OGH 6Ob2074/96k

OGH6Ob2074/96k8.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Zechner und Dr.Prückner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Mathias B*****, geboren am 16.April 1985, in der Obsorge der Mutter, Heidemarie B*****, vertreten durch Prof.Dr.Alfred Haslinger und andere Rechtsanwälte in Linz, infolge Revisionsrekurses der Mutter gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 7.Februar 1995, AZ 13 R 45/96, womit infolge Rekurses des Vaters, Josef B*****, vertreten durch Dr.Erich Proksch und Dr.Diethard Schimmer, Rechtsanwälte in Wien, der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 27.November 1995, GZ 2 P 80/94-29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 6.4.1994 gemäß § 55 a EheG geschieden. Mit pflegschaftsgerichtlich genehmigtem Scheidungsvergleich wurde die Obsorge hinsichtlich der minderjährigen Kinder der Mutter Heidemarie B*****, zugewiesen.

Am 15.11.1995 beantragte der Vater, der Mutter die Obsorge hinsichtlich des mj. Mathias B***** zu entziehen und ihm zu übertragen. Er brachte vor, die Vereinbarung, daß die Obsorge der Mutter zustehen solle, sei vor allem deshalb erfolgt, weil der Vater zum Zeitpunkt der Scheidung noch keine bezugsfertige Wohnung besessen habe und obwohl sein Sohn Mathias gerne bei ihm gewohnt hätte, er ihm eine ordentliche Unterkunft damals nicht hätte bieten können. In der Zwischenzeit habe er jedoch eine Wohnung, in der er gemeinsam mit seiner nunmehrigen Ehefrau lebe. Sein Sohn habe ihm gegenüber öfters geäußert, daß er lieber bei ihm wohnen würde. Ein Weiterverbleib des Minderjährigen bei der Mutter sei nicht im Interesse des Kindes. Da es dessen Wunsch sei, beim Vater zu leben, diene die Übertragung der Obsorge dem Wohl des Kindes am meisten.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ohne weitere Erhebungen ab, weil ein Vorbringen zu den Voraussetzungen für die Übertragung der Obsorge, insbesondere zur Gefährdung des Kindeswohles, nicht erstattet worden sei und sich eine solche Gefährdung aus dem Akteninhalt auch nicht ergebe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Es sei zwar richtig, daß grundsätzliche Voraussetzung für eine Obsorgeentziehung die Gefährdung des Kindeswohles sei. Dabei genüge die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung der elterlichen Pflichten. Eine Obsorgeentziehung sei aber nicht nur bei einer Gefährdung des Kindeswohles zulässig, sondern auch aus anderen besonders wichtigen Gründen (EFSlg 66.037, 68.785, 71.893; Schlemmer in Schwimann ABGB1 Rz 6 zu § 176; Pichler in Rummel ABGB2 Rz 2 c zu § 177). Eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden persönliche Rechte und Pflichten allein zustehen, solle allerdings nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden, wenn besonders wichtige Gründe vorlägen und eine Änderung dringend geboten sei. Wegen der mit jeder Änderung der Unterbringung verbundenen Unterbrechung in der gebotenen Kontinuität der Pflege und Erziehung eines Heranwachsenden und wegen der von ihm zu verarbeitenden Umstellung auf andere Bezugspersonen sei aber eine bereits eingelebte Regelung grundsätzlich nur dann abzuändern, wenn besondere Umstände dafür sprechen, daß die durch die Persönlichkeit, den Charakter, die pädagogischen Fähigkeiten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des vorgesehenen neuen Obsorgeberechtigten eröffneten Möglichkeiten aller Voraussicht nach zu einer beachtlichen Verbesserung seiner Lage und Zukunftserwartung führen werde (SZ 53/143). In diesem Sinn könne auch von einer vergleichsweisen Regelung der Zuteilung der Elternrechte bei Vorliegen geänderter Verhältnisse abgegangen werden. Überhaupt sei zu beachten, daß Zuteilungsgrundsätze nie entgegen den