OGH 1Ob2234/96b

OGH1Ob2234/96b3.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Emmanuel P*****, vertreten durch Dr.Theodor Strohal und Dr.Wolfgang G.Kretschmer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 253.412,40 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 20.Mai 1996, GZ 14 R 69/96-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 23.Juni 1995, GZ 7 Cg 2/95-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 10.162,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Vom 1.5.1982 an war ein Unternehmer Mieter der nunmehr vom Kläger gemieteten Wohnung; dem damaligen Mieter war das Recht zur Untervermietung und zur Präsentation eines Nachmieters eingeräumt worden. Demgemäß wurde die Wohnung zum 1.5.1982 an den Kläger untervermietet. Am 2.9.1985 verzichtete der Hauptmieter zum 31.8.1985 zugunsten des Klägers auf seine Mietrechte. Der Kläger verständigte hievon die damalige Hausverwalterin, die auf dieses Schreiben jedoch nicht reagierte. Der vom Kläger an diese für zwei Monate bezahlte Mietzins wurde nicht angenommen und dem Kläger rückübermittelt. Daraufhin erlegte der Kläger in der Zeit vom 15.11.1985 bis 11.1.1990 den Mietzins zu Gericht; die erlegten Beträge wurden trotz Verständigung der Hausverwalterin von dieser nicht in Anspruch genommen. Im März 1990 widerrief der Hauseigentümer die Vollmacht der Hausverwalterin wegen deren untreuen Verhaltens, machte den Widerruf durch Anschlag im Haus bekannt und forderte die Mieter auf, die Mietzinse bis auf weiteres auf ein gleichzeitig bekanntgegebenes Konto zu überweisen. Die vom Kläger auf dieses Konto überwiesenen Mietzinse konnten mangels entsprechender Unterlagen erst dann der von ihm benützten Wohnung zugeordnet werden, als es gelungen war, die übrigen Zinsbeträge zu identifizieren. Am 16.1.1991 kündigte der Hauseigentümer jener Person, die für den früheren Hauptmieter aufgetreten war, die von Kläger benützte Wohnung des Klägers gerichtlich auf und schloß mit dieser am 1.3.1991 mit dieser einen Räumungsvergleich. Die Räumung wurde am 4.7.1991 durchgeführt. Am 8.7.1991 erhob der Kläger gegen den Hauseigentümer die Klage auf Feststellung seiner Eigenschaft als Hauptmieter der von ihm benützten Wohnung. Dieses Verfahren endete am 2.8.1991 mit einem stattgebenden Versäumungsurteil.

Am 20.9.1991 brachte der Kläger beim Bezirksgericht Favoriten (zu AZ 3 C 2647/91) eine Klage gegen den Hauseigentümer ein, mit der er dessen Verurteilung zum Ersatz des ihm durch die zwangsweise Räumung entstandenen, mit S 202.592,-- bezifferten Schadens begehrte. Das angerufene Gericht erkannte dem Kläger mit Teilurteil vom 14.1.1993 einen Betrag von S 54.209,85 zu und führte zur Begründung aus, zwischen diesem und dem Hauseigentümer sei infolge der Annahme des Mietzinses durch mehr als ein Jahr ein Hauptmietvertrag schlüssig zustandegekommen. Die erwirkte Räumung beruhe daher auf einem schuldhaft rechtswidrigen Verhalten des Hauseigentümers. Das Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht änderte dieses Teilurteil zu AZ 48 R 371/93 im klagsabweisenden Sinne ab und führte aus, die Annahme des Mietzinses nach dem Widerruf der Hausverwaltungsvollmacht reiche im Hinblick auf die fehlenden Zuordnungskriterien nicht aus, um einen konkludenten Vertragsabschluß anzunehmen, ohne daß Zweifel daran übrig blieben. Das dem früheren Hauptmieter eingeräumte Präsentationsrecht habe dem Kläger noch keine Hauptmietrechte verschafft. Der Hauseigentümer hätte - nach Präsentation eines Nachmieters - mit diesem erst einen Vertrag abschließen müssen. Die vom Kläger gegen das Berufungsurteil erhobene außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof zu AZ 2 Ob 1581/93 mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Kläger begehrte mit seiner Amtshaftungsklage die Verurteilung des beklagten Rechtsträgers zum Ersatz seines mit S 253.412,40 bezifferten Schadens und brachte dazu im wesentlichen vor, das Berufungsgericht habe im Anlaßverfahren seinen auf die unzulässige Räumung der Wohnung gestützten Schadenersatzanspruch in unvertretbarer Auslegung der Gesetze abgewiesen. Zwischen dem Kläger und dem Hauseigentümer sei ein Hauptmietvertrag auf konkludente Weise zustandegekommen. Demnach sei die Räumung der Wohnung ebenso rechtswidrig gewesen wie das Urteil des Berufungsgerichts im Anlaßverfahren, das mit der Sachlage im Widerspruch stehe.

