OGH 3Ob168/93

OGH3Ob168/9320.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei V*****, vertreten durch Dr.Gunter Granner, Rechtsanwalt in Wien, wider die verpflichtete Partei A*****, vertreten durch Dr.Peter Kammerlander, Rechtsanwalt in Graz, wegen Erwirkung einer Unterlassung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 4.Mai 1993, GZ 5 R 12/93-24, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29.Juni 1992, GZ 23 Cg 114/92-4, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Dem Verpflichteten wurde mit einer einstweiligen Verfügung des Erstgerichtes aufgetragen, ab sofort im geschäftlichen Verkehr bestimmte wettbewerbswidrige Ankündigungen zu unterlassen. Die Zustellung der einstweiligen Verfügung an den Verpflichteten, die entgegen § 395 EO, § 21 ZustG nicht zu eigenen Handen angeordnet war und durchgeführt wurde, erfolgte am 4.6.1992 durch Übergabe an eine seiner Arbeitnehmerinnen.

Das Erstgericht bewilligte auf Grund eines am 25.6.1992 eingelangten Antrags die Exekution zur Erwirkung eines der beiden in der einstweiligen Verfügung ausgesprochenen Unterlassungsgebote.

Das Rekursgericht änderte infolge Rekurses des Verpflichteten die Exekutionsbewilligung des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Exekutionsantrag abwies. Die einstweilige Vefügung sei dem Verpflichteten entgegen § 395 EO iVm § 106 ZPO nicht zu eigenen Handen zugestellt worden. Es fehle auch unter Berücksichtigung des Rekursvorbringens jeder Anhaltspunkt dafür, ob und wann sie ihm tatsächlich zugekommen sei. Da die Heilung des Zustellmangels somit nicht erwiesen sei, könne nicht beurteilt werden, ob der Verpflichtete der einstweiligen Verfügung noch nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit zuwidergehandelt hat.

Der Oberste Gerichtshof hob infolge Rekurses der betreibenden Partei diesen Beschluß des Rekursgerichtes mit seinem Beschluß vom 16.12.1992, 3 Ob 100/92, auf und verwies die Exekutionssache zur neuen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Rekursgericht zurück. Er trug dem Rekursgericht Erhebungen darüber auf, ob die einstweilige Verfügung dem Verpflichteten noch vor Einbringung des Exekutionsantrags zugekommen ist.

Das Rekursgericht wies mit der neuen Entscheidung den Exekutionsantrag neuerlich ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es stellte zur Heilung des Zustellmangels im wesentlichen folgendes fest:

Zum Tätigkeitsbereich der Angestellten des Verpflichteten, welche die den Exekutionstitel bildende einstweilige Verfügung übernahm, gehört auch die Entgegennahme der eingehenden Post. Sie öffnete den Brief und gab ihn in die Postlade. Von der Postlade trägt entweder sie oder die Ehefrau des Verpflichteten die Post auf dessen Schreibtisch oder er selbst nimmt sie von der Postlade heraus. Nach der Bearbeitung werden die Schriftstücke direkt der erwähnten Angestellten des Verpflichteten übergeben. Dem Verpflichteten wurde die den Exekutionstitel bildende einstweilige Verfügung nicht ausgehändigt. Er hat vom Vorhandensein dieser einstweiligen Verfügung zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt nach Bewilligung der vorliegenden Exekution durch seine Ehefrau erfahren. Die der Angestellten des Verpflichteten ausgefolgte Ausfertigung der einstweiligen Verfügung wurde erst im Laufe des Jahres 1993 in einem Ordner gefunden; sie enthält keinen Bearbeitungsvermerk. Es konnte nicht festgestellt werden, ob und durch wen die einstweilige Verfügung allenfalls im Büro der Verpflichteten bearbeitet wurde und bejahendenfalls, über wessen Verfügung sie in einem Ordner abgelegt wurde.