besonderen Umständen des Einzelfalles verallgemeinert werden dürften. Dies bedeute im vorliegenden Fall, daß das Antragsvorbringen allein eine Abweisung mangels Schlüssigkeit nicht rechtfertige. Sei nämlich, ohne daß dies zwingend nach außen treten oder Gegenstand von Gesprächen vor der Einigung mit der Mutter hätte sein müssen, ausschlaggebender Grund für die Zustimmung des Vaters zur Obsorgezuweisung an die Mutter der Umstand gewesen, daß er zum Scheidungszeitpunkt noch keine bezugsfertige Wohnung gehabt habe und er dem Minderjährigen keine ordentliche Unterkunft habe bieten können, dann sei von geänderten Verhältnissen auszugehen. Für eine Obsorgeübertragung wäre in einem solchen Fall eine Gefährdung des Kindeswohles nicht zu fordern, sondern im Sinne des jedes Pflegschaftsverfahren beherrschenden Grundsatzes der Beachtung des Wohles des Kindes zu prüfen, welchem Elternteil die Obsorge zukommen soll. Entsprächen, folgend dem behaupteten Wunsch des Kindes, die Verhältnisse beim Vater auch in Abwägung mit der grundsätzlich gebotenen Kontinuität der Pflege und Erziehungsverhältnisse dem Kindeswohl besser, so würde ein besonders wichtiger Grund vorliegen, der eine Obsorgeübertragung rechtfertigte. Der Wunsch des unmündigen Minderjährigen allein könne allerdings für die Frage der Entziehung der Obsorge nicht ausschlaggebend sein, dieser sei aber nach Maßgabe seines Alters entsprechend mitzuberücksichtigen. Vor Abweisung des Antrages mangels Schlüssigkeit hätte grundsätzlich eine Erörterung mit dem Antragsteller stattfinden müssen. Das Erstgericht werde daher vor neuerlicher Entscheidung entsprechende Erhebungen über die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Regelung durchzuführen haben, falls tatsächlich eine Änderung der Verhältnisse im Vergleich zum Scheidungszeitpunkt, bedingt durch die Wohnsituation des Vaters eingetreten sei.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen sei, weil zwar grundsätzlich der Entscheidung SZ 53/142 gefolgt worden sei, allerdings zahlreiche Entscheidungen des Höchstgerichtes existierten, die, wenn auch im Einzelfall jeweils berechtigt, die Gefährdung des Kindeswohles als unbedingte Voraussetzung für die Obsorgeentziehung voraussetzten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Ausführungen des Rekursgerichtes sind zutreffend. Eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden Rechte und Pflichten allein zustehen sollen, darf nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist oder wenn - andere - besonders wichtige Gründe vorliegen, die eine Änderung dringend geboten erscheinen lassen (SZ 53/142 ua). Ein Wechsel der Obsorge soll nur ausnahmsweise erfolgen, wenn dies wegen einer Änderung der Verhältnisse im Interesse des Kindes geboten erscheint. Nur sichere Prognosen für eine erhebliche Förderung des Kindeswohles, das in jedem Einzelfall oberster Maßstab ist, gestatten eine Änderung. Da der Vater in seinem Antrag auf Übertragung der Obsorge eine Änderung der Verhältnisse seit Abschluß des pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleiches, aber auch eine wesentliche Förderung des Kindeswohles behauptet hat, hat das Rekursgericht zu Recht darauf verwiesen, daß eine Abweisung des Antrages ohne Durchführung jeglichen Verfahrens durch das Erstgericht verfrüht war, dieses vielmehr unter Beachtung der ausführlich dargelegten Beurteilungsgrundsätze nach Verfahrensergänzung neuerlich über den Antrag zu entscheiden haben wird. Dabei wird auch das Kind, auch wenn sein Wunsch nicht allein ausschlaggebend sein kann, zu hören sein. Die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung und der Auftrag zur Verfahrensergänzung erfolgten daher zu Recht.

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