Spruch:
In der Strafsache des Bezirksgerichtes Klagenfurt gegen Raimund P*****, AZ 18 U 147/93, verletzt das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 25.Jänner 1994, AZ 4 Bl 347/93, das Gesetz in den Bestimmungen des § 473 Abs 1 und Abs 2 StPO iVm § 3 StPO sowie Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d MRK.
Das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt wird aufgehoben, und es wird diesem Gericht aufgetragen, über die Berufung des Privatanklägers neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 21.September 1993, GZ 18 U 147/93-11, wurde Raimund P***** von der wider ihn erhobenen (Privat-)Anklage, er habe am 29.März 1993 in Klagenfurt in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise durch die Äußerung "Das ist Diebstahl" Albert G***** eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung herabzusetzen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Das Erstgericht traf hiezu im wesentlichen die Feststellungen, daß der Privatankläger Albert G***** beim Kärntner Fleischerverband, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, als Abteilungsleiter für die Häute- und Fellabteilung beschäftigt ist, wogegen es sich beim Beschuldigten um ein Mitglied des Aufsichtsrates der Genossenschaft handelt, das von diesem zum Kassenprüfer bestellt wurde. In der Genossenschaft war es seit etwa 30 Jahren üblich, daß die Fleisch- und Fettreste von den Rinderhäuten heruntergeschnitten und das Fleisch von den Bediensteten als Hundefutter weiterverkauft wurde, wobei der Erlös unter den Arbeitern aufgeteilt wurde. Diese Vorgangsweise war dem Beschuldigten bekannt, wobei er sich bereits vor Jahren um deren Abschaffung bemüht hatte. In ähnlicher Weise wurde mit dem Rohtalg verfahren, der von den Häuten abfiel: Dieser wurde an die Genossenschaft, die bereits vorher Eigentümerin des Rohtalgs war, verkauft, wobei der Erlös gleichfalls an die Arbeiter verteilt wurde. Albert G***** sind keine Erlöse aus den Fleisch- oder Talgverkäufen zugeflossen.
Albert G***** führte kein Kassabuch, sondern bloß Kassaausgangsbelege in Form von Sammelbelegen, welche er persönlich paraphierte. Diese Sammelbelege - insbesondere betreffend Talgeinkäufe - waren an das Schlachthaus Klagenfurt adressiert und von Albert G***** persönlich abgezeichnet. Als der Beschuldigte am 29.März 1993 eine Kassaprüfung durchführte, fiel ihm der Kassaausgangsbeleg Nr. 0725 auf, nach dem 752 S an das Schlachthaus für 1.504 kg Rohtalg bezahlt worden wären, wobei dieser Beleg lediglich die Unterschrift des Albert G***** aufwies. Auf diesen Beleg angesprochen erklärte G*****, daß die Summe zur Auszahlung an die Arbeiter verwendet worden sei. Nachdem diese Erklärung im Protokoll über die Kassaprüfung festgehalten worden war, äußerte der Beschuldigte zu Albert G***** in Anwesenheit des Geschäftsführers Günther H***** und der Angestellten Anneliese W***** "Das ist Diebstahl". Albert G***** fragte den Beschuldigten daraufhin, ob er damit sagen wolle, daß er ein Dieb sei, worauf Raimund P***** antwortete, daß er sich das aussuchen könne. Der Beschuldigte wußte zum Zeitpunkt der Durchführung der Kassaprüfung nicht, daß auch der Erlös der Talgreste an die Arbeiter verteilt wurde, und erfuhr erstmals bei der Kassaprüfung am 29.März 1993 von Albert G***** davon. Er war sich bei der inkriminierten Äußerung bewußt, Albert G***** eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigen zu können, und hat sich damit abgefunden.
