OGH 10ObS2320/96s

OGH10ObS2320/96s12.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter HR Mag.Kurt Resch (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Wilhelm Patzold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter S*****, vertreten durch Dr.Günther Steiner, Dr.Anton Krautschneider und Mag.Andreas Dienstl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Mai 1996, GZ 8 Rs 89/96h-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28.November 1995, GZ 22 Cgs 101/94t-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und der Revisionsbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 1.10.1946 geborene Kläger bezog vom 1.1.1993 bis 31.1.1994 aufgrund eines Verkehrsunfalles 1992 (laut Klage am 23.9., laut Pensionsakt [Blatt 4] am 23.3.) von der beklagten Partei laut deren Bescheid vom 13.4.1993 eine befristete Invaliditätspension. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 12.2.1994 wurde sein Antrag auf Weitergewährung abgelehnt.

In seiner Klage begehrte der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß mit Kinderzuschüssen für fünf Kinder.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger über den Ablauf des 31.1.1994 hinaus die Invaliditätspension im jeweiligen gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und die Prozeßkosten zu ersetzen. Das (Mehr-)Begehren zuzüglich der bezeichneten Kinderzuschüsse wurde weder spruchmäßig abgewiesen noch begründungsmäßig erörtert. Dieser (Verfahrens-)Mangel blieb jedoch vom Kläger - auch in seiner Berufungsbeantwortung und im Rahmen der Berufungsverhandlung - ungerügt und ist daher vom Obersten Gerichtshof nicht weiter aufzugreifen.

Das Erstgericht ging von folgenden Feststellungen aus:

Der Kläger hat sowohl den Beruf eines Blechschlossers als auch eines Kellners erlernt. Zwischen August 1961 und Dezember 1992 hat er 360 Versicherungs-, davon 308 Beitragsmonate erworben, im Zeitraum der letzten 15 Jahre (zwischen 1.1.1978 und 31.12.1992) 133 Beitragsmonate, von denen er wiederum 69 als Kellner und 52 als Schlosser, also insgesamt 121 Monate in qualifizierter Tätigkeit erworben hat.

Von den 69 Beitragsmonaten mit Kellnertätigkeit entfallen wiederum 29 auf seine Tätigkeit als stellvertretender Restaurantleiter bei der Firma Mc D*****:Seine primäre Aufgabe dort bestand darin, die Verantwortung für die Schichteinteilung zu tragen. Je nach Größe eines Mc D*****-Restaurants bzw Dauer der Öffnungszeiten werden pro Tag bis zu vier Schichten gearbeitet, der jeweilige Assistent des Restaurantleiters hat hiebei die Verantwortung für die Einteilung dieser Schichten, die Personalauswahl etc. Für die Position eines stellvertretenden Restaurantleiters im Mc D*****-Konzern ist zwar die Erlernung des Berufes Kellner nicht unbedingt erforderlich, weil eine betriebsspezifische Ausbildung erfolgt, jedoch ist bei sonst gleichen Voraussetzungen ein gelernter Kellner einem anderen Bewerber für eine derartige Position vorzuziehen. Für die Bewältigung seiner Aufgaben ist er durch die Erlernung des Berufes Kellner, in deren Rahmen er auch gelernt hat, mit Menschen umzugehen, besser geeignet als ein Mitarbeiter, der diese Voraussetzung nicht hat. Im konkreten Fall kommt dieser Funktion deswegen besondere Bedeutung zu, weil bei der Schichteinteilung bis zu 12 verschiedene Personen aus den verschiedensten Sozialschichten von der nebenbeschäftigten Studentin bis zur Hausfrau als Mitarbeiter in Frage kommen, mit denen der Schichtführer einen entsprechenden Umgang finden muß. Weitere Bereiche, in denen die Kellnerqualifikation zum Ausdruck kommt, sind zB darin zu sehen, daß ein Kellner gewohnt ist, unter Druck zu arbeiten und auch an die gegenüber anderen Berufen stark abweichenden Arbeitszeiten gewöhnt ist. Überdies gehörte es zu den Aufgaben des Klägers, eine "körperliche Kontrolle" der angelieferten Waren durchzuführen, was entsprechende Warenkenntnisse betreffend Fleisch etc voraussetzt, die der Kläger im Rahmen seiner Ausbildung erworben hat. Insgesamt hat der Kläger sohin die von ihm im Rahmen seiner Berufsausbildung erworbenen Fähigkeiten zumindest teilweise auch in seiner Tätigkeit bei Mc D***** verwertet, wodurch auch dem Unternehmen ein Vorteil entstand. Diese teilweise Verwertung erfolgte einerseits durch eigene Tätigkeit des Klägers, andererseits auch dadurch, daß er anderen Mitarbeitern gegenüber in einer Vorgesetztenposition war und diese zu überwachen hatte, was die Kenntnis der vorzunehmenden Arbeiten erfordert, weil sonst effiziente Überwachung nicht möglich wäre.

Geht man davon aus, daß er die bei Mc D***** erworbenen 29 Beitragsmonate mit Kellnertätigkeit erworben hat, wären diese insgesamt überwiegend; wäre diese Tätigkeit allerdings nicht als Kellner-, sondern als Managementtätigkeit anzusehen, fielen diese 29 Beitragsmonate weg und der Kläger hätte nur mehr 40 Beitragsmonate als Kellner und 52 als Schlosser aufzuweisen.

Dem Kläger ist aufgrund des medizinischen Kalküls weder die Ausübung des Berufes Kellner noch jene des Berufes Schlosser weiterhin zumutbar.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, daß der Kläger in der überwiegenden Zahl der Beitragsmonate der letzten 15 Jahre (69 von 133) Tätigkeiten als Kellner ausgeübt habe, davon 29 im Bereich der Mc D*****-Organisation. In den restlichen 40 Monaten habe er zumindest Teiltätigkeiten des Beufsbildes Kellner (sowohl in eigener Arbeit als auch in vorgesetzter Position) ausgeübt, sodaß insgesamt sein Berufsschutz als Kellner nicht verlorengegangen sei. Da er diesen, aber auch den zweiten Beruf als Blechschlosser nicht mehr ausüben könne, sei er als invalid im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG anzusehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, insbesondere dessen rechtliche Beurteilung, wonach dem Kläger dessen Berufsschutz auch durch die Tätigkeit bei Mc D***** nicht verlorengegangen sei, weil er nach dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen in dieser Zeit zumindest Teiltätigkeiten dieses erlernten Berufes ausgeübt habe. Zwar gebe es aufgrund der Automatisierung bei Mc D***** den "klassischen Kellnerberuf" überhaupt nicht, er sei aber aufgrund seiner Ausbildung anderen Bewerbern gegenüber bevorzugt aufgenommen worden, habe diese von ihm erlernten Tätigkeiten bei seiner Arbeit verwerten können (etwa bei der Kontrolle von Fleisch und sonstigen angelieferten Waren) und sei auch eine fallweise Beratung von Mc D*****-Kunden nicht auszuschließen. Dem Kläger sei daher zutreffend Invalidität im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG zuerkannt worden.

In der auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten und vom Kläger beantworteten Revision, welche gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig ist, beantragt die beklagte Partei die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages Berechtigung zu.

1. Vorauszuschicken ist zunächst, daß die von beiden Parteien in ihren Rechtsmittelschriftsätzen jeweils "zur Vermeidung von Wiederholungen" erfolgten Verweisungen auf ihre im Berufungsverfahren erstatteten Schriftsätze unzulässig und damit unbeachtlich sind; nur solche Ausführungen können berücksichtigt werden, die im Rechtsmittel (oder dessen Beantwortung) selbst oder zumindest ausdrücklich gegenüber dem Rechtsmittelgericht geltend gemacht werden (SZ 23/89, 35/66); dieser Mangel ist auch nicht verbesserungsfähig (EvBl 1985/153; 10 ObS 2129/96b).

2. Wurde - wie hier - eine Invaliditätspension befristet gewährt (§ 256 ASVG), so hängt der Anspruch auf Weitergewährung davon ab, ob der Versicherte nach Ablauf der Frist, für die sie zuerkannt wurde (noch, erstmals oder wieder) invalid im Sinne des § 255 ASVG ist; dabei ist ein Vergleich mit den Verhältnissen zur Zeit der Zuerkennung der befristeten Pension nicht anzustellen (SSV-NF 6/17, 8/46 jeweils mwN). Ein - wie hier - fristgerechter Weitergewährungsantrag löst im Falle des lückenlosen Weiterbestehens von Invalidität keinen neuen Versicherungsfall der Invalidität aus und ebenso auch keinen neuen Stichtag im Sinne des § 223 Abs 2 ASVG (ausführlich SSV-NF 8/46); dieser ist daher weiterhin der 1.1.1993 (Blatt 30 des Pensionsaktes).