Die beklagte Partei wendete ein, die berufungsgerichtliche Entscheidung im Anlaßverfahren sei richtig, zumindest aber vertretbar gewesen. Die Frage, ob zwischen dem Kläger und dem Hauseigentümer ein Hauptmietvertrag zustandegekommen sei, sei der Rechtslage entsprechend gelöst worden. Im Zeitpunkt der Räumung am 4.7.1991 habe zwischen dem Hauseigentümer und dem Kläger kein Bestandverhältnis bestanden; dessen spätere Entstehen durch Anerkennung mache die bereits durchgeführte Räumung nicht nachträglich rechtswidrig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht meinte es, das Gericht zweiter Instanz im Anlaßverfahren habe nicht rechtswidrig entschieden. Sein Urteil weiche weder von einer klaren Gesetzeslage noch von ständiger Rechtsprechung eines Höchstgerichts ab. Es habe vielmehr sorgfältig begründet, weshalb es den konkludenten Abschluß eines Hauptmietvertrags zwischen Kläger und Hauseigentümer verneinte. Eine zumindest vertretbare Rechtsansicht löse keinen Amtshaftungsanspruch aus.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil des Erstgerichts und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Das Verfahren habe sich auf Überprüfung der vom Kläger behaupteten fehlerhaften Entscheidung des Landesgerichts für ZRS Wien anhand des im seinerzeitigen Akt dokumentierten Verhandlungsverlaufs zu beschränken. Seine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Bezirksgerichts Favoriten hätte der zunächst siegreiche Kläger in der von ihm erstatteten Berufungsbeantwortung rügen müssen. Ohne eine solche Beweisrüge habe das Berufungsgericht im Anlaßverfahren die vom Kläger unbekämpft gebliebenen Feststellungen gar nicht in Frage stellen dürfen. Insoweit habe der Kläger gegen die ihm obliegende Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstoßen. Der Oberste Gerichtshof habe bei Behandlung der außerordentlichen Revision im Anlaßverfahren auch zu überprüfen gehabt, ob das Berufungsgericht im Einzelfall eine unvertretbare Auslegung des festgestellten Sachverhalts vorgenommen habe. Da das Höchstgericht das Rechtsmittel des Klägers mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückgewiesen habe, sei davon auszugehen, daß dem Berufungsgericht im Anlaßverfahren keine unvertretbare Rechtsanwendung zur Last liege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Trotz des im § 2 Abs 3 AHG angeordneten Haftungsausschlusses (vgl dazu insbesondere SZ 66/97 mwN) sind Amtshaftungsansprüche nicht vollständig ausgeschlossen, wenn ein österreichisches Höchstgericht in einer Rechtssache entschied. Erkenntnisse eines solchen Gerichts decken gleichlautende Entscheidungen der Vorinstanzen nur insoweit, als es sonst mittelbar zu einer Nachprüfung der Rechtmäßigkeit höchstgerichtlicher Entscheidungen käme. Soweit dem Höchstgericht dagegen die Überprüfung bekämpfter Entscheidungen - nach den Verfahrensvorschriften - nur in eingeschränktem Ausmaß möglich ist, können Amtshaftungsansprüche aus einem nicht überprüfbaren Verhalten der Vorinstanzen geltend gemacht werden (1 Ob 12/95; JBl 1995, 794; SZ 59/93 ua; Schragel, AHG2 Rz 198).

Das muß auch für jene Fälle gelten, in welchen der Oberste Gerichtshof die Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen hat, weil dann nicht die Berechtigung des - ordentlichen oder außerordentlichen - Rechtsmittels, sondern lediglich die Frage, ob eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne der vorgenannten Bestimmung vorliegt bzw geltend gemacht wurde, geprüft und verneint wurde; daran ändert entgegen der Ansicht der beklagten Partei auch nichts, wenn das Revisionsgericht seine Auffassung, es liege keine erhebliche Rechtsfrage vor, im Zurückweisungsbeschluß eingehend begründet hat. Wenngleich einer - auch unbewußten - Abweichung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einzelfall, etwa bei Auslegung von Erklärungen bzw bestimmter Verhaltensweisen, erhebliche Bedeutung für die Rechtssicherheit zukommen kann, rechtfertigt das für sich noch nicht die Annahme, das Höchstgericht habe bei Zurückweisung einer Revision die Frage, daß das Berufungsgericht von einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei, jedenfalls verneint. Erhebliche Bedeutung für die Rechtssicherheit kommt einer davon abweichenden Entscheidung nämlich nur dann zu, wenn Gefahr besteht, daß ständig judizierte Grundsätze durch Subsumtionsfehler ausgehöhlt werden (SZ 64/35 ua). Solches hat der Oberste Gerichtshof im Anlaßverfahren wohl nicht angenommen; dennoch bleibt die Frage offen, ob nicht doch eine Abweichung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Einzelfällen, der indes das Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht beigemessen wurde, vorliegen könnte. Das Höchstgericht hat demnach mit seiner verfahrensrechtlich bestimmten Entscheidung nicht etwa das zweitinstanzliche Urteil deshalb „bestätigt“, weil das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen sei, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, daß der Rechtsmittelwerber keine erhebliche Rechtsfrage zur Darstellung gebracht habe (vgl die zu diesen Fragen erst jüngst ergangene Entscheidung 1 Ob 12/95).

Der Kläger unterstellt nach wie vor, zwischen ihm und dem Hauseigentümer sei auf konkludente Weise ein Hauptmietvertrag zustandegekommen, was im Anlaßverfahren eindeutig hervorgekommen sei; das Landesgericht für ZRS Wien habe als Berufungsgericht im Anlaßverfahren dieses Ergebnis jedoch „nicht zur Kenntnis genommen“. Ein Bestandverhältnis kommt aber nach ständiger Rechtsprechung konkludent nur dann zustande, wenn das festgestellte Verhalten der Vertragsteile mit Überlegung aller Umstände des Falls unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten unzweifelhaft den zwingenden Schluß zuläßt, die daran beteiligten Personen wollten damit einen Vertrag schließen (MietSlg 31.081; 1 Ob 517/91 uva). Soweit das Gericht zweiter Instanz im Anlaßverfahren hiezu ausführte, eine solche unzweifelhafte Schlußfolgerung erscheine ihm nicht möglich, insbesondere weil der Hauseigentümer den vom Kläger im Jahre 1985 bezahlten Mietzins zweimal zurückgewiesen und und den in der Zeit vom 15.November 1985 bis 11.Jänner 1990 zu Gericht erlegten Mietzins nicht behoben habe, der Kläger außerdem über den Informationsnotstand des Hauseigentümers im Jahre 1990 informiert gewesen sei und dennoch neuerlich versucht habe, durch Bezahlung des Mietzinses in das Hauptmietverhältnis einzutreten (ON 25 im Anlaßverfahren), handelt es sich hiebei um eine zumindest vertretbare rechtliche Beurteilung der vom Erstgericht festgestellten Verhaltensweisen. Ist demgemäß das Gericht zweiter Instanz im Anlaßverfahren bei Würdigung jener Sachverhaltselemente, von welchen es mangels Bekämpfung der erstinstanzlichen Feststellungen auszugehen hatte, von den vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum konkludenten Zustandekommen eines Bestandverhältnisses vertretenen Grundsätzen nicht abgewichen, dann kann ihm das Ergebnis seiner Entscheidungsfindung, selbst wenn eine davon abweichende Beurteilung denkbar erschiene, nicht als schuldhaft rechtswidriges Organverhalten vorgeworfen werden, das Amtshaftungsansprüche auslösen kann.

Soweit der Kläger dem Berufungsgericht im Anlaßverfahren - gerade noch erkennbar - vorwirft, es habe sich mit „der ungenügenden Behandlung“ der „entscheidenden Fragen“ durch das Erstgericht (im Zusammenhalt mit dem übrigen Vorbringen offenbar: mit den unrichtigen erstinstanzlichen Feststellungen) nicht näher befaßt, hat das Gericht zweiter Instanz die daraus abgeleiteten Amtshaftungsansprüche mit der Begründung verneint, daß der Kläger verpflichtet gewesen wäre, die ihm nachteiligen Feststellungen trotz seines Obsiegens mit der Berufungsbeantwortung zu bekämpfen; da er das unterlassen habe, gebühre ihm schon deshalb gemäß § 2 Abs 2 AHG kein Ersatzanspruch. Diesen Ausführungen trat der Kläger mit dem Argument entgegen, er sei zur Bekämpfung der erstinstanzlichen Feststellungen bzw Beweiswürdigung mit der Berufungsbeantwortung nicht verpflichtet gewesen, er habe die Beweisrüge vielmehr in der Revision nachtragen dürfen, was auch geschehen sei. Seinen Ausführungen kann indes im Ergebnis nicht beigepflichtet werden:

Wohl ist ihm zuzugestehen, daß ständiger Rechtsprechung zufolge die in erster Instanz siegreich gebliebene Partei nicht gehalten ist, für sie nachteilige Feststellungen im erstgerichtlichen Urteil schon mit der Berufungsbeantwortung zu bekämpfen bzw zu ihren Lasten vorgefallene Verfahrensfehler zu rügen (EvBl 1995/148 uva). Das systemwidrige Ergebnis dieser Rechtsprechung - das Berufungsurteil ist aufgrund der erst in der Revision vom Berufungsgegner erhobenen Beweis- bzw Mängelrüge vom Obersten Gerichtshof wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) aufzuheben, obgleich das Gericht zweiter Instanz die in der Revision geltend gemachten Fehler erster Instanz mangels einer entsprechenden Rüge gar nicht wahrnehmen durfte (Kodek in Rechberger, ZPO § 468 Rz 5 unter Berufung auf die Entscheidungsglosse Schimas in JBl 1954, 307) - kann aber mit der gleichfalls vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht, die erstmalige Bekämpfung von Feststellungen des Erstgerichts mit einer außerordentlichen Revision durch jene Partei, die in erster Instanz obsiegte, sei unzulässig (seit JBl 1986, 121; zuletzt wieder 6 Ob 1567/95), nur schwerlich in Einklang gebracht werden. Da der Berufungsgegner bei Erstattung der Berufungsbeantwortung nicht vorhersehen kann, ob das Gericht zweiter Instanz gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPO aussprechen wird, daß die ordentliche Revision zulässig ist, ist er schon deshalb, will er den angestrebten Prozeßerfolg nicht gefährden, genötigt, die ihm nachteiligen Feststellungen (bzw Verfahrensmängel) bereits mit der Berufungsbeantwortung anzugreifen. Im übrigen wird er, liegen in Wahrheit erhebliche Rechtsfragen gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht vor, selbst bei Zulassung der ordentlichen Revision durch das Berufungsgericht die Beweis- bzw Mängelrüge in dritter Instanz nicht mit Erfolg nachtragen können, weil auch die ordentliche Revision bei dieser Verfahrenslage als unzulässig zurückzuweisen ist (§ 508a Abs 1 und 2 ZPO); darin, daß das Gericht zweiter Instanz seiner rechtlichen Beurteilung eine - vom Revisionswerber - unbekämpft gebliebene Feststellung zugrundegelegt hat, liegt wohl nicht die unrichtige Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (in diesem Sinn schon JBl 1986, 121).

Wird vom Berufungsgegner mit der Berufungsbeantwortung eine Beweis- bzw Mängelrüge erhoben, so muß diese vom Gericht zweiter Instanz ebenso sachlich erledigt werden wie die in der Berufungsschrift vorgetragenen Anfechtungsgründe. Unterläßt das Gericht zweiter Instanz eine Auseinandersetzung mit der Rüge des Berufungsgegners, so kann diese Unterlassung als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens selbst noch mit außerordentlicher Revision geltend gemacht werden (EvBl 1985/113 ua).

Von dieser Verfahrenslage ist bei der Lösung der anstehenden Rechtsfrage auszugehen, ob die Unterlassung einer zur Bekämpfung der dem Berufungsgegner an sich nachteiligen erstinstanzlichen Feststellungen (oder Verfahrensmängel) bestimmten Rüge in der Berufungsbeantwortung als Verstoß gegen die dem Amtshaftungskläger durch § 2 Abs 2 AH aufgebürdete besondere Rettungspflicht (Schragel aaO Rz 175) zu beurteilen ist. Die Rechtsprechung hat sich stets zu einem weiten Rechtsmittelbegriff bekannt, kann es doch nur Zweck dieser Bestimmung sein, den von einem schuldhaft rechtswidrigen Organverhalten Betroffenen zunächst zu verhalten, im Rahmen der ihm zu Gebote stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten einen Schaden erst gar nicht entstehen zu lassen. Demgemäß sind als Rechtsmittel alle Rechtsbehelfe anzusehen, die sich unmittelbar gegen das schädigende Organverhalten richten und nach der Rechtsordnung dessen Beseitigung oder Berichtigung ermöglichen (Schragel aaO Rz 179 unter Berufung auf ständige Rechtsprechung zu § 839 Abs 3 BGB). Gerade das trifft aber auf die Bekämpfung angeblicher unrichtiger Beweiswürdigung des Erstgerichts (bzw diesem angeblich unterlaufener Verfahrensmängel) durch den Berufungsgegner zu, ermöglicht ihm doch eine solche Vorgangsweise jedenfalls, auf die Abwendung jener Nachteile zu dringen, die ihm im weiteren Verfahren aus seiner Einflußnahme entzogenen Gründen verwehrt bleiben kann. Stichhaltige Argumente dafür, daß die (zulässige) Beweis- (bzw Mängel-)Rüge in der Berufungsbeantwortung vom (weiten) Rechtsmittelbegriff des § 2 Abs 2 AHG auszunehmen sei, hat weder der Kläger in seiner Revision aufgezeigt, noch sind solche nach Ansicht des erkennenden Senats bei allseitiger rechtlicher Prüfung anzuerkennen. Bei Bedachtnahme auf diese Erwägungen, aber auch unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der früheren Berufungsmitteilung zur Berufungsbeantwortung (als vollwertige Rechtsmittelgegenschrift) zur Verbesserung des rechtlichen Gehörs des Berufungsgegners durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 (vgl die Materialien, 669 BlgNR 15.GP, 56; JBl 1986, 121) erscheint es auch nicht angezeigt, die bisherige Rechtsprechung fortzuschreiben, die es dem Berufungsgegner ermöglicht, die Beweis- bzw Mängelrüge in der (ordentlichen) Revision nachzutragen.

Einer abschließenden Lösung der Frage bedarf es indes im Hinblick auf die aufgezeigte, von der Lösung dieser Frage unabhängigen amtshaftungsrechtlichen Problematik und ferner auch deshalb nicht, weil es dem Berufungsgericht im Anlaßverfahren mangels Bekämpfung der - dort - erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung verwehrt blieb, die nun im Amtshaftungsverfahren beanstandeten Feststellungen des Erstgerichts im Anlaßverfahren von Amts wegen zu prüfen. Soweit die Revision die angebliche Praxis der „Berufungsgerichte“ ins Treffen führt, diese prüften die für den Berufungsgegner nachteiligen Feststellungen „meist“ von Amts wegen, kann sie sich dabei in der Tat auf die auch von Kodek (aaO) referierte Rechtsprechung berufen, nach der sich der Oberste Gerichtshof daran gebunden erachte, wenn das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen in amtswegiger Prüfung für unbedenklich erachte (JBl 1986, 121; SZ 54/160; 7 Ob 582/78 ua). Diese Rechtsprechung kann schon mit dem die Zivilprozeßordnung beherrschenden Grundsatz der beschränkten Kognition der Rechtsmittelgerichte nicht in Einklang gebracht werden, nach dem die bekämpfte Entscheidung ausschließlich im Rahmen des Antrags, der Erklärung und der Anfechtungsgründe geprüft werden darf (vgl dazu nur Fasching, LB2 Rz 1679); im übrigen erschiene es auch undenkbar, hielte man das Berufungsgericht im Rahmen dieser „amtswegigen“ Nachprüfung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung auch dazu für berechtigt, die Beweise gemäß § 488 ZPO zu wiederholen, wenn es die angegriffene Beweiswürdigung für bedenklich erachtet. Dem Gebot der Waffengleichheit der Parteien (vgl dazu Art 6 EMRK) zufolge müßte dem Berufungsgericht dann aber auch eine solche „amtswegige“ Vorkehrung eröffnet sein.

Amtshaftungsansprüche aus der unterlassenen Überprüfung der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht im Anlaßverfahren bleiben dem Kläger somit schon aus dem Grunde des § 2 Abs 2 AHG verwehrt; sie wären aber auch sonst nicht berechtigt.

Der Revision ist somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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