OGH 6Ob2159/96k

OGH6Ob2159/96k18.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kellner, Dr. Schiemer, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der Wiederaufnahmsklägerin Hedwig D*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Moringer & Moser Rechtsanwälte OEG in Linz, wider die beklagte Partei A*****, vertreten durch Zamponi, Weixelbaum & Partner Rechtsanwälte OEG in Linz, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 8 Cg 73/94s des Landesgerichtes Linz (Streitwert 1,127.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 28. März 1996, GZ 11 R 47/95-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 8. September 1995, GZ 5 Cg 173/95a-10, abgeändert und die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, daß es zu lauten hat:

"Der Berufung der klagenden Partei wird Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

Der Wiederaufnahmsklage wird Folge gegeben.

Das infolge des Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes vom 3.3.1994 fortzusetzende Verfahren wird vom Prozeßgericht auch zum Prozeßthema eines ärztlichen Behandlungsfehlers zu führen sein.

Die Entscheidung über die Kosten des Wiederaufnahmsverfahrens bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten."

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erlitt bei einem Haushaltsunfall am 15.9.1988 einen Bruch der linken Speiche. Sie wurde in einem Krankenhaus, dessen Trägerin die Beklagte ist, ärztlich versorgt. Nach Anlegung eines Gipses traten Komplikationen auf. Die Klägerin mußte operiert werden. Wegen eines eingetretenen Nervenschadens ist ihre linke Hand in der Gebrauchsfähigkeit stark eingeschränkt. Die Klägerin begehrte mit ihrer zu 8 Cg 279/91 des Landesgerichtes Linz (nunmehr 8 Cg 73/94s) eingebrachten Klage Schmerzengeld, den Ersatz verschiedener Schäden sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Sie stützte ihre Ansprüche auf eine ärztliche Fehlbehandlung und auf eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Das Erstgericht wies die Klage mit Urteil vom 27.8.1993 (Schluß der Verhandlung 19.4.1993) ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das Urteil des Erstgerichtes mit Beschluß vom 3.3.1994 hinsichtlich des auf die Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten gestützten Klageanspruchs zur Verfahrensergänzung auf. Hingegen verneinte es einen Behandlungsfehler.

Mit der am 10.6.1994 beim Berufungsgericht eingelangten, auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes und die Stattgebung ihrer Berufung dahin, daß das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung auch zur Frage der Haftung der Beklagten auf Grund eines bei der Behandlung der Fraktur vom 15.9.1988 unterlaufenen Behandlungsfehlers sowie zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werde. Das Berufungsgericht wies die Wiederaufnahmsklage mit Beschluß vom 12. Juli 1994 wegen Unzuständigkeit zurück. Auf Antrag der Klägerin wurde diese Zurückweisung der Klage aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage an das Erstgericht überwiesen. In der Tagsatzung vom 3.5.1995 stellte die Wiederaufnahmsklägerin das "Eventualbegehren", es möge das Urteil des Erstgerichtes vom 27.8.1993 (8 Cg 279/91-16) aufgehoben und der Klage stattgegeben werden. Die Wiederaufnahmsklägerin begründete ihre Klage damit, daß sie erst am 13.5.1994 durch ein Gutachten eines Facharztes darüber Kenntnis erlangt habe, daß den Ärzten bei der primären Behandlung Kunstfehler unterlaufen seien. Grundlage dieser Beurteilung seien Röntgenbilder des Bruches, die bei der Beweisaufnahme im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht berücksichtigt worden seien. Aus den Röntgenbildern ergebe sich eine Verschiebung des abgebrochenen Speichenstückes, die von Anfang an die Versorgung mit einer palmaren, zu einem Oberarmgips verlängerten Gipsschiene anstelle der durchgeführten applizierten dorsalen Gipsschiene erfordert hätte. Mangels Kenntnis der Röntgenbilder habe der vom Gericht beigezogene Sachverständige von der ursprünglichen beugeseitigen Verschiebung des Bruches nichts gewußt. Die neuen Beweismittel (Röntgenbilder) rechtfertigten den Schluß auf entsprechende Behandlungsfehler. Die Klägerin als medizinischer Laie habe mangels Wissens um die Erheblichkeit der Röntgenbilder diese nicht als Beweismittel geltend gemacht. Der beigezogene Gerichtssachverständige habe im Verfahren nie angedeutet, daß die Einsicht in die Röntgenbilder erheblich sein könnte.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Wiederaufnahmsklage. Die Verschiebung des Speichenstücks sei bekannt gewesen. Es lägen keine neuen Fakten vor. Die Wiederaufnahmsklägerin könne sich nicht auf eine unverschuldete Unkenntnis der Beweismittel berufen. Die Bedeutung der Röntgenbilder sei der Klägerin erkennbar gewesen. Die Wiederaufnahmsklägerin habe innerhalb der Präklusivfrist des § 534 ZPO lediglich die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichtes begehrt. Das Eventualbegehren stelle eine unzulässige Klageänderung dar und sei jedenfalls verfristet.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage ab. Es stellte den für das Revisionsverfahren wesentlichen Sachverhalt fest, daß auf die Bedeutung der Röntgenbilder für die Beurteilung einer sachgerechten medizinischen Behandlung des Bruchs erstmals in einem dem Klagevertreter am 13.5.1994 übermittelten Sachverständigengutachten hingewiesen worden sei. Es sei zwar die Existenz von Röntgenbildern bekannt gewesen, es hätten allerdings weder der gerichtliche Sachverständige noch drei von der Beklagten vor Klageeinbringung um Gutachten ersuchte Sachverständige auf die Bedeutsamkeit der Einsicht in die Röntgenbilder für die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers hingewiesen.