3. Die in der Revision - so wie von den beiden Vorinstanzen - als entscheidungswesentlich erachtete Frage, ob der Kläger Berufsschutz als Kellner auch für seine Tätigkeit als stellvertretender Restaurantleiter (in der Revision als Assistent des Restaurantleiters bezeichnet) bei Mc D***** im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG genießt, stellt sich tatsächlich nicht. Im maßgeblichen Beobachtungszeitraum vom 1.1.1978 bis 31.12.1992 hat er nämlich - selbst unter Außerachtlassung der bei dieser Selbstbedienungskette angesammelten 29 Beitragsmonate - 92 Monate (40 als Kellner + 52 als Schlosser), sohin mehr als die Hälfte (von insgesamt 133 Beitragssmonaten) in qualifizierter (nämlich erlernter iS des § 255 Abs 1 ASVG) Tätigkeit ausgeübt; darauf, ob dies auch noch auf die zusätzlichen 29 Monate bei Mc D***** zutrifft, kommt es daher nicht an. Damit kann aber auch die Frage letztlich auf sich beruhen, ob die nach den Feststellungen des Erstgerichtes bei Mc D***** ausgeübte Tätigkeit dem Berufsbild des Kellners entspricht oder nicht (siehe hiezu etwa Berufslexikon, Band I4, Lehrberufe, 182 f; Meggeneder/Pospischil, Arbeitsmedizinisches Handbuch der Berufe, 137 ff).

4. Hat ein Versicherter während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag mehrere erlernte (oder angelernte) Berufe ausgeübt, wird nach ständiger Rechtsprechung Berufsschutz auch dann erlangt, wenn die Summe der dadurch erworbenen Beitragsmonate die Zahl der Beitragsmonate, während der im Beobachtungszeitraum unqualifizierte Tätigkeiten verrichtet wurden, übersteigt (SSV-NF 8/119); wenn der Versicherte in den letzten 15 Jahren in mehreren erlernten Berufen tätig war, liegt Invalidität dann vor, wenn seine Arbeitsfähigkeit nicht nur im zuletzt ausgeübten oder überwiegend ausgeübten, sondern in jedem dieser Berufe auf weniger als die Hälfte der eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist (SSV-NF 5/65, 6/19, 8/119). Zu den Verweisungsmöglichkeiten des Klägers im Rahmen des festgestellten medizinischen Leistungskalküls liegen allerdings - beide erlernten Berufe betreffend - keine ausreichenden und verläßlichen Feststellungen vor. Die Feststellung allein, daß ihm beide Berufe "nicht zumutbar" seien, ist hiefür zu wenig aussagekräftig und bedarf entsprechender Präzisierungen. Auch wenn dem Kläger - nach seiner Unfallverletzung mit beidseitiger Unterschenkelzertrümmerung - Dauergehen und Dauerstehen über 30 Minuten und damit auch die Ausübung des "klassischen" Kellnerberufes (siehe die oben bereits zitierten Nachweise im Berufslexikon einerseits und im Arbeitsmedizinischen Handbuch andererseits) nicht mehr möglich sind, so könnte er doch etwa auf die Tätigkeit eines Küchenkassiers verwiesen werden, bei welchem es sich um eine vorwiegend sitzende Tätigkeit handelt (SSV-NF 2/128, 6/4, 7/88). Ob dies auch im Falle des Klägers möglich ist, wurde bisher nicht erörtert. Insbesondere steht nicht fest, welche Anforderungen derzeit an Küchenkassiere gestellt werden und wieviele Arbeitsplätze auf dem österreichischen Arbeitsmarkt in diesem Beruf zur Verfügung stehen.

Zum Berufskreis des Blechschlossers fehlen ebenfalls nicht nur Feststellungen zum Tätigkeitsbereich des Kägers im allgemeinen, sondern auch dem sich hieraus ergebenden und von der Revisionswerberin im einzelnen aufgezählten Verweisungsfeld im besonderen. Dies wird auch vom Kläger selbst in seiner Revisionsbeantwortung als grundsätzlich richtig zugestanden. Der Umstand allein - auf welchen sich der Revisionsgegner im weiteren bezieht -, daß ihm nach dem medizinischen Leistungskalkül die Ausübung des Berufs Schlossers nicht zumutbar wäre, enthält keine ausreichende Aussage dahingehend, ob dies für alle Tätigkeiten des Schlosserberufes schlechthin oder nur für einzelne Sparten daraus zu gelten hat (siehe hiezu erneut Berufslexikon Band I14, 33 f).

5. Da sohin - ausgehend von den den Tatsacheninstanzen unterlaufenen Fsetstellungsmängeln - für die abschließende Beurteilung wesentliche Fragen bisher ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens in diesen Punkten aufzuheben. Da es zur Gewinnung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, war die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZOP iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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