OGH 15Os107/96 (15Os108/96)

OGH15Os107/96 (15Os108/96)5.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.September 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Ebner und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Berger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Patrick S***** wegen des Verbrechens der Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne nach § 3 g VG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Jugendgerichtshof Wien vom 4.März 1996, GZ 8 Vr 53/95-60, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich mit dem Urteil gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO verkündeten Beschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Hesz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Jugendliche Patrick S***** (geboren am 23.November 1977) auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens nach § 3 g VG sowie der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB, der leichten Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er

1. am 7.September 1994 in Lilienfeld sich vorsätzlich auf eine andere als die in den §§ 3 a bis 3 f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er in Anwesenheit einer Gruppe von rund 20 Personen das Horst-Wessel-Lied "Die Fahne hoch" gesungen hat;

2. am 28.September 1995 in St.Pölten den Martin R***** durch mehrere Fußtritte und Schläge vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung (Bruch des linken Unterschenkels, Rißquetschwunde an der Stirn, Abschürfungen im Gesicht und Gehirnerschütterung) zur Folge hatte;

3. am 24.Oktober 1995 in Wien den Christian Z***** durch Schläge mit einem Holzstück gegen den Kopf vorsätzlich verletzt;

4. am 18.April 1995 in Hinterbrühl eine fremde Sache vorsätzlich zerstört oder beschädigt, indem er einen Hochstand der Jagdgesellschaft A***** und eine Waldfläche von rund 300 m2 der Österreichischen Bundesforste anzündete.

Die Geschworenen haben die an sie gerichteten anklagekonformen Hauptfragen bejaht; die den Vorwurf der schweren Verletzung des Martin R***** (Faktum 2.) betreffende Zusatz- und Eventualfrage in Richtung Notwehr, Notwehrüberschreitung und Putativnotwehr wurden von den Geschworenen verneint.

Rechtliche Beurteilung

Der inhaltlich nur Ausführungen zum Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 3 g VG (Faktum 1.) und wegen des Vergehens der leichten Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (Faktum 3.) enthaltenden, auf die Z 6, 8 und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) rügt der Beschwerdeführer die "falsche" Formulierung der dem Schuldspruch wegen Verbrechens nach § 3 g VG zugrundeliegenden Hauptfrage; die Bejahung der Frage, ob sich der Beschwerdeführer auf eine andere als die in den §§ 3 a bis 3 f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt habe, ergebe - nach seiner Auffassung - den "logischen Schluß", daß er sich nach Überzeugung der Geschworenen nur "auf eine andere Weise als es das Verbotsgesetz vorsieht betätigt habe"; hiemit hätten die Geschworenen aber (sinngemäß) eine dem Verbotsgesetz gemäße Betätigung verneint; richtigerweise hätte die Hauptfrage dahingehend lauten müssen, ob der Beschwerdeführer schuldig ist, "im Sinn des Verbotsgesetzes gehandelt zu haben".

Diese Argumentation beruht auf einer krassen Fehlinterpretation der Bestimmung des Auffangtatbestandes des § 3 g VG, derzufolge nach Art einer Generalklausel (SSt 57/40) jede nationalsozialistische Betätigung nach dieser Gesetzesstelle tatbildlich ist, die nicht bereits von den besonders signifikante Verhaltensweisen erfassenden, strengere Strafsätze enthaltenden Normen nach §§ 3 a bis 3 f VG unter Strafe gestellt wird. Die in Kritik gezogene Formulierung entspricht, wie dies im § 312 Abs 1 StPO vorgeschrieben wird, der unter Anklage gestellten Tat; die Bejahung dieser Frage läßt zwingend nur den Schluß zu, daß die Geschworenen eine "auf andere (als die in den §§ 3 a - 3 f VG bezeichnete) Weise" erfolgte nationalsozialistische Betätigung des Beschwerdeführers als erwiesen angenommen haben.

Verfehlt ist ferner die Rüge, daß in Ansehung des Schuldspruchs nach § 83 Abs 1 StGB eine Hauptfrage nach fahrlässiger Zufügung der Verletzung des Christian Z***** zu stellen gewesen wäre. Grundlage der Hauptfrage ist, wie bereits ausgeführt, die in der Anklageschrift bezeichnete Tat: Die Anklagebehörde hat dem Beschwerdeführer eine vorsätzliche Verletzung des genannten Tatopfers zur Last gelegt (ON 51).

