OGH 9ObA10/97d

OGH9ObA10/97d29.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peterlunger und Dr.Klein als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****, Metallsysteme, ***** vertreten durch Dr.Rudolf Schaller, Rechtsanwalt in Oberpullendorf, wider die beklagte Partei Franz K*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zustimmung zur Entlassung (Streitwert S 100.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.September 1996, GZ 8 Ra 176/96b-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.Februar 1996, GZ 16 Cga 97/95p-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist seit 28.1.1980 im Unternehmen des Klägers beschäftigt. Seit dem Jahr 1984 kommt ihm der Status eines Angestellten zu; seit 1.6.1992 ist er Betriebsratsobmann-Stellvertreter.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger, der Entlassung des Beklagten aufgrund des Vorliegens der Entlassungsgründe des § 122 Abs 1 Z 3 und 4 ArbVG zuzustimmen. Der Beklagte habe vom 28.8. bis 1.9.1995 Urlaub gehabt und befinde sich seit 4.9.1995 im Krankenstand. Die Gattin des Beklagten habe angerufen und mitgeteilt, daß ihr Gatte wegen eines Nervenleidens bzw wegen Bandscheibenproblemen im Krankenstand sei. Eine ärztliche Bestätigung sei nicht vorgelegt worden. Der Beklagte habe diesen Krankenstand vorgetäuscht. Er habe sich nämlich beim Wirtschaftsförderungsinstitut in E***** zu einem insgesamt 3 Monate dauernden Vorbereitungskurs auf die Meisterprüfung im Schlossergewerbe angemeldet, dessen erster Teil vom 28.8.1995 bis 22.9.1995 ganztägig abgehalten worden sei. Seit Beginn des Kurses besuche der Beklagte diesen trotz seines angeblichen Krankenstandes. Er habe hiedurch den Entlassungsgrund nach § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG gesetzt.

Der Beklagte bestritt das Klagevorbringen. Er sei tatsächlich arbeitsunfähig gewesen und solle nur wegen seiner Tätigkeit als Betriebsratsobmann-Stellvertreter entlassen werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Beklagte hat den Beruf eines Schlossers erlernt. Er ist Leiter der Abteilung Endfertigung und Vormontage, in der durchschnittlich 10 Personen beschäftigt sind. Er übt eine Aufsichtstätigkeit aus, braucht nicht körperlich zu arbeiten und verrichtet seine Arbeit abwechselnd im Gehen, Stehen und Sitzen. Im Sommer 1995 entschloß sich der Beklagte, aus dem Dienstverhältnis mit dem Kläger auszuscheiden; sein Vorschlag auf einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses per Ende Juli 1995 wurde jedoch abgelehnt. Schon am 14.6.1995 hatte sich der Beklagte schriftlich für einen am 28.8.1995 beginnenden, mehrwöchigen Vorbereitungskurs für die Meisterprüfung im Schlossergewerbe angemeldet. Am 25.8.1995 zahlte er den Kursbeitrag für den ersten Teil in Höhe von S 9.500,--. In der Woche ab 28.8.1995 befand er sich zunächst im Urlaub und besuchte die Kursveranstaltungen. Am Montag, dem 4.9.1995, hätte er wieder zur Arbeit erscheinen sollen. Statt dessen setzte er jedoch den Kursbesuch fort.

Der Beklagte wird seit 1991 wegen Lumbago behandelt. Am 4.8.1995 kam er in die Ordination seines Hausarztes und klagte über Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und über eine Entzündung an beiden Händen. Am 30.8. und 4.9.1995 ließ er sich erneut behandeln. Es wurden ihm Rheumatabletten verschrieben und es erfolgte eine Infusionsbehandlung bis 20.9.1995. Der Hausarzt wurde vom Beklagten durch übertriebene Angaben zur Ausstellung einer Krankenstandsbestätigung veranlaßt. Tatsächlich war der Beklagte ab 4.9.1995 durchaus arbeitsfähig, die körperliche Belastung durch die täglichen Fahrten zu den Kursveranstaltungen und durch die ganztägigen Kurse waren stärker als die Belastung bei seiner Arbeit im Unternehmen der klagenden Partei.

