OGH 13Os90/96

OGH13Os90/963.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Markel, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Fostel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 12.Dezember 1994, GZ 15 E Vr 512/94-29, sowie den Vorgang, daß die Hauptverhandlungen vom 12.Dezember 1994 und vom 20.März 1995 (teils) ohne Beisein von Verteidigern durchgeführt wurden, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Zehetner, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 15 E Vr 512/94 des Landesgerichtes Wels wurde durch die Durchführung der Hauptverhandlung und die anschließende Urteilsfällung am 12.Dezember 1994 gegen Reinhard H***** sowie am 20. März 1995 gegen Sabine S*****, ohne daß diese Beschuldigten durch einen Verteidiger vertreten waren, das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO verletzt.

Gemäß § 292 StPO wird das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 12. Dezember 1994, GZ 15 E Vr 512/94-29, in dem Schuld-, Straf- und Kostenausspruch hinsichtlich Reinhard H***** aufgehoben und dem Landesgericht Wels aufgetragen, im Umfang der Aufhebung dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Hinsichtlich Sabine S***** wird die Gesetzesverletzung festgestellt.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Martin Josef G***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Generalprokurator erachtet in seiner gemäß § 33 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde in der im Spruch bezeichneten Strafsache des Landesgerichtes Wels § 41 Abs 1 Z 2 StPO nicht nur hinsichtlich Sabine S***** und Reinhard H***** sondern auch bezüglich Roman H*****, Tomislav B*****, Bernd Walter Sch***** und Martin Josef G***** verletzt. In der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter war nämlich keiner der genannten Beschuldigten durch einen Verteidiger vertreten, obwohl die im Strafantrag (unter anderem) bezeichnete Tat des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB mit einer drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.

Zeitpunkt dieser Straftat war der 28.11.1993. Es lag daher diesbezüglich eine Jugendstraftat (§ 1 Z 3 JGG) hinsichtlich der Angeklagten Roman H***** (geboren 1.März 1975), Tomislav B***** (geboren 18.Juni 1975), Bernd Walter Sch***** (geboren 30.März 1975) und Martin Josef G***** (geboren 26.August 1975) nicht aber bezüglich Sabine S***** (geboren 17.Jänner 1974) und Reinhard H***** (geboren 9. September 1974) vor.

Für die beiden letztgenannten Beschuldigten bestand daher nach § 41 Abs 1 Z 2 StPO Verteidigerzwang für die Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter, die Mißachtung dieser Bestimmung zog Nichtigkeit des Urteils gemäß §§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 1 a StPO nach sich.

Während diese Gesetzesverletzung (und Urteilsfällung) infolge unangefochten gebliebenen Freispruchs der Sabine S***** dieser nicht zum Nachteil gereicht und daher bloß festzustellen war, war die Verurteilung des Reinhard H***** - als ihm zum Nachteil gereichend - gemäß § 292 StPO aufzuheben und dem Erstgericht die diesbezügliche neue Verhandlung und Urteilsfällung aufzutragen.

Bezüglich Roman H*****, Tomislav B*****, Bernd Walter Sch***** und Martin Josef G***** lag jedoch keine Verletzung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO (§ 39 JGG war nicht verfahrensrelevant) vor.

Nach dieser Bestimmung bedarf der Beschuldigte dann eines Verteidigers in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter, wenn (von bestimmten Ausnahmen abgesehen) für die Tat eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Diesfalls war sohin die Strafdrohung für das als Jugendstraftat begangene Verbrechen nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB entscheidend.

Da die durch § 5 Z 2 bis 4 JGG auf Freiheitsstrafe lautenden geänderten Strafdrohungen des allgemeinen Strafrechts (Foregger-Serini StGB [MKK]5 § 5 JGG Erl II) nur bei Anwendung der in Z 7 genannten materiellrechtlichen Bestimmungen außer Betracht bleiben, in allen anderen Fällen aber von den geänderten Strafdrohungen auszugehen ist, was auch für jene prozessuale Bestimmungen gilt, die auf die Höhe der Strafdrohung abstellen - ausgenommen die Zuständigkeit (aaO Erl III) - ergibt sich:

Die Notwendigkeit der Verteidigung eines (nunmehr) Erwachsenen wegen einer seinerzeit begangenen Jugendstraftat in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter (§ 41 Abs 1 Z 2 StPO) richtet sich nach der durch § 5 Z 4 JGG geänderten (reduzierten) Strafdrohung.

Damit ist aber auch kein Wertungswiderspruch verbunden: Während nämlich ein Jugendlicher von vornherein den besonderen Schutz des Gesetzes genießt und ihm deshalb im gesamten Verfahren vor den Gerichtshöfen ein Verteidiger zur Seite zu stehen hat (§ 39 JGG) braucht ein erwachsener Täter bei einer drei Jahre nicht übersteigenden Strafdrohung in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter keinesfalls einen Verteidiger. Dem wegen einer Jugendstraftat verfolgten Erwachsenen wegen schwerer Nötigung nach §§ 105, 106 StGB droht aber zufolge der auf die Hälfte der Obergrenze reduzierten Strafdrohung des allgemeinen Strafrechtes, keine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe, weshalb seine Verteidigung auch nicht notwendig ist.

Soweit daher im vorliegenden Fall gegen die erwachsenen Angeklagten wegen der von ihnen noch als Jugendliche begangenen schweren Nötigung verhandelt und das Urteil gefällt wurde, bestand daher kein Gebot nach § 41 Abs 1 Z 2 StPO einen Verteidiger zu bestellen.

Nur am Rande sei erwähnt, weil nicht Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde, daß die Ansicht im verfahrensgegenständlichen Urteil (S 24), § 5 JGG sei nicht anzuwenden, weil nach der, die Strafdrohung begründenden schweren Nötigung, die betreffenden Beschuldigten (Roman H***** und H*****) als Erwachsene noch das Vergehen nach § 125 StGB begangen hätten, irrig ist (siehe Leukauf/Steininger Strafrechtliche Nebengesetze2 zu § 11 JGG aF Anm F und nachfolgende Rechtsprechung; ÖJZ-LSK 1978/50).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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