OGH 4Ob2069/96k

OGH4Ob2069/96k30.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Eva E*****, vertreten durch Mag.Dr.Herwig Emmer-Reissig, Rechtsanwalt in Klosterneuburg, wider die beklagte Partei Hassan E*****, vertreten durch Dr.Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revisionsrekurses der Klägerin und des Beklagten gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14.Dezember 1995, GZ 39 R 813/95-11, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 26.September 1995, GZ 44 C 752/94k-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs des Beklagten wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Beklagten die mit S 2.436,48 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin S 406,08 Umsatzsteuer) binnenn 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Klagevertreter ist Eigentümer des Hauses W*****. Er räumte der Klägerin, seiner Ehegattin, das Fruchtgenußrecht ua an der in diesem Hause gelegenen Wohnung top Nr. 10 ein. Die Klägerin schloß mit dem Beklagten am 1.Juni 1994 einen als "Untermiet-Vereinbarung" bezeichneten Bestandvertrag über diese Wohnung für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30.November 1994.

Mit der Behauptung, daß der Beklagte trotz Zeitablaufes aus der Wohnung nicht ausgezogen sei, begehrt die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, die näher bezeichnete Untermietwohnung zu räumen und ihr geräumt zu übergeben.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Kägerin sei nicht aktiv legitimiert, weil in Wahrheit der Klagevertreter der Vermieter sei. Es liege ein Scheinuntermietverhältnis gemäß § 2 Abs 3 MRG vor. Er habe daher - wie andere Scheinuntermieter - bei der zuständigen Schlichtungsstelle den Antrag auf Anerkennung als Hauptmieter gestellt.

Die Klägerin sprach sich gegen den Unterbrechungsantrag aus, weil dieser unzulässig sei. Die Kägerin sei nicht Hauptmieterin, sondern Fruchtnießerin der Wohnung top Nr. 10. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (5 Ob 79/91) könne der von ihr mit dem Beklagten abgeschlossene Vertrag keine Hauptmiete begründen.

Das Erstgericht unterbrach das Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des - mittlerweile beim Erstgericht anhängig gewordenen - Verfahrens 44 Msch 35/95. Da die Frage, ob der Beklagte Haupt- oder Untermieter ist, sowohl für die Frage der Aktivlegitimation als auch für jene der Zulässigkeit der Befristung des Mietverhältnisses präjudiziell sei, sei der Prozeß gemäß § 41 MRG zu unterbrechen.

Das Rekursgericht wies den Unterbrechungsantrag ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der "Untermietvertrag" sei nach dem Inkrafttreten des 3. WÄG geschlossen worden, so daß § 2 Abs 1 MRG in der neuen Fassung anzuwenden sei. Danach liege aber im Gegensatz zur vorangegangenen Rechtslage Hauptmiete auch dann vor, wenn der Vermieter dinglich oder obligatorisch berechtigter Fruchtnießer auch nur von Teilen der Liegenschaft sei. Diese Frage sei zwar im Schrifttum umstritten. Auf Grund des grammatikalisch klaren Wortlautes gelange aber der erkennende Senat zum Ergebnis, daß Mietverträge, die der Fruchtnießer von Teilen der Liegenschaft oder einzelnen Wohnungen vergibt, Hauptmietverträge im Sinn des § 2 Abs 1 MRG sind. Der vom Beklagten gestellte Antrag auf Anerkennung als Hauptmieter gemäß § 2 Abs 3 MRG sei daher nicht präjudiziell; vielmehr sei er aussichtslos, weil der Beklagte schon jetzt gemäß § 2 Abs 1 MRG Hauptmieter sei. Das Verfahren sei daher nicht zu unterbrechen.

