OGH 7Ob5/96

OGH7Ob5/9621.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.A.Ruschitzger und Dr.W.Muchitsch, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Dvorani F*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 207.432,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 24.November 1995, GZ 2 R 192/95-23, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 2.Juni 1995, GZ 11 Cg 145/94f-18, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur allfälligen Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der von einem Außendienstmitarbeiter aufgenommene Antrag des Beklagten vom 29.10.1992 auf Abschluß einer Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung für den kurz zuvor gekauften PKW wurde von der klagenden Partei am 2.11.1992 angenommen und an diesem Tag die Polizze samt dem Erlagschein für die Einzahlung der Erstprämie an die vom Beklagten angegebene Anschrift W***** abgesandt. Der Beklagte wußte vom Mitarbeiter der klagenden Partei, daß er in nächster Zeit eine Prämienvorschreibung erhalten werde. Dennoch verzog er am 23.11.1992 ohne Verständigung der klagenden Versicherung und ohne Nachsendeauftrag an die Post nach ***** R*****. Am 9.12.1992 verursachte er einen Verkehrsunfall, der zu Leistungen der Klägerin an einen Dritten in Höhe von S 207.432,-- führte. In der Zeit vom 2.11.1992 bis zum Unfallstag sandte die klagende Versicherung auch eine qualifizierte Mahnung an den Beklagten unter der von ihm angegebenen Adresse. Am 12.1.1993 wurde (es blieb offen, von wem) die Hälfte der Erstprämie in Höhe von S 3.545,-- an die Klägerin bezahlt. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, daß die Darstellung des Beklagten, "keine Schriftstücke der klagenden Versicherung erhalten zu haben", unglaubwürdig sei, und kam bei weiterer Würdigung der Beklagtenaussage zum Ergebnis, daß die festgestellte Frage des Beklagten an den Außendienstmitarbeiter der Klägerin nach dem Unfall, ob die Klägerin für diesen Unfall zahlen werde, mangels Abschlusses einer Kaskoversicherung nur dahin gedeutet werden könne, daß diese Frage vom Beklagten im Bewußtsein gestellt worden sei, daß er die ihm vorgeschriebene Erstprämie nicht bezahlt habe. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung folgerte das Erstgericht, daß dem Beklagten sowohl der Erlagschein für die Einzahlung der Erstprämie als auch die Polizze zugegangen sei und daß dem Beklagten "zumindest" die qualifizierte Mahnung der Klägerin unter der Adresse W***** zugegangen sei, dies möglicherweise aber erst nach dem Wohnsitzwechsel des Beklagten.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Bezahlung von S 207.432,-- und behauptete Leistungsfreiheit wegen Nichtzahlung der Erstprämie. Selbst wenn der Beklagte die Zahlungsaufforderung für die Erstprämie nicht erhalten haben sollte, sei die Klägerin leistungsfrei, weil der Beklagte durch Nachschau (offenbar unter seiner früheren Adresse) oder durch einen Nachsendeauftrag in den Besitz der Polizze und der Zahlungsaufforderung gelangen hätte können, zumal er gewußt habe, daß diese Schriftstücke ihm zugesendet würden. Der Beklagte habe aber entgegen § 10 VersVG der Klägerin nicht seinen Wohnsitzwechsel mitgeteilt, sodaß die Zustellung an die ursprüngliche Adresse erfolgt sei.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, weder eine Polizze noch eine Prämienvorschreibung erhalten zu haben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Nichtbekanntgabe des neuen Wohnsitzes stelle eine Obliegenheitsverletzung durch den Beklagten dar. Dies führe im Zusammenhang mit der erfolgten Zusendung der Polizze samt Einzahlungsaufforderung für die Erstprämie sowie einer qualifizierten Mahnung zur Leistungsfreiheit der Klägerin.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. In Erledigung der Beweisrüge führte es aus, daß die gewählten Formulierungen des Erstgerichtes mit hinreichender Sicherheit erkennen ließen, daß das Erstgericht von einer Zustellung der Poststücke der Klägerin an den Beklagten ausgegangen sei. Es übernahm daher diese Ausführungen des Erstgerichtes als Feststellungen. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, daß die Klägerin bewiesen habe, daß der Beklagte trotz der ihm mit der Polizze zugegangenen Zahlungsaufforderung für die Erstprämie bis zum Eintritt des Versicherungsfalles mit der Zahlung säumig geblieben sei; der Beklagte habe die rechtzeitige Zahlung nicht unter Beweis stellen können. Die klagende Versicherung sei daher leistungsfrei. Ob die Klägerin den ihr obliegenden Beweis erbracht habe, sei eine Frage der Beweiswürdigung und nicht der rechtlichen Beurteilung. Falls die Polizze den Beklagten wegen eines von ihm nicht bekanntgegebenen Wohnungswechsels nicht unter der von ihm angegebenen Anschrift erreicht habe, habe er dies selbst zu vertreten, weil er dies durch eine ihm anzulastende Obliegenheitsverletzung nach § 10 VersVG verursacht habe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung vom Beklagten erhobene ao. Revision ist zulässig und berechtigt.

