OGH 8Ob2090/96b

OGH8Ob2090/96b17.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** S.A., ***** vertreten durch Dr.Peter Schmautzer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei N***** Bank *****, vertreten durch Heller, Löber, Bahn & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen US$ 1,842.442,15 sA (ÖS 18,332.299,39, sA) infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 29.März 1996, GZ 6 R 1/96b-23, mit dem infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 1.Dezember 1995, GZ 12 Cg 42/95m-20, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß Punkt a) des erstgerichtlichen Beschlusses (Abweisung des Antrages der beklagten Partei auf Aufhebung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Wechselzahlungsauftrages vom 16.3.1995) wiederhergestellt wird.

Im übrigen wird die Rechtssache zur Entscheidung über den Rekurs gegen Punkt b) des erstgerichtlichen Beschlusses (Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages) an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 51.523,20 (einschließlich S 8.587,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende Partei brachte am 14.3.1995 gegen die beklagte Partei, welche ihren Sitz in Ägypten hat, eine Wechselklage verbunden mit dem Antrag auf Erlassung eines Wechselzahlungsauftrages ein. Am 16.3.1995 erließ das Erstgericht den Wechselzahlungsauftrag und verfügte - dem klägerischen Antrag entsprechend - die Zustellung an die beklagte Partei im Wege des "Express Mail Service" (EMS) der Post. Die Sendung wurde am 19.3.1995 von einem Angestellten des Büros des Vorstandsvorsitzenden der beklagten Partei übernommen.

Der Vorstandsvorsitzende der beklagten Partei besitzt in allen Belangen die letztliche Entscheidungsbefugnis und ist allein befugt, Aufträge an Rechtsanwaltskanzleien zur Vertretung in Rechtsstreitigkeiten zu erteilen. An ihn gerichtete Schriftstücke werden von der dafür eingerichteten Kanzlei vorbearbeitet und - soweit es sich um Gerichtsangelegenheiten handelt - direkt an die Rechtsabteilung, bei Auslandsbezug an die Leiterin der Auslandsabteilung Frau M***** weitergeleitet. Diese ist selbst nicht befugt, namens der beklagten Partei Vertretungsaufträge an externe Anwälte zu erteilen. Eine interne Regelung, wonach an den Vorstandsvorsitzenden persönlich adressierte Poststücke diesem ohne Umweg zur Kenntnis zu bringen sind, besteht offenkundig nicht. Der Wechselzahlungsauftrag wurde von der zentralen Poststelle der beklagten Partei an das Büro des Vorstandsvorsitzenden weitergeleitet, dort von einem Mitarbeiter geöffnet und an die Leiterin der Auslandsabteilung übermittelt, welche das Poststück am 20.3.1995 persönlich in Augenschein nahm. Nach Ausfindigmachen einer Anwaltskanzlei mit Kontakten nach Österreich (am 9. oder 10.4.1995) informierte sie den Vorstandsvorsitzenden über die Notwendigkeit, diese Anwaltskanzlei zu beauftragen. Dieser beauftragte hierauf die Leiterin der Auslandsabteilung, alles Nötige zu veranlassen, worauf diese der ägyptischen Anwaltskanzlei den Wechselzahlungsauftrag am 11.4.1995 übersandte, welche ihrerseits die österreichischen Beklagtenvertreter beauftragte.

Nach Erhalt einer Verständigung des Bestimmungsamtes, wonach die EMS-Sendung am 19.3.1995 ordnungsgemäß zugestellt worden sei, bestätigte das Erstgericht am 10.4.1995 die Vollstreckbarkeit des Wechselzahlungsauftrages.

Mit Antrag vom 28.4.1995 begehrte die beklagte Partei unter Vorlage einer eidesstättigen Erklärung von Frau M***** die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit unter gleichzeitiger Erhebung von Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag. Ferner stellte sie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag.

