OGH 9ObA2110/96a

OGH9ObA2110/96a29.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Basalka und Anton Liedlbauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Fikret B*****, Facharbeiter, ***** vertreten durch Dr.Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei T***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Manfred Opperer und Mag.Dr.Gerhard Schartner, Rechtsanwälte in Telfs, wegen 106.588,64 S bruttto sA (Streitwert im Revisionsverfahren 102.982,58 S sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. März 1996, GZ 15 Ra 35/96a-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 11.Dezember 1995, GZ 47 Cga 251/95k-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war vom 12.8.1991 bis 19.7.1995 als Metallarbeiter bei der beklagten Partei beschäftigt, bei der Dr.Helmut P*****, einer der drei Geschäftsführer, ua für das Personalwesen zuständig ist. Personalleiter war seit 1.5.1995 Helmut W*****, der berechtigt war, Mitarbeiter einzustellen und Dienstverhältnisse aufzulösen, in kritischen Fällen aber mit Dr.Helmut P***** Rücksprache zu halten hatte.

Rund 3 Wochen vor dem 18.7. wollte der Kläger sofort eine Arbeitsbestätigung. Der Kläger trug sein Verlangen eher lautstark vor. Nachdem der Betriebsrat, mit dem sich der Personalleiter eben in einer Besprechung befand, erklärt hatte, daß er warten werde, wurde dem Kläger die Bestätigung nach einer Wartezeit von ca 45 Min ausgehändigt. Eine Verwarnung wurde dem Kläger wegen dieses Vorfalles nicht erteilt.

Am 17.7.1995 wollte sich der Kläger im Büro des vom Produktionsbetrieb 4 bis 5 km entfernten Verwaltungsgebäudes eine Arbeits- bzw Lohnbestätigung beschaffen, wobei ihm erklärt wurde, daß er die Bestätigung am folgenden Tag am Vormittag abholen könne. Als der Kläger am nächsten Tag erschien, war die Bestätigung nicht vorbereitet; er wurde angewiesen etwas zuzuwarten, aber auch bei einer neuerlichen Vorsprache 15 Min später war die Bestätigung nicht fertig. Daraufhin klopfte der Kläger an die Tür des Büros des Personalleiters, öffnete diese und begann dort zu schreien. Der Personalleiter versuchte vergeblich, den Kläger zu beruhigen. Letztlich erklärte der Kläger, daß er am folgenden Tag kommen werde, um die Bestätigung abzuholen und verließ dann das Büro. W***** sagte, daß die Bestätigungen nur noch ausgedruckt werden müßten, was der Kläger aber nicht mehr hörte. Der Personalleiter ging dem Kläger nach. Der Kläger verwendete dabei den Ausdruck "Arschloch". An diesem Tag befand sich eine Gruppe Schweizer Kunden im Verwaltungsgebäude.

Der Personalleiter versuchte noch am selben Tag Kontakt mit der Wirtschaftskammer zu bekommen, was ihm zunächst nicht gelang. Am späten Nachmittag wurde er zurückgerufen, da war aber der Geschäftsführer Dr.Helmut P***** nicht mehr erreichbar. Am 18.7.1996 verrichtete der Kläger die Nachmittagsschicht (von 13 Uhr bis 21 Uhr). Am 19.7.1996 wurde über Ersuchen des Personalleiters kurzfristig eine Geschäftsleitersitzung einberufen, an der auch der Abteilungsleiter des Klägers teilnahm. Dabei wurde die Entlassung des Klägers beschlossen, diese am selben Tag dem Kläger mündlich erklärt und mit Schreiben vom selben Tag schriftlich bestätigt.

Der Kläger begehrte die Zahlung eines Betrages von S 106.588,64 brutto an Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung. Er habe keine Entlassungsgründe gesetzt. Überdies wäre die ausgesprochene Entlassung verfristet.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Beklagte habe mit dem Personalleiter vor ausländischen Kunden geschrien und ihn schlußendlich als Arschloch tituliert. Dieses Verhalten sei umsomehr vorzuwerfen als der Kläger bereits wegen eines ähnlichen Vorfalles abgemahnt worden sei. Am 28.8. sei wegen eines späteren Vorfalles "eventualiter" nochmals die Entlassung ausgesprochen worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 102.982,58 brutto sA statt und wies das Mehrbegehren (unangefochten) ab. Es legte seiner Entscheidung dabei die weitere Feststellung zugrunde, daß der Beklagte dem Personalleiter nicht ins Gesicht schaute, als er "Arschloch" sagte, sowie, daß nicht erwiesen sei, daß er mit diesem Ausdruck den Personalleiter gemeint habe.