Anhaltspunkte dafür, daß diese Verletzung möglicherweise auf ein fahrlässiges Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen wäre, sind in der Hauptverhandlung nicht zu Tage getreten. Selbst der Aussage des Angeklagten, auf die in der Beschwerde Bezug genommen wird, ist lediglich zu entnehmen, daß er (wenngleich zur Abwehr eines vermeintlich bereits im Gange befindlichen Angriffs) "das Holzstück genommen und Christian Z***** damit zwei Schläge auf den Kopf gegeben habe" (S 466). Diese und weitere (S 464, 465) Aussagen indizieren unzweifelhaft nur ein vorsätzliches Verhalten, sodaß auch unter diesem Gesichtspunkt für eine (eventuale) Fragestellung nach (bloß) fahrlässiger Körperverletzung kein Anlaß bestand, die im übrigen - der Meinung des Beschwerdeführers zuwider - nicht als Hauptfrage zu formulieren wäre, sondern als für den Fall der Verneinung der anklagegemäßen Hauptfrage zu beantwortende Eventualfrage (siehe § 314 Abs 1 letzter Fall StPO).

Die Instruktionsrüge (Z 8) wirft dem Schwurgerichtshof vor, eine Belehrung der Geschworenen dahingehend verabsäumt zu haben, daß "das Absingen des Horst-Wessel-Liedes einen unter §§ 3 a bis 3 f VG fallenden Tatbestand erfüllt"; gleichzeitig vermeint der Beschwerdeführer aber, daß den Geschworenen richtigerweise hätte eröffnet werden müssen, daß diese Tathandlung lediglich den Verwaltungsstraftatbestand nach Art IX Abs 1 Z 4 (gemeint wohl Z 7) EGVG darstelle; diese Belehrung sei nach Meinung der Beschwerde unterblieben, weil auch der Schwurgerichtshof fälschlich eine Tatbestandsverwirklichung nach §§ 3 a bis 3 f VG angenommen habe.

Abgesehen davon, daß die Rechtsbelehrung grundsätzlich nur eine generalisierende Darstellung der Rechtsfragen ohne Eingehen auf den Sachverhalt des zur Beurteilung stehenden Falles (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 345 Z 8 E 14) und keinesfalls Belehrungen zu gar nicht gestellten Fragen (noch dazu in Richtung eines Verwaltungsstraftatbestandes) zu enthalten hat, bedarf dieses Vorbringen angesichts seiner evidenten Haltlosigkeit keiner weiteren Erörterung; es genügt der Hinweis, daß die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung sämtliche Merkmale des nach der Fragestellung aktuellen Tatbestandes nach § 3 g VG in objektiver und subjektiver Hinsicht rechtsrichtig zum Ausdruck gebracht hat (Seite 3 bis 6 der Rechtsbelehrung).

Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) wendet hinsichtlich des Schuldspruchs nach § 3 g VG sinngemäß ein, das dem Beschwerdeführer angelastete Tatverhalten wäre dem Tatbestand nach "Art IX Abs 1 Z 4 EGVG" zu unterstellen gewesen (wobei sie erneut irrig davon ausgeht, daß der Schwurgerichtshof eine Tatbestandsverwirklichung nach §§ 3 a bis 3 f VG angenommen hat).

Diese Meinung ist verfehlt. Im Hinblick darauf, daß das Horst-Wessel-Lied als gleichsam "zweite Nationalhyme" des nationalsozialistischen Regimes typische Begleiterscheinung nationalsozialistischer und nationalsozialistisch gesteuerter und/oder inspirierter Veranstaltungen war und eine spezielle, verherrlichende Bezugnahme auf die SA - eine Parteiorganisation der NSDAP - enthält, kommt dem (nach dem Wahrspruch der Geschworenen mit dem Vorsatz auf nationalsozialistische Betätigung erfolgten) demonstrativen Absingen dieses Liedes in einer Gruppe von rund 20 Personen der Charakter einer typischen nationalsozialistischen Propagandaaktion zu. Die Subsumierung dieses Verhaltens unter den Tatbestand nach § 3 g VG, hinter den die subsidiäre Verwaltungsübertretung nach Art IX Abs 1 Z 7 EGVG zurückzutreten hat, ist demzufolge rechtlich zutreffend.

Kein Erfolg kann auch der den Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB (Faktum 3.) betreffenden Rechtsrüge beschieden sein. Mit dem Hinweis, daß diesbezüglich "keine Vorsatzhandlung, sondern lediglich eine Fahrlässigkeit" vorlag, orientiert sich der Beschwerdeführer nicht am Wahrspruch, womit er eine essentielle Grundvoraussetzung für die Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes verfehlt.

Soweit der insgesamt die Aufhebung des "Urteiles" (Wahrspruch und Schuldspruch) anstrebende Beschwerdeantrag auch die Schuldspruchfakten 2. und 4. umfaßt, unterläßt die Beschwerde eine Anführung des die Nichtigkeit angeblich begründenden Tatumstandes, sodaß sie insoweit einer prozeßordnungsgemäßen Ausführung entbehrt.

Der zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war demnach ein Erfolg zu versagen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten nach § 3 g VG unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB sowie unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten. Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen verschiedener Art, die Begehung einer strafbaren Handlung trotz eines anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens und eine Vorstrafe wegen "einer" auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden "Tat", hingegen als mildernd den teilweisen Beitrag zur Wahrheitsfindung, die Schadensgutmachung im Faktum Sachbeschädigung und die ungünstige häusliche Situation des Angeklagten.