Mit Beschluß vom 1.12.1995 (ON 20) wies das Erstgericht im zweiten Rechtsgang die Anträge a) auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung und b) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einwendungsfrist ab. Es begründete diese Abweisung damit, daß die ursprünglich gesetzwidrige Zustellung geheilt sei. Aufgrund der internen Organisation der beklagten Partei sei die Kanzlei des Vorstandsvorsitzenden - dieser selbst habe auf das ihm zukommende Recht auf sofortige Information verzichtet - zur Übernahme bevollmächtigt gewesen. Die Weiterleitung des Poststückes an die Leiterin der Auslandsabteilung sei nach firmeninternen Maßstäben bereits als ordnungsgemäße eigenhändige Zustellung anzusehen, sodaß die Heilung mit Übergabe an Frau M***** am 20.3.1995 eingetreten sei. Jedenfalls sei aber von einer Heilung zu dem Zeitpunkt auszugehen, zu dem Frau M***** den Vorstandsvorsitzenden von den im Zusammenhang mit dem Schriftstück zu setzenden notwendigen Maßnahmen informiert und dieser angeordnet habe, daß eine Anwaltskanzlei beauftragt werden sollte, und das Schriftstück an diese übersendet wurde (11.4.1995). Die am 28.4.1995 überreichten Einwendungen seien daher jedenfalls verspätet. Den hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag wies es mit der Begründung ab, ein für die Beklagte unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis liege nicht vor.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahingehend ab, daß es unter Punkt 1) seines Beschlusses die am 10.4.1995 erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Wechselzahlungsauftrages vom 16.3.1995 aufhob. Unter Punkt 2) verwies es hinsichtlich des gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerichteten Rechtsmittels auf Punkt 1) seiner Entscheidung. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es jeweils nicht zu, weil zur entscheidungswesentlichen Frage der Heilung einer gesetzwidrig vorgenommenen Zustellung von der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ausgegangen worden sei.

In rechtliche Hinsicht meinte das Rekursgericht, den Feststellungen des Erstgerichtes könne nicht entnommen werden, daß der allein vertretungsbefugte Vorstandsvorsitzende die Leiterin der Auslandsabteilung bevollmächtigt habe, der beklagten Partei eigenhändig zuzustellende ausländische Schriftstücke mit Rechtswirksamkeit für diese zu übernehmen; eine passive Vertretungsbefugnis der Leiterin der Auslandsabteilung habe nicht festgestellt werden können. Die intern vorgesehene Behandlung der Poststücke könne nicht als bewußte Delegierung der Befugnisse des entscheidungsbefugten Organes an die (nach interner Organisation) zuständige Abteilung angesehen werden. Mit Zukommen des jeweiligen Schriftstückes an diese Abteilung sei den Formvorschriften der eigenhändigen Zustellung nicht genüge getan. Zwar schließe § 13 Abs 3 ZustG nicht aus, daß die juristische Person (vertreten durch ihre Organe) Bevollmächtigte zur Empfangnahme von Postsendungen gemäß § 13 Abs 2 ZustG bestelle. Es genüge hiezu jedoch nicht, daß - wie im vorliegenden Fall - Angestellte zur Abwicklung des Posteinganges bestellt und damit konkludent bevollmächtigt würden. Die getroffene interne Anordnung über die Behandlung von Poststücken vermittle daher weder Angestellten des Büros des Vorstandsvorsitzenden noch auch der Leiterin der Auslandsabteilung eine Berechtigung zur Übernahme eigenhändig zuzustellender Schriftstücke im Sinne des § 13 Abs 2 ZustG. Dies schließe eine Heilung der hier nicht gesetzmäßigen Zustellung nach § 7 ZustG aus. Ein Schriftstück gelte nur dann im Sinne des § 7 ZustG als "tatsächlich zugekommen", wenn es in die Hände des Empfängers und nicht bloß in seine Einflußsphäre gelange. Es müsse dem Empfänger daher tatsächlich ausgehändigt werden und dieser müsse frei über das Schriftstück verfügen können. Der Umstand, daß der Wechselzahlungsauftrag bloß in die Einflußsphäre des Vorstandsvorsitzenden gelangt sei und dieser am 10.4.1995 mündlich über das Einlangen des (im übrigen noch nicht übersetzten, geschweige den ihm vorgelegten Schriftstückes informiert worden sei), könne eine Heilung genausowenig bewirken, wie die Übermittlung des Wechselzahlungsauftrages an die beauftragte Anwaltskanzlei. Demnach sei eine Heilung des gesetzwidrigen Zustellvorganges mangels tatsächlichen Zuganges des Wechselzahlungsauftrages an den Vorstandsvorsitzenden nicht eingetreten. Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit sei daher aufzuheben und die beklagte Partei mit ihrem gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages gerichteten Rechtsmittel auf diese Entscheidung zu verweisen.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahingehend abzuändern, daß der Antrag auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Wechselzahlungsauftrages vom 16.3.1995 abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich - und das ist auch unstrittig -, daß der Wechselzahlungsauftrag der beklagten Partei rechtswidrigerweise durch das Express Mail Service der Post und nicht in einer dem Erfordernis des § 31 Abs 1 RHE entsprechenden Weise zugestellt wurde; durch die gewählte Zustellungsart ist nämlich eine Überprüfung der eigenhändigen Zustellung ausgeschlossen. Strittig ist nur, ob der Zustellmangel geheilt ist. Dies ist zu bejahen.

