OGH 10ObS39/96

OGH10ObS39/9620.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Göstl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Thomas Mais (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erich H*****, Steinmetzgeselle, ***** vertreten durch Dr.Erich Portschy, Rechtsanwalt in Feldbach, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. November 1995, GZ 7 Rs 157/95-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6.September 1995, GZ 32 Cgs 194/95h-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da die Begründung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, genügt es auf diese Ausführungen zu verweisen (§ 48 ASGG). Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:

Feststeht, daß der Kläger den klagsgegenständlichen Unfall am 19.12.1970 am Rückweg von einer Fahrt erlitt, die er ausschließlich deshalb unternommen hatte, um die von seinem Bruder im Betrieb - wo beide nach den Feststellungen des Erstgerichtes an diesem Samstag ausschließlich zu privaten Zwecken bis zum Nachmittag gearbeitet hatten (AS 35) - vergessene Geldbörse (in welcher sich auch sein eigenes Geld befunden haben soll) zu holen, wobei er - damals erst 15-jährig - für das für die Fahrt benützte Motorrad seines Bruders über keine Lenkerberechtigung verfügte (nähere Feststellungen zur Unfallursache konnten dabei vom Erstgericht schon auf Grund der Länge der seither verstrichenen Zeitspanne - immerhin rund 25 Jahre - nicht getroffen werden). Der Kläger begründet nun seinen Standpunkt, daß diese Fahrt im unmittelbaren Zusammenhang mit seinen dienstlichen Verrichtungen (im Betrieb) gestanden habe, und der Unfall damit vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfaßt gewesen sei, damit, daß er als Lehrling den am Vortag erhaltenen Wochenlohn (zufolge Vergessens) aus dem Betrieb seines Dienstgebers habe holen müssen, wodurch der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen der Heimfahrt nach der Arbeit zum Wohnort, noch dazu auf dem kürzesten Weg, gewahrt worden sei. Die durch das Lenken ohne Berechtigung verbundene Gefahrenerhöhung könne hiebei den Verlust dieses Versicherungsschutzes niemals begründen. Im Berufungsverfahren war überdies argumentiert worden, daß er (so wie sein Bruder) entgegen den Feststellungen des Erstgerichtes am Unfalltag ausnahmslos vom damaligen Dienstgeber aufgetragene Arbeiten durchgeführt hätte, mit welcher Beweisrüge sich jedoch das Berufungsgericht aus rechtlichen Erwägungen nicht mehr auseinandersetzte.

Der Revisionswerber übersieht bei seiner Argumentation jedoch, daß es selbst bei Bejahung dieser gewünschten Ersatzfeststellung (durch das Berufungsgericht) für eine Anerkennung als unter Versicherungsschutz stehende Tätigkeit am erforderlichen Kausalzusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit gemangelt hätte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten eines Versicherten und seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung ist nämlich nur gegeben, wenn das den Unfall herbeiführende Verhalten von der Absicht und dem Entschluß bestimmt ist, die Interessen des Betriebes zu fördern (Teschner/Widlar MGA ASVG 922). Wenn aber der Versicherte während einer unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeit eine Tätigkeit entfaltet, bei der auf seinen Entschluß und auf sein Verhalten nicht die Absicht, den Betrieb zu fördern, sondern ausschließlich ein besonderer betriebsfremder Zweck, nämlich die Absicht der Befriedigung persönlicher Interessen, derart mitgewirkt hat, daß die Beziehung dieser Tätigkeit zum Betrieb bei der Bewertung der Unfallursache als unerheblich ausgeschlossen werden muß, dann ist eine solche Tätigkeit nicht mehr dem Betrieb anzurechnen; mit anderen Worten: Bei Wegunfällen ist ein Unfallversicherungsschutz immer dann zu verneinen, wenn sich der Unfall in einer Phase des Weges ereignet(e), der ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen dient (Teschner/Widlar aaO 929). War der geschützte Lebensbereich nur Schauplatz, nicht aber Ursache des Verletzungsereignisses, so ist die Unfallversicherung nicht leistungspflichtig (Tomandl, Grundriß des österr. Sozialrechts4, Rz 143; ders, System des österr. Sozialversicherungsrechts, 304). In diesem Sinne hat daher bereits das Oberlandesgericht Wien - damals als zweite und letzte Instanz - in seiner in SSV XXIII/77 veröffentlichten Entscheidung folgerichtig ausgesprochen, daß selbst die Rückkehr von der Wohnung zur Arbeitsstätte, um vergessene Wohnungsschlüssel zu holen (weshalb die betroffene Arbeitnehmerin von ihrer Wohnung ausgesperrt war), nicht unter Versicherungsschutz steht; ebenso wurde - gleichfalls dem hier zur Entscheidung anstehenden Fall vergleichbar - vom erkennenden Senat des Obersten Gerichtshofes in der zu SSV-NF 3/162 veröffentlichten Entscheidung ausgesprochen, daß die Rückfahrt eines Versicherten nach Antritt der Fahrt zur Arbeitsstätte wieder zu seiner Wohnung zurück, um die dort vergessenen Kfz-Papiere und die Scheckkarte zu holen, nicht unter Unfallsversicherungsschutz steht (wobei in den Entscheidungsgründen überdies auch - wie hier - auf das ebenfalls vergessene Bargeld Bezug genommen wurde), dies obwohl der anläßlich dieser Rückfahrt Verunfallte ja nach verwaltungsrechtlichen Bestimmungen gehalten war, die erwähnten Fahrzeugpapiere mitzuführen. Selbst wenn also die vom Kläger aufgestellte Behauptung zuträfe, daß es sich bei dem in der Geldbörse seines Bruders vergessenen Geld um seinen für das Wochenende benötigten Wochenlohn vom Vortag handelte, so stand dieses Vergessen in keinem Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit, sodaß das ausschließlich aus diesem Grund motivierte Zurückkehren zur Arbeitsstätte auch nicht als unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsweg gewertet werden kann, ereignete sich doch der Unfall am Rückweg von einer ausschließlich durch private Interessen geprägte und solchen dienenden Fahrt mit dem Privatfahrzeug seines Bruders, sodaß insoweit eine rein eigenwirtschaftliche, durch die Unfallversicherung nicht geschätzte Tätigkeit vorlag. Schon deshalb ist es nicht erforderlich, auf die Frage, ob es sich beim eingeschobenen zusätzlichen Weg darüber hinaus um einen nicht unter Versicherungsschutz stehenden "Abweg" handelte, näher einzugehen (vgl hiezu etwa SSV-NF 4/64 sowie jüngst 10 ObS 269/95).

Auf die - ebenfalls in der Revision relevierte - Frage der Gefahrenerhöhung durch Benützung des Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung braucht damit ebenfalls nicht weitergehend Stellung genommen werden. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß zwar Fahrlässigkeit eines Verunglückten die Annahme eines Arbeitsunfalles grundsätzlich nicht ausschließt (§ 175 Abs 6 ASVG; MGA ASVG 950; SSV-NF 3/81) und unter Umständen sogar schwere Verstöße gegen Straßenverkehrsvorschriften den Versicherungsschutz nicht beseitigen (vgl SSV-NF 2/102 und 3/65), Voraussetzung jedoch bleibt, daß die versicherte Tätigkeit trotz der aus betriebsfremden Motiven selbst geschaffenen Gefahr eine wesentliche Bedingung des Unfalles geblieben ist, also die Ausübung der geschützten Tätigkeit unter erhöhtem Gefahrenrisiko durchgeführt werden mußte (Tomandl, System 309), wovon hier aber nach dem Vorgesagten keinesfalls gesprochen werden kann. Schon unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit und der Vermeidbarkeit (Tomandl, Der Wegunfall in der österreichischen und deutschen Unfallversicherung - zugleich ein Beitrag zur Theorie der wesentlichen Bedingung, in Sozialversicherung: Grenzen der Leistungspflicht, 137 ff [147]) war es dem versicherten Kläger nämlich durchaus zumutbar, auf sein gefahrenerhöhendes Verhalten zu verzichten, zumal nicht erkennbar (und von ihm auch gar nicht vorgebracht worden) ist, weshalb nicht sein vom Betrieb bis zur Gaststätte gefahrener Bruder und Motorradhalter selbst zur ohnedies nur wenige (Fahr)Minuten entfernten Arbeitsstätte zurückfahren konnte, um seine eigene, dort vergessene Geldbörse zu holen, sondern stattdessen das Fahrzeug in Kenntnis des fehlenden Motorradführerscheins dem minderjährigen Kläger überließ und dieser sodann die zum späteren Unfall führende Fahrt antrat. Wer sich jedoch ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr aussetzt und von dieