OGH 10ObS2146/96b

OGH10ObS2146/96b25.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Danzl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Amtsdirektor Hofrat Robert List (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann M*****, vertreten durch Dr.Erich Holzinger, Rechtsanwalt in Liezen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Februar 1996, GZ 7 Rs 2/96-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.August 1995, GZ 25 Cgs 20/94g-33, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes, mit dem das Klagebegehren abgewiesen wurde, wiederhergestellt wird.

Der Kläger hat die Kosten seiner Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 25.12.1946 geborene Kläger ist gelernter Spengler und Installateur. Vom Lehrabschluß 1965 an bis 1972 war er als Monteurhelfer, Spengler, Installateur, Gipsarbeiter und Hilfsschlosser tätig. Seit 1972 arbeitet er - auch derzeit noch - als technischer Hausarbeiter im Rehabilitationszentrum G*****. Als solcher übt er - bezogen auf die Arbeitszeit - zusammengefaßt zu ca 11 % Installateurarbeiten, zu 1 % Spenglerarbeiten, zu 4 % Schlosserarbeiten und zu 7 % Tischlerarbeiten als berufsspezifische Tätigkeiten aus. Im Ausmaß von 15 % seiner Arbeitszeit ist er im Rahmen der Kontrolle und Wartung sowie im technischen Dienst tätig; davon ist wiederum die Hälfte (7,5 %) als berufsspezifische Installateurtätigkeit zu werten. Die übrige Arbeitszeit (62 %) ist er mit verschiedenen Hilfstätigkeiten befaßt.

Der Kläger kann noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen, im Freien oder in geschlossenen Räumen verrichten. Bück- und Hebearbeiten sind um die Hälfte eines Arbeitstages zu verkürzen und gleichmäßig auf diesen zu verteilen. Überkopfarbeiten sowie Arbeiten, die eine feinmotorische Fingergeschicklichkeit sowie ein Feingefühl in den Händen erfordern, sind zumutbar. Für den Kläger sind Arbeiten an exponierten Stellen nicht mehr zulässig, die Verwendung von Steighilfen ist ihm jedoch möglich. Nicht mehr zulässig bzw zumutbar sind für ihn Arbeiten mit Staubexpositionen, Arbeiten in Nässe oder Kälte sowie Arbeiten, die in ihrer zeitlichen und psychischen Belastung Akkord- und Fließbandarbeiten entsprechen. Einem forcierten Arbeitstempo sowie einem normalen Arbeitstempo ist er aber ganztägig gewachsen. Die Möglichkeit, eine Magenschonkost einzuhalten, ist durch arbeitsübliche Pausen ausreichend gegeben. Der Kläger ist auch in der Lage, sich neue Kenntnisse zu Umschul- und Anlernzwecken anzueignen. Die Benützung eines Verkehrsmittels zum Erreichen einer Arbeitsstätte ist zumutbar, auf einen Fußanmarschweg zur Arbeitsstätte ist nicht Bedacht zu nehmen. Auch ein Wochenpendeln oder eine Übersiedlung sind für den Kläger möglich. Bei ihm sind in einem hohen Maße an Wahrscheinlichkeit zusätzliche Krankenstände im Ausmaß von zwei Wochen jährlich zu erwarten.

Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, den Anforderungen, die an einen technischen Hausarbeiter gestellt waren, gerecht zu werden. Er ist jedoch in der Lage, die Tätigkeiten eines Kontrollarbeiters in der Elektronindustrie, eines Werkzeugausgebers, eines Botengängers, Portiers, Aufsehers, Telefonisten und eines Parkgaragenkassiers zu verrichten. Alle genannten Verweisungstätigkeiten sind in einer ausreichenden (mehr als 100 Arbeitsplätze umfassenden) Anzahl vorhanden und in ihrer sozialen Wertigkeit der bisherigen Berufsarbeit des Klägers als Hausarbeiter gleichzuhalten.

Mit Bescheid vom 29.3.1994 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.