Rechtliche Beurteilung

1. Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs der Klägerin ist unzulässig:

Die Klägerin hat in erster Instanz die Abweisung des vom Beklagten gestellten Unterbrechungsantrages begehrt; das Gericht zweiter Instanz hat in Stattgebung des von der Klägerin erhobenen Rekurses diesem Begehren entsprochen. Die Klägerin ist daher durch den Spruch des angefochtenenn Beschlusses nicht beschwert. Eine Beschwer durch die Begründung wird von der Rechtsprechung nur bei Rechtsmitteln gegen Aufhebungsbeschlüsse und Zwischenurteile anerkannt, sonst aber grundsätzlich abgelehnt (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 10 vor §§ 461 ff mwN). Wenn auch die Begründung des angefochtenen Beschlusses den Interessen der Klägerin zuwiderläuft, ist die Rechtslage doch anders als bei Aufhebungsbeschlüssen oder Zwischenurteilen. Die in einem Aufhebungsbeschluß des Gerichtes zweiter Instanz geäußerte Rechtsansicht ist für das Erstgericht bindend (§ 499 Abs 2 ZPO); ein Zwischenurteil äußert infolge seiner materiellen Rechtskraft über den Grund des Anspruches insoweit die Bindungswirkung, als Gericht und Parteien die Frage des Anspruchsgrundes nicht mehr neuerlich aufrollen dürfen (Fasching III 595). Für die Höhe des Anspruches kann aber maßgebend sein, welcher der allenfalls geltend gemachten mehreren Rechtsgründe bejaht wurde (vgl Fasching, LB2 Rz 1718). Im vorliegenden Fall ist hingegen das Erstgericht an die Rechtsansicht des Rekursgerichtes - welche die sofortige Abweisung des Klagebegehrens rechtfertigte - nicht gebunden.

Da nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Lehre die Beschwer eine Zulässigkeitsvoraussetzung für jedes Rechtsmittel ist (SZ 53/86; SZ 61/6 uva; Kodek aaO Rz 9), war der Revisionsrekurs der Klägerin zurückzuweisen.

2. Der Revisionsrekurs des Beklagten ist berechtigt:

Nach § 2 Abs 1 MRG idF vor dem 3. WÄG lag Hauptmiete vor, "wenn der Mietvertrag mit dem Eigentümer oder Fruchtnießer der Liegenschaft oder, sofern der Mietgegenstand im Wohnungseigentum steht, mit dem Wohnungseigentümer geschlossen" wurde. Auf der Grundlage dieses Gesetzeswortlautes sprach der Oberste Gerichtshof in der grundlegenden Entscheidung 5 Ob 79/91 = EvBl 1992/41 = ImmZ 1992, 149 unter Ablehnung der gegenteiligen Lehrmeinung von Fenyves ("Haupt- und Untermieter, 'Abtretung des Mietrechts', Wohnungstausch und Mietrecht im Todesfall [§§ 2, 11 - 14 MRG]" in HdBzMRG 269 ff [284, 287]) und zweier Vorentscheidungen (vor allem 7 Ob 568/85 = MietSlg 37.240 = RdW 1985, 308), im Einklang mit Würth/Zingher (Miet- und Wohnrecht19, Rz 2 zu § 2 MRG) und Iro (RdW 185, 308) sowie anderer Vorentscheidungen (insbes WoBl 1991, 73) aus, daß der mit dem Fruchtnießer einer Wohnung abgeschlossene Mietvertrag keine Hauptmiete begründe; die gegenteilige Auffassung lasse sich mit dem Wortlaut des § 2 Abs 1 MRG nicht vereinbaren, der eben nur den Fruchtnießer der Liegenschaft - also gemeinhin des Hauses - als Vermittler von Hauptmietrechten nenne.

§ 2 Abs 1 Satz 1 MRG idF des 3. Wohnrechtsänderungsgesetzes (3. WÄG) BGBl 1993/800 lautet nun dahin, daß Hauptmiete vorliegt, "wenn der Mietvertrag mit dem Eigentümer der Liegenschaft oder mit dem dinglich oder obligatorisch berechtigten Fruchtnießer, mit dem Mieter oder Pächter eines ganzen Hauses oder, sofern der Mietgegenstand im Wohnungseigentum steht, mit dem Wohnungseigentümer geschlossen wird."

