksichtige man, daß das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug eine Breite von ca 1,65 m aufwies, so könne nicht gesagt werden, daß der Erstbeklagte gegen § 15 Abs 4 StVO verstoßen habe. Vielmehr sei davon auszugehen, daß beiderseits des von ihm gelenkten Fahrzeuges eine ausreichende Durchfahrtsbreite von jedenfalls mehr als 80 cm und höchstens 1,15 m verblieb. Da weiters zugunsten der beklagten Parteien davon auszugehen sei, daß nicht feststehe, ob am Fahrzeug der Klägerin der linke Blinker in Betrieb war, könne auch nicht gesagt werden, daß für den Erstbeklagten eine unklare Verkehrssituation gegeben war, die ihn veranlassen hätte müssen, vom Überholen Abstand zu nehmen.

Im übrigen sei davon auszugehen, daß die Klägerin vor dem Linksauslenken entweder in den Rückspiegel blickte und dennoch vom Linkauslenken nicht Abstand nahm, obwohl sie das Fahrzeug des Zweitbeklagten sehen hätte können, oder daß sie überhaupt nicht in den Rückspiegel blickte. Der Klägerin könne aber deshalb kein Verstoß gegen § 11 Abs 1 StVO angelastet werden, weil nicht feststehe, wie weit sie ihr Fahrzeug vor der Kollision auslenkte. Hätte sie ihr Fahrzeug etwa nur wenige Zentimeter weiter nach links versetzt, so hätte sie weder einen Fahrstreifenwechsel noch eine relevante Fahrtrichtungsänderung vorgenommen. In diesem Fall wäre sie auch nicht im Sinne des § 11 Abs 1 StVO zu einem Blick in den Rückspiegel verpflichtet gewesen, weil sie darauf hätte vertrauen können, daß ein allenfalls überholender Fahrzeuglenker einen entsprechenden Seitenabstand einhalte.

Im übrigen sei unstrittig, daß die Klägerin zunächst eine Fahrlinie links der Markierung der Bushaltestelle gewählt hatte. Der seitliche Abstand zum rechten Fahrbahnrand habe demnach zumindest 2,5 m betragen. Trotzdem habe aber die Klägerin nicht gegen § 7 Abs 1 StVO verstoßen, weil die durchgehende Bodenmarkierung im Bereich der Bushaltestelle als Randlinie anzusehen sei, sodaß die Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, rechts der Längsmarkierung der Bushaltestelle zu fahren, um dem Rechtsfahrgebot zu entsprechen. Hiefür spreche auch, daß jene befahrbaren Teile einer Straße nicht zur Fahrbahn zu rechnen seien, deren Widmung ausschließlich für andere Zwecke auffällig sei. Dies treffe hier für den Haltestellenbereich zu, weil die Abgrenzung desselben durch nicht unterbrochene Markierungen auf drei Seiten und die darin entsprechend dem § 29 Abs 1 BodenmarkierungsV aufgebrachte Aufschrift "Bus" von einem Verkehrsteilnehmer nur dahin verstanden werden könne, daß dieser Bereich der Straße ausschließlich als Haltestellenbereich gewidmet sei. Damit sei auch ein Verschulden der Klägerin nicht erwiesen. Das Klagebegehren sei gegenüber dem Erstbeklagten, der nicht Halter des von ihm gelenkten Fahrzeuges gewesen sei, mangels Verschulden abzuweisen. Im übrigen sei die angefochtene Entscheidung im Ergebnis aber zu bestätigen, weil mangels konkreter Behauptungen und Beweisergebnisse zu der von einem der Fahrzeuge ausgehenden außergewöhnlichen oder überwiegenden gewöhnlichen Betriebsgefahr gemäß § 11 Abs 1 EKHG eine Schadensteilung von 1 : 1 vorzunehmen sei.

Die ordentliche Revision wurde als zulässig angesehen, weil zu der Frage, ob ein Verkehrsteilnehmer im Bereich einer gemäß § 29 Abs 1 BodenmarkierungsV gekennzeichneten Omnibus- oder Obushaltestelle dem Rechtsfahrgebot so entsprechen müsse, daß er auch die markierte Fläche derselben befährt, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteiles richtet sich die Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der zweit- und drittbeklagten Partei nicht Folge zu geben.

Die Revision der zweit- und drittbeklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Die Zweit- und Drittbeklagte machen in ihrem Rechtsmittel unter anderem geltend, die Klägerin habe gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend sind die Vorinstanzen von der Anwendbarkeit österreichischen Rechtes ausgegangen (Art 3 Haager Straßenverkehrsabkommen).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes rechtfertigt aber die Kennzeichnung des Bus-Haltestelltenbereiches durch eine ununterbrochene Längsmarkierung allein noch nicht den Schluß, es handle sich bei dieser Markierung um einen den Fahrbahnrand anzeigende Randlinie. Es gibt nämlich auch Markierungen in Form von ununterbrochenen Längslinien in weißer Farbe, die nicht den Fahrbahnrand anzeigen und damit nicht als Randlinien im Sinne des § 7 a BodenmarkierungsV und § 55 Abs 2 StVO anzusehen sind; so etwa Bodenmarkierungen auf Parkflächen (§ 26 Abs 4 BodenmarkierungsV). Dasselbe gilt aber für jene nach § 29 Abs 1 BodenmarkierungsV, die auf der Fahrbahn anzubringen sind. Bei der durch die Bodenmarkierung als Omnibushaltestelle gemäß § 29 Abs 1 BodenmarkierungsV gekennzeichneten Fläche handelt es sich somit um einen Teil der Fahrbahn, der vom Fahrzeugverkehr mit dem der StVO entsprechenden Einschränkungen zu benützen ist (8 Ob 26/82; ZVR 1984/149). Eine Absicht der Straßenverwaltung, diesen Fahrbahnteil ausschließlich anderen Zwecken als dem Fahrzeugverkehr zu widmen, scheidet hier aus. Es ist daher der vom Haltestellenbereich in Anspruch genommene Fahrbahnteil als rechter Fahrstreifen anzusehen. Da die Klägerin links davon fuhr und somit einen Seitenabstand vom rechten Fahrbahnrand von mindestens 2,5 m einhielt, hat sie gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 1 StVO verstoßen.

Die Bestimmung des § 7 StVO verfolgt zwar in erster Linie den Zweck, den Gegenverkehr zu schützen, sie dient aber auch ganz allgemein zur Abwehr aller möglichen Risken des Straßenverkehrs (ZVR 1980/121); insbesondere wird dadurch auch der nachfolgende Verkehr geschützt (2 Ob 51/93; ZVR 1976/285; ZVR 1983/210). Der Schutz des nachfolgenden Verkehrs erstreckt sich vor allem darauf, Unfälle beim Überholen zu verhindern, die bei Verletzung des Rechtsfahrgebotes entstehen könnten.

Da die Klägerin gar nicht behauptet hat, daß der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn sie nicht gegen § 7 Abs 1 StVO verstoßen hätte, ist davon auszugehen, daß der Schaden der Klägerin allein auf ihre Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zurückzuführen ist. Ein Verschulden des Erstbeklagten hat bereits das Berufungsgericht verneint, diese Frage ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Gegenüber der in eigenen Angelegenheiten sorglosen Klägerin ist die vom Zweitbeklagten ausgehende gewöhnliche Betriebsgefahr zu vernachlässigen (Apathy, KommzEKHG, Rz 22 zu § 11), weshalb in Stattgebung der Revision der Zweit- und Drittbeklagten das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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