OGH 2Ob51/93

OGH2Ob51/939.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Graf, Dr. Schinko und Dr. Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Gebhard O*, geboren 1979, Schüler, *, vertreten durch die Mutter Edith O*, Hausfrau, ebendort, diese vertreten durch Dr. Hansjörg Schweinester und Dr. Paul Delazer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Reimbert S*, 2. * Versicherung, beide vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wegen Leistung S 253.334,-- und Feststellung (S 66.666,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 28. Mai 1993, GZ 2 R 139/93-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. März 1993, GZ 41 Cg 1020/92-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0020OB00051.93.1209.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 14.222,34 (darin enthalten S 2.370,39 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Am 22. Mai 1989 fuhr der von Erwin S* gelenkte, vom Erstbeklagten gehaltene und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte Sattelzug Mercedes, der eine Breite von 2,6 m (nach dem Sachverständigen wohl richtig 2,5 m) aufweist, mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h etwa in Fahrbahnmitte der 4,5 bis 4,6 m breiten S*straße. Bei einem Blick in den linken Rückspiegel bemerkte er hinter sich zwei Buben auf Fahrrädern, die auffallend heftig in die Pedale tretend hinter dem Sattelzug fuhren und diesen offensichtlich einholten. Wie weit die Buben zu diesem Zeitpunkt hinter dem Sattelzug waren, war nicht feststellbar. Bei einem neuerlichen Blick in den Rückspiegel erkannte der Lenker des Sattelzuges, daß einer der beiden Buben bereits begonnen hatte, den Sattelzug zu überholen, sich bereits auf Höhe zwischen beiden Hinterachsen befand und plötzlich durch das Pedaltreten wankte, mit der linken Seite des Fahrradlenkers in einen links der Straße befindlichen Maschendrahtzaun geriet, zu Sturz und vor der Achse des Sattelfahrzeuges zu liegen kam. Erwin S* leitete sofort eine Vollbremsung ein, dennoch geriet der Kläger mit dem rechten Fuß unter die Hinterachse des Sattelzuges. Für den Sattelzuglenker war beim ersten Blick in den Rückspiegel nicht erkennbar, ob und wo sich der Kläger zu einem Überholmanöver entschließen werde, weshalb auch ein Auslenken zum entgegengesetzten Fahrbahnrand nicht möglich gewesen wäre. Technisch wäre es möglich gewesen, den Sattelzug mit der eingehaltenen Geschwindigkeit mit einem Seitenabstand von 20 bis 30 cm zum rechten Fahrbahnrand zu lenken, wobei aber ein Erkennen von Positionen und eine Einschätzung von Geschwindigkeiten durch den Rückspiegel äußerst schwierig ist.

Der Kläger wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Er begehrte unter Einräumung eines Mitverschuldens von einem Drittel insgesamt S 253.334,-- an Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung und unfallskausalen Spesen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden des Klägers im Ausmaß von zwei Drittel. Er sei mit dem Fahrrad gegen einen anderen Minderjährigen ein spontan ausgemachtes Wettrennen gefahren. Für den Lenker des Sattelzuges habe eine unklare Verkehrssituation bestanden, dennoch habe er seine Geschwindigkeit beibehalten und keine Warnzeichen abgegeben. Er habe jedenfalls nicht die äußerst mögliche Sorgfalt im Sinne des § 9 EKHG aufgewendet.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil dem Fahrzeuglenker nicht das geringste Fehlverhalten angelastet werden könne.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Alleinverschulden treffe den Kläger, der das Sattelfahrzeug unzulässigerweise überholen wollte. Dessen Lenker treffe weder ein Verschulden noch liege die Haftung der beklagten Parteien nach § 11 EKHG vor, weil weder die Verringerung der Geschwindigkeit des Sattelzugfahrzeuges noch die Abgabe eines Hupsignales zweckdienlich gewesen wären.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es übernahm die bereits wiedergegebenen Feststellungen und verneinte ebenfalls ein Verschulden des Fahrzeuglenkers. Eine Verletzung der Bestimmung des § 7 Abs 1 StVO liege unter den gegebenen Umständen nicht vor. Den beklagten Parteien sei auch der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG gelungen, weil es dem Fahrzeuglenker nicht möglich gewesen sei, in irgendeiner Weise unfallverhütend zu reagieren. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob sich der Schutzzweck der Norm des § 7 Abs 1 StVO auch auf von hinten an ein Kraftfahrzeug annähernde Radfahrer bei einer Fahrbahnbreite von nur 4,5 bis 4,6 m beziehe, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Der Kläger bekämpft dieses Urteil mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend festgestellt werde.

Die beklagten Parteien beantragen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, bzw. ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichtes nicht zulässig (§ 508 a ZPO).

