OGH 10ObS2158/96t

OGH10ObS2158/96t25.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Danzl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Hofrat Robert List (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Yusuf T*****, geboren am 15.Jänner 1992, ***** vertreten durch den Vater Recep T*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr.Günter Philipp, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Land Burgenland, 7001 Eisenstadt, Freiheitsplatz 1, im Revisionsverfahrens nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.März 1996, GZ 8 Rs 29/96k-12, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 19.Oktober 1995, GZ 16 Cgs 265/95i-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der Beschluß des Berufungsgerichtes in seinem angefochtenen Punkt 2.a aufgehoben und die Rechtssache auch im Umfang des darauf gerichteten Klagebegehrens auf Zuerkennung eines Pflegegeldes nach dem bPGG LGBl 1993/58 idgF in Höhe des Differenzbetrages zwischen den Stufen 2 und 7 an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 15.1.1992 geborene und damit derzeit im 5.Lebensjahr stehende Kläger ist türkischer Staatsbürger, jedoch in Österreich bei seinen Eltern wohnhaft. Es handelt sich bei ihm um ein schwerst behindertes Kind (ohne daß hiezu allerdings aus dem Akt nach dem bisherigen Verfahrensstand Näheres feststeht).

Mit der am 7.8.1995 eingebrachten Klage stellte der durch seinen Vater, dieser wiederum durch zwei Angestellte der Kammer für Arbeiter und Angestellte seines Heimatbundeslandes vertretene Kläger gegen das "Amt der burgenländischen Landesregierung", vom Berufungsgericht zwischenzeitlich mit rechtskräftigem Beschluß auf das "Land Burgenland" richtiggestellt, das Begehren, ihm ab 1.2.1995 das Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß, ab 1.7.1995 jedenfalls in Höhe der Stufe 7, zu gewähren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei rechtlich davon aus, daß Voraussetzung für die Leistung eines Pflegegeldes nach § 3 des burgenländischen Pflegegeldgesetzes LGBl 1993/58 (im folgenden kurz: bPGG; abgedruckt auch im Anhang VI a von Gruber/Pallinger, BPGG und Anhang III von Pfeil, Bundespflegegeldgesetz) die österreichische Staatsbürgerschaft eines Antragstellers sei. Nach Abs 4 dieser Gesetzesstelle könne allerdings eine Nachsicht von diesem Erfordernis gewährt werden, wenn diese zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheine. Ein Rechtsanspruch hierauf bestehe jedoch nicht. Außerdem könne nach dem bPGG auf Zuerkennung eines höheren Pflegegeldes als der Stufe 2 gar nicht geklagt werden, so daß der auf Zuerkennung der Pflegegeldstufe 7 erhobene Anspruch auch deshalb unbegründet sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Soweit das Begehren auf Zuerkennung eines Pflegegeldes im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1.7.1995 auf den Differenzbetrag zwischen den Stufen 2 und 7 gerichtet ist, wurde das Ersturteil aufgehoben, das insoweit zugrunde liegende Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen (Punkt 2.a des Spruches); im übrigen Umfang des Begehrens (also Zuerkennung eines Pflegegeldes bis zur Stufe 2) wurde das Ersturteil ebenfalls aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen (Punkt 2.b des Spruches). Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden als weitere Verfahrenskosten bestimmt; der Rekurs an den Obersten Gerichtshof hinsichtlich des letztgenannten Aufhebungsbeschlusses wurde zugelassen.

In umfangreicher rechtlicher Beurteilung zu Pkt 2.a seiner Entscheidung kam das Berufungsgericht - abweichend vom Erstgericht - zum Ergebnis, daß dem Begehren auf den Differenzbetrag zwischen den Stufen 2 und 7 § 4 Abs 4 bPGG entgegenstehe, wonach bis zum 31.12.1996 für solche Leistungen der Rechtsweg unzulässig sei. Dieses Prozeßhindernis könne auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen aufgegriffen werden. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diesen Rechtswegausschluß habe der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen bisher nicht erkennen lassen.

Punkt 2.b des Aufhebungsbeschlusses blieb von beiden Parteien unbekämpft (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO). Die diesem Teil der Entscheidung zugrundeliegende Rechtsansicht ist damit nicht weiter zu überprüfen, insbesondere auch nicht, ob diese Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 519 mwN; jüngst 2 Ob 9/96).

Lediglich gegen Punkt 2.a des berufungsgerichtlichen Beschlusses richtet sich der von der beklagten Partei unbeantwortet (§ 521a Abs 1 Z 3 ZPO) gebliebene Rekurs des Klägers aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Beantragt wird die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren auf Zuerkennung eines Pflegegeldes im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1.7.1995 auf den Differenzbetrag zwischen den Stufen 2 und 7 vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rekurs kommt im Sinne des Eventualantrages Berechtigung zu.