Rechtlich war das Rekursgericht der Meinung, daß der bei der Zustellung der einstweiligen Verfügung unterlaufene Mangel nicht gemäß § 7 ZustG geheilt worden sei, weil die einstweilige Verfügung dem Verpflichteten nicht tatsächlich zugekommen sei. Dies hätte vorausgesetzt, daß sie ihm ausgehändigt worden wäre oder er sie zumindest persönlich zu Gesicht bekommen hätte. Daß sie in seine Einflußsphäre gelangt sei, genüge nicht. Da somit die einstweilige Verfügung dem Verpflichteten zur Zeit der Einbringung des Exekutionsantrags noch nicht wirksam zugestellt worden sei, sei sie nicht vollstreckbar gewesen und es dürfe deshalb die Exekution auf Grund dieser einstweiligen Verfügung nicht bewilligt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der von der betreibenden Partei gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Eine gesicherte und eindeutige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt nur in der Richtung vor, daß für die Partei keine Erkundigungspflicht besteht (SZ 41/184; MietSlg 15.619 ua) und daß die bloße Kenntnis vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks und der gesetzwidrigen Zustellung die Heilung des Zustellmangels nicht herbeiführt (EvBl 1986/144; MietSlg 15.689; SZ 27/39 ua). Zur Frage, wann ein Schriftstück im Sinn des § 7 ZustG (oder des früher geltenden, dieser Bestimmung entsprechenden § 108 ZPO) dem Empfänger tatsächlich zugekommen und damit ein bei der Zustellung unterlaufener Mangel geheilt ist, fehlt hingegen, soweit dies überblickt werden kann, eine eindeutige Aussage in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Aus der Entscheidung SZ 27/39 ergibt sich nur, daß das Schriftstück dem Empfänger erst dann tatsächlich zugekommen ist, wenn es in seinen "Besitz" gelangte. Was in diesem Zusammenhang unter Besitz zu verstehen ist, wird nicht näher erörtert, weshalb eine Klärung geboten erscheint.

Durch die Vorschriften über die Zustellung soll erkennbar sichergestellt werden, daß der Empfänger das zugestellte Schriftstück tatsächlich und rechtzeitig in seine Hand bekommt. Dies wird in erster Linie bei der Zustellung zu eigenen Handen (§ 21 ZustG) der Fall sein; sie ist in den verfahrensrechtlichen Vorschriften jedoch nur für die wichtigeren und hier vor allem für die die Einleitung des Verfahrens betreffenden Schriftstücke vorgesehen. In allen anderen Fällen ist im Interesse der Vereinfachung des Zustellvorganges die Ersatzzustellung nach § 16 ZustG möglich. Der Kreis der als Ersatzempfänger in Betracht kommenden Personen wurde aber im Abs 2 dieser Gesetzesstelle auf jene Personen beschränkt, bei denen am ehesten die Gewähr besteht, daß sie das zugestellte Schriftstück dem Empfänger ausfolgen werden. Dasselbe gilt für die im § 13 Abs 4 ZustG vorgesehene Zustellung an einen Angestellten des Parteienvertreters. Ähnlich wurden als Abgabestellen, an denen zugestellt werden darf, nur Ort zugelassen, zu denen der Empfänger ein gewisses Naheverhältnis hat (vgl § 13 Abs 5 iVm § 4 ZustG). Schließlich darf die Zustellung nur vorgenommen werden, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinn des § 13 Abs 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (§ 16 Abs 1 und § 17 Abs 1 ZustG), eine trotz Abwesenheit des Empfängers vorgenommene Zustellung ist zunächst unwirksam (§ 16 Abs 5 und § 17 Abs 3 ZustG).

Die aus diesen Bestimmungen hervorleuchtende Absicht des Gesetzgebers, durch die Zustellvorschriften sicherzustellen, daß der Empfänger das zugestellte Schriftstück auch tatsächlich in die Hände bekommt, gebietet eine restriktive Auslegung des § 7 ZustG. Es kann daher im Sinn dieser Bestimmung nur dann als "tatsächlich zugekommen" angesehen werden, wenn es in die Hände des Empfängers gelangt. In Betracht käme allenfalls noch, daß der Empfänger eine Verfügung über das Schriftstück getroffen hat, mag sie auch von jemand anderem ausgeführt worden sein; diese Frage ist hier jedoch nicht zu entscheiden. Andere Vorgänge reichen hingegen nicht aus. Die gegenteilige Ansicht würde dazu führen, daß der Sinn der sehr detaillierten Regelung des Zustellvorgangs oft unterlaufen würde.