Im Laufe des Vormittags des 4.9.1995 gab die Ehegattin des Beklagten telefonisch bekannt, daß ihr Gatte im Krankenstand sei. Dies wurde zunächst zur Kenntnis genommen. Tatsächlich war der Beklagte täglich von 7.50 bis 16.45 Uhr im Wirtschaftsförderungsinstitut in E***** beim genannten Kurs. Zu diesem Zweck fuhr er täglich mit seinem PKW von seinem Wohnort (*****) nach E***** und zurück. Während dieses ersten fachtheoretischen Teils des Kurses saßen die Kursteilnehmer nur im Lehrsaal. Zu den Kursvortragenden gehörte auch ein Arbeitskollege des Beklagten, der am 12.9.1995 zu seiner Überraschung den Beklagten, von dem er wußte, daß er im Krankenstand war, als Kursteilnehmer antraf. Am nächsten Morgen informierte dieser Kollege den Prokuristen des Klägers. Nach zweimaliger Aufforderung, eine Krankenstandsbestätigung zu schicken, kam es am 18.9.1995 zu einem Telefongespräch zwischen dem Junior-Chef und dem Beklagten, in dessen Verlauf der Beklagte sinngemäß äußerte, daß es um etwas ganz anderes gehe, man solle ihn doch kündigen. Am 25.9.1995 meldete sich der Beklagte wieder zum Dienstantritt. Er hatte jedoch keine Krankenstandsbestätigung mit. Er wurde vom Dienst freigestellt und verständigt, daß die gegenständliche Klage eingebracht worden sei.

Erst am 27.9.1995 traf eine Krankenstandsbestätigung beim Kläger ein.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß das Verhalten des Beklagten den Tatbestand des § 122 Abs 1 Z 3 (Untreue im Dienst) erfülle und daher die Zustimmung zur beabsichtigten Entlassung zu erteilen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Entlassungsgrund nach § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG mit demjenigen des ersten Tatbestandes des § 27 Z 1 AngG ident sei. Die Erschleichung der Krankenbestätigung durch übertriebene Angaben gegenüber dem Hausarzt, um während des Krankenstandes einen mehrwöchigen Kurs zu absolvieren, sei nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als derart schwerwiegend anzusehen, daß das Vertrauen des Dienstgebers derart heftig erschüttert sei, daß ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht länger zugemutet werden könne. Der Beklagte habe sich mit seinem Verhalten bewußt gegen die Interessen des Dienstgebers gestellt, es lägen keine besonderen Umstände vor, die die Handlungen des Beklagten als entschuldbar erscheinen ließen. Da sein Verhalten nicht im Zusammenhang mit seinem Mandat stehe, liege auch keine Kollision arbeitsvertraglicher Pflichten des Beklagten mit seinen Aufgaben als Belegschaftsvertreter vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Klage abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger eingebrachte Revisionsbeantwortung ist gemäß § 507 Abs 2 ZPO iVm § 39 Abs 4 ASGG verspätet: Die Revision wurde ihm am 6.12.1996 zugestellt, die Revisionsbeantwortung jedoch erst am 7.1.1997 zur Post gegeben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Auch im Verfahren in Arbeitsrechtssachen gilt (DRdA 1993, 460), daß Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtete, im Revisionsverfahren nicht neuerlich gerügt werden können (SZ 22/106, SZ 62/157, EFSlg 64136 uva). Dieser Grundsatz ist wohl unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen hat (SZ 53/12, 9 ObA 27/93), doch vermag der Revisionswerber einen solchen Verfahrensverstoß durch das Berufungsgericht nicht aufzuzeigen.

Soweit der Revisionswerber vermeint, daß schon aufgrund der überschießenden Feststellung, daß im November 1995 eine Neuwahl des Betriebsrates erfolgt sei, zu berücksichtigen gewesen wäre, daß bei Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz am 29.2.1996 ein Kündigungsschutz des Beklagten nicht mehr bestanden habe, ist ihm entgegenzuhalten:

