OGH 7Ob2066/96s

OGH7Ob2066/96s11.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Eisenberger - Herzog - Nierhaus - Forcher & Partner, Rechtsanwaltssozietät in Graz, wider die beklagte Partei Fahrettin U*****, vertreten durch Dr.Kurt Fassl und Dr.Gerald Kreuzberger, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 51.416.-- sA, infolge der Rekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 15.Februar 1996, GZ 2 R 393/95-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 30.August 1995, GZ 2 C 1037/94k-30, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind gleich Kosten des Verfahrens erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung

Am 9.2.1993 verschuldete Mehmet G***** als Lenker des dem Beklagten gehörenden, bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW in Graz einen Verkehrsunfall. Der Beklagte hatte zuvor seinen PKW Mustafa Ö***** zu dem Zweck überlassen, einen Freund auf seinen Arbeitsplatz zu führen. Daß bei dieser Fahrt anstelle Mustafa Ö***** der ebenfalls im Wagen sitzende Mehmet G***** das Fahrzeug lenken werde, wußte der Beklagte nicht, er hatte dies auch nicht erlaubt. Mehmet G***** besaß im Unfallszeitpunkt keine österreichische Lenkerberechtigung.

Die Klägerin leistete an den Unfallsgegner eine Entschädigung in der Höhe von S 52.416,--. Mit Schreiben vom 6.6.1993 forderte sie den Beklagten auf, ihr diesen Betrag wegen Nichtzahlung der Erstprämie zu zahlen. Am 16.8.1993 unterfertigte der Beklagte eine als Ratenvereinbarung übertitelte Urkunde. Am 20.8.1993 leistete der Beklagte eine einmalige Zahlung von S 1.000,--.

