European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:E43567
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.667.98 (darin enthalten S 777,95 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 18.12.1993 ereignete sich auf der B 1* bei km 47,6 in U* ein Verkehrsunfall, an dem ein von Albin P* gelenkter LKW der klagenden Partei und ein vom Erstbeklagten gelenkter, von der zweitbeklagten Partei gehaltener und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherter LKW beteiligt waren.
Die klagende Partei begehrt den Ersatz ihrer unfallskausalen Schäden in der Höhe von S 196.098,60s.A. mit der Begründung, P* habe mit dem von ihm gelenkten LKW beanbsichtigt, den langsam vor ihm fahrenden und rechtsblinkenden LKW der zweitbeklagten Partei zu überholen. Nachdem er mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug bereits vollständig die Fahrbahn gewechselt habe und im Begriff gewesen sei, das Fahrzeug der zweitbeklagten Partei zu überholen, habe der Erstbeklagten ohne Betätigung des linken Blinkers den LKW plötzlich nach links gelenkt, wodurch es zur Kollision zwischen den Fahrzeuge gekommen sei.
Die beklagten Parteien wendeten dagegen im wesentlichen ein, der Erstbeklagte habe in einen rechts der Straße gelegenen Parkplatz einbiegen wollen und zeitgerecht den rechten Blinker gesetzt. Der Lenker des Klagsfahrzeuges habe den langsamer werdenden LKW der zweitbeklagten Partei übersehen, auf der schneebedeckten Fahrbahn nicht mehr ausreichend abbremsen können und sei mit dem rechten vorderen Eck des LKWs auf des linke hintere Eck des Beklagtenfahrzeuges aufgefahren.
Kompensando wurden die von der Leasinggeberin den beklagten Parteien abgetretenen Reparaturkosten für die unfallskausalen Schäden sowie Verdienstentgang in der Höhe von insgesamt S 87.956,98 der Klagsforderung gegenüber eingewendet.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung im geltend gemachten Betrag als zu Recht, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab daher der Klage im vollen Umfang statt.
Es ging von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus:
Im Unfallbereich verläuft die B 1* als Gerade von Süden nach Norden, die Fahrbahnbreite beträgt 6,25 m, in Fahrtrichtung der unfallsbeteiligten Fahrzeuge weist die Fahrbahn ein Gefälle von 0,3% auf. Am in Fahrtrichtung Norden gesehen rechten Fahrbahnrand befindet sich bei km 47,6 eine Schotterfläche, die als Parkplatz dient. Diese Schotterfläche ist durch einen Gehsteig von der Fahrbahn getrennt. Zum Unfallszeitpunkt herrschte Tageslicht, die Fahrbahn war schneebedeckt und mit Kies (Splitt) gestreut.
Albin P* fuhr mit dem klägerischen LKW mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 bis 60 km/h talauswärts, vor ihm fuhr der Erstbeklagte mit dem Fahrzeug der zweitbeklagten Partei. Der Erstbeklagte beabsichtigte, zum Parkplatz zuzufahren, um in einem Gasthaus zum Mittagessen einzukehren. Er hatte aus diesem Grunde in Annäherung an den Parkplatz bereits kontinuierlich seine Geschwindigkeit verringert und etwa 100 m vor dem Parkplatz den rechten Blinker gesetzt, um seine Abbiegeabsicht anzuzeigen. Albin P* wollte mit dem von ihm gelenkten LKW das vor ihm fahrende Fahrzeug überholen und wechselte zu einem Zeitpunkt, als der Erstbeklagte bereits den rechten Blinker gesetzte hatte, auf den in seiner Fahrtrichtung links gesehenen Fahrstreifen. Das Überholmanöver wurde von ihm angezeigt.
Als der Erstbeklagte die Höhe des Parkplatzes erreichte, bog er nach rechts ab. Vor dem Abbiegen blickte er noch in den rechten Außenspiegel, konzentrierte sich jedoch vor allem auf die vor ihm liegende Straße, sodaß er aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit den bereits in eindeutiger Überholposition vollständig auf der in Fahrtrichtung gesehen linken Fahrbahnhälte fahrenden LKW der klagenden Partei im rechten Außenspiegel nicht wahrnahm. Während des Rechtsabbiegens schwenkte der LKW der zweitbeklagten Partei mit dem hinteren Teil derart aus, daß er zumindest geringfügig über die Fahrbahnmitte ragte. Als Albin P* das Ausschwenken bemerkte, konnte er durch ein entsprechendes Bremsmanöver eine Kollision nicht mehr vermeiden, sodaß das rechte vordere Eck des klägerischen Fahrzeuges mit dem linken hinteren Eck des Beklagtenfahrzeuges mit einer Überdeckung von etwa 20 bis 25 cm kollidierte.
Am Fahrzeug der klagenden Partei entstand ein unfallskausaler Schaden in der Höhe des Klagsbetrages; die Reparaturkosten am Fahrzeug der zweitbeklagten Partei betrugen S 81.956,08, dazu entstand ein Verdienstentgang von S 1.200,‑‑.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß der Erstbeklagten zwar sein Rechtsabbiegemanöver rechtzeitig angezeigt habe, jedoch aufgrund der Beschaffenheit seines Fahrzeuges verpflichtet gewesen wäre, sich noch unmittelbar vor Einleitung des Abbiegemanövers im rechten Außenspiegel davon zu überzeugen, daß das Abbiegemanöver tatsächlich ohne Gefährdung des Nachfolgeverkehrs möglich sei. Ihn treffe daher das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls.
Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der beklagten Parteien teilweise Folge.
Es sprach aus, daß die Klagsforderung mit einem Betrag von S 49.024,65 zu Recht und die eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung ebenfalls zu Recht bestünden und wies daher das Klagebegehren zur Gänze ab.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht, daß den Erstbeklagten jedenfalls ein Verschulden am Zustandkommen des Unfalles treffe. Der Erstbeklagte habe es vor Durchführung des Rechtsabbiegemanövers unterlassen, sich entsprechend davon zu überzeugen, daß dieses Manövers ohne Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs durchgeführt werden könne. Dazu sei er jedenfalls verpflichtet gewesen, weil ihm bekannt gewesen sei, bzw. sein mußte, daß beim Rechtsabbiegen je nach gefahrenem Kurvenradius das Heck des von ihm gelenkten LKWs mehr oder weniger ausschwenkt.
Das Berufungsgericht lastete aber auch dem Lenker des klägerischen Fahrzeuges ein Mitverschulden an. Er hätte aufgrund der vorliegenden Fahrbahnbreite von 6,25 m und der Summenbreite der beteiligten Fahrzeuge von 5,0 m, sowie aufgrund der eingehaltenen Geschwindigkeit und auch des Fahrbahnzustandes (schneebedeckte Straßenoberfläche) nicht überholen dürfen. Das Verschulden des Lenkers des Klagsfahrzeuges wiege schwerer als das des Erstbeklagten. Es erachtete daher eine Verschuldensteilung von 3:1 zu Lasten der klagenden Partei für angemessen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob der Schutzzweck des § 11 Abs 1 StVO auch den nachfolgenden links überholenden Straßenbenützer umfasse, der durch ein Ausschwenken des Hecks beim Rechtsabbiegen gefährdet oder behindert werden könnte bzw. ob ein Rechtsabbieger darauf vertrauen dürfe, daß er nicht unter Verletzung der Bestimmungen der §§ 15 Abs 4 oder 16 Abs 1 lit a StVO links überholt werde und daher nicht mehr verpflichtet sei, in den linken Außenspiegel zu schauen, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Die klagende Partei bekämpft dieses Urteil mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die beklagten Parteien beantragen mit ihrer Revision die Abänderung des angefochtenen Urteils dahingehend, daß die Klagebegehren zur Gänze als nicht zu Recht bestehend erkannt werde.
Die klagende Partei beantragt, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben, die beklagten Parteien überdies, die Revision der klagenden Partei als unzulässig zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der klagenden Partei ist nicht zulässig, weil eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht geltend gemacht wird.
Nach § 15 Abs 4 StVO ist beim Überholen ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird einzuhalten. Gem § 16 Abs 1 lit a darf ein Lenker mangels ausreichenden Platzes für ein gefahrloses Überholen nicht überholen.
Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß die Beantwortung der Frage, welcher seitlicher Abstand als "entsprechend" im Sinne des § 15 Abs 4 leg cit anzusehen ist, von der jeweiligen Verkehrssituation im Einzelfall abhängt und unter Bedachtnahme auf die Fahrgeschwindigkeit und Art des überholten Fahrzeuges zu beurteilen ist (ZVR 1969/312; 1970/148) Diese Vorschrift dient auch dazu, bei Überholvorgängen die Gefahr von Kollisionen infolge geringfügiger Richtungsänderungen des überholten Fahrzeuges auszuschließen (ZVR 1979/175). Ob der Lenker des Klagsfahrzeuges unter den gegebenen Verkehrs- und Straßenverhältnissen überholen durfte, betrifft daher nur eine Frage des Einzelfalles. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung wird aber nicht aufgezeigt.
Die Revision der klagenden Partei war daher bereits mangels der Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen ( §§ 508a Abs 2, 510 Abs 3 ZPO).
Da die Beklagten auf die Unzulässigkeit der Revision verwiesen haben, waren ihnen auch die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.
Die Revision der beklagten Parteien ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
Nach § 11 Abs 1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.
Der Oberste Gerichtshof hat zum Schutzzweck einer Norm im allgemeinen wiederholt ausgesprochen, daß das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren ist, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde,den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhülten wollte (zuletzt ZVR 1995/83).
Der Rechtsmeinung der Vorinstanzen ist beizupflichten, daß die Bestimmung des § 11 Abs 1 StVO der Verhinderung aller aus einer unzulässigen Änderung der Fahrtrichtung bzw aus einem unzulässigen Wechsel des Fahrstreifens drohender Gefahren dient, also auch solcher die sich aus einem (bauartbedingten) Ausschwenken des Hecks eines die Fahrtrichtung ändernden Fahrzeuges ergeben. Mußte ein Fahrzeuglenker wissen, daß sein Fahrzeug bei einer Änderung der Fahrtrichtung mit dem Heck bis auf die Gegenfahrbahn ausschwenkt, darf er sein Abbiegemanöver nur dann durchführen, wenn er sich vergewissert hat, daß er durch das Ausschwenken kein anderes Fahrzeug gefährdet oder behindert. Dies gilt nicht nur für den Gegenverkehr, sondern auch für den den Abbieger überholenden Nachfolgeverkehr, weil auch dieser durch das Ausschwenken des Hecks in unzulässiger Weise gefährdet wird. Die Verpflichtung, sich von der Gefahrlosigkeit des beabsichtigten Abbiegemanövers zu vergewissern, besteht unabhängig davon, ob sich die bei Bedachtnahme auf alle gegebene Möglichkeiten in Betracht kommenden Verkehrsteilnehmer ihrerseits richtig verhalten (ZVR 1979/172; 1978/6). Da der Erstbeklagte auch mit einem zulässigen Überholmanöver etwa durch einen PKW rechnen mußte, ist ihm die Unterlassung der Beobachtung des nachfolgenden Verkehrs tatsächlich als Verschulden anzurechnen.
Die von Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung begegnet keinen Bedenken.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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