Bei der gerichtlichen Erteilung der Zustimmung zur beabsichtigten Entlassung gemäß §§ 120 ff ArbVG handelt es sich um eine Rechtsgestaltungsentscheidung, mit der mit ex-nunc-Wirkung (DRdA 1977, 102) die Entlassung erst erlaubt wird (SZ 62/171, SZ 67/15). Anders als die Feststellungsklage ist die Rechtsgestaltungsklage in der Zivilprozeßordnung nicht ausdrücklich genannt und geregelt. Auf diese Klage finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung; ein besonderes rechtliches Interesse des Klägers ist nicht erforderlich (Fasching III, 15 f). Bei Rechtsgestaltungsbegehren (wie auch bei Leistungsklagen) wird das Rechtschutzbedürfnis grundsätzlich vermutet, lediglich im Zweifelsfall muß das Rechtschutzbedürfnis auch bei solchen Begehren geprüft werden (EvBl 1992/153, EvBl 1994/66). Nach der neueren Rechtsprechung (EvBl 1992/153, JBl 1994, 624, WBl 1994, 347, EvBl 1995/182) ist das Rechtschutzbedürfnis ganz allgemein Voraussetzung für die gerichtliche Verfolgung von Ansprüchen. Es handelt sich dabei jedoch um keine allgemeine Prozeßvoraussetzung, die von Amts wegen wahrzunehmen wäre. Daß das bei Klageeinbringung unstrittig vorhanden gewesene Rechtschutzbedürfnis für die Rechtsgestaltungsklage nachträglich weggefallen sei, hätte demzufolge nur über Einwand des Beklagten im Verfahren erster Instanz wahrgenommen werden können (EvBl 1995/182). Lediglich aus der festgestellten Neuwahl des Betriebsrats im November 1995 läßt sich ohne weiteres Vorbringen weder folgern, daß der Beklagte diesem nicht mehr angehört noch bestimmen, ob und wann die Drei-Monatsfrist des § 120 Abs 3 ArbVG ihren Anfang genommen hat. Dieses erstmalig im Berufungsverfahren erstattete Vorbringen wurde daher vom Berufungsgericht zutreffend als unzulässige Neuerung (§ 482 ZPO) gewertet und kann auch im Revisionsverfahren nicht nachgetragen werden (§ 504 Abs 2 ZPO). Daraus folgt, daß dem Kläger ein begründetes rechtliches Interesse an der gerichtlichen Zustimmung zur Entlassung des Beklagten nicht abgesprochen werden kann. Der erste Tatbestand des § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG (Untreue im Dienst) ist mit dem ersten Tatbestand des § 27 Z 1 AngG identisch und daher auch wie diese Bestimmung auszulegen (Kuderna, Entlassungsrecht2, 157, B.Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/B.Schwarz, Arbeitsverfassungsgesetz Bd 3, 410). Untreue im Dienst ist demnach ein vorsätzlicher und pflichtwidriger Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers, wobei der Vorsatz nicht nur auf das den Verstoß begründende Verhalten gerichtet sein muß, sondern auch die Richtung dieses Verstoßes - die Gefährdung der dienstlichen Interessen des Arbeitgebers - umfassen muß (RdW 1992, 249). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise - also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen - als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einmal für die Dauer einer Kündigungsfrist zugemutet werden kann (SZ 58/94, SZ 62/214).

Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers liegt ein vorsätzlicher Pflichtverstoß vor. Im vorliegenden Fall wurden sowohl jene Tätigkeiten festgestellt, die sich üblicherweise bei der Arbeitsverrichtung durch den Beklagten ergeben haben als auch jene, die mit seinem Kursbesuch verbunden waren. Soweit die Vorinstanzen aus diesem Vergleich den Schluß gezogen haben, daß sich der Kursbesuch für den Beklagten wesentlich anstrengender gestaltet hat als seine übliche Arbeitstätigkeit, steht dies mit den Gesetzen der Logik und Erfahrung genauso in Übereinstimmung (Arb 7588) wie der im Zusammenhang mit dem festgestellten Bestreben des Beklagten, nach erfolglosem Bemühen um eine einvernehmliche Lösung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls herbeizuführen, gewonnene Schluß, daß die wohl vorhandenen, jedoch nicht zwangsläufig eine Arbeitsunfähigkeit verursachenden Beschwerden des Beklagten gegenüber dem Hausarzt übertrieben dargestellt wurden, um eine Krankschreibung zu erlangen, die den Kursbesuch ermöglichen sollte. Die diesbezüglichen Ausführungen des Revisionswerbers sind somit nicht zulässiger Inhalt einer Rechtsrüge im Sinne des § 503 Z 4 ZPO. Der Rechtsmittelwerber entfernt sich damit vielmehr von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen.

Die festgestellte Vorgangsweise des Beklagten, durch übertriebene Darstellung von Krankheitssymptonen eine Krankschreibung zu erreichen, um dadurch die Freistellung für einen sonst während der Dienstzeit nicht möglichen Kursbesuch zu erlangen, stellt sich schon im Hinblick auf die von einem in leitender Funktion im Betrieb tätigen Angestellten ausgehende Vorbildfunktion als grober Verstoß gegen die Interessen des Arbeitgebers dar und ist hinsichtlich der Wirkung des Vertrauensverlustes durch den Arbeitgeber jenen Fällen vergleichbar, in denen eine Krankheit vorgetäuscht wurde (Arb 9262) oder ärztliche Bescheinigungen, auf die der Arbeitgeber vertrauen durfte, erst nachträglich aufgrund übertriebener Schilderung der Beschwerden ausgestellt wurden (Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 Erl 12 D 1 zu § 27).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

Stichworte