OGH 13Os82/96

OGH13Os82/963.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Markel, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Fostel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef T***** wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 7. Februar 1996, GZ 29 Vr 1836/95-27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Zehetner, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Stöger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung des Angeklagten wird nicht, jener der Staatsanwaltschaft wird hingegen dahin Folge gegeben, daß die Anwendung des § 43 Abs 1 StGB zu entfallen und in Anwendung des § 43 a Abs 1 StGB ein Teil der Geldstrafe und zwar im Ausmaß von 240 Tagessätzen, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef Alois T***** des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er vom 1.April 1993 bis 20.Februar 1995 als Bürgermeister der Gemeinde Axams mit dem Vorsatz, das Land Tirol in seinem konkreten Recht auf Kollaudierung neu gebauter Häuser zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Landes Tirol als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbraucht hat, daß er die Benützung der noch nicht fertiggestellten und nicht kollaudierten Hofstelle des Rudolf N***** in Axams, Gruben Nr 6, duldete.

Hingegen wurde Josef Alois T***** von der weiter wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 1.November 1994 in Axams durch die im Schuldspruch genannte Handlung bzw Unterlassung fahrlässig unter besonders gefährlichen Verhältnissen den Tod der Verena S***** herbeigeführt, welche wegen eines fehlenden Balkones aus dem ersten Stock des genannten Hauses stürzte und dabei tödliche Kopfverletzungen erlitt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 9 lit b und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; den Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gegründeten Nichtigkeitsbeschwerde.

Beiden Nichtigkeitsbeschwerden kommt Berechtigung nicht zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Als Verfahrensmangel (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrages auf Vernehmung der Zeugen Dr.Hermann A*****, Hofrat Dr.Karl S*****, Dr.Alois B***** und Univ.-Prof.DDr.Hans K*****.

Nach dem zur Beurteilung allein maßgeblichen Antrag in erster Instanz sollte durch die Vernehmung von Dr.Hermann A*****, Hofrat Dr.Karl S***** und Univ.-Prof. DDr.Hans K***** bewiesen werden, daß die Baubehörde vor Erteilung einer Benützungsbewilligung rechtlich nicht in der Lage gewesen sei, bescheidmäßige Aufträge zur Durchführung von Einzelmaßnahmen im Sinn der Fertigstellung des Bauwerkes zu erteilen, weil hiefür eine Rechtsgrundlage fehle. Ferner sollte bewiesen werden, daß der Angeklagte vor seiner Wahl zum Bürgermeister als Gemeindesekretär keine Berechtigung gehabt hätte, irgendwelche Bescheide zu erlassen. Schließlich sollten diese Zeugen die Rechtsauffassung des Angeklagten bestätigen, daß ein Räumungsbescheid im Rechtsmittelverfahren keine Aussicht auf Bestätigung gehabt hätte.

Dr.Alois Bartl und Univ.-Prof.DDr.Hans K***** wurden auch zum Beweis dafür geführt, daß die Bundes- und (hier:) Landesgesetzgebung den Gemeinden immer mehr Aufgaben aufbürde, ohne für ausreichende organisatorische und finanzielle Mittel zu sorgen.

Alle beantragten Zeugen sollten schließlich bestätigen, daß eine konkrete Rechtsdurchsetzung in Form eines Räumungsbescheides aus sozialpolitischen Gründen unmöglich gewesen sei.

Alle Beweisthemen zielen sohin nicht auf die Klärung von Tatfragen; Rechtsfragen aber entziehen sich einer Beweisaufnahme (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 4 ENr 27 a).

Das Schöffengericht hat daher zutreffend die Beweisaufnahme abgelehnt (S 325).

In seiner auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b und 10 StPO gestützten Beschwerde macht Josef Alois T***** geltend, daß die Errichtung des bewilligten Balkons einen Unglücksfall weniger hätte verhindern können, als die vom Eigentümer des Hauses abgenommene Türklinke. Da für die Räumung des Hauses mit einem langen Verfahren zu rechnen gewesen wäre, habe es der Angeklagte ohne den Anspruch des Landes Tirol auf Durchsetzung von Schutzmaßnahmen zu schädigen, bei der Abnahme der Türklinke belassen. Außer einem anfechtbaren Räumungsbescheid (den er aber von vornherein nicht erlassen habe) sei ihm nach der Tiroler Bauordnung keine weitere Handhabe zur Verfügung gestanden. Der Angeklagte habe sich auch nicht damit abgefunden, daß durch sein Untätigbleiben seit der Bauverhandlung vom 1.April 1993 das Land Tirol in seinem in der Bauordnung festgeschriebenen Interesse, bauliche Anlagen nur auf Grund einer Benützungsbewilligung benützen zu lassen, geschädigt wurde; vielmehr habe der Angeklagte dargelegt, aus welchen beachtlichen Gründen die Mehrzahl der Bauwerber ihre Bauwerke vor Erteilung einer Benützungsbewilligung beziehen, daß die Gemeinde von sich aus - was in der Tiroler Bauordnung überhaupt nicht vorgesehen sei - Kollaudierungsverhandlungen anberaume und daß keine reale Möglichkeit bestehe, Bauherren an der Benützung ihrer noch nicht kollaudierten Häuser zu hindern.