Zur Frage des Verzugs mit der Erstprämie steht nur fest, daß an den Beklagten weder eine Mahnung bzw qualifizierte Mahnung erging noch eine gerichtliche Geltendmachung (der Erstprämie) erfolgt ist.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von S 51.416,-- sA. Der Beklagte habe ihr als Halter und Versicherungsnehmer wegen Nichtzahlung der Erstprämie für die Schadenszahlungen aus dem Unfall vom 9.2.1993 Regreß zu leisten. Zudem habe sich der Beklagte ausdrücklich zur ratenweisen Abstattung verpflichtet. Trotz des Verzugs des Beklagten mit der Erstprämie sei die Klägerin zur Erbringung der Versicherungsleistung an den geschädigten Unfallsgegner verpflichtet gewesen. Mehmet G***** habe das Beklagtenfahrzeug mit Einverständnis des Beklagten gelenkt. Im übrigen habe der Beklagte die Regreßforderung schuldbegründend anerkannt.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Wegen des von ihr behaupteten Verzugs mit der Erstprämie sei die Klägerin nicht zu Zahlungen an Dritte verpflichtet gewesen, weil der Versicherungsvertrag im Unfallszeitpunkt bereits aufgelöst gewesen sei. Da die Klägerin den Beklagten aber auch nicht bzw nicht in türkischer Sprache gemahnt habe, sei sie auch nicht leistungsfrei geworden. Die Klägerin habe die Erstprämie weder eingemahnt noch gerichtlich geltend gemacht. Der Lenker seines Fahrzeuges sei als Schwarzfahrer anzusehen, weil er vom Beklagten keine Erlaubnis erhalten habe, das Fahrzeug zu lenken. Die Ratenvereinbarung habe der Beklagte mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht verstanden, sodaß er auch im Irrtum über deren Inhalt gewesen sei. Die Klägerin habe eine erhöhte Aufklärungs- und Belehrungspflicht getroffen, die sie nicht eingehalten habe. Die Ratenvereinbarung sei aber auch sittenwidrig, weil die Klägerin nicht leistungsfrei sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Klägerin sei nicht der Beweis gelungen, daß dem Beklagten die Aufforderung zur Zahlung der Erstprämie zugegangen sei. Leistungsfreiheit wegen Nichtzahlung dieser Prämie sei daher nicht gegeben. Mit der Ratenzahlungsvereinbarung sei aber auch kein konstitutives Anerkenntnis verbunden, weil sich der Beklagte in einem wesentlichen Irrtum befunden habe.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf, verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung zurück und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die über die Ratenvereinbarung getroffenen Feststellungen reichten nicht aus, um den geltend gemachten Rechtsgrund eines konstitutiven Anerkenntnisses zu prüfen. Zudem sei auch ein primärer Verfahrensmangel darin gelegen, daß das Erstgericht erforderliche Gegenüberstellungen nicht durchgeführt habe. Die Klägerin werde aber auch noch nachzuweisen haben, daß sie den Beklagten persönlich hinsichtlich des geltend gemachten Regreßanspruchs und über den Zweck der Ratenvereinbarung aufgeklärt habe. Für den Fall der Annahme eines konstitutiven Anerkenntnisses wäre aber auch noch die eingewendete Sittenwidrigkeit zu prüfen. Der Verzug mit der Zahlung der Erstprämie sei im vorliegenden Fall noch nicht gemäß § 38 VersVG idF der Novelle 1994, BGBl 1994/509, zu beurteilen. Einer qualifizierten Aufforderung zu Prämienzahlungen habe es daher noch nicht bedurft. Im Zusammenhang mit der vorläufigen Deckungszusage gewähre die Rechtsprechung dem Versicherungsnehmer insofern eine Verlängerung der Prämienzahlungsfrist, als die Prämie erst nach ausdrücklicher Fälligstellung, daraufhin aber unverzüglich (dh längstens binnen drei Tagen) zu zahlen sei; ein Verstoß dagegen bedeute den endgültigen Wegfall der Deckungspflicht des Versicherers. Darüber hinaus habe der Versicherer den Versicherungsnehmer auf den Verlust des Versicherungsschutzes im Fall eines allfälligen Verzugs mit der Erstprämie hinzuweisen. Zweifel bezüglich der Polizzenzustellung gingen zu Lasten des Versicherers. Im vorliegenden Fall fehlten allerdings Feststellungen über den Abschluß des Versicherungsvertrags bzw den Zeitpunkt der Zustellung der Polizze. Insbesondere sei zu klären, ob der Beklagte vor Eintritt des Versicherungsfalls zur Prämienzahlung aufgefordert worden sei. Sei dem Beklagten die Polizze nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, dann wäre dem Beklagten kein Zahlungsverzug anzulasten und die Klägerin auch nicht leistungsfrei. Dann könnte sich eine berechtigte Regreßforderung gegenüber dem Beklagten nur auf das konstitutive Anerkenntnis stützen, was für das erfolgte Zahlungsversprechen den Wegfall eines Verpflichtungsgrundes zur Folge habe. Sollte sich herausstellen, daß die Klägerin zwar dem Beklagten gegenüber leistungsfrei, aber dem geschädigten Dritten noch wegen der offenen Nachhaftungsfrist des § 158 c Abs 1 VersVG zur Zahlung verpflichtet gewesen sei, dann wäre die Forderung des Geschädigten gegen den Beklagten auf die Klägerin übergegangen. Daher sei zu prüfen, ob die Klägerin - unabhängig vom Vorliegen eines konstitutiven Anerkenntnisses - gegenüber dem Beklagten regreßberechtigt sei. Da Mehmet G***** das Fahrzeug im Unfallszeitpunkt ohne den Willen des Beklagten im eigenen Interesse verwendet habe, sei dieser als eigenmächtiger Schwarzfahrer im Sinne des § 6 Abs 1 EKHG zu beurteilen. Für dessen Verhalten hafte der Beklagte zufolge Fehlens einer generellen Benützungsbewilligung nicht. Daß der Beklagte die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht habe, sei nicht ersichtlich. Daher sei eine Solidarhaftung des Beklagten mit dem Schwarzfahrer nicht gegeben. Befriedige der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer im Fall einer Schwarzfahrt im Sinne des § 6 Abs 1 EKHG den geschädigten Dritten, dann könne das nicht als Leistung im Sinne des § 158 c Abs 1 und 3 VersVG angesehen werden, weshalb insoweit auch kein Forderungsübergang gemäß § 158 f VersVG erfolge. Dies könne der Beklagte ungeachtet eingetretener Leistungsfreiheit wegen Verzugs mit der Erstprämie dem Versicherer entgegenhalten. Auf den Umstand aber, daß der Lenker im Unfallszeitpunkt über keine österreichische Lenkerberechtigung verfügt habe, habe sich die Klägerin nicht berufen. Dem Beklagten wäre nach dem vorliegenden Sachverhalt aber auch keine schuldhafte Obliegenheitsverletzung anzulasten. Lediglich im Fall eines konstitutiven Anerkenntnisses sei der Beklagte daher zur Zahlung verpflichtet, soferne nicht Sittenwidrigkeit dieser Vereinbarung anzunehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von beiden Parteien erhobenen Rekurse sind zwar im Ergebnis nicht berechtigt; berechtigt aber in den Gründen ist der Rekurs der Klägerin.