Zu Recht verweist die Revisionsrekurswerberin darauf, daß die Rechtsansicht des angefochtenen Beschlusses durch oberstgerichtliche Judikatur nicht hinreichend gedeckt ist. Der Oberste Gerichtshof hatte sich erst vor kurzem (3 Ob 168/93; RdW 1994, 177) mit dieser Frage zu beschäftigen und dort zwar ausgesprochen, daß die aus diesen Bestimmungen hervorleuchtende Absicht des Gesetzgebers, durch die Zustellvorschriften sicherzustellen, daß der Empfänger das Schriftstück auch tatsächlich in die Hände bekomme, eine restriktive Auslegung des § 7 ZustG gebiete. Es könne daher im Sinne dieser Bestimmung nur dann als "tatsächlich zugekommen" angesehen werden, wenn es in die Hände des Empfängers gelange. Er fährt jedoch fort, daß allenfalls auch in Betracht käme, daß der Empfänger eine Verfügung über das Schriftstück getroffen hat, mag sie auch von jemandem anderen durchgeführt worden sein.

Ein solcher Fall liegt hier vor:

Der Bericht der Leiterin der Auslandsabteilung an das vertretungsbefugte Organ der beklagten Partei über das Einlangen und den Inhalt des Wechselzahlungsauftrages im Zusammenhang mit der hierauf von diesem getroffenen Verfügung genügt, um den Wechselzahlungsauftrag als der beklagten Partei "tatsächlich zugekommen" iSd § 7 ZustG zu beurteilen. Es kann keinen Unterschied machen, ob der Vorstandsvorsitzende den Wechselzahlungsauftrag selbst in die Hände genommen, sich diesen vorlesen und eventuell übersetzen und erläutern ließ und danach eine Verfügung über die weitere Vorgangsweise getroffen hat, oder ob er, ohne das Schriftstück selbst in die Hände genommen zu haben, obwohl ihm das leicht möglich gewesen wäre, sich mit dem inhaltsgleichen Bericht der Leiterin der Auslandsabteilung zufrieden gab und aufgrund dieses Berichtes über den Inhalt des in fremder Sprache abgefaßten gerichtlichen Schriftstückes seine Verfügung getroffen hat. Hieraus folgt, daß das Schriftstück als spätestens am 10.4.1995 dem vertretungsbefugten Organ der beklagten Partei "tatsächlich zugekommen" zu gelten hat und somit ab diesem Zeitpunkt eine Heilung des Zustellungsmangels eingetreten ist. Die erst am 28.4.1995 begehrte Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit unter gleichzeitiger Erhebung der Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag ist daher verspätet.

Der diesbezügliche erstgerichtliche Beschluß (Punkt a)) ist daher wiederherzustellen.

Offen ist infolgedessen noch der Rekurs der beklagten Partei gegen die Abweisung ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einwendungsfrist (Punkt b) des erstgerichtlichen Beschlusses).

Hierüber wird das Rekursgericht in der Folge zu entscheiden und zu beurteiten haben, ob wirklich, insbesondere im Hinblick auf die Sprachbarrieren (der Wechselzahlungsauftrag war ja nicht übersetzt), ein nicht mehr vertretbares Versäumnis der beklagten Partei im Sinne des § 146 Abs 1 ZPO vorliegt, wenn diese die Einwendungen vier Tage nach Ablauf der 14-tägigen Einwendungsfrist des § 558 Abs 1 ZPO erhoben hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 erster Satz iVm § 50 ZPO.

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