OGH 1Ob2020/96g

OGH1Ob2020/96g23.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Univ.Doz.Dr.Fereydoun H*****, vertreten durch Dr.Georg Hoffmann, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei S***** Krankenanstalten Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Georg Christian Gass und Dr.Alexander M.Sutter, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 2,120.000 sA und Feststellung (Streitwert S 100.000,- -) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 27.Dezember 1995, GZ 6 R 121/95-59, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 20.März 1995, GZ 17 Cg 386/93-55, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 21.3.1986 erlitt der Kläger eine Verletzung des linken Kniegelenks. Nach ambulanter Erstversorgung wurde er am 24.3.1986 an der Universitätsklinik für Chirurgie des Landeskrankenhauses G***** stationär aufgenommen und die Verletzung am 27.3.1986 operativ versorgt. Am 11.4.1986 wurde er, versehen mit einem Oberschenkelgehgips, in ambulante Nachbehandlung entlassen. Infolge Schmerzen suchte er am 13., 16. und 18.4.1986 die Klinik auf. Nach jeweils nicht dokumentierten ärztlichen Kontrollen wurde ein Grund zur stationären Aufnahme des Klägers nicht gefunden. Erst am 19.4.1986 erfolgte die neuerliche stationäre Aufnahme; am 20.4.1986 wurde wegen eines nunmehr diagnostizierten Spätinfekts ein operativer Eingriff vorgenommen. Am 9.5.1986 wurde der Kläger in häusliche Pflege entlassen. Trotz weiterer Behandlung und eines weiteren operativen Eingriffs bestehen beim Kläger nach wie vor Beschwerden und eine hochgradige Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei ein Schmerzengeld von S 500.000,-- und den Ersatz eines mit S 1,620.000,-- bezifferten Vermögensschadens, der sich aus der unbedingt notwendigen Inanspruchnahme seiner im Iran deponierten Ersparnisse ergebe. Weiters begehrt er die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle aus der Behandlung nach dem Unfall vom 21.3.1986 resultierenden künftigen Schäden. Beim Kläger sei eine auf einen Behandlungsfehler zurückzuführende Infektion aufgetreten. Obwohl er sich wegen starker Schmerzen und Fiebers am 13., 16. und 18.4.1986 zu Kontrollen ins Krankenhaus begeben habe, sei er nicht in stationäre Behandlung aufgenommen worden. Am 18.4.1986 habe ein Arzt im Krankenhaus sogar den Austritt von Eiter aus dem Kniegelenk festgestellt. Dennoch sei er erst am nächsten Tag nach Untersuchung durch einen anderen Arzt infolge hochgradiger Sepsis stationär aufgenommen und am darauffolgenden Tag neuerlich operiert worden. Der bestehende massive Dauerschaden sei auf die nicht lege artis durchgeführte Behandlung und die Nachlässigkeit der Ärzte des Krankenhauses zurückzuführen.