Diese oder eine ähnliche Ansicht wird auch einheitlich im Schrifttum und in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vertreten. Fasching (ZPR2 Rz 521) meint, daß das Schriftstück "in die Hand" dessen gelangt sein müsse, für den es bestimmt ist. Ähnlich heißt es bei Zib (in ÖJZ 1990, 132) unter Berufung auf verschiedene - zum Teil allerdings nicht genau passende - Belegstellen, es werde gefordert, daß der Empfänger das Schriftstück "in die Hand" bekommen müsse. Die im Revisionsrekurs vertretene Ansicht, aus dem erwähnten Artikel sei für die hier zu lösende Frage nichts zu gewinnen, weil er sich mit der Heilung bei falscher Zustellverfügung beschäftige, ist nicht verständlich. Dies macht die Ausführungen zur Frage, wann ein Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist, nicht weniger überzeugend. Walter-Mayer (Zustellrecht, Anm 7 zu § 7 ZustG) führen aus, eine Sendung sei dann tatsächlich zugekommen, wenn sie den Empfänger wirklich erreicht, dh wenn ihm das Schriftstück ausgehändigt wurde und er frei darüber verfügen kann. Dieselbe Formulierung findet sich auch in der von Walter-Mayer aaO zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Slg 7569/A. In dieser und außerdem in der Entscheidung ZfVB 1982/997 spricht der Verwaltungsgerichtshof von der "tatsächlichen Empfangnahme".

In der Entscheidung SZ 27/39 ist somit "Besitz" nicht als Besitz im Sinn der sachenrechtlichen Vorschriften zu verstehen, der auch durch Besitzdiener ausgeübt werden kann (Koziol-Welser9 II 18 f; Spielbüchler in Rummel, ABGB2 I Rz 2 zu § 309). Der Besitz, der für die Heilung eines Zustellmangels erforderlich ist, ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die angeführten Vorausetzungen erfüllt sind.

Ohne Bedeutung ist in dem hier erörterten Zusammenhang, ob es zur üblichen Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gehört, seinen Geschäftsbetrieb so einzurichten, daß er von Gerichtsstücken verläßlich Kenntnis erlangt. Dies hat mit der Frage der Heilung einer nicht gesetzmäßigen Zustellung nichts zu tun und kann nur im Fall einer gesetzmäßigen Ersatzzustellung von Bedeutung sein. Ist die Ersatzzustellung hingegen, wie hier, nicht gesetzmäßig, so ist es nicht wesentlich, aus welchen Gründen das Schriftstück nicht zum Empfänger gelangt ist. Die Unrichtigkeit der Auffassung der betreibenden Partei zeigt im übrigen auch die Überlegung, daß die Vorschriften über die Notwendigkeit der Zustellung zu eigenen Handen bei Zustellung an einen Ersatzempfänger inhaltslos wären, wenn man die Heilung allein deshalb annähme, weil das Schriftstück damit in die Einflußphäre des Empfängers gelangt ist. Ein solches Ergebnis ist mit dem Gesetz nicht vereinbar.

Die Ansicht des Rekursgerichtes, daß der Mangel der bei der Zustellung der den Exekutionstitel bildenden einstweiligen Verfügung unterlief, nicht gemäß § 7 ZustG geheilt wurde, ist somit zutreffend. Zur Meinung des Rekursgerichtes, daß die Exekution mangels Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels nicht bewilligt werden dürfe, wird im Revisionsrekurs nichts vorgebracht, weshalb sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt sieht, hierauf weiter einzugehen. Ebensowenig ist zu den im Revisionsrekurs enthaltenen Ausführungen im Kostenpunkt Stellung zu nehmen, weil dieser Teil der Entscheidung des Rekursgerichtes gemäß § 78 EO iVm § 528 Abs 2 Z 3 ZPO nicht angefochten werden kann.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurs beruht auf § 78 EO iVm den §§ 40 und 50 ZPO.

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