Als Subsumtionsrüge (Z 10) ist die Beschwerde nicht gesetzmäßig ausgeführt, da sie es unterläßt, jenes andere Strafgesetz anzugeben, das auf die Tat hätte angewendet werden sollen (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 10 ENr 5).

Soweit die Beschwerde als Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zu werten ist, ist ihr zu erwidern:

Das durch § 302 StGB geschützte Rechtsgut ist die Ordnungsgemäßheit und Sauberkeit der gesamten hoheitlichen Verwaltung und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität und in die Integrität der Beamten bei ihrer Amtsführung (Leukauf-Steininger Komm3 RN 2 zu § 302).

Unter der Schädigung eines geschützten konkreten öffentlichen Rechtes ist auch die Vereitelung einer bestimmten in der Rechtsordnung festgelegten staatlichen Maßnahme zu verstehen, wenn damit der bestimmte Zweck beeinträchtigt werden soll, den der Staat mit der diesen Maßnahmen zugrunde liegenden Vorschriften erreichen will (15 Os 50/94). Konkretes staatliches Recht ist auch die Verhinderung der Benützung einer bewilligungspflichtigen baulichen Anlage ohne Benützungsbewilligung, die ihrerseits von der vorschriftsgemäßen Errichtung des Bauwerkes abhängt. Dieses Recht kann auch durch Unterlassung (§ 2 StGB) geschädigt werden.

Nach der Tiroler Bauordnung ist der Bürgermeister in allen Gemeinden des Landes Tirols mit Ausnahme der Stadt Innsbruck Behörde im Sinne dieses Gesetzes (§ 50 Abs 1 TBO). Bei bewilligungspflichtiger Bauführung obliegt es gemäß § 39 TBO der Behörde, während der Bauausführung zu überprüfen, ob bei der Ausführung die Bestimmungen der Bauordnung oder auf Grund dieser erlassener Verordnungen eingehalten werden oder ob Abweichungen von der Baubewilligung vorliegen. Die Behebung festgestellter Mängel kann nach § 40 TBO von der Behörde aufgetragen und sogar die Fortsetzung des Baues untersagt werden. Berufungen gegen derartige Bescheide haben keine aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 41 TBO sind Bauvorhaben, mit deren Ausführung bereits begonnen wurde, innerhalb einer der Art und dem Umfang des Vorhabens entsprechenden Frist, längstens aber innerhalb von vier Jahren nach dem Baubeginn zu vollenden. Bei umfangreichen Bauvorhaben kann die Behörde auf Antrag des Bauwerbers diese Frist um höchstens zwei Jahre verlängern. Kommt ein Bauwerber dieser Ausführungspflicht nicht nach, so hat ihm die Behörde die Vollendung des Bauvorhabens innerhalb von längstens zwei Jahren aufzutragen. Die Behörde kann hiefür eine kürzere Frist festlegen, wenn die noch ausstehenden Arbeiten geringfügig sind oder wenn eine ehestbaldige Vollendung des Bauvorhabens im Interesse des Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Sicherheit von Sachen oder des Schutzes des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes geboten ist.

Wird eine bewilligungspflichtige bauliche Anlage ohne Benützungsbewilligung benützt, so hat gemäß § 43 Abs 3 TBO die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage oder, wenn er sie nicht selbst benützt, dem Benützer die weitere Benützung der baulichen Anlagen zu untersagen. Bei Gefahr im Verzug kann die Behörde die bauliche Anlage durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ohne vorausgegangenes Verfahren räumen. Dabei handelt es sich weder um "totes Recht" wie der Angeklagte meint, noch um eine "Norm ihrer selbst willen" wie er sich zur Stellungnahme der Generalprokuratur äußerte.

Nach den Urteilsannahmen ist dem Beschwerdeführer anläßlich einer Bauverhandlung am 1.April 1993 bekannt geworden, daß das von Rudolf N***** errichtete Haus von ihm und seiner Familie ohne Benützungsbewilligung benutzt wurde. Obwohl der Angeklagte wußte (§ 5 Abs 3 StGB), daß er nach den Vorschriften der Tiroler Bauordnung verpflichtet wäre, die weitere Benützung des Gebäudes bis zum Vorliegen einer Benützungsbewilligung zu untersagen, ist er dieser Verpflichtung aus falsch verstandener Rücksichtnahme gegenüber seinem zweiten Stellvertreter als Bürgermeister und Mitbürger nicht nachgekommen (US 7) und hat damit das Land Tirol in seinem konkreten Recht, daß bauliche Anlagen nur nach Vorliegen einer Benützungsbewilligung benützt werden dürfen, vorsätzlich (§ 5 Abs 1 StGB) geschädigt (US 10/11).