Mit Recht wendet sich die Klägerin im Rekurs gegen die Beurteilung, der Lenker des Beklagtenfahrzeuges sei als Schwarzfahrer anzusehen, der im Sinne des § 6 Abs 1 EKHG anstelle des Beklagten für den Unfall vom 9.2.1993 hafte. Benützte der Lenker zur Zeit des Unfalls das Kraftfahrzeug ohne den Willen des Halters, so haftet er anstelle des Halters für den Ersatz des Schadens; daneben bleibt der Halter für den Ersatz des Schadens haftbar, wenn die Benützung des Kraftfahrzeugs durch sein oder der Personen Verschulden ermöglicht worden ist, die mit seinem Willen beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig gewesen sind (§ 6 Abs 1 EKHG). Diese Bestimmung gilt nicht, wenn der Benutzer vom Halter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen war (§ 6 Abs 2 EKHG). Benutzer im Sinne beider genannten Absätze ist jeder, der sich den Gebrauch des Kraftfahrzeugs als solchen mit Herrschaftswillen anmaßt (§ 6 Abs 3 EKHG). Während der Halter bei eigenmächtiger Schwarzfahrt von der Haftung gemäß § 5 EKHG befreit ist, haftet er mit dem Schwarzfahrer solidarisch, wenn er selbst oder sein Betriebsgehilfe die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht hat; unter den Voraussetzungen des § 6 Abs 2 EKHG haftet der Halter und folglich auch der Haftpflichtversicherer nach EKHG (Apathy, EKHG Rz 12, 13 und 28 zu § 6). Nach der Rechtsprechung (JBl 1956, 590; SZ 50/28; 7 Ob 15/77; 7 Ob 32/86) liegt eine Schwarzfahrt dann nicht vor, wenn das Fahrzeug dem Lenker von einer Vertrauensperson des Halters überlassen wurde. Daß der Halter nur bei einer (nicht verschuldeten) Schwarzfahrt nach § 6 Abs 1 EKHG von der Gefährdungshaftung befreit wird, in den Fällen des Abs 2 aber dem Geschädigten haftet, rechtfertigt nicht, eine Schwarzfahrt im strengen Sinn des § 6 EKHG zu verneinen. Bei unerlaubter Weitergabe des Kraftfahrzeugs ist vielmehr zu unterscheiden: Läßt der vom Halter beauftragte Fahrer das Fahrzeug gegen den Willen des Halters von einem Unbefugten lenken, liegt keine Schwarzfahrt vor, solange der unberechtigte Fahrer ohne Herrschaftswillen das Kraftfahrzeug im Rahmen der genehmigten Fahrt lenkt (Apathy aaO Rz 31 f zu § 6; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 537); fährt der unbefugte Lenker dagegen im Interesse der Vertrauensperson, die ihm das Kraftfahrzeug weitergibt, so ist diese Vertrauensperson Schwarzfahrer nach § 6 Abs 2 EKHG, weil sie die Herrschaft über das Fahrzeug ausübt (Apathy aaO); verwendet schließlich der Lenker das ihm von der Vertrauensperson des Halters unbefugt weitergebene Kraftfahrzeug im eigenen Interesse, so ist er Schwarzfahrer nach Abs 1 (Apathy aaO; Koziol aaO 536; SZ 53/151).

Im vorliegenden Fall wurde das Fahrzeug - ohne Wissen und Willen des Beklagten - dem Lenker Mehmet G***** von Mustafa Ö***** zum Lenken weitergegeben, dem es der Beklagte zur Durchführung einer bestimmten Fahrt (Transport eines Arbeitskollegen zum Arbeitsplatz) überlassen hatte. Mehmet G***** benutzte das Fahrzeug zwar unbefugt, aber im Rahmen der genehmigten Fahrt. Eine Schwarzfahrt liegt somit nicht vor. Daraus folgt aber, daß die Klägerin als Haftpflichtversicherer des Beklagten dem geschädigten Unfallsgegner grundsätzlich haftet. Dessen Schadenersatzforderung gegen den Beklagten als Halter ist durch die Zahlung der Klägerin auf diese übergegangen. Somit ist das Regreßrecht der Klägerin zu bejahen, die Frage, ob der Beklagte den Regreßanspruch schuldbegründend anerkannt hat, damit nicht mehr zu beurteilen.

Das Erstgericht hat daher nur noch zu prüfen, ob die Klägerin gegenüber dem Beklagten wegen Nichtzahlung der Erstprämie leistungsfrei ist, gegenüber dem Unfallsgegner aber dennoch zur Leistung verpflichtet war. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang richtig darauf verwiesen, daß § 38 VersVG idF BGBl 1994/105 wegen des vor dem Inkrafttreten des BG liegenden (allfälligen) Zahlungsverzugs des Beklagten noch nicht anzuwenden ist. Gegen die insoweit richtigen Ausführungen des Berufungsgerichtes wenden sich die Rechtsmittelwerber nicht. Die Leistungspflicht der Klägerin gegenüber dem Unfallsgegner ist demnach noch gemäß § 158 c Abs 2 VersVG, der Forderungsübergang nach § 158 f VersVG zu beurteilen.

Da die Frage der Leistungsfreiheit wegen Nichtzahlung der Erstprämie nach den getroffenen Feststellungen noch nicht beurteilt werden kann, hatte es bei der Aufhebung des Ersturteils zu verbleiben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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