Hanel (in Würth/Call/Hanel, "Die geplanten wesentlichen Änderungen des MRG", WoBl 1993, 149 ff [149]) meinte dazu, daß demnach - "gehe man davon aus, daß der Formulierungsunterschied kein 'Betriebsunfall' war" - nach dieser Neuregelung nicht mehr erforderlich sei, daß der Fruchtgenuß an der gesamten Liegenschaft bestehen müsse. Tades/Stabentheiner ("Das 3. Wohnrechtsänderungsgesetz", ÖJZ 1994, H. 1 A, 23) wiesen auf diese Äußerung Hanels hin und meinten gleichfalls, daß infolge der neuen Wortstellung nicht mehr gefordert werde, daß der Fruchtgenuß an der gesamten Liegenschaft bestehe; ob diese Änderung der Rechtslage beabsichtigt war, stehe allerdings zu bezweifeln.

Würth/Zingher ("Wohnrecht 94" Anm 2 zu § 2 MRG) führen dazu aus:

"Nachgezogen hat der Gesetzgeber bei der Gleichstellung von dinglichem und obligatorischem Fruchtgenuß durch die Rsp, wie dies auch der AB als Absicht des Gesetzgebers betont. Unklar ist hingegen, ob auch eine Ausdehnung auf den bloßen Wohnungsfruchtgenuß beabsichtigt war, ob also das Nebeneinanderstellen des 'Eigentümers der Liegenschaft' und des 'dinglich oder obligatorisch berechtigten Fruchtnießers' ohne gleichzeitige Nennung 'der Liegenschaft' nur sprachliche Gründe hat (was dem historischen Gesetzgeber aus Erfahrung zu unterstellen ist) oder ob die Unterlassung der Nennung der Liegenschaft normative Bedeutung hat. Systematische Gründe - die Nennung zwischen Eigentümer der Liegenschaft und dem 'Mieter und Pächter eines g a n z e n Hauses' spricht ebenso wie der Hinweis des historischen Gesetzgebers nur auf die beabsichtigte Gleichstellung des obligatorischen Fruchtnießers für die Beibehaltung der jüngeren Rsp (EvBl 1992/41 = ImmZ 1992/41), wonach das Wohnungsrecht - in welcher Form immer - nicht darunter fällt."

Hiezu hat der erkennende Senat erwogen:

Der Meinung des Rekursgerichtes, daß der Wortlaut des § 2 Abs 1 Satz 1 MRG idF 3. WÄG in Ansehung des Fruchtnießers völlig eindeutig sei, ist nicht zu folgen. Die Erforschung des Wortsinnes - mit der jede Gesetzesauslegung zu beginnen hat (Koziol/Welser, Grundriß10 I 20) - führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der Gesetzgeber spricht von "dem" Eigentümer der Liegenschaft und meint damit den einzigen Eigentümer oder - im Fall der Miteigentümergemeinschaft - die Gesamtheit der Eigentümer. Wenn auch im letzteren Fall der Mietvertrag nur mit der Mehrheit der Miteigentümer als Trägerin der ordentlichen Verwaltung oder dem Minderheitseigentümer auf Grund einer Benützungsregelung geschlossen wurde, so kommt doch auch in diesen Fällen das Mietverhältnis immer mit allen Miteigentümern zustande (Würth in Rummel, ABGB2, Rz 9 zu §§ 1092 bis 1094; Rz 4 zu § 2 MRG). Daß der Gesetzgeber in der Folge von "dem" dinglich oder obligatorisch berechtigten Fruchtnießer spricht, deutet darauf hin, daß er auch hier nur "den" einzigen Fruchtnießer an der ganzen Liegenschaft oder doch die Gesamtheit der Fruchtnießer vor Augen hat. Überdies kann die nähere Bestimmung "der Liegenschaft" nicht nur auf den vorangestellten Eigentümer, sondern auch auf den nachgestellten Fruchtnießer bezogen werden. Dafür spricht auch - worauf Würth/Zingher aaO zutreffend verweisen - die Einreihung zwischen dem "Eigentümer der Liegenschaft" und dem "Mieter oder Pächter eines ganzen Hauses".

