OGH 2Ob2031/96g

OGH2Ob2031/96g25.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Arthur M*****, vertreten durch Dr.Heimo Berger, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagten Parteien 1. Johann L*****, und 2. ***** *****versicherung ***** , beide vertreten durch Dr.Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 123.300 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13.Dezember 1995, GZ 3 R 152/95-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 10.Mai 1994, GZ 28 Cg 322/93-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall am 29.5.1986 schwer verletzt; sein linkes Bein wurde im Bereich des Oberschenkels amputiert. Die Haftung der beklagten Parteien für alle dem Kläger künftig aus diesem Unfallsereignis entstehenden Schäden steht aufgrund eines Anerkenntnisurteils fest.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung von S

123.300 aus dem Titel des Schadenersatzes wegen vermehrter Bedürfnisse. Im Vorprozeß seien ihm die Kosten für die Anschaffung eines Invalidenfahrzeuges zugesprochen worden. Das von ihm angeschaffte (gebrauchte) Fahrzeug sei im April 1991 bei einem Verkehrsunfall total beschädigt worden, er habe einen Liquidationserlös von 53.000 S erhalten. Wegen seiner vermehrten Bedürfnisse sei er auf ein Invalidenfahrzeug, das mit automatischem Getriebe ausgestattet sei, angewiesen. Für die Anschaffung eines derartigen (neuen) Invalidenfahrzeuges der Marke Renault Clio 1,4 l Automatic sei ein Betrag von S 176.300 nötig. Abzüglich des Liquidationserlöses von 53.000 S hätten ihm die Beklagten die Differenz in der Höhe des Klagsbetrages zu ersetzen.

Die Beklagten wendeten ein, der Kläger gehe als Pensionist keiner Beschäftigung nach und benötige daher außer für Arztbesuche und Besuche beim Orthopäden, allenfalls auch für Einkaufsfahrten, kein eigenes Fahrzeug; der Kläger könne höchstens ein Gebrauchtfahrzeug derselben Preisklasse wie bisher begehren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Nach dem Unfall vom 29.5.1986 erwarb der Kläger einen gebrauchten PKW mit Automatikgetriebe mit einem Kilometerstand von 43.000 km um den Kaufpreis von 75.000 S. Im Mai 1990 erwarb er die Lenkerberechtigung für Fahrzeuge der Gruppe B.

Am 22.4.1991 erlitt der Kläger dadurch, daß ihm ein LKW von hinten auffuhr, einen Totalschaden an seinem Fahrzeug. Von der Haftpflichtversicherung des Unfallsgegners wurden ihm am 20.8.1991 bei einem angenommenen Zeitwert des Fahrzeuges von 53.000 S und des Restwertes von 5.000 S auf Totalschadensbasis S 48.000 ausbezahlt.

Nach dem Unfall vom 22.4.1991 ließ der Kläger sein beschädigtes Fahrzeug "im Pfusch" wieder reparieren; das Fahrzeug steht ihm seit Juli 1991 wiederum zur Benützung zur Verfügung.

Aufgrund der Amputation des linken Beines kann der Kläger nur mehr einen PKW benützen, der mit einem Automatikgetriebe ausgestattet ist. Fahrzeuge mit automatischem Getriebe sind in allen Größen und Preisklassen sowohl als Neu- als auch als Gebrauchtfahrzeug auf dem Markt erhältlich.

Am 31.1.1991 hat sich der Kläger zur Meisterprüfung aus dem Tischlereifach angemeldet und wurde auch zugelassen. In der Folge hat er in der Zeit vom 3.4. bis 10.5.1991 in K***** einen Intensivkurs besucht. Nachdem er am 13.4.1991 die schriftliche Prüfung abgelegt hatte, meldete er sich am 26.4.1991 von der Meisterprüfung ohne Angabe eines Grundes ab. Die Fahrten zu dem Intensivkurs hat der Kläger mit seinem PKW zurückgelegt. Diesen PKW benützt der Kläger auch für die Fahrt zum Arzt und zur Durchführung von Massagen im Zusammenhang mit dem Unfall vom 29.5.1986 und für die Erledigung von Besorgungen wie Einkäufe u.dgl.

Der Grund für die Abmeldung von dem Vorbereitungskurs und für die Nichtabsolvierung des Meisterkurses konnte nicht festgestellt werden.

Im Jahre 1990 kaufte der Kläger in A***** ein Haus, das er gemeinsam mit einem Nachbarn umbaute. Im Zuge der Errichtung des Dachstuhles stürzte der Kläger am 1.11.1992 von einer Leiter und zog sich einen Bruch des rechten Schambeinastes zu. Aufgrund dieser Verletzung befand er sich drei Wochen im Krankenhaus.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Kläger habe einen unter vermehrte Bedürfnisse zu subsumierenden Anspruch nicht nachgewiesen. Im Vorverfahren seien die Kosten für das von ihm verlangte Gebrauchtfahrzeug mit Automatikgetriebe wegen des durch die unfallskausalen Verletzungen erforderlichen Wechsels von seinem bisher benutzten Motorrad auf einen PKW als ersatzfähig angesehen worden. Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für ein Neufahrzeug anstelle der ihm im Vorverfahren zugesprochenen Kosten für die Anschaffung eines Gebrauchtfahrzeuges stehe ihm aber nicht zu. Er habe weder behauptet noch bewiesen, aus beruflichen Gründen einen PKW zu benötigen. Der Schaden vom 22.4.1991 sei auf ein eigenständiges Ereignis, das den Beklagten nicht zuzurechnen sei, zurückzuführen; dieses Ereignis sei allein in der Sphäre des Klägers gelegen, so daß er den ihm daraus entstandenen Schaden gemäß § 1311 ABGB selbst zu tragen habe.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision nicht für zulässig. Das Berufungsgericht führte aus, der Kläger könne einen wesentlichen Grund für die Berechtigung des Ersatzanspruches für die Anschaffungskosten eines PKW aus dem Titel vermehrter Bedürfnisse, nämlich um den Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen zu können, für sich nicht in Anspruch nehmen, weil er Pensionist sei und keiner Beschäftigung nachgehe. Zur Durchsetzung seines geltend gemachten Anspruches hätte er nachweisen müssen, daß er zum Ausgleich erhöhter Bedürfnisse weiterhin einen PKW benötige. Für die Beschädigung des Fahrzeuges des Klägers im April 1991 hätten die beklagten Parteien nicht einzutreten, weil diese der Sphäre des Klägers zuzurechnen sei und insofern daher § 1311 ABGB gelte. Daß die begrenzte Benützungsdauer des Fahrzeuges zum Unfallszeitpunkt bereits abgelaufen wäre und daher aus diesem Grund dem Kläger der Ersatz der Kosten eines weiteren Fahrzeuges zustünde, habe er gar nicht behauptet; auch in einem solchen Fall stünden ihm aber nur die Kosten für die abermalige Anschaffung bloß eines Gebrauchtwagens zu. Im übrigen stehe fest, daß der Kläger den beschädigten PKW repariert habe und er ihm seither weiterhin zur Verfügung stehe. Anders als zum Zeitpunkt der Zuerkennung der Kosten des Gebrauchtfahrzeuges mit Automatikgetriebe benötige der Kläger jetzt einen PKW aus beruflichen Gründen nicht. Der vom Kläger begehrte Ersatz der Kosten eines Neufahrzeuges aus Anlaß der wirtschaftlichen Totalbeschädigung des ihm zuerkannten Gebrauchtfahrzeuges stehe ihm keinesfalls zu, weil ihm im Vorprozeß bloß ein Gebrauchtfahrzeug zugestanden worden sei. Den Ersatz der Kosten bloß eines Gebrauchtfahrzeuges verlange der Kläger aber nicht.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien haben in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht getroffene Unterscheidung in vermehrte Bedürfnisse, die im Zusammenhang mit der Berufsausübung stehen, und anderen vermehrten Bedürfnissen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht zu entnehmen ist; sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, die Beklagten hätten ihm jegliche Kosten aus der unfallsbedingten Vermehrung der Bedürfnisse zu ersetzen; es handle sich um neue Bedürfnisse und Ausgaben, die ohne den Unfall nicht angefallen wären. Das behindertengerechte Element bestehe im Einbau eines Automatikgetriebes, wobei es unwirtschaftlich sei, ein Automatik-Gebrauchtfahrzeug am Markt zu kaufen; die Lebensdauer eines Neufahrzeuges sei wesentlich länger und der damit verbundene Reparaturkostenaufwand für den Schädiger in weiterer Folge geringer als für ein reparaturanfälliges gebrauchtes Fahrzeug.

Hiezu wurde erwogen:

