OGH 7Ob2110/96m

OGH7Ob2110/96m26.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Simonetta E*****, vertreten durch Dr.Anton Pokorny, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Marco E*****, Italien, vertreten durch Petsch, Frosch und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20.Dezember 1995, GZ 43 R 1164/95k-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 30.August 1995, GZ 1 C 51/94-24, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind wie weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die Streitteile schlossen am 10.4.1986 vor dem Standesamt Wien-Innere Stadt die Ehe. Die Klägerin ist österreichische und italienische Staatsangehörige, der Beklagte italienischer Staatsbürger. Letzter gemeinsamer Aufenthalt der Streitteile war in Varese, wo der Beklagte noch immer wohnt. Der Beklagte stellte am 4.3.1992 beim Gerichtshof in Varese den Antrag auf gerichtliche Trennung der Ehegatten mit Schuldzuweisung.

Mit der am 4.2.1994 eingelangten Klage beantragt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte sei von seiner Mutter, die die Klägerin von Anfang an abgelehnt habe, abhängig, und weigere sich, mit der Klägerin und dem gemeinsamen Kind eine eigene Wohnung zu beziehen. Er spreche dem Alkohol im Übermaß zu und sei auch nicht bereit, Arbeit anzunehmen, was auch zu seiner Abhängigkeit von den Eltern in finanzieller Hinsicht führe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Zwischen den Streitteilen sei vor dem Gerichtshof in Varese ein Scheidungsverfahren anhängig, in dem am 13.4.1992 die räumliche Trennung der Ehegatten verfügt worden sei. Nach dem gemäß § 20 Abs 1 IPRG anzuwendenden italienischen Recht habe dem Scheidungsantrag immer eine 3-jährige ununterbrochene Trennung der Ehegatten voranzugehen. Diese Frist, die mit dem persönlichen Erscheinen der Ehegatten vor dem Gerichtspräsidenten im Zuge des Trennungsverfahrens zu laufen beginne, sei noch nicht abgelaufen.

Das Erstgericht wies die Scheidungsklage ab. Auf das Scheidungsbegehren sei gemäß § 20 Abs 1 IPRG iVm § 18 Abs 1 und 2 IPRG - da wegen der Doppelstaatsbürgerschaft der Klägerin zufolge der Anordnung in § 9 Abs 1 IPRG ein gemeinsames Personalstatut der Ehegatten fehle - im Hinblick auf den vom Beklagten beibehaltenen letzten gemeinsamen Aufenthalt der Streitteile in Varese italienisches Recht anzuwenden. Nach diesem Recht sei die Trennung von Tisch und Bett Voraussetzung einer Scheidung. Für die Einreichung des Antrags auf Auflösung der Ehe oder Beendigung ihrer zivilrechtlichen Wirkung müsse die Trennung zwischen den Ehegatten mindestens drei Jahre gedauert haben, und zwar gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem die Ehegatten im Ehetrennungsverfahren vor dem Gerichtspräsidenten erschienen sind. Der Beklagte habe am 4.3.1992 beim Präsidenten des Gerichtshofs Varese den Antrag auf Trennung der Ehe gestellt. Die am 4.2.1994 bei Gericht eingelangte Scheidungsklage sei daher jedenfalls verfrüht erhoben worden.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem eine neuerliche nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf. Weiters sprach es aus, daß der "Revisionsrekurs" zugelassen werde.

Das Berufungsgericht teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß auf das Scheidungsbegehren italienisches Recht anzuwenden sei. Nach dem maßgeblichen italienischen Scheidungsgesetz müsse für die Einreichung des Antrages auf Auflösung der Ehe oder Beendigung ihrer zivilrechtlichen Wirkungen die Trennung zwischen den Ehegatten ununterbrochen mindestens drei Jahre, gerechnet von dem Zeitpunkt an gedauert haben, zu dem die Ehegatten im Ehetrennungsverfahren vor dem Gerichtspräsidenten erschienen seien. Ob die Dreijahresfrist schon im Zeitpunkt der Einbringung der Scheidungsklage abgelaufen sein müsse oder ob es genüge, wenn das am Schluß der mündlichen Verhandlung der Fall sei, müsse hier nicht geprüft werden, weil gemäß § 20 Abs 2 IPRG österreichisches Recht anzuwenden sei. Könne nämlich nach dem Scheidungsstatut des § 20 Abs 1 IPRG die Ehe aufgrund der geltend gemachten Tatsachen nicht geschieden werden oder liege keiner der Anknüpfungspunkte des § 18 IPRG vor, so sei die Scheidung nach dem Personalstatut des klagenden Ehegatten im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen. Stehe dem Scheidungsbegehren das Erfordernis einer dreijährigen Trennung entgegen, dann sei hier gemäß § 20 Abs 2 IPRG österreichisches Recht anzuwenden, das die sofortige Scheidung der Ehe aus Verschulden kenne. Zur Anwendung österreichischen Rechts im Sinne des § 20 Abs 2 IPRG müsse auch führen, daß das österreichische Zivilverfahrensrecht ein dem Scheidungsprozeß vorgeschaltetes Verfahren nicht kenne, demnach, weil immer nur das heimische Verfahrensrecht anzuwenden sei, den Voraussetzungen des italienischen Rechts auch sonst nicht entsprochen werden könnte. Letztlich gelte auch der allgemeine Grundsatz, daß die Anspruchsreife im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Berufungsverhandlung gegeben sein müsse. Zu diesem Zeitpunkt sei die Frist abgelaufen gewesen. Wohl dürfe nicht unmittelbar auf das Klägerstatut zurückgegriffen werden. Nach dem Prinzip der stärksten Beziehung wie aus Gründen der Scheidungsbegünstigung seien zuvor alle weiteren Subsidiaranknüpfungen zu berücksichtigen. Daraus ergäben sich aber keine zwingenden Notwendigkeiten für einen Rückgriff auf das italienische Recht, weil die Ehe bei Zutreffen der Klagsvoraussetzungen nach beiden Rechten gleichermaßen scheidbar sei und sonst wesentliche rechtlich relevante Unterschiede nicht erkennbar seien.

Der dagegen vom Beklagten erhobene Rekurs ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend sind die Ausführungen der Vorinstanzen über die Ermittlung des anzuwendenden Rechts. Das Scheidungsstatut in § 20 Abs 1 IPRG verweist auf das Ehewirkungsstatut in § 18 Abs 1 IPRG. Da die Klägerin nicht wie der Beklagte nur die italienische, sondern auch die österreichische Staatsangehörigkeit hat, so daß für sie nur diese maßgebend ist (§ 9 Abs 1 IPRG), fehlt ein gemeinsames Personalstatut der Ehegatten im Sinne des § 18 Abs 1 Z 1 IPRG. Die Voraussetzungen und die Wirkungen der Scheidung sind hier deshalb nach italienischem Recht zu beurteilen, weil die Ehegatten in Varese ihren letzten, vom Beklagten beibehaltenen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben (§ 18 Abs 1 Z 2 IPRG). § 20 Abs 2 IPRG sieht allerdings vor, daß die Scheidung nach dem Personalstatut des klagenden Ehegatten im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen ist, wenn die Ehe nach dem Statut des § 18 Abs 1 IPRG aufgrund der geltend gemachten Tatsachen nicht geschieden werden kann (oder keiner der Anknüpfungspunkte des § 18 IPRG vorliegt, was hier jedoch nicht der Fall ist).

Das italienische Recht kennt seit der Einführung der Scheidungsmöglichkeit durch das Gesetz vom 1.12.1970 keine sofortige Scheidung wegen wichtiger Eheverfehlungen.

Der Richter spricht die Auflösung der Ehe (bei einer Konkordatsehe die Beendigung ihrer zivilrechtlichen Wirkungen) aus, wenn er - nach gescheitertem Versöhnungsversuch - feststellt, daß die geistige und materielle Gemeinschaft der Ehegatten wegen des Vorliegens einer der gesetzlich vorgesehenen Scheidungsgründe nicht mehr aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden kann (Art 1 und 2 des Gesetzes Nr 898 vom 1.12.1970 über die Regelung der Fälle der Eheauflösung idF des Gesetzes Nr 72 vom 6.3.1987 (abgedruckt in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Italien 65 ff). Art 3 des italienischen Scheidungsgesetzes nennt die Scheidungsgründe und zwar in Z 1 die Verurteilung eines Ehegatten wegen bestimmter strafbarer Handlungen, in Z 2 lit a wegen Freispruchs von diesen strafbaren Handlungen wegen Unzurechnungsfähigkeit, in Z 2 lit c und d wegen Einstellung bestimmter Strafverfahren, in Z 2 lit e wegen Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe im Ausland oder Schließung einer Ehe durch einen Ehegatten im Ausland, in Z 2 lit f wenn die Ehe nicht vollzogen wurde und in Z 2 lit g wenn ein rechtskräftiges Urteil über die Berichtigung der Geschlechtszugehörigkeit ergangen ist. Gemäß Art 3 Z 2 lit b dieses Gesetzes kann schließlich die Auflösung der Ehe von einem Ehegatten beantragt werden, wenn eine gerichtliche Trennung zwischen den Ehegatten durch rechtskräftiges Urteil ausgesprochen oder eine einverständliche Trennung bestätigt worden ist (oder wenn eine tatsächliche Trennung wenigstens zwei Jahre vor dem 18.12.1970 begonnen hat), wobei für die Einreichung des Antrags auf Auflösung der Ehe (oder Beendigung ihrer zivilrechtlichen Wirkungen) die Trennung zwischen den Ehegatten ununterbrochen mindestens drei Jahre, gerechnet von dem Zeitpunkt an gedauert haben muß, zu dem die Ehegatten im Ehetrennungsverfahren vor dem Gerichtspräsidenten erschienen sind. Der letztgenannte Scheidungsgrund ist der einzige, der hier in Frage kommen könnte. Das italienische Recht ermöglicht damit - zwar nicht nach den von der Klägerin geltend gemachten Verschuldensgründen, aber nach entsprechend langer Dauer der Trennung der Ehegatten - eine Ehescheidung. In SZ 59/22 hat der Oberste Gerichtshof den Standpunkt vertreten, daß die Wendung in § 20 Abs 2 IPRG ("die Ehe aufgrund der geltend gemachten Tatsachen nicht geschieden werden kann") dafür spreche, auf das Personalstatut des Scheidungsklägers zurückzugreifen, wenn die Ehe zwar nach dem über § 18 Abs 1 IPRG verwiesenen Recht geschieden werden könnte, nicht aber wegen der vom klagenden Ehegatten behaupteten Scheidungsgründe; immer wenn die geltend gemachten Scheidungsgründe nach dem durch das Ehewirkungsstatut berufenen Recht die Scheidung ausschlössen, solle das Ersatzstatut des § 20 Abs 2 IPRG eintreten; kenne das Recht des Ehewirkungsstatuts aber nur eine Scheidung nach entsprechend langer Trennung der Ehegatten, während das Personalstatut des klagenden Ehegatten bei Ehebruch oder schweren Mißhandlungen die sofortige Scheidung zulasse, dann solle sofort geschieden werden können. Dagegen sind Verschraegen (Das "utilior"- und "melius"-Kriterium im österreichischen internationalen Privatrecht, illustriert am Beispiel des favor divortii, ZfRV 1987, 51 ff) und Schwind (Die Ermittlung des Scheidungsstatuts und der Rückgriff auf das Klägerstatut, IPRAX 1987, 1988 ff) aufgetreten. Pfersmann (Bemerkenswertes aus der SZ 59, ÖJZ 1989, 436) hat sich dieser Kritik angeschlossen. Die Ausnahmebestimmung kommt nach Ansicht dieser Autoren nur dann zum Tragen, wenn nach dem behaupteten Sachverhalt eine Scheidung nach dem sonst anzuwendenden Recht grundsätzlich ausgeschlossen ist, nicht aber schon dann, wenn das österreichische Recht leichtere Bedingungen für eine Scheidung vorsieht (vgl auch SZ 62/189). Auch Schwimann (in Rummel ABGB2 Rz 3 zu § 20 IPRG) sieht den Rückgriff auf das Klägerrecht nur als allerletztes Ersatzmittel. Der erkennende Senat sieht sich aufgrund der beachtlichen Stimmen in der Literatur nicht in der Lage, an der in SZ 59/22 ausgesprochenen Rechtsansicht festzuhalten. Ist eine Scheidung nach dem Scheidungsstatut des § 20 Abs 1 IPRG an sich, nicht aber nur etwa wegen besonders schwerer Eheverfehlungen wie etwa versuchtem Gattenmord, Ehebruch oder einseitigem Verstoßen u.dgl. möglich, wenngleich unter ungünstigeren Bedingungen, dann kommt § 20 Abs 2 IPRG nicht zur Anwendung. Etwa vorgebrachte Verschuldensgründe sind auf eine Umdeutung in Zerrüttungstatbestände des anzuwendenden fremden Rechts zu prüfen (SZ 62/189; Verschraegen aaO 192; Schwimann aaO). Ansonsten könnte es genügen, bei einer auch nach dem Scheidungsstatut des § 20 Abs 1 IPRG scheidbaren Ehe Tatsachen vorzubringen, die dort kein Scheidungsgrund sind, um die bequemere, leichtere oder schnellere Scheidungsmöglichkeit nach dem Klägerstatut zu erreichen (Schwind aaO 52).