In der dagegen erhobenen Klage stellte er das Begehren, festzustellen, daß Invalidität in seiner Person vorliegt, sowie weiters, die beklagte Partei zur Zahlung einer Invaliditätspension in der gesetzlichen Höhe ab 1.1.1994 und darüber hinaus bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides zu einer vorläufigen Leistung in der Höhe von S 20.000,-- monatlich zu verpflichten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs - zusammengefaßt - wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß die Tätigkeiten des Klägers in den erlernten Berufen nur einen unbedeutenden Platz eingenommen hätten, sodaß ihm ein Berufsschutz nach § 255 Abs 1 oder 2 ASVG nicht zukomme. Aufgrund der festgestellten Verweisbarkeit in diverse Verweisungsberufe sei auch Invalidität im Sinne des Abs 3 dieser Gesetzesstelle nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. Abweichend vom Erstgericht erachtete es seinen Berufsschutz als Spengler und Installateur als nicht verloren, vielmehr sei dieser auch auf den verwandten Beruf eines Schlossers auszudehnen, auf welchen die 3-jährige Lehrzeit als Wasserleitungsinstallateur voll angerechnet werde. Demgemäß seien auch seine Tätigkeitsbereiche als Schlosser als solche im gelernten (angelernten) Beruf zu werten. Allerdings fehlten Feststellungen zur abschließenden Beurteilung der Frage, ob der Kläger als gelernter Facharbeiter des Metallbereiches nach seinem medizinischen Leistungskalkül noch verweisbar sei. Da die Frage des Berufsschutzes des Klägers "auch anders gesehen werden könnte", wurde der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO (§ 45 Abs 3 ASGG) zugelassen.

In ihrem auf den Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gestützten Rekurs beantragt die beklagte Partei, die angefochtene Entscheidung zu beheben und in der Sache selbst im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens zu entscheiden.

Der Kläger erstattete seinerseits eine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rekurs kommt Berechtigung zu.

Das Berufungsgericht hat übersehen - worauf die Rekurswerberin zutreffend hinweist -, daß das Gesamtbild aller potentiell aufgeschlüsselten Tätigkeitsfelder des Klägers überwiegend (62 %) mit verschiedenen Hilfstätigkeiten ausgefüllt ist. In seinen Entscheidungen 10 Ob S 324/88 vom 29.12.1988 sowie 10 Ob S 74/95 vom 11.4.1995 (veröffent- licht in SSV-NF 9/40) hat der erkennende Senat ausgesprochen, daß die Ausübung einer Teiltätigkeit, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, einen vorher bestehenden Berufsschutz nicht aufrechtzuerhalten vermag. In den beiden Anlaßfällen dieser Vorentscheidungen ging es einerseits um eine gelernte Forstgartenfacharbeiterin, die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nur zu untergeordneten Hilfstätigkeiten mehr herangezogen wurde, während welcher Zeit sie auch einzelne Teiltätigkeiten eines Forstfacharbeiters allerdings ohne dessen Haupttätigkeit und dazu nur untergeordneten Teiltätigkeiten aus dem Berufszweig einer Forstgartenfacharbeiterin verrichtete, sowie um einen Koch, der seinen Berufsschutz durch die jahrelange Tätigkeit als Süßwarenhilfsarbeiter in der Waffelerzeugung nicht aufrechterhalten konnte. Gleiches hat auch für den Kläger zu gelten, der in seinen erlernten Berufen als Spengler und Installateur - selbst unter Bejahung der vom Berufungsgericht in Anrechnung gebrachten Schlosser- tätigkeiten - quantitativ wie qualitativ nur so unbedeutende Arbeitszeitanteile aufzuweisen hat, daß auch hier nicht von einem Weiterdauern des Berufsschutzes für einen der früher erlernten (angelernten) Berufe gesprochen werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt bedarf es aber auch nicht der vom Berufungsgericht für erforderlich erachteten zusätzlichen Beweisaufnahmen bzw Feststellungen. Die Sache ist vielmehr im Sinne einer Bestätigung des Urteiles des Erstgerichtes spruchreif, weshalb das Urteil der ersten Instanz wiederherzustellen war (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 519). Zutreffend hat nämlich das Erstgericht die Voraussetzungen der Invalidität des Klägers nach der Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG geprüft und im Hinblick auf das dem Kläger in ausreichender Zahl offenstehende Verweisungsfeld am gesamten Arbeitsmarkt verneint. Für Versicherte, die im maßgeblichen Zeitraum vor dem Stichtag keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt haben und keinen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und/oder 2 ASVG beanspruchen können, ist das Verweisungsfeld nämlich der gesamte Arbeitsmarkt (SSV-NF 1/4, 2/34, 3/46, 6/12, 6/56, zuletzt 10 Ob S 2129/96b).

Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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