Auch die Vorinstanzen gehen davon aus, daß für den Zugang der Zahlungsaufforderung für die Erstprämie samt Polizze der Versicherer beweispflichtig ist (vgl. VR 1987/22, zuletzt 7 Ob 38/94). Der Nachweis der Absendung einer nicht eingeschrieben zur Post gegebenen Sendung reicht dafür nicht aus. Unregelmäßigkeiten in der Postzustellung kommen erfahrungsgemäß immer wieder vor, ein prima facie-Beweis für den Zugang eines vom Versicherer nur einfach abgesendeten Poststückes besteht nicht. Es bestehen keine Erfahrungssätze, daß Postsendungen den Empfänger erreichen. Es kann sich daher der Adressat grundsätzlich auf das einfache Bestreiten des Zuganges einer derartigen Sendung beschränken (vgl. 7 Ob 38/94 mwN).

Ob der klagende Versicherer den Nachweis des Zuganges erbracht hat, fällt in den Tatsachenbereich; hiezu sind jedoch zweifelsfreie Feststellungen erforderlich, die hier nicht vorliegen. Das Berufungsgericht hat nämlich übersehen, daß die von ihm als Feststellung gewerteten Ausführungen des Erstgerichtes eine Einschränkung enthalten, die Zweifel des Erstgerichtes am Zugang der Polizze samt Zahlungsaufforderung für die Erstprämie beim Beklagten begründen. Die Worte, daß dem Beklagten "zumindest" die qualifizierte Mahnung der Klägerin unter der Adresse W***** zugegangen sei, dies möglicherweise aber erst nach dem Wohnsitzwechsel des Beklagten, lassen erkennen, daß das Erstgericht den zeitlich davor liegenden Zustellvorgang der Polizze samt Zahlungsaufforderung für die Erstprämie zwar für wahrscheinlich, aber nicht mit Sicherheit erwiesen beurteilt hat. Dies wäre für die der klagenden Partei obliegende Beweisführung noch nicht ausreichend. Obwohl dieser Zweifel des Erstgerichtes mit seiner durchaus nachvollziehbaren Beweiswürdigung, daß die Frage des Beklagten an den Außendienstmitarbeiter der klagenden Partei nach dem Unfall, ob die beklagte Partei für diesen Unfall zahlen werde, mangels Abschlusses einer Kaskoversicherung nur dann sinnhaft sei, wenn man wisse, daß man trotz zugegangener Zahlungsaufforderung die Erstprämie nicht geleistet habe, nicht ganz in Einklang zu bringen ist, liegen hier vom Berufungsgericht als Feststellung gewertete Ausführungen des Erstgerichtes vor, denen dieser Charakter nicht zukommt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben, ob es zweifelsfrei davon ausgeht, daß dem Beklagten die Polizze samt Zahlungsaufforderung für die Erstprämie durch die Mahnung zugegangen ist. Der Revision war daher Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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