1. Zunächst ist zu bemerken, daß die Klage jedenfalls nach § 154 Abs 3 ABGB keine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung durch das nach § 110 Abs 1 Z 2 JN zuständige Bezirksgericht aufweist und nach der Aktenlage auch im gesamten bisherigen Verfahren nicht erfahren hat. Diese Frage wurde auch weder von den Vorinstanzen noch von den Parteien releviert. Nach § 12 IPRG richtet sich die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person nach dem Personalstatut im Zeitpunkt der jeweiligen Handlung. Hiemit wäre diese Frage nach türkischem Recht zu beurteilen und zu lösen. Daß Personen im Alter des Klägers auch nach türkischem Recht grundsätzlich nicht handlungs- und geschäftsfähig sind, ist amtsbekannt (vgl Art 11 Abs 1 und 12 Abs 1 des türkischen bürgerlichen Gesetzbuches, abgedruckt in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Das Erfordernis einer allfälligen, über die Vertretung durch den leiblichen Vater hinausgehenden gerichtlichen Genehmigung (ebenso wie auch der Mutter als zweitem Elternteil im Sinne des § 262 Abs 1 türk ZGP) kann jedoch auf sich beruhen, weil eine derartige Maßnahme einerseits immer auf den Einzelfall abstellt und andererseits das Wohl des Kindes durch Vermeidung von Vermögensnachteilen unnützer Klagsführungen, etwa durch Belastung mit Prozeßkosten, im Auge hat (vgl etwa 3 Ob 563/86). Die gegenständliche Rechtssache ist eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (betreffend den Bestand und Umfang von Pflegegeldleistungen). Unabhängig vom Prozeßausgang hat die beklagte Partei nach § 77 Abs 1 Z 1 ASGG alle Kosten selbst zu tragen, ohne daß sie insoweit (etwa gemäß §§ 41 oder 43 ZPO) gegenüber dem Kläger einen Rückforderunganspruch erheben könnte, zumal für eine Vorgangsweise nach § 77 Abs 3 ASGG (Mutwilligkeit, Verschleppung oder Irreführung) jeglicher Anhaltspunkt fehlt. Gemäß § 80 ASGG sind sämtliche Schriftsätze (Klage, Rechtsmittel) des Klägers auch ua von jeglichen Gerichtsgebühren befreit. Schließlich können den (was unterstellt werden kann) vermögenslosen Kläger auch keine Anwaltskosten des in zweiter und dritter Instanz tätig gewordenen Parteienvertreters belasten, da sich der nach dem Rubrum der bezüglichen Rechtsmittelschriftsätze einschreitende Rechtsanwalt ausdrücklich als Vertreter des Vaters und nicht des Minderjährigen selbst deklarierte, sodaß auch bloß diesem gegenüber ein Honoraranspruch zu erwarten ist. Aus all dem folgt, daß es keiner ansonsten erforderlichen Vorwegbeurteilung der Erfolgsaussichten des vom Minderjährigen angestrengten Rechtsstreites bedarf, um diesen vor den bezeichneten Prozeßnachteilen zu bewahren.

2. Zutreffend verweist die Rekurswerberin darauf, daß die Bestimmung des § 4 Abs 4 bPGG, wonach der Rechtsweg für die Durchsetzung von Ansprüchen auf den Differenzbetrag zwischen der Stufe 2 und einer höheren Stufe als ausgeschlossen erklärt wurde, durch die vom burgenländischen Landtag am 5.12.1995 beschlossene und im LGBl 1996/24 (Art I Z 6) kundgemachte Novelle ersatzlos aufgehoben wurde. Dieser Gesetzesbeschluß trat nach Art IV Abs 1 leg cit bereits am 1.7.1995 in Kraft; er war also bereits im Zeitpunkt der Einbringung der Klage in Geltung gestanden. Die vom Berufungsgericht ausdrücklich und ausschließlich auf die Bestimmung des § 4 Abs 4 bPGG gestützte Rechtswegunzulässigkeit hat daher von Anfang an nicht (mehr) bestanden, sodaß für die Aufhebung des Ersturteils, die Nichtigerklärung des diesem Verfahrensteil vorangegangenen Verfahrens und die Zurückweisung der Klage keine Rechtsgrundlage bestand bzw besteht, zumal der Kläger dadurch, daß er das Pflegegeld der Stufe 7 erst ab dem 1.Juli 1995 begehrt, damit auch der Übergangsbestimmung des Art II Abs 1 letzter Satz der zitierten Novelle (wonach "der Rechtsweg in bezug auf Pflegegeld in Höhe der Stufen 3 bis 7 für die Zeit vor dem 1.Juli 1995 [weiterhin] ausgeschlossen" ist) Rechnung getragen hat. Allerdings reichen die spärlichen Feststellungen des Erstgerichtes nicht aus, über diesen Anspruchsteil bereits abschließend zu erkennen, dies umso mehr, als auch für den übrigen Anspruchsbereich vom Berufungsgericht zutreffend (§ 48 ASGG) weitreichende Feststellungsmängel aufgezeigt und dem Erstgericht insoweit zur Sachverhaltsaufklärung aufgetragen wurden. Diese erstrecken sich naturgemäß, ohne daß dies weitergehender Begründung bedürfte, auch auf den von der Klagezurückweisung erfaßten Anspruchsteil. Hiebei wird das Erstgericht mit der klagenden Partei noch zu erörtern haben, ob sie tatsächlich (so in der Klage und im Rekursschriftsatz) den Differenzbetrag zwischen den Stufen 2 und 7 oder, wie in der Berufung ausdrücklich zugestanden (AS 25, letzter Absatz vor den Rechtsmittelanträgen), bloß der Stufe 6 begehrt. Die im Rekurs nicht mehr relevierten verfassungsmäßigen Bedenken gegen die maßgeblichen (noch in Geltung stehenden) Bestimmungen des bPGG hat im übrigen bereits das Berufungsgericht mit beachtlichen und zutreffenden Argumenten verworfen (§ 48 ASGG), so daß hierauf vom Obersten Gerichtshof nicht mehr weiter eingegangen zu werden braucht. Auch auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 4 Abs 4 bPGG braucht schon wegen ihrer zwischenzeitlichen Aufhebung nicht mehr eingegangen zu werden (siehe hiezu etwa ausführlich 10 ObS 250/94 zum inhalts- und wortgleichen § 4 Abs 4 des Wiener Pflegegeldgesetzes [WPGG] LGBl 1993/42, worin dessen verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit ausdrücklich bejaht wurde; ebenso auch 10 ObS 263/94 zum § 4 Abs 4 BPGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO iVm § 77 ASGG.

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