OGH 2Ob2320/96g

OGH2Ob2320/96g17.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Unterbringungssache der Hermine B*****, vertreten durch den Patientenanwalt Mag.Alfons S*****, infolge Revisionsrekurses des Patientenanwaltes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 23.August 1996, GZ 13 R 370/96i-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz, vom 26.Juli 1996, GZ 7 Ub 565/96p-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Hermine B***** wurde am 9.7.1996 wegen einer akuten, depressiv gefärbten psychotischen Störung erstmals in die ***** Landesnervenklinik W***** eingewiesen und dort im geschlossenen Bereich der Station B 14 untergebracht.

Nach der Erstanhörung wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, in dem ausgeführt wurde, daß bei der Patentin eine dem schizophrenen Formenkreis zuzuordnende Psychose vorliege. Die eingeleitete Therapie lasse einen mäßigen Behandlungserfolg erkennen, doch sei eine Weiterbehandlung im offenen Bereich zur Zeit noch nicht realisierbar; bei Behandlungsabbruch wäre mit einem relativ hohen Suizidrisiko zu rechnen. In der mündlichen Verhandlung vom 26.7.1996 erklärte die Patientin, sie fühle sich jetzt schon besser und könne auch noch zur weiteren Behandlung im Krankenhaus bleiben. Der Stationsarzt sprach zwar ebenfalls eine leichtgradige Besserung der Patientin an, vertrat jedoch die Ansicht, die Gesundheitsgefährdung sei nach wie vor ernstlich und erheblich, weil zu bezweifeln sei, daß sie im offenen Bereich sich weiter behandeln lassen und auch die Medikamente in ausreichendem Maße einnehmen werde. Der Sachverständige hob die überraschenderweise in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretenen Complianceangebote der Patientin hervor, vertrat jedoch die Ansicht, es wäre gewagt, daraus auf eine jetzt bereits vorliegende verläßliche Kooperation zu schließen. Es wäre angesichts dieser Situation ein praktisch sinnvolles Vorgehen darin zu erblicken, die Unterbringung formell aufrecht zu erhalten und umgehend die Betreuung im offenen Bereich zu versuchen. Mit einer merklichen Besserung sei innerhalb eines Zeitraumes von 3 bis 4 Wochen zu rechnen. Der Sachverständige ließ aber keinen Zweifel daran, daß trotz der beginnenden Besserung die Weiterbehandlung zur Stabilisierung des Zustandsbildes essentiell sei.

Der Patientenanwalt beantragte die Unterbringung für unzulässig zu erklären, weil eine ausreichende Behandlungsalternative gegeben sei. Hilfsweise begehrte er, jedenfalls die Unterbringung im geschlossenen Bereich für unzulässig zu erklären, weil dieser Bereich derzeit für die Patientin eine unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkung darstelle.

Das Erstgericht erklärte die Unterbringung der Patientin in der Landesnervenklinik in Station B 14 gemäß § 26 Abs 1 und 2 UbG für die Dauer von 3 Wochen für zulässig. Es vertrat die Auffassung, daß angesichts der Instabilität des Zustandsbildes und der unzureichenden Compliance der Patientin eine Alternative zum Aufenthalt im geschlossenen Stationsbereich derzeit noch nicht vorhanden sei. Da eine nach § 3 Z 2 UbG zu beurteilende offene Versorgungsmöglichkeit für die Patientin nicht gegeben sei, sei auch auf den Eventualantrag des Patientenanwaltes nicht einzugehen.

Das dagegen vom Patientenanwalt angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Das Rekursgericht führte aus, daß der Entscheidung des Erstgerichtes insgesamt zu entnehmen sei, daß nicht nur die Unterbringung als solche für zulässig erklärt, sondern auch die Unterbringung im geschlossenen Bereich auf der Station B der Landesnervenklinik für zulässig erklärt worden sei. Das Erstgericht habe in der Begründung seiner Entscheidung ausgesprochen, daß eine ausreichende Compliance für die weitere Therapie im offenen Stationsbereich noch nicht sichergestellt sei und daß eine Alternative zum Aufenthalt im geschlossenen Stationsbereich noch nicht vorhanden sei. Das Erstgericht habe sich daher sehr wohl mit der Frage des Weiterverbleibes der Patientin im geschlossenen Bereich befaßt.

Im übrigen führte das Rekursgericht aus, daß die im § 33 Abs 2 UbG umschriebenen Bewegungsbe- schränkungen den freiheitsentziehenden Charakter der Unterbringung konstituierten. Sie bedürften weder einer besonderen Anordnung noch würden sie weiteren Zulässigkeitsbedingungen unterliegen. Typische Erscheinungsform dieser allgemeinen Bewegungsbeschränkung sei die Beschränkung auf einen geschlossenen Bereich. Derartige Einschränkungen seien bereits durch die Entscheidung des Gerichtes über die Zulässigkeit der Unterbringung gedeckt und bedürften keiner besonderen Anordnung.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht für zulässig erklärt, weil die Entscheidung seine Grundlage im Gesetzeswortlaut und den im Ausschußbericht zu § 33 UbG dargestellten Intentionen finde und im übrigen die Umstände des Einzelfalles maßgeblich seien.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Patientenanwaltes mit dem Antrag, die angefochtenen Beschlüsse dahingehend abzuändern, daß erklärt werde, daß die Unterbringung der Patientin jedenfalls im geschlossenen Bereich der Station B 14 nach § 3 UbG in Verbindung mit § 33 Abs 1 UbG ab 26.7.1996 unzulässig war.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil es zu der hier zu behandelnden Rechtsfrage noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gibt, er ist aber nicht berechtigt.