Unter einem widerrief das Erstgericht gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten mit dem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 20. Dezember 1993, GZ 4 c Vr 1660/92-126, gewährte bedingte Nachsicht einer achtzehnmonatigen Freiheitsstrafe.

In seiner Berufung beantragt Patrick S***** unter Geltendmachung (vermeintlich) weiterer Milderungsgründe die Herabsetzung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe und deren gänzliche (§ 43 Abs 1 StGB) oder teilweise (§ 43 a StGB) bedingte Nachsicht.

Den Widerrufsbeschluß bekämpft er mit Beschwerde.

Keinem der beiden Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.

Indem das Geschworenengericht "die ungünstige häusliche Situation" ohnehin berücksichtigt hat, wurde den in der Berufungsschrift zur Z 1 des § 34 StGB besonders hervorgekehrten negativen Erziehungseinflüssen auf den Angeklagten durch die familiären Schwierigkeiten hinreichend Rechnung getragen. Dies umso mehr, als mehrere (objektive) Berichte der Wiener Jugendgerichtshilfe (vgl ON 15 und 16) die Situation in der Familie - vor allem auch unter Bedachtnahme auf die Rolle des heranwachsenden Jugendlichen - keineswegs so negativ darstellen wie sie der Berufungswerber aus seiner subjektiven Sicht zu zeichnen trachtet. Die Begehung der Tat "nach Vollendung des 18.[richtig: 19.], jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahres" darf im Hinblick auf die angewendete Norm des § 5 Z 4 JGG nicht zusätzlich als mildernd herangezogen werden ("Doppelverwertungsverbot").

Daß Patrick S***** das Horst-Wessel-Lied "in angeheitertem Zustand" gesungen hat, kann in dieser Form keinesfalls unter "einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand" (§ 35 StGB) subsumiert werden. Von Unbesonnenheit kann angesichts einer einschlägigen Vorverurteilung keine Rede sein.

Die Heranziehung des weiteren Milderungsgrundes nach § 34 Z 12 StGB, daß er die Tat in einem die Schuld nicht ausschließenden Rechtsirrtum (§ 9 StGB) begangen hat, widerspricht dem Wahrspruch der Geschworenen und ist zudem durch die Aktenlage nicht objektiviert. Gleiches gilt für den Hinweis auf "das Alter der problematischen Reife".

Auch das sonstige Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, das vom Geschworenengericht - unter zutreffender Heranziehung und Gewichtung der an sich vollständig aufgezählten Strafzumessungsgründe sowie unter gebotener Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) - gefundene Strafmaß zu Gunsten des Rechtsmittelwerbers zu verändern.

Angesichts dessen, daß weder die zwei bisher erlittenen Verurteilungen vom 20.Dezember 1993 und vom 7.Februar 1994 wegen verschiedener Gewalt-, Körperverletzungs- und Vermögensdelikte sowie einmal wegen § 3 g VG, noch die im Verfahren des Jugendgerichtshofes Wien zum AZ 4 c Vr 1660/92 in der Zeit vom 6.Jänner bis zum 10. Februar 1993 erlittene Untersuchungshaft, noch der seit 20. Dezember 1993 in Schwebe befindliche Vollzug einer achtzehnmonatigen Freiheitsstrafe in Verbindung mit der Unterstützung durch einen bestellten Bewährungshelfer den Angeklagten davon abzuhalten vermochten, bereits ab 7.September 1994 abermals in mehrfacher, gravierender und einschlägiger Weise (vor allem in Richtung von Aggressionsdelikten) rückfällig zu werden, bedarf es bei ihm nunmehr des gesamten Vollzuges der ausgesprochenen Freiheitsstrafe, um ihn künftighin von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Aus der Sicht aller die Person des Berufungswerbers betreffenden Umstände und des Grades seiner Schuld kann dieses Ziel durch eine teilweise oder gar durch die gänzliche Nachsicht der Sanktion nicht mehr erreicht werden (§§ 43 Abs 1, 43 a StGB). Daran ändert auch die vom Verteidiger im Gerichtstag ins Treffen geführte Möglichkeit des Berufungswerbers nichts, eine Maturaschule zu besuchen und eine Kellnerlehre zu beginnen.

Aus denselben Erwägungen bedarf es bei dem offenkundig haltschwachen Angeklagten, der das (auch für einen durchschnittlichen Jugendlichen übersteigerte) Aggres- sionspotential bisher nicht unter Kontrolle zu halten vermochte, zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung des Widerrufs der ihm im Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 20. Dezember 1993, GZ 4 c Vr 1660/92-126, gewährten bedingten Nachsicht einer achtzehnmonatigen Freiheitsstrafe (§ 53 StGB, § 494 a Abs 1 Z 4 StPO).

Sonach war insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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