Führt somit die wörtliche Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis - jedenfalls nicht im Sinn des Rekursgerichtes -, so ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen (Koziol/Welser aaO 21). Dabei fällt auf, daß der Gesetzgeber die Änderung des § 2 Abs 1 Satz 1 MRG, soweit sie den Fruchtnießer anlangt, ausschließlich damit begründet hat, daß er den obligatorischen mit dem dinglichen Fruchtnießer gleichstellen wollte (AB 1268 BlgNR 18. GP 10). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte muß daher angenommen werden, daß es der Gesetzgeber im übrigen bei der bisherigen Rechtslage, daß also nur der Fruchtnießer der ganzen Liegenschaft, nicht aber der bloß an einer Wohnung Fruchtgenußberechtigte einen Hauptmietvertrag schließen könne, belassen wollte.

Daraus folgt, daß nicht schon auf Grund des eigenen Vorbringens der Klägerin das Bestehen von Untermietverhältnissen verneint werden kann.

Dann ist aber der Einwand des Beklagten, daß er in Wahrheit doch Hauptmieter sei, weil ein "Scheinuntermietverhältnis" im Sinn des § 2 Abs 3 MRG vorliege, rechtlich von Bedeutung. Nach § 2 Abs 3 MRG kann der Mieter, mit dem der Untermietvertrag geschlossen wurde, dann, wenn bei Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln besteht, daß ein Hauptmietvertrag nur zur Untervermietung durch den Hauptmieter und zur Umgehung der einem Hauptmieter nach diesem Bundesgesetz zustehenden Rechte geschlossen wurde, begehren, als Hauptmieter des Mietgegenstandes anerkannt zu werden. Materiellrechtliche Voraussetzung dieses Anspruches auf "Anerkennung" ist das Vorliegen eines Umgehungsgeschäftes, daß nämlich der Hauptmietvertrag nur zur Untervermietung durch den Hauptmieter und zur Umgehung der dem Hauptmieter nach dem MRG zustehenden Rechte geschlossen worden ist (Würth in Rummel aaO Rz 9 zu § 2 MRG).

Daß die Klägerin nach ihrer Behauptung nicht Hauptmieterin, sondern Fruchtgenußberechtigte an der Wohnung ist, steht dem Begehren des Beklagten nach § 2 Abs 3 MRG nicht im Wege. Der Gesetzgeber wollte den verstärkten Schutz des (nominellen) Untermieters vor Umgehungsgeschäften des Eigentümers nicht darauf einschränken, daß als Umgehungsgeschäft ein Hauptmietvertrag vorgeschoben wird; vielmehr sollte jedes Rechtsgeschäft, das dem Strohmann die Stellung eines Untervermieters verschafft, erfaßt werden, käme man doch sonst zu dem unbefriedigenden Ergebnis, daß der "Untermieter", dem sich ein vom Hauseigentümer dazwischengeschalteter Strohmann als Hauptmieter ausgegeben hat, mit seinem Begehren nach § 2 Abs 3 MRG scheitern müßte, wenn sich die ihm verborgene Rechtsbeziehung des Untervermieters zum Hauseigentümer im Verfahren nach § 37 MRG als etwas anderes als Hauptmiete herausstellen sollte (SZ 56/109 = MietSlg 35.290/18; Würth aaO Rz 9).

Da somit die Entscheidung über das Räumungsbegehren von der Vorfrage abhängt, über die in dem schon anhängigen Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG zu entscheiden ist, auf Anerkennung des Beklagten als Hauptmieter gemäß § 2 Abs 3 MRG zu entscheiden ist, hat das Erstgericht mit Recht das Verfahren unterbrochen (§ 41 MRG).

In Stattgebung des vom Beklagten erhobenen Rekurses war daher der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Rekurskosten des Beklagten gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1, § 52 ZPO.

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