OGH 8ObS3/96

OGH8ObS3/9611.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Walter Darmstädter und Dr.Heinz Paul als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Denis K*****, vertreten durch Dr.Bernhard Waldhof und Dr.Thomas Praxmarer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Bundessozialamt T*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld (S 18.418,76 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31.Oktober 1995, GZ 25 Rs 4/95i-13, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 27.Juni 1995, GZ 47 Cgs 100/95z-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil lautet:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 18.418,76 Insolvenz-Ausfallgeld binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 12,75 % Zinsen aus S 18.418,76 ab 8.2.1995 zu bezahlen, wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.615,04 (einschließlich S 2.436,24 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber (dem späteren Gemeinschuldner) Anspruch auf rückständigen Lohn, Überstunden, anteilige Sonderzahlungen und Urlaubsabfindung für die Zeit Oktober 1993 bis 22.November 1993 in dem der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von S 18.418,76 (ON 5 S 2).

Mit Schreiben vom 3.2.1994 forderte der Kläger seinen ehemaligen Arbeitgeber erstmals zur Zahlung auf.

Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 8.2.1994 wurde zu S 14/94 das über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers am 22.11.1993 eröffnete Ausgleichsverfahren gemäß § 67 AO eingestellt und der Anschlußkonkurs eröffnet, wovon der Kläger sowie seine Rechtsvertreter zunächst keine Kenntnis erlangten.

Nach mehrfacher ergebnisloser Aufforderung an seinen ehemaligen Arbeitgeber, die noch offene Forderung zu bezahlen, brachte der Kläger am 12.8.1994 eine Klage auf Bezahlung eines Bruttobetrages von S 21.558,50 ein. Am 26.8.1994 erließ das Erstgericht gegen den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers einen Zahlungsbefehl laut Klage. Nach einem Postfehlbericht über die versuchte Zustellung an der ursprünglichen Adresse und neuerlicher Zustellung an der neuen Adresse wurde am 11.10.1994 die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehles angemerkt (48 Cga 187/94g des Erstgerichtes). Am 31.10.1994 stellte der Kläger einen Antrag auf Fahrnisexekution, die am 20.1.1995 vollzogen wurde (23 E 5618/94 des BG Innsbruck).

Mit Schreiben vom 6.2.1995 teilte der Masseverwalter im Konkurs des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers dessen Rechtsvertreter mit, daß sich der Dienstgeber des Klägers in Konkurs befunden habe und der Konkurs mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.10.1994 rechtskräftig aufgehoben worden sei. Der Kläger nahm das Anbot auf Befriedigung seiner Forderung in Höhe der 20 %igen Zwangsausgleichsquote an und erhielt vorerst als erste Rate eine 5 %ige Quote in Höhe von S 1.077,94 überwiesen.

Unmittelbar danach, nämlich am 9.2.1995, brachte der Kläger einen Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld im Betrag von S 18.418,76 zuzüglich Zinsen und Kosten ein.

Mit Bescheid des beklagten Bundessozialamts vom 11.4.1995 wurde dieser Antrag abgelehnt, weil die viermonatige Frist zur Antragstellung nach der am 9.2.1994 erfolgten Konkurseröffnung am 9.6.1994 abgelaufen sei. Ausreichend berücksichtigungswürdige Gründe im Sinn des § 6 Abs 1 IESG lägen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 16.5.1995 rechtzeitig überreichte Klage mit dem Begehren, dem Kläger S 18.418,76 samt 12,75 % Zinsen seit 8.2.1995 zu bezahlen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens aus den in ihrem Bescheid genannten Gründen und brachte weiters vor, daß ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld auch deshalb nicht bestehe, weil die Ansprüche des Klägers im Anschlußkonkurs nicht angemeldet worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof mangels Vorliegens von höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage der Folgen einer versäumten Ameldung der Ansprüche des Arbeitnehmers im Konkurs zu. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, daß § 1 Abs 5 IESG in die Regelungen über die materiellen Voraussetzungen eines gesicherten Anspruches falle. Erst nach der nachfolgenden Regelung über die Zuständigkeit folgten in § 6 IESG die Bestimmungen über den Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld. Die Härteklausel dieser Bestimmung beziehe sich daher nach der Systematik des Gesetzes ebenso wie nach ihrem Wortlaut nur auf die Versäumung der Frist zum Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld, nicht aber auf die Versäumung der Anmeldung des Anspruches im Konkursverfahren nach § 1 Abs 5 IESG. Die Nichtanmeldung des Anspruches im Konkurs schade nur dann nicht, wenn der Konkurs noch vor Ablauf der Anmeldungsfrist gemäß § 166 Abs 2 KO aufgehoben werde, weil in einem solchen Fall der Arbeitnehmer so zu behandeln sei, als ob der Konkurseröffnungsantrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden wäre.

Das Fehlen einer der Härteklausel des § 6 Abs 1 IESG analogen Regelung für das Unterlassen einer Anmeldung des Anspruches des Arbeitnehmers im inzwischen aufgehobenen Konkurs bilde keine "echte" Gesetzeslücke, da eine solche nur dann vorliege, wenn sich eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung ohne Ergänzung als gar nicht anwendbar erwiese. Dies treffe aber nicht zu. Es erhebe sich also für die Zulässigkeit einer analogen Lückenschließung nach § 7 ABGB die Frage, ob die als fehlend empfundene Bestimmung nur ein rechtspolitischer Wunsch oder eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes sei. Nur im letzteren Fall wäre eine Lückenschließung durch Analogie zulässig. Gerade die Härteklauselregelung des § 6 Abs 1 IESG zeige, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Versäumung erforderlicher Anmeldungen zur Wahrung des Anspruches bedacht, dennoch aber nur für den Fall der Versäumung der Frist des § 6 Abs 1 IESG eine entsprechende Regelung erlassen habe. Das Fehlen einer Härteklausel oder einer ähnlichen Regelung im Hinblick auf ein Versäumnis des Erfordernisses nach § 1 Abs 5 IESG sei bloß als rechtspolitische Lücke zu werten, die nur der Gesetzgeber schließen könne, wenn er dies rechtspolitisch wolle.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise stellt er wegen sekundärer Verfahrensmängel einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist in der Hauptsache berechtigt.

Zurecht wendet sich der Kläger gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß die Härteklausel des § 6 Abs 1 IESG nicht angewendet werden könne, wenn der Arbeitnehmer auch die Frist zur Anmeldung seiner Ansprüche im Insolvenzverfahren versäumt habe.

Es ist zwar zutreffend, daß gemäß § 1 Abs 5 IESG ein Anspruch auf Auszahlung von Insolvenz-Ausfallgeld für eine an sich gesicherte Forderung nur besteht, wenn diese im Falle der Möglichkeit der Anmeldung im Insolvenzverfahren auch angemeldet worden ist. Zweck dieser Regelung ist es, einerseits die Gleichbehandlung der Arbeitnehmerforderung aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht durch das Konkursgericht und das Bundessozialamt zu gewährleisten, und andererseits letzteres von der Prüfung der Berechtigung des geltend gemachten Anspruches aus arbeits- und insolvenzrechtlicher Sicht zu entlasten, nicht aber einen "absoluten Ausschlußtatbestand" bei Versäumung der Anmeldung im Insolvenzverfahren zu statuieren, worauf die Argumentation der Vorinstanzen hinausläuft.

Der Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld war gemäß § 6 Abs 1 IESG im hier maßgeblichen Zeitraum bei sonstigem Ausschluß binnen vier Monaten (nunmehr sechs Monaten) ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen; die Frist beginnt neuerlich zu laufen, wenn, wie hier, ein Anschlußkonkurs eröffnet wird. Ist der Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld nach Ablauf der Frist gestellt worden, so sind von Amts wegen die Rechtsfolgen der Fristversäumung bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen nachzusehen (lediglich dann, wenn seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mehr als drei Jahre verstrichen sind, ist eine solche Nachsicht nicht mehr möglich). Aus dem nachfolgenden Gesetzestext ergibt sich deutlich, daß der Gesetzgeber auch die Versäumung der Frist für die Anmeldung im Insolvenzverfahren im Auge gehabt haben muß, und auch diese Versäumung in bestimmten Fällen "nachsehen" wollte, nennt er doch als ein Beispiel für einen berücksichtigungswürdigen Grund für eine Nachsicht von der Frist zur Anmeldung beim Bundessozialamt den Umstand, daß dem Arbeitnehmer billigerweise die Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zugemutet werden konnte.

Der Gesetzgeber hat aber offensichtlich versehentlich die Bestimmung über die Nachsicht zu eng gefaßt, weil sich diese nach ihrem Wortlaut nur auf die Versäumung der Frist zur Antragstellung auf Insolvenz-Ausfallgeld bezieht, und nicht regelt, wie vorzugehen ist, wenn der Arbeitnehmer aus entschuldbaren Gründen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts wußte und daher weder seine Forderung dort angemeldet noch rechtzeitig einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld gestellt hat.

