Spruch:
Der Revision wird keine Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei hat mit Bescheid vom 12.7.1995 den Antrag des am 3.1.1930 geborenen Klägers vom 13.4.1995 auf Zuerkennung eines Pflegegeldes abgelehnt.
Mit der hiegegen erhobenen Klage begehrte er die Zuerkennung eines solchen in der Stufe 2 ab Antragstellung.
Das Erstgericht sprach dem Kläger ab 1.4.1995 das Pflegegeld der Stufe 1 zu und wies das Mehrbegehren auf Gewährung auch der Stufe 2 (unbekämpft und damit rechtskräftig) ab. Es ging dabei davon aus, daß sein monatlicher Hilfs- und Betreuungsbedarf 55 Stunden betrage, und zwar dreißig Stunden im Hilfsbereich (Beischaffung von Lebensmitteln und Medikamenten, Reinigung der Wohnung, Versorgung der Wäsche), zwanzig Stunden für das An- und Auskleiden, vier Stunden für die Benützung der Duschkabine und eine Stunde für die Pflege der Zehennägel. Dazu wurde - soweit im Revisionsverfahren noch strittig - festgestellt, daß der Kläger lediglich die unteren Extremitäten nicht anziehen kann (Socken, lange Unterhosen, Überhosen); ebenso kann er Schnürschuhe nicht anziehen (wie sie bei schlechter Witterung medizinisch notwendig sind).
Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Es legte abweichend vom Erstgericht für das An- und Auskleiden der unteren Extremitäten nur einen Bedarf von zweimal zehn Minuten pro Tag (also zehn Stunden monatlich), zusammen sohin - mit den unstrittigen übrigen Positionen laut obiger Aufzählung - 35 Stunden, zugrunde. Der in § 1 Abs 3 der Einstufungsverordnung (EinstV) festgelegte Wert von zweimal zwanzig Minuten pro Tag sei offenkundig nur ein nach Lage des Falles unter- oder überschreitbarer Richtwert, der auf das vollständige An- und Auskleiden abstelle. Da der Kläger nur bezüglich der unteren Extremitäten fremder Hilfe bedürfe, "dränge sich eine Halbierung des Richtwertes geradezu auf". Im übrigen habe der Oberste Gerichtshof auch schon in vergleichbaren Fällen Unterschreitungen dieses Richtwertes toleriert. Auf die in der Berufung der beklagten Partei zitierte Richtlinie für die einheitliche Anwendung des BPGG (§ 8) brauche daher nicht mehr zurückgegriffen werden; ebenso könne deren Rechtsqualität dahingestellt bleiben.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, daß ein Pflegegeld der Stufe 1 ab 1.4.1995 gewährt werde.
Das von der beklagten Partei nicht beantwortete Rechtsmittel ist gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch ohne die Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig, jedoch nicht berechtigt. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist vielmehr zutreffend (§ 48 ASGG).
Aus den für den Obersten Gerichtshof maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen ist nämlich nur abzuleiten, daß der Kläger - ungeachtet der Versteifung seines Hüftgelenkes und Knies - Hilfe beim Ankleiden der unteren Gliedmaßen, nicht jedoch auch zum Auskleiden bzw Ausziehen solcher Kleidungsstücke benötigt. Zum An- und Auskleiden der oberen Gliedmaßen wie auch des Oberkörpers liegt überhaupt keine Behinderung und damit Betreuungs- bzw Hilfsnotwendigkeit vor. Daraus folgt aber, daß der Pflegeaufwand für die vom Erstgericht tatsächlich festgestellten Verrichtungen vom Berufungsgericht mit zweimal 10 Minuten täglich ausreichend angenommen wurde. Der Oberste Gerichtshof hat tatsächlich bereits mehrfach - worauf vom Berufungsgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen wird - erkannt, daß die in der EinstV zum BPGG, BGBl 1993/314 (§ 1 Abs 3), bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwandes auf einen Tag bezogenen Richtwerte - zum Unterschied von den in Abs 4 leg cit für die dort aufgezählten Verrichtungen statuierten zeitlichen Mindestwerte, bei denen Abweichungen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn der tatsächliche Betreuungsaufwand diese erheblich (die um annähernd die Hälfte:
SSV-NF 9/47; Pfeil, Die Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich,
184) überschreitet - zwar grundsätzlich auch für die Sozialgerichte verbindlich sind (10 ObS 2080/96x), jedoch im wesentlichen nur als Orientierungshilfe für die Rechtsanwendung dienen sollen (Pfeil, aaO 183). Sie können daher im Einzelfall durchaus auf das durchschnittlich erforderliche Zeitmaß über-, erforderlichenfalls aber auch unterschritten werden (in diesem Sinne auch § 3 Abs 2 der Richtlinien für die einheitliche Anwendung des BPGG, Amtliche Verlautbarung Nr 120/1994, veröffentlicht in SozSi 1994, 686); dies hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach in vergleichbaren Fällen ausgesprochen (SSV-NF 8/55, 8/61, 9/13, 9/42).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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