Das Dienstverhältnis sei durch die am 19.7.1995 ausgesprochene Entlassung beendet worden. Da nicht erwiesen sei, daß der Kläger den Ausdruck "Arschloch" gegenüber dem Personalleiter ausgesprochen habe bzw auf diesen bezogen habe, sei die Entlassung nicht berechtigt erfolgt. Die "Schreierei" des Klägers habe keinen Entlassungstatbestand erfüllt, zumal dieser berechtigt entrüstet gewesen sei, weil die versprochene Bestätigung nicht vorbereitet gewesen sei. Aus dem Ausspruch der später (eventualiter) erfolgten Entlassung sei für den Standpunkt der beklagten Partei nichts gewonnen, weil das Dienstverhältnis bereits durch die erste Entlassung beendet worden sei. Es bestehe allerdings nur ein Anspruch des Klägers in der Höhe des zuerkannten Betrages.

In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen Berufung bekämpfte die beklagte Partei die Feststellung, daß nicht erwiesen sei, daß der Kläger das Schimpfwort auf den Personalleiter bezogen habe; sie verwies auf eine spätere Äußerung des Klägers, in der dieser zugestanden habe, den Personalleiter mit diesem Ausdruck beschimpft zu haben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es räumte ein, daß gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes in dem von der beklagten Partei bekämpften Punkt Bedenken bestünden. Die Frage, ob der Kläger tatsächlich den Personalleiter beschimpft habe, könne allerdings unerörtert bleiben, weil dem Begehren des Klägers selbst dann Berechtigung zukomme, wenn man diesbezüglich dem Standpunkt der beklagten Partei folgte. Selbst wenn der Kläger einen Entlassungsgrund gesetzt hätte, wäre die Entlassung nämlich verspätet erfolgt und daher verfristet. Im Hinblick darauf, daß der Sachverhalt leicht und einfach zu beurteilen gewesen sei und die Beschimpfung gegenüber der Person geäußert worden sein soll, die zur Lösung des Dienstverhältnisses berechtigt gewesen sei, hätte der Ausspruch der Entlassung sofort erfolgen müssen. Jedenfalls wären dem Kläger ohne Verzug die möglichen Konsequenzen klarzumachen gewesen. Die Entlassungserklärung, die erst am folgenden Tag erfolgte, nachdem der Kläger in der Zwischenzeit seine Arbeit fortgesetzt hatte, sei verspätet gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsangrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Entlassung verspätet erfolgt sei, kann nicht beigetreten werden. Der Grundsatz der Unverzüglichkeit des Ausspruches der Entlassung ist ua nach den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebsverhältnissen zu beurteilen; er darf nicht überspannt werden (Arb 9564 ua). Dem Dienstgeber muß auch zwischen dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes und dem Ausspruch der Entlassung die Möglichkeit eingeräumt werden, sich über die Rechtslage zu informieren; auch eine angemessene Frist für den innerbetrieblichen Entscheidungsprozeß ist bei Beurteilung der Frage, ob der notwendige zeitliche Zusammenhang zwischen dem dienstlichen Verstoß und dem Ausspruch der Entlassung gewahrt ist, zu berücksichtigen (9 ObA 109/95).

Hier hat der Personalleiter unmittelbar nach dem Vorfall eine Rechtsberatung bei der Interessenvertretung in Anspruch genommen. Der Beschluß über den Ausspruch der Entlassung konnte wegen Abwesenheit des zuständigen Geschäftsführers am selben Tag nicht gefaßt werden. Wohl wäre der Personalleiter allein zum Ausspruch der Entlassung ermächtigt gewesen, doch war für kritische Fälle eine Rücksprache mit dem Geschäftsführer angeordnet. Daß die Herstellung des notwendigen Kontaktes eine gewisse Zeit erfordert, liegt auf der Hand. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß die sofort am folgenden Tag ausgesprochene Entlassung verfristet gewesen wäre.

Auch dadurch, daß der Kläger am 18.7.1995 in der Nachmittagsschicht seinen Dienst verrichtete, wäre ein Entlassungsrecht der beklagten Partei nicht verwirkt worden; der Kläger hätte hieraus nicht den Schluß ziehen können, sein Fehlverhalten vom Vormittag desselben Tages werde ohne Konsequenzen bleiben.

Ausgehend hievon ist aber erforderlich zu prüfen, ob der Kläger den ihm von der beklagten Partei zur Last gelegten Entlassungsgrund gesetzt hat. Da das Berufungsgericht die diesbezügliche Beweisrüge der beklagten Partei unerledigt gelassen hat, erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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