Würde die Unterlassung der Anmeldung im Insolvenzverfahren trotz Vorliegen berücksichtigungs- würdiger Gründe nicht nachgesehen werden können, so verlöre die Härteklausel des § 6 Abs 1 IESG in ungerechtfertigter Weise einen wichtigen Teil ihres Anwendungsgebietes. Der Arbeitnehmer kann nämlich die Anmeldung im Insolvenzverfahren keinesfalls mehr nachholen, wenn dieses bereits rechtskräftig aufgehoben worden ist. Es ist dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen, daß er Arbeitnehmer, die von einem ausnahmsweise nur kurz - aber doch länger als die Anmeldungsfrist beim Bundessozialamt

Im vorliegenden Fall liegen besonders berücksichtigungswürdige Gründe für die Nachsicht sowohl der Versäumung der Anmeldung im Insolvenzverfahren als auch der Frist zur Anmeldung beim Bundessozialamt vor: Der Kläger hat seine Forderung vorerst durch Mahnungen und sodann durch eine Klage gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber emsig betrieben, ohne etwas von dem Konkursverfahren, welches über diesen zwischenzeitig eröffnet worden war, zu erfahren. Er erwirkte durch einen Fehler des Gerichtes, welches von der Eröffnung des Konkursverfahrens offenbar ebenfalls keine Kenntnis hatte, einen rechtskräftigen Titel gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber und führte gegen diesen Fahrnisexekution. Erst nachdem das Konkursverfahren bereits in Folge eines Zwangsausgleichs aufgehoben war, erlangte der Kläger durch den ehemaligen Masseverwalter hievon erstmals Kenntnis und stellte nunmehr umgehend - allerdings nach Ablauf der Antragsfrist nach § 6 Abs 1 IESG - den Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld, wobei er naturgemäß nicht mehr die Anmeldung im Konkursverfahren nachholen konnte. Dem Kläger konnte unter diesen Umständen, insbesondere durch die rechtswidrige Nichtbeachtung der Postsperre und die rechtswidrige Nichtbeachtung des Konkurses durch das Titel- und Exekutionsgericht, die Kenntnis von der Eröffnung des Konkursverfahrens nicht zugemutet werden. Er kann nicht darauf verwiesen werden, daß er von der Konkurseröffnung durch die öffentliche Bekanntmachung hätte Kenntnis haben müssen. Gegner eines Gemeinschuldners können vielmehr damit rechnen, daß die Folgen der Konkurseröffnung von der Post und den Gerichten beachtet werden, sodaß hier der Kläger nicht seinerseits trotz der unverdächtigen Umstände Nachforschungen über eine allenfalls erfolgte Konkurseröffnung anstellen mußte.

Dem Klagebegehren ist daher in der Hauptsache stattzugeben.

Hinsichtlich des Zinsenbegehrens hat es jedoch bei dessen Abweisung zu bleiben. Zwar ist gemäß § 3 Abs 2 Z 2 IESG der Zeitraum, für den Insolvenz-Ausfallgeld für Zinsen zuerkannt wird, gegenüber den konkursrechtlichen Bestimmungen (§ 58 Z 1 KO) erweitert. Er bemißt sich von der jeweiligen Fälligkeit der gesicherten Ansprüche bis zum Ablauf der Frist zur Antragstellung auf Insolvenz-Ausfallgeld. Da sogar dann, wenn ein Arbeitnehmer rechtzeitig einen Antrag stellt, die Zahlung aber erst nach Ablauf der Antragsfrist erfolgt, gegen den Fonds für die Zwischenzeit keine Verzugszinsenansprüche geltend gemacht werden können, weil das IESG den Problemkreis "Zinsen" abschließend regelt und eine analoge Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Verzugszinsenregelung des § 1333 ABGB im öffentlich-rechtlichen Bereich des IESG nicht möglich ist (OGH DRdA 1993, 247; Schwarz/Reissner/Holzer/Holler, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz [1993] 182 f), der Kläger aber erst Zinsen für einen späteren Zeitpunkt, nämlich ab seiner Antragstellung auf Insolvenz-Ausfallgeld begehrt, stehen ihm keinerlei Verzugszinsen zu, sodaß auch eine Auseinandersetzung mit der Höhe des Zinsenbegehrens entbehrlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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