Die Klägerin hat bei ihrem Scheidungsbegehren auch nach dem Einwand des Beklagten, daß auf das Scheidungsbegehren italienisches Recht anzuwenden sei, nicht auf den Scheidungsgrund des Art 3 Z 2 lit b des genannten italienischen Scheidungsgesetzes zurückgegriffen. Da sie aber aufgrund der in SZ 59/22 geäußerten Rechtsansicht damit rechnen konnte, daß ihre Ehe nach dem Scheidungsstatut des § 20 Abs 2 IPRG, hier demnach gemäß § 49 EheG geschieden werden könnte, muß ihr mangels Umdeutbarkeit der geltend gemachten Scheidungsgründe auf den Scheidungsgrund der mindestens dreijährigen Trennung des Art 3 Z 2 lit b des italienischen Scheidungsgesetzes die Gelegenheit geboten werden, ein der geänderten Rechtsprechung entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Erst dann können die Voraussetzungen für eine Scheidung nach italienischem Recht geprüft werden. Da der Beklagte das dem Scheidungsverfahren vorgelagerte Trennungsverfahren in Varese beantragt hat und die Klägerin bei gegebenen Trennungsvoraussetzungen ihre Scheidungsklage auch vor einem österreichischen Gericht auf italienisches Recht stützen kann, bedarf es auch nicht der Beurteilung, ob der Rückgriff auf das Klägerstatut möglich wäre, wenn noch kein solches Trennungsverfahren beantragt wurde und der Klägerin die Stellung eines solchen Antrags in Italien nicht zumutbar wäre.

Sollte die Klägerin demnach ihr Scheidungsbegehren auf Art 3 Z 2 lit b des italienischen Scheidungsgesetzes stützen, würde dieser Scheidungsgrund erst mit der Änderung der Klage geltend gemacht. Den von der italienischen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, daß zum Zeitpunkt der Einbringung der Scheidungsklage als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage sowohl die Trennung bereits 3 Jahre lang ununterbrochen angedauert haben als auch die Rechtskraft des Trennungsurteils eingetreten sein muß (Corte di Cassazione vom 16.3.1995 Nr 2725, veröffentlicht in Giurisprudenza Italiana 1995/I/1 colonna 2028 mit Anm von Dalmotto), könnte damit Rechnung getragen sein.

Der Rekurs war daher nur im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens grundet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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