In rechtlicher Hinsicht erachtete sich das Erstgericht zur Entscheidung über die vorliegende Wiederaufnahmsklage für zuständig. Das Urteilsbegehren sei nicht auf die Aufhebung des Aufhebungsbeschlusses des Oberlandesgerichtes Linz zu richten gewesen, sondern auf die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils vom 27.8.1993. Anfechtungsgegenstand nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO könne mangels eigener Sachverhaltsfeststellungen durch das Oberlandesgericht nur das Urteil des Erstgerichtes sein. Die beantragte Sachentscheidung, der Berufung der Wiederaufnahmsklägerin Folge zu geben und das damit angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, sei kein taugliches Klagebegehren. Das Hauptbegehren sei daher abzuweisen gewesen. Das Eventualbegehren der Wiederaufnahmsklägerin sei unzulässig. Die Stattgebung der Wiederaufnahmsklage setze voraus, daß die neuen Tatsachen oder Beweismittel ohne Verschulden der Wiederaufnahmsklägerin vor Schluß der mündlichen Verhandlung nicht hätten geltend gemacht werden können. Bei der Prüfung des Verschuldens sei ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wiederaufnahmsklage stelle einen außerordentlichen Rechtsbehelf dar, der grundsätzlich nicht zu dem Zweck eingeräumt sei, von den Parteien in der Prozeßführung begangene Fehler zu beheben. Bei den Röntgenbildern handle es sich um neue Beweismittel, die sich sowohl auf bereits im Hauptverfahren vorgebrachte Tatsachen bezögen, als auch neue Tatsachen beweisen sollten, wie die Erkennbarkeit des Vorliegens eines Bruchs der linken Speiche an typischer Stelle mit der Verschiebung des abgebrochenen Speichenstücks nach der Beugeseite um etwa sechs bis acht Millimeter als unmittelbare Unfallsfolge. Die Klägerin habe bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung vom Vorhandensein der Röntgenbilder gewußt. Sie wäre in der Lage gewesen, die Röntgenbilder selbst beizuschaffen und habe deshalb ihre Verpflichtung zur Mitwirkung an der Stoffsammlung schuldhaft verletzt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Wiederaufnahmsklägerin Folge und bewilligte die Wiederaufnahme des Verfahrens, wobei es das erstgerichtliche Urteil vom 27.8.1993 "(auch) aufgrund bewilligter Wiederaufnahme" aufhob. Zum Verschulden an der Nichtvorlage der neuen Beweismittel im Vorprozeß führte es aus, daß es entscheidend sei, ob die neuen Beweismittel während der Tatsachenverhandlung des Vorprozesses noch nicht bekannt oder noch nicht benützbar gewesen seien. Die Tatsachen- und Beweismittel müßten geeignet sein, eine günstigere Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses herbeizuführen. Dabei reiche es aus, wenn sie geeignet seien, eine Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen. Die Unkenntnis der Partei im Vorprozeß müsse unverschuldet sein. Die Sorgfaltspflicht sei primär nach prozessualen Maßstäben zu beurteilen. Die Parteien seien verpflichtet, zur Vollständigkeit des Verhandlungs- und Entscheidungsstoffes beizutragen. Für den Verschuldensvorwurf sei aber maßgeblich, daß die Bedeutung eines Beweismittels erkennbar sei. Die Klägerin habe ihr Begehren im Vorprozeß auf einen verspätet durchgeführten operativen Eingriff gestützt, wodurch eine Sanierung der bereits verletzten Nerven nicht mehr möglich gewesen sei. Zur Verletzung der Nerven und/oder Sehnen sei es durch eine Verschiebung der Bruchstücke gekommen. Das Beweisverfahren habe im Vorprozeß ergeben, daß die Funktionsausfälle der Nerven der Hand Folge des lege artis durchgeführten operativen Eingriffs am 24.10.1988 und nicht Folge des Bruches gewesen seien. Ein Behandlungsfehler liege nicht vor, weil bei der Untersuchung am 6.10.1988 noch keine Operationsindikation gegeben gewesen sei. Die Verschiebung des Bruchstücks zur Beugeseite hin sei auch in zeitlicher Hinsicht ein wesentlicher Aspekt gewesen. Dennoch könne der Klägerin aus der Nichtvorlage der Röntgenbilder kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. Weder die von ihr selbst beigezogenen Ärzte noch der medizinische Sachverständige hätten nämlich in Betracht gezogen, daß über die Krankengeschichten hinaus durch direkte Einsicht in die Röntgenbilder andere Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Wenn es auch nahe liege, zum Beweis eines Behandlungsfehlers Röntgenbilder vorzulegen, so müsse dies aus der Sicht eines medizinischen Laien dann anders gesehen werden, wenn (wie hier) mehrere sachkundige Personen die Einsicht in die Röntgenbilder nicht für erforderlich erachteten. Wenn aber aus den Röntgenbildern eine von Anfang an gegebene Verschiebung des abgebrochenen Speichenstücks erkennbar wäre, sei dieser Umstand geeignet, eine für die Wiederaufnahmsklägerin günstigere Entscheidung herbeizuführen. Es liege daher ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund vor.