Die Bestimmung des § 7 StVO verfolgt zwar in erster Linie den Zweck, den Gegenverkehr zu schützen bzw. jedwede vom linken Fahrbahnteil herkommende Gefahr zu verhindern (Dittrich-Stolzlechner, StVO3 § 7 Anm 6a, ZVR 1989/168), dient aber auch ganz allgemein zur Abwehr aller möglichen Risken des Straßenverkehrs (ZVR 1980/121). Insbesondere wird dadurch auch der nachfolgende Verkehr geschützt (Dittrich-Stolzlechner aaO, ZVR 1983/210; 1976/285; 1975/6). Der Nachfolgeverkehr soll daher vor den Gefahren geschützt werden, die von vorschriftswidrig das Rechtsfahrgebot mißachtenden Fahrzeugen ausgehen, weil grundsätzlich davon ausgegangen werden muß, daß die Verkehrsteilnehmer dem Gebot folgend soweit rechts fahren, als dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und ohne Gefährdung und Behinderung anderer Straßenbenützer zumutbar ist. Dies bedeutet aber, daß sich der Schutz des nachfolgenden Verkehrs vor allem darauf erstreckt, Auffahrunfälle zu verhindern, die aus der Verletzung des Rechtsfahrgebotes entstehen könnten; dieser Sachverhalt liegt aber in dem hier zu beurteilenden Fall nicht vor, weil der Kläger nicht auf den etwa die Vorschrift des § 7 StVO mißachtenden Lenker des Sattelzugfahrzeuges aufgefahren ist, sondern bei einem Überholmanöver selbst in eine unstabile Fahrweise geraten und in der Folge an einem links der Straße befindlichen Maschendrahtzaun hängenblieben und unter das Fahrzeug gekommen ist. Allenfalls könnte die Bestimmung des § 7 Abs 2 StVO herangezogen werden, wonach ein Fahrzeuglenker verpflichtet ist, im Interesse der Verkehrssicherheit, insbesondere beim Überholtwerden, am rechten Fahrbahnrand zu fahren. Nach den Feststellungen konnte der Erstbeklagte beim erstmaligen Blick in den Rückspiegel gar nicht erkennen, ob bzw. wann der Kläger beabsichtige, den Sattelschlepper zu überholen. Er konnte vielmehr gar nicht damit rechnen, daß ein solches Überholmanöver beabsichtigt war, weil der verbleibende Zwischenraum (ein Meter) ein solches gar nicht zuließ.

Der Erstbeklagte konnte daher auch in Kenntnis der Tatsache, daß der radfahrende Kläger das Sattelzugfahrzeug einholte, nicht damit rechnen, bei einem nur einem Meter betragenden Zwischenraum zwischen seinem Fahrzeug und dem links der Straße befindlichen Maschendrahtzaun überholt zu werden.

Im übrigen stellt die Frage, welchen Abstand ein Fahrzeuglenker zum rechten Fahrbahnrand im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten, die eingehaltene Geschwindigkeit und den besonderen Verhältnissen einzuhalten hat keine über den konkreten Sachverhalt hinausgehende Rechtsfrage dar (ZVR 1983/171).

Selbst wenn es daher dem Erstbeklagten technisch möglich gewesen sein sollte, einen geringeren Abstand zum rechten Fahrbahnrand einzuhalten, könnte daraus ein haftungsbegründendes Verhalten nicht abgeleitet werden, weil er zuerst nicht erkennen konnte, daß der Kläger beabsichtigte, den Sattelzugschlepper zu überholen und bei erster Kenntnis dieses Manövers unfallverhütende Maßnahmen nicht mehr ergriffen werden konnten.

Die Revision wird zur Frage, ob der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG erbracht wurde, nicht näher ausgeführt. Auch hier ist den Ausführungen des Berufungsgerichtes zu folgen.

Nach ständiger Rechtsprechung reicht es zur Erbringung des Entlastungsbeweises nach dieser Gesetzesstelle nur aus, wenn die äußerste nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet wurde und daß der Unfall auch für einen besonders sorgfältigen und umsichtigen Kraftfahrer unvermeidbar war (Apathy, EKHG § 9 Rz 15; ZVR 1992/10; 1989/102 uva). Es muß daher vor allem bei Kindern jede denkbare Vorsicht angewendet werden (Apathy, Rz 17, ZVR 1982/369), doch darf die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden (ZVR 1990/157). Insbesondere hat die Beurteilung der Unabwendbarkeit des Geschehens ex ante und nicht ex post zu erfolgen. Ein unabwendbares Ereignis liegt daher dann vor, wenn der Unfall durch ein Verhalten des Kraftfahrers vermieden hätte werden können, ein solches aber vor dem Unfall nicht geboten war (ZVR 1991/139).

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann dem Lenker des Sattelzuges eine Verletzung der äußersten ihm gebotenen Sorgfalt nicht zur Last gelegt werden, auch wenn bei dem Unfall ein Kind beteiligt war. Er konnte bei seinem ersten Blick in den Rückspiegel lediglich erkennen, daß der Kläger heftig in die Pedale des Fahrrades tretend näher kam, nicht aber abschätzen, ob und wann er den Sattelzug überholen wollte. Mit einem Überholtwerden mußte er aufgrund des zur Verfügung stehenden Platzes nicht rechnen. Ein Auslenken nach rechts war ihm wegen der engen Straßenverhältnisse und der Möglichkeit von rechts auftauchender Gefahren (auch rechts vom Sattelzug schloß - wie aus den Lichtbildern des Strafaktes ersichtlich - unmittelbar an die Fahrbahn ein Zaun an) nicht zumutbar, eine Geschwindigkeitsverminderung kam wegen der möglichen Gefahr des Auffahrens durch den Kläger nicht in Betracht. Selbst wenn daher der Unfall durch ein mögliches weiteres Rechtsfahren durch den Sattelzuglenker vermeidbar gewesen wäre, war doch ein solches Verhalten vor dem Unfall nicht geboten gewesen.

Da zusammenfassend Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung bei Beurteilung dieses Sachverhaltes nicht zu entscheiden waren, war die Revision zurückzuweisen.

Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision verwiesen und daher Anspruch auf Ersatz der Kosten des Revisionsverfahrens.

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