Die beklagte Partei wendete ein, daß kein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Die Vermeidung jeglicher Infektionsgefahr sei bei der Operation eines Kniegelenks nicht möglich. Das Auftreten der Infektion sei als schicksalhaft zu betrachten. Die ambulante Nachsorge habe dem üblichen Vorgehen entsprochen. Auch sei der Klagsanspruch verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach der Operation vom 27.3.1986 sei es trotz ständiger gezielter Überwachung und Kontrolle bis zur Entlassung am 11.4.1986 aufgrund eines Hautkeims zum Auftreten einer Spätinfektion, die sich typischerweise langsam entwickelt habe, gekommen. Die Infektion sei nicht auf einen „Hauskeim“ zurückzuführen. Die bei der Entlassung am 11.4.1986 vorgelegene erhöhte Temperatur sei aufgrund der regelrechten Blutsenkung und der blanden lokalen Wundverhältnisse auf einen grippalen Infekt zurückgeführt worden. Über die wegen der beim Kläger aufgetretenen Beschwerden durchgeführten ambulanten Kontrollen vom 13., 16. und 18.4.1986 bestünde keinerlei ärztliche Dokumentation. Mangels Nachweises eines Kunstfehlers gebühre dem Kläger kein Schadenersatz. Der Klagsanspruch sei allerdings nicht verjährt, weil der Kläger frühestens mit Abschluß der Nachbehandlung am 4.4.1987 Kenntnis vom Dauerschaden erlangt habe.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig, weil zur Umkehr der Beweislast wegen Unterlassung der Dokumentation einer ambulanten Betreuung nach vorausgegangenem stationären Aufenthalt oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege. Nach dem Inhalt der Prozeßakten seien ihm erheblich erscheinende Tatsachen in erster Instanz bisher nicht bzw. nicht ausreichend erörtert worden, sodaß Feststellungsmängel vorlägen. Der Kläger habe das Klagebegehren auch auf die Behauptung gestützt, sein fieberhafter Zustand habe nach der Entlassung aus dem Krankenhaus angehalten, weshalb er - auch wegen des Auftretens starker Schmerzen - am 13., 16. und 18.4.1986 das Landeskrankenhaus G***** aufgesucht habe, er sei aber wegen jeweils unzureichender Kontrollen nicht stationär aufgenommen worden, obwohl hiezu und zu einem entsprechenden ärztlichen Vorgehen Anlaß bestanden habe. Der bei ihm eingetretene Dauerschaden sei auf diese mangelhafte ambulante Kontrolle bzw. die in diesem Zusammenhang vorzuwerfende Nachlässigkeit der Ärzte der beklagten Partei zurückzuführen. Das Erstgericht habe lediglich festgestellt, daß der Kläger an diesen Tagen wegen Auftretens von Beschwerden zur ambulanten Behandlung erschienen sei, Aufzeichnungen über diese Behandlungen jedoch nicht geführt worden seien, der Kläger, der damals gefiebert habe, erst am 19.4.1986 stationär aufgenommen und am folgenden Tag ein operativer Eingriff vorgenommen worden sei. Diese Feststellungen reichten jedoch für eine verläßliche Beurteilung des Begehrens nicht aus, weil der körperliche Zustand des Klägers nicht näher beschrieben und auch nichts dazu ausgeführt worden sei, ob Anlaß zu einer früheren stationären Aufnahme des Klägers bestanden habe. Den Feststellungen könne auch nicht entnommen werden, ob eine früher vorgenommene operative Gelenksrevision den nach den Feststellungen nunmehr bestehenden Dauerschaden verhindert oder gemindert hätte. Infolge dieser Feststellungsmängel hob das Gericht zweiter Instanz das Ersturteil auf; dazu führte es zur Frage der Beweislastverteilung aus, falls das Erstgericht in der vom Berufungsgericht aufgezeigten Richtung Feststellungen nicht treffen können sollte, gehe das zu Lasten der beklagten Partei.

Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Gericht zweiter Instanz als erheblich aufgezeigte Rechtsfrage - die Verteilung der Beweislast bei Unterlassung einer Dokumentation der ambulanten Betreuung nach vorangegangenem stationären Aufenthalt - ist für die im gegenwärtigen Verfahrensstadium zu treffende Entscheidung (noch) ohne Bedeutung: Das Berufungsgericht hielt den Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht als ausreichend geklärt. Die Klärung der von ihm als wesentlich angesehenen Frage, ob schon am 13., 16. und 18.4.1986 Anlaß zu einer stationären (Wieder-)Aufnahme des Klägers bestanden habe, und der - sollte diese Frage zu bejahen sein - zu ventilierenden weiteren Frage, ob der Kläger infolge der verspäteten Aufnahme einen Schaden erlitten habe, wäre für den Sachausgang insofern von ausschlaggebender Bedeutung, als das fortgesetzte Verfahren das Ergebnis zeitigte, daß die jeweils mit der ambulanten Behandlung des Klägers befaßten Ärzte die übliche Sorgfalt eines ordentlichen, pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigten. Dann fiele ihnen nämlich ein Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht zur Last, für den der beklagte Krankenhausträger als Partner des mit dem Kläger geschlossenen Behandlungsvertrags einzustehen hätte (JBl 1995, 453; SZ 67/9 uva). Deshalb sind eindeutige Feststellungen darüber, ob den behandelnden Ärzten die unverzügliche stationäre Aufnahme des Klägers bei dessen Zustandsbild hätte geboten erscheinen müssen und ob der Ursachenzusammenhang zwischen der gegebenenfalls schuldhaft unterlassenen Aufnahme und den Infektionsfolgen bzw. deren Ausmaß zu bejahen sei, für die Beurteilung der Berechtigung der geltend gemachten Schadenersatzansprüche des Klägers unerläßlich (vgl. JBl 1986, 576). Das Erstgericht wird auch zu klären haben, ob die behandelnden Ärzte bei den vom Kläger gebotenen Krankheitssymptomen eine frühere Aufnahme hätten veranlassen müssen, wäre die ambulante Behandlung ordnungsgemäß dokumentiert worden (vgl. dazu SZ 67/9; Reischauer in Rummel 2 § 1299 Rz 25; Ellinger/Missliwetz in RZ 1994, 124).

Die vom Berufungsgericht aufgezeigte Beweislastverteilung kann erst dann bedeutsam werden, wenn die von ihm - zu Recht - für den Streitausgang als wesentlich erachteten Tatsachen nicht festgestellt werden können sollten.

Der Rekurs der beklagten Partei ist demnach mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig. An die dem entgegenstehende Auffassung des Gerichts zweiter Instanz ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 526 Abs.2 ZPO nicht gebunden. Der Rekurs ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO. Der Kläger hat in der von ihm erstatteten Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen.

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