Gemäß § 536 ZPO müsse die Wiederaufnahmsklage den Erfordernissen eines vorbereitenden Schriftsatzes und einer Klage entsprechen. Wenn ein notwendiger Inhalt fehle, sei ein Verbesserungsverfahren einzuleiten. Die Klägerin habe zwar zunächst ein verfehltes Klagebegehren formuliert, dem gesamten Klageinhalt sei aber eindeutig zu entnehmen, daß die Wiederaufnahme jenes Verfahrens erreicht werden solle, in dem die abschließenden Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, also des Verfahrens vor dem Erstgericht. Das in der mündlichen Streitverhandlung vom 3.5.1994 formulierte "Eventualbegehren" bringe dieses Prozeßziel entsprechend zum Ausdruck, stelle aber weder eine Änderung der Klage noch ein Eventualbegehren im eigentlichen Sinn dar. Es handle sich um eine "Verbesserung des Klagebegehrens". Der Verfristungseinwand wegen Verstreichens der vierwöchigen Frist des § 534 ZPO sei daher nicht berechtigt. Eine formelle Aufhebung des mit der Wiederaufnahmsklage bekämpften Urteils des Erstgerichts komme deshalb nicht in Betracht, weil dieses Urteil bereits durch den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes beseitigt sei. Ohne die bewilligte Wiederaufnahme hätte aber ungeachtet des Aufhebungsbeschlusses die Frage einer Haftung der Beklagten auf Grund des primär geltend gemachten ärztlichen Behandlungsfehlers als abschließend erledigter Streitpunkt nicht wieder aufgerollt werden können. Im Urteilsspruch sei daher der Wegfall dieser Beschränkung zum Ausdruck zu bringen gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es liege keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu verfahrensrechtlichen Fragen vor, wie das Begehren der Wiederaufnahmsklage und die Entscheidung hierüber zu fassen seien, wenn die durch die Wiederaufnahmsklage zu beseitigende Entscheidung bereits auf Grund eines ordentlichen Rechtsmittels aufgehoben worden sei.