Der Patientenanwalt macht in seinem Rechtsmittel geltend, es sei in den angefochtenen Beschlüssen über die Unverhältnismäßigkeit der Unterbringung im geschlossenen Bereich nicht entschieden worden. Die vom Sachverständigen vorgeschlagene Vorgangsweise der Verlegung der Patientin in den offenen Stationsbereich stelle keine Alternative zur Unterbringung im Sinne des § 3 Z 2 UbG, sondern lediglich ein gelinderes, jedoch geeignetes Mittel der Gefahrenabwehr dar. Gerade durch die Aufrechterhaltung der Unterbringung sei auch in einem offenen Stationsbereich sichergestellt, daß ein psychisch Kranker die Behandlung fortsetze und einen Behandlungsabruch verhindere. Auch wenn die von der Anstalt vorgenommene Bewegungsbeschränkung auf einen geschlossenen Bereich durch eine gerichtliche Zulässigkeitserklärung einer Unterbringung gemäß § 26 UbG gedeckt sei, so mache eine derartige gerichtliche Entscheidung einen auf die Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 33 Abs 1 UbG zielenden Antrag nicht gegenstandslos. Der Eventualantrag sei ja gerade deshalb gestellt worden, um die an sich zulässige Beschränkung auf ein für die Patientin individuell festgelegtes angemessenes Ausmaß zu reduzieren. Die Zulässigkeit einer Unterbringung sei nicht gleichbedeutend mit einer Unterbringung im geschlossenen Bereich, sondern reiche bereits die Anleitung des Abteilungsleiters aus, einen Patienten zurückzuhalten, um von einer Unterbringung zu sprechen. Auch "allgemeine" Beschränkungen im Sinne des § 33 Abs 2 UbG würden den Voraussetzungen des § 33 Abs 1 UbG unterliegen, sodaß auch deren Verhältnismäßigkeit einer gerichtlichen Überprüfung unterliege. Das Gericht müsse überprüfen, ob Beschränkungen, die zwar die Kriterien des § 3 Z 2 UbG erfüllen, auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 33 Abs 1 UbG entsprechen. Es müsse jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit hinsichtlich des räumlichen Umfanges einer gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung zugänglich sein, sohin auch allgemein zulässige, jedoch im Sinne des § 33 Abs 1 UbG unverhältnismäßige Beschränkungen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Wie das Rekursgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, sind gemäß § 33 Abs 1 UbG Beschränkungen des Patienten nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 3 Z 1 sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Im allgemeinen darf die Bewegungsfreiheit des Kranken nur auf mehrere Räumen oder auf bestimmte Bereiche beschränkt werden (Abs 2). Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung unverzüglich zu entscheiden.

Für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gelten daher die Prinzipien der Unerläßlichkeit und der Verhältnismäßigkeit (Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz, Rz 2 zu § 33). Die allgemeinen Bewegungsbeschränkungen des § 33 Abs 2 UbG (auf mehrere Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche) konstituieren aber den freiheitsentziehenden Charakter der Unterbringung, sie bedürfen daher - weil der Unterbringung begrifflich immanent - weder einer besonderen Anordnung noch unterliegen sie besonderen Zulässigkeitsbedingungen. Ihr Rechtstitel ist die Unterbringung selbst. Typische Erscheinungsformen dieser allgemeinen Bewegungsbeschränkung sind die Beschränkung auf einzelne Abteilungen bzw Stationen, zum Beispiel auf einen geschlossenen Bereich (Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 779). Die Bestimmung des § 33 Abs 2 UbG soll gewährleisten, daß dem psychisch Kranken auch innerhalb des geschlossenen Bereichs ein möglichst großes Maß an Freizügigkeit und Freiheit der Bewegung gesichert ist (464 BlgNr 17. GP 17). Wenngleich der allgemeine Bewegungsspielraum in Anwendung der Kriterien des § 33 Abs 1 UbG individuell festzulegen ist und dabei auch vielfältige Abstufungen hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Dimensionen sowie der dabei eingeräumten Freiheit möglich und geboten sind (Kopetzki, aaO, 780), unterliegen lediglich weitergehende Beschränkungen im Sinne des § 33 Abs 3 UbG einer gerichtlichen Überprüfung, nur sie sind durch die gerichtliche Zulässigkeitserklärung der Unterbringung als solche nicht gedeckt (Kopetzki, aaO, 780 f). Dadurch, daß der Gesetzgeber lediglich bei weitergehenden Maßnahmen im Sinne des § 33 Abs 3 UbG eine besondere Anordnung, und die Möglichkeit der Überprüfung durch das Gericht vorgesehen hat, hat er auch zum Ausdruck gebracht, daß Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf mehrere Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche keiner besonderen Anordnung bedürfen (Hopf/Aigner Rz 4 zu § 33 UbG), und daß auch die Einhaltung der Grundsätze des § 33 Abs 1 UbG nicht der weiteren gerichtlichen Überprüfung unterliegt.

Es war daher dem Revisionsrekurs des Patientenanwaltes, der sich gegen die Zulässigkeit der Unterbringung an sich nicht wendet, ein Erfolg zu versagen.

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