In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht den Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt, die Tat jedoch im Sinne des § 114 Abs 1 StGB gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 25.Jänner 1994, AZ 4 Bl 347/93 (GZ 18 U 147/93-18 des Bezirksgerichtes Klagenfurt), wurde der Berufung des Privatanklägers Albert G***** wegen Nichtigkeit und Schuld gegen das oben bezeichnete Urteil Folge gegeben und Raimund P***** nach Wiederholung des Beweisverfahrens des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Berufungsgericht traf hiebei größtenteils dieselben Feststellungen wie das Erstgericht; bloß hinsichtlich der Frage der Erlangung der Kenntnis des Angeklagten von der in der Genossenschaft geübten Praxis bezüglich der Talgreste wich es ab. Insoweit stellte es fest, daß der Angeklagte bereits etwa im Jahre 1991 vom Obmann des Vorstandes der Genossenschaft Alois S***** diese Praxis erfahren habe und auch zum Zeitpunkt der Kassaprüfung am 29. März 1993 von Albert G***** und Adolf K***** darauf hingewiesen worden sei.
Diese Feststellungen traf das Berufungsgericht aufgrund der Angaben der Zeugen Alois S***** und Adolf K***** in Verbindung mit der Zeugenaussage des Privatanklägers Albert G*****. Den Antrag des Angeklagten auf Vernehmung des Robert R*****, des Stellvertreters des Aufsichtsratsvorsitzenden der Genossenschaft, und des Aufsichtsratsmitgliedes Karl I***** als Zeugen zum Beweis dafür, daß die Aussage des Zeugen Alois S*****, wonach der Beschuldigte etwa zwei bis drei Jahre vor der inkriminierten Äußerung von ihm darüber aufgeklärt worden sei, daß die Handhabung hinsichtlich des Talges ebenso erfolge wie bei den Fleischresten, unrichtig sei und daß der Beschuldigte über diese Vorgangsweise nicht informiert gewesen sei, sondern erst am Tage vor der inkriminierten Äußerung von der vom Zeugen Alois S***** dargestellten Vorgangsweise Kenntnis erlangt habe, sowie zum Beweise dafür, daß dem Beschuldigten nicht bekannt gewesen sei, daß diese Vorgangsweise Usus ist und dies auch nicht dem Vorstand und dem Aufsichtsrat der Genossenschaft bekannt gewesen sei (S 130), lehnte das Berufungsgericht ab. Zur Begründung führte es in der schriftlichen Urteilsausfertigung im wesentlichen aus, daß aufgrund der glaubwürdigen Aussage des Zeugen Alois S***** und teils auch der eigenen Einlassung des Angeklagten sich die Einvernahme der von diesem beantragten Zeugen erübrige.
In rechtlicher Hinsicht folgerte das Berufungsgericht aus der erwähnten, in Abweichung vom Erstgericht getroffenen Feststellung, daß der Angeklagte den Privatankläger wider besseres Wissen des Diebstahls bezichtigt habe, sodaß ihm der Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB nicht zugute komme.
In der Meinung, daß es sich bei der Urteilsausführung, der Angeklagte hätte wider besseres Wissen gehandelt, um eine Bewertung - und damit um eine rechtliche Beurteilung - handelt, erhob der Generalprokuratur (seinerzeit) gegen dieses Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wegen Verletzung des § 114 Abs 1 StGB.
Er führte hiezu ua aus, daß - entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht - der Umstand, daß die vom Angeklagten abgelehnte Praxis der Verwertung des Rohtalgs seit langem gehandhabt wurde und allenfalls dem Angeklagten sowie dem gesamten Aufsichtsrat bekannt war, nichts an ihrer Bedenklichkeit und dem damit verbundenen Verdacht der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung zu ändern vermag, zumal sie das Vermögen der Genossenschaft und damit mittelbar das der einzelnen Genossenschafter betraf. Unter diesen Umständen stelle die Äußerung "Das ist Diebstahl" eine durchaus adäquate Bewertung des Verhaltens des Privatanklägers - so wie es sich als Ergebnis der Prüfung darstellte - durch einen mit den rechtlichen Werten verbundenen juristischen Laien dar, wobei nicht einmal von einem Wortüberschwang die Rede sein könne. Dem Angeklagten komme daher der Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB zugute. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes schade der Umstand, daß Raimund P***** bei der inkriminierten Äußerung (auch) von der Motivation getragen war, den Privatankläger persönlich anzugreifen und zu diffamieren, dieser Beurteilung nicht (vgl SSt 52/62).