Der Ersatzanspruch wegen Körperverletzung (§ 1325 ABGB, § 13 Z 3 EKGH umfaßt auch die Aufwendungen wegen Vermehrung der Bedürfnisse (ZVR 1989/60). Unter den vermehrten Bedürfnissen sind die auf dem Unfallsgeschehen beruhenden Aufwendungen zu verstehen, die solche Nachteile ausgleichen sollen, die durch eine dauernde Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Verletzten entstehen. Diese Aufwendungen verfolgen das Ziel, die Lebensführung des Verletzten derjenigen eines Gesunden möglichst anzunähern; es werden davon solche unfallsbedingten Mehraufwendungen erfaßt, die dem Geschädigten im Vergleich zu einem gesunden Menschen erwachsen (Wussow/Dressler, Unfallhaftpflicht- recht14 Rz 1824). Der dem Verletzten zustehende Ersatz für Aufwendungen infolge neuer Bedürfnisse, die ohne den Unfall nicht entstanden wären, beruht darauf, daß der Erstzpflichtige zur umfassenden Wiederherstellung des Zustands vor der Verletzung oder einer im wesentlichen gleichen Ersatzlage verpflichtet ist (Apathy, KommzEKHG, Rz 30 zu § 13 mwN). Dabei entspricht es ständiger Lehre und Rechtsprechung, daß dem Verletzten zum Ausgleich einer schweren Gehbehinderung ein Anspruch auf Ersatz der Kosten und Instandhaltung eines PKW zusteht (ZVR 1982/67; 1985/48; 1989/60; Apathy, aaO, Rz 31 zu § 13). Dieser Anspruch auf Ersatz der Kosten und Instandhaltung eines PKW ist davon unabhängig, ob dieses Fahrzeug für berufsbedingte Fahrten benötigt wird oder nicht. Da die aus dem Titel der vermehrten Bedürfnisse zu ersetzenden Aufwendungen das Ziel verfolgen, die Lebensführung des Verletzten derjenigen eines Gesunden möglichst anzunähern, sind die Kosten für die Anschaffung eines PKW auch dann zu ersetzen, wenn das Fahrzeug nicht beruflichen Zwecken dient. Durch den Ersatz der Aufwendungen für den Erwerb eines PKW wird der Verletzte annähernd in jenen Zustand der Mobilität versetzt, wie er für einen Gesunden selbstverständlich ist. Allerdings begründet die Tatsache, daß der durch den Unfall Geschädigte wegen der erlittenen Verletzungen auf einen PKW angewiesen ist, keinen Anspruch darauf, daß der Schädiger auf Dauer jeweils die vollen Anschaffungskosten eines solchen zu ersetzen hat (Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr2, Rz 55 zu § 11 StVG; Becker/Böhme, Kraftverkehrs-Haftpflichtschäden19, 203). Zu ersetzen sind vielmehr nur die unfallsbedingten Mehrkosten und käme ein Anspruch auf Erstattung sämtlicher Kosten eines PKW ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte ohne den Unfall einen PKW überhaupt nicht gehalten hätte (Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden5, Rz 184 FN 6). Wenn daher feststeht, daß der Geschädigte auch ohne den Unfall einen PKW angeschafft hätte, hat er nur einen Anspruch auf Ersatz jenes Mehraufwandes, der dadurch entsteht, daß er ein besonderes Fahrzeug benötigt (2 Ob 6/95). Hätte der Kläger allerdings ohne Unfall wiederum nur ein Motorfahrrad angeschafft, so könnte er nur jene Kosten verlangen, die notwendig sind, ein derartiges Fahrzeug oder ein Motordreirad seinen besonderen Bedürfnissen zu adaptieren. Nur wenn dies nicht möglich sein sollte, könnte er die Kosten eines PKW begehren.

Im vorliegenden Fall fehlt es an Feststellungen zu diesen Fragen, so daß das Verfahren insoweit mit einem Mangel behaftet ist, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindert. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht diese Fragen mit den Parteien zu erörtern und bei widersprechenden Vorbringen darüber Feststellungen zu treffen haben. Sollte sich daraus ergeben, daß der Kläger einen Anspruch auf Ersatz der Kosten eines PKW hat, wären ihm nicht nur die Kosten eines Gebrauchtfahrzeuges zuzusprechen. Auch wenn der Kläger im Vorprozeß nur die Kosten eines solchen begehrt hat, dann bedeutet dies nicht, daß er sich auch in Zukunft mit einem solchen begnügen muß. Das Risiko geheimer Mängel und zusätzlicher Belastungen bei einem Gebrauchtfahrzeug ist nicht zu vernachlässigen (vgl JBl 1959, 453), so daß der ohnehin schwer verletzte Kläger zugunsten seines Schädigers nicht auf ein Gebrauchtfahrzeug verwiesen werden kann.

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, daß er das beim Unfall im Jahre 1991 beschädigte Fahrzeug "im Pfusch" reparieren ließ. Auszugehen ist nämlich davon, daß die beklagten Parteien grundsätzlich dazu verpflichtet sind, jene Kosten zu tragen, die es dem Kläger ermöglichen, ein Leben ähnlich eines Gesunden zu führen. Hätte er also als Gesunder keinen PKW angeschafft, so hätte er einen Anspruch darauf, daß er zum Ausgleich seiner schweren Verletzung ständig in der Lage ist, ein behindertengerechtes Fahrzeug zu benutzen. Dabei kann es dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, daß er das alte Fahrzeug (im Pfusch) reparieren ließ. Es kann von ihm wegen des Risikos, neuerlich einen Unfall zu erleiden, nicht verlangt werden, dieses Fahrzeug weiter zu benutzen und kann es nicht zum Vorteil des Schädigers sein, daß der Geschädigte vorübergehend (seit dem zweiten Unfall sind immerhin schon fast fünf Jahre verstrichen) dafür sorgte, daß er ein Ersatzfahrzeug hat. Auch der aufgrund des Unfalls im Jahre 1991 nunmehr eingetretene Schaden ist (wenn sich der Kläger sonst keinen PKW angeschafft hätte) kausal durch den seinerzeitigen Unfall verursacht worden, er ist auch nicht inadäquat, weil es keine außergewöhnliche Verkettung unglücklicher Umstände darstellt (vgl Koziol/Welser I10, 448), wenn ein aufgrund vermehrter Bedürfnisse angeschafftes Fahrzeug neuerlich bei einem Unfall beschädigt wird.

Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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