Mit ihrer Revision beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, daß das erstinstanzliche Urteil bestätigt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Wiederaufnahmsklägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Wegen der Bindungswirkung des Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes im Vorprozeß ist die Wiederaufnahmsklage grundsätzlich zulässig. Die die Sache erledigende Entscheidung im Sinne des § 530 Abs 1 ZPO liegt hier in der abschließenden Erledigung (Verneinung) des auf einen ärztlichen Behandlungsfehler gestützten Klageanspruchs. Dieser kann nur im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens wieder zum Prozeßgegenstand gemacht werden (Fasching, ZPR Rz 2038; SZ 58/182). Ein Aufhebungsbeschluß kann aber nicht nur mit dem Ziel, wegen Spruchreife eine Sachentscheidung herbeizuführen, angefochten werden. Auch ohne Anfechtung der verfügten Verfahrensergänzung kann ein Aufhebungsbeschluß allein wegen seiner Begründung angefochten werden (SZ 55/133 mwN).

Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung die bei ihm innerhalb der vierwöchigen Frist des § 534 Abs 1 ZPO eingebrachte Wiederaufnahmsklage aus dem Grund zurückgewiesen, daß von ihm keine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung durchgeführt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung wäre das Gericht zweiter Instanz nur in diesem Fall zur Entscheidung über die auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage zuständig gewesen. Über eine Wiederaufnahmsklage hat stets das Gericht zu entscheiden, das die Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die mit der Wiederaufnahmsklage entkräftet werden sollen (EFSlg 44.135; SZ 58/182; Fasching aaO Rz 2078).

Zur Rechtzeitigkeit der Wiederaufnahmsklage vertritt die Revisionswerberin die Auffassung, daß die nach Überweisung gemäß § 230 a ZPO außerhalb der Frist des § 534 ZPO beim zuständigen Erstgericht eingelangte Wiederaufnahmsklage verfristet sei. Die prozessuale Präklusivfrist sei nicht gewahrt worden. Ob wegen der durch die Überweisung aufrecht gebliebenen Gerichtsanhängigkeit (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 230 a) im Sinne der Lehre (Fasching aaO Rz 2076) und Rechtsprechung (SZ 7/6) die Rechtzeitigkeit der Wiederaufnahmsklage angenommen werden kann, braucht hier nicht näher untersucht werden, weil diese Frage in einer den Obersten Gerichtshof bindenden Weise von den Vorinstanzen bejaht wurde. Das Berufungsgericht hat sich mit dem Verfristungseinwand der Beklagten ausdrücklich beschäftigt und eine Verfristung der Klage und damit eine Nichtigkeit oder einen Mangel des Verfahrens erster Instanz (infolge Nichtwahrnehmung der verspäteten Klageeinbringung) verneint. Daran ist der Oberste Gerichtshof gebunden (ÖA 1987, 113), weil vom Berufungsgericht behandelte, jedoch verneinte Nichtigkeiten oder Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht mehr zum Gegenstand der Revision gemacht werden können (SZ 59/104; SZ 62/157). Damit erübrigt sich aber auch ein Eingehen auf den Einwand der Revisionswerberin, das in der Tagsatzung vom 3.5.1995 (ON 9) auf die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gerichtete Eventualbegehren sei außerhalb der Frist des § 534 ZPO gestellt worden.

Die Revisionswerberin steht auf dem Standpunkt, das Eventualbegehren könne nicht als Verbesserung des Klagebegehrens qualifiziert werden. Es liege eine Klageänderung vor. Das Berufungsgericht habe überdies unter Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 ZPO etwas anderes als von der Klägerin begehrt zugesprochen (also nicht die Aufhebung des Urteils erster Instanz). Dazu ist folgendes auszuführen:

Der Zweck der Wiederaufnahmsklage liegt in der Beseitigung einer abschließenden Entscheidung und deren Ersetzung durch eine neue. Wiederaufnahmsklagen können sich auch gegen noch nicht rechtskräftige Entscheidungen richten. Daß auch ein sacherledigender Aufhebungsbeschluß des Gerichtes zweiter Instanz mit Wiederaufnahmsklage bekämpft werden kann, wurde schon ausgeführt. Die Besonderheit liegt in diesem Fall darin, daß die verfahrensbeendende Vorentscheidung mit der Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage nicht aufgehoben werden kann, weil der Wiederaufnahmswerberin nicht durch den Spruch der die erstinstanzliche Entscheidung aufhebenden Entscheidung des Berufungsgerichtes sondern nur durch deren Begründung beschwert ist. Die Wiederaufnahmsklägerin strebt nur den Entfall der mit dem Aufhebungsbeschluß verbundenen Bindungswirkung (Verweigerung der weiteren Prozeßführung zum Thema eines ärztlichen Behandlungsfehlers) an. Dieses Rechtsschutzziel ist zulässig. Eine sonst erforderliche Aufhebung der Vorentscheidung kommt dabei zwangsläufig nicht in Frage. Das Klagebegehren und der in der Klage behauptete Sachverhalt, den der Kläger zur Stützung des Begehrens vorträgt, bilden eine Einheit. Das von der Klägerin angestrebte Rechtsschutzziel war eindeutig bestimmt. Eine Verdeutlichung des Klagebegehrens ist jederzeit möglich, wenn es dadurch zu keiner Klageänderung im Sinne des § 235 ZPO kommt. Davon kann hier keine Rede sein. Das zunächst gestellte Begehren auf Aufhebung des Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes kann nach dem Inhalt der Klageerzählung nur dahin verstanden werden, daß die Klägerin die Verfügung anstrebt, daß die grundsätzlich nicht bekämpfte Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung ohne die bindende Einschränkung des Prozeßstoffes ergeht. In einem solchen Fall ist eine klarstellende Fassung des Urteilsspruchs durch das Rechtsmittelgericht zulässig und verstößt auch nicht gegen die Bestimmung des § 405 ZPO. Es ist ständige oberstgerichtliche Rechtsprechung, daß nicht nur der Wortlaut des Begehrens, sondern auch der Inhalt der Klage zu beachten ist (MGA ZPO14 § 405/6) und daß das Gericht dem Urteilsspruch eine klare und deutliche, vom Wortlaut des Begehrens abweichende Fassung geben kann, falls sich diese im Wesen mit dem Begehren deckt (MGA ZPO14 § 405/3). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht nicht abgewichen. Da es - wie ausgeführt - zulässig ist, auch nur die dem Erstgericht im Aufhebungsbeschluß überbundene Rechtsansicht zu bekämpfen (SZ 55/133 mwN) und da dieses Rechtsschutzziel aus dem Vorbringen der Wiederaufnahmsklage klar hervorgeht, bestehen gegen eine vom Berufungsgericht vorzunehmende Verdeutlichung des Urteilsspruchs keinerlei Bedenken.

Im Spruch der angefochtenen Entscheidung ist allerdings von dem mit Urteil des Erstgerichtes abgeschlossenen Verfahren, das auch auf Grund bewilligter Wiederaufnahme des Verfahrens wieder aufzunehmen sei, die Rede. Diese Fassung ist mißverständlich, weil nicht das Urteil des Erstgerichtes die mit der Wiederaufnahmsklage angefochtene, die Sache erledigende Entscheidung ist, sondern der Aufhebungsbeschluß des Gerichtes zweiter Instanz (genauer: dessen Begründung). Dies war bei der Entscheidung über die Revision klarzustellen. Nach Ansicht des erkennenden Senates soll das Ergebnis der Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage schon aus dem Spruch und nicht nur aus der Begründung der Entscheidung ersichtlich sein. Rechtserhebliche Bedeutung kommt dieser Frage freilich nicht zu. Aus den dargelegten Gründen ist das zuerst gestellte, gegen den Aufhebungsbeschluß gerichtete Begehren der Wiederaufnahmsklage das formell richtige Urteilsbegehren. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Frage, ob das "Eventualbegehren" der Klägerin, das sich gegen das Urteil des Erstgerichtes richtet, einer Verbesserung zugänglich war.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wendet sich die Beklagte gegen die Annahme, die Klägerin hätte neue Tatsachen geltend gemacht. Sie träfe auch ein Verschulden an der Unkenntnis der Bedeutung der Röntgenbilder als Beweismittel. Zu diesem Thema kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein Verschulden wegen Unterlassung entsprechender Behauptungen im Vorprozeß oder wegen Unterlassung der Namhaftmachung von Beweismitteln kann immer nur dann angenommen werden, wenn die Bedeutung der Tatsachen- oder Beweismittel ohne weiteres erkennbar gewesen wäre (Fasching aaO Rz 2067; Fasching IV 531; EfSlg 34.515). Ob dies zutrifft hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes liegt hier nicht vor.

Der Revision ist nicht stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens war der Endentscheidung vorzubehalten. Die Wiederaufnahmsklägerin hat erst im Aufhebungsverfahren obsiegt. Ein Kostenersatzanspruch steht erst bei Obsiegen auch im Erneuerungsverfahren (das hier zugleich mit dem schon auf Grund des rechtskräftigen Aufhebungsbeschlusses fortzusetzenden Verfahren zum Thema einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht zu führen ist) zu.

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