Mit Urteil vom 10.August 1994, GZ 13 Os 117/94-8, verwarf der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im wesentlichen mit der Begründung, daß es sich bei der Urteilsausführung des Berufungsgerichtes, daß der Angeklagte den Privatankläger wider besseres Wissen bezichtigt habe, um die Feststellung einer inneren Tatsache handle, welche vom Obersten Gerichtshof der rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen sei. Da sich der Oberste Gerichtshof bei dieser Entscheidung auf den Beschwerdepunkt zu beschränken hatte, war ihm ein Eingehen auf allfällige andere Gesetzesverletzungen verwehrt.
Sich auf diese Ansicht des Obersten Gerichtshofes stützend erhob der Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO eine weitere Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, in welcher er geltend macht, das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt verletze das Gesetz in den Bestimmungen des § 473 Abs 1 und Abs 2 StPO iVm § 3 StPO sowie Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit e MRK. Dies trifft zu.
Eine Feststellung - diesfalls jene des Handelns wider besseres Wissen - muß, um eine geeignete Grundlage für die Lösung einer Rechtsfrage zu sein, in einem mängelfreien Verfahren getroffen werden. Dies gilt auch, wenn eine solche Feststellung erst vom Berufungsgericht nach Aufhebung eines freisprechenden Urteils bei Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens erfolgt (§ 473 Abs 1 und Abs 2 StPO), weil die Berufungsverhandlung den Charakter einer neuen, mit erhöhten Garantien für die Ermittlung der Wahrheit und des Rechtes ausgestatteten Hauptverhandlung hat (Foregger-Kodek6 § 463 Erl III; EvBl 1981/177 = JBl 1981, 445; 11 Os 37/92). Nur so kommt das Gericht seiner in § 3 StPO niedergelegten Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit nach.
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht gegen diese Verpflichtung verstoßen, weil es sich mit den von Amts wegen geladenen Zeugen begnügte und die Vernehmung der vom Angeklagten beantragten Entlastungszeugen Robert R***** und Karl I***** ablehnte. Dieser Beweisantrag genügte voll und ganz den von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines solchen Antrages, wobei die detailliert dargelegten Beweisthemen darauf abzielten, den Nachweis zu erbringen, daß der Angeklagte die inkriminierte Äußerung mit einem solchen Informationsstand gemacht habe, der ein Handeln wider besseres Wissen ausschließe. Dabei bedurfte es nach Lage des Falles auch keines ergänzenden Vorbringens, aus welchen Gründen erwartet werden könne, daß die Durchführung der beantragten Beweise auch tatsächlich das vom Antragsteller erwartete Ergebnis haben werde, weil es sich bei den beantragten Zeugen um Mitglieder des Aufsichtsrates der Genossenschaft handelte, welche - nach der Verantwortung des Angeklagten - von der bedenklichen Praxis hinsichtlich der Talgreste gleichfalls nichts gewußt haben sollen (S 123). Im übrigen bot die Gesamtheit der dem Berufungsgericht vorliegenden Verfahrensergebnisse noch keine eindeutige Grundlage für die Beurteilung, ob der Angeklagte wider besseres Wissen gehandelt habe - die eine weitere Beweisaufnahme zu diesem Thema erübrigt hätte -, zumal über die Vernehmung des Beschuldigten und einiger Zeugen hinaus ein Buchsachverständigengutachten vorlag, demzufolge die vom Privatankläger vorgenommene Gebarung in keinem Fall den Grundsätzen einer sorgfältigen Kassaführung entsprochen habe, der Genossenschaft ein Schaden in der Höhe von 135.951,50 S entstanden und sämtliche Mitglieder der Genossenschaft durch die Minderung ihres Gewinnanteiles geschädigt seien (S 53 ff).
Aufgrund einer vorgreifenden Beweiswürdigung wurde der Angeklagte somit in seinem durch Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d MRK garantierten Recht, die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken, verletzt.
Daher war in Stattgebung dieser zuletzt erhobenen Wahrungsbeschwerde zu erkennen, daß durch das gegenständliche Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht das Gesetz in den im Spruch genannten Bestimmungen verletzt wurde, sodaß das Urteil aufzuheben und dem Landesgericht Klagenfurt die Erneuerung des Berufungsverfahrens aufzutragen war.
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