Durch diese vom Vorsatz getragene Unterlassung der landesgesetzlich vorgeschriebenen bescheidmäßigen Vorgangsweise hat der Angeklagte daher den Tatbestand des § 302 Abs 1 StGB verwirklicht. Daran vermag weder der Umstand etwas zu ändern, daß Balkontüren zum Zeitpunkt des Ortsaugenscheines am 1.April 1993 nur durch Abnahme der Türklinken gesichert waren, noch jener, daß Bescheide des Bürgermeisters - aus welchen Berufungsgründen immer - bekämpfbar sind.

Soweit der Rechtsmittelwerber die subjektive Tatseite bestreitet, ist die Beschwerde nicht gesetzmäßig ausgeführt, da sie nicht von den Urteilsannahmen ausgeht, wonach er sowohl (in Ansehung des Befugnismißbrauches) wissentlich (§ 5 Abs 3 StGB) als auch (bezüglich der Rechtsschädigung) vorsätzlich (§ 5 Abs 1 StGB) gehandelt hat.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Rechtsrüge übergeht die Urteilsannahmen, daß im Zeitpunkt der Bauverhandlung bei den Balkontüren die Klinken nicht angebracht waren, sodaß die Türen nur mit einem Werkzeug geöffnet werden konnten. Rudolf N***** versicherte dem Angeklagten überdies, daß er bis zur Fertigstellung der Balkone die Beschläge an den Balkontüren nicht anbringen werde.

Insbesondere auf Grund dieser Feststellungen gelangte das Schöffengericht zur Rechtsansicht, es mangle hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Fahrlässigkeit an der objektiven Vorhersehbarkeit des tatsächlich eingetretenen Erfolges.

Da die Beschwerde der Staatsanwaltschaft diese Feststellungen negiert, ist sie nicht dem Gesetze gemäß ausgeführt, weil die erfolgreiche Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes ein Festhalten am gesamten vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt erfordert.

Der Angeklagte wurde nach § 302 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 37 StGB zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen, den Tagessatz zu 1.230 S, verurteilt. Die Geldstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Erschwerend fand das Schöffengericht nichts, mildernd hingegen den bisher tadelsfreien Lebenswandel des Angeklagten, daß er mit einer von seinen Amtsvorgängern übernommenen "Altlast" konfrontiert wurde und daß seine Pflichtwidrigkeit lediglich in einer Unterlassung bestand. Generalpräventive Gründe standen nach Ansicht des Schöffengerichts der Gewährung bedingter Strafnachsicht nicht entgegen.

Der Angeklagte begehrt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Tagessatzzahl, die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer schuldangemessenen Strafe sowie die Ausschaltung des § 37 Abs 1 StGB und des § 43 Abs 1 StGB, allenfalls die Gewährung bloß teilbedingter Strafnachsicht.

Nur das letztgenannte Berufungsbegehren ist berechtigt.

Der Vorwurf des Angeklagten gegen die Tiroler Bauordnung, somit gegen ein von seinem Land geschaffenes Gesetz, zeigt keinen schuldmindernden Umstand auf. Entgegen seiner Meinung wurden die legislativen Voraussetzungen zu einem korrekten Vorgehen gar wohl geschaffen, nur hat er sie nicht angewendet. Ob auch anderswo andere gleichartig straffällig werden ist nicht schuldmindernd, spricht vielmehr gegen eine (gänzlich) bedingte Strafnachsicht aus generalpräventiven Gründen. Soweit sich der Beschuldigte schließlich abermals in Überlegungen einläßt, inwieweit ein gesetzmäßiges Vorgehen im Rechtsmittelweg Bestand gehabt hätte, handelt es sich um Hypothesen, weil sich der Beschuldigte von vornherein nicht gesetzmäßig verhalten hat.

Zu einer Strafreduktion bestand daher kein Anlaß.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft, die den Tod der Verena S***** als Erschwerungsgrund betrachtet, ist auf den diesbezüglichen Freispruch (§ 81 StGB) zu verweisen. Läßt man diesen Umstand als Strafzumessungsgrund außer acht, sind auch in der Berufung der Staatsanwaltschaft keine gewichtigen Umstände zu finden, die gegen die Verhängung der gesetzlichen Mindeststrafe und die Anwendung des § 37 StGB sprechen. Zu Recht hebt aber die Anklagebehörde neben den bereits erwähnten generalpräventiven Aspekten auch den Umstand hervor, daß der Angeklagte geraume Zeit und trotz eines Unglücksfalls (Verena S*****) untätig blieb.

Aus diesen Erwägungen und auch wegen der nötigen Effizienz der Strafe war daher der unmittelbare Vollzug eines Drittels (120 Tagessätze) der insgesamt vom Erstgericht verhängten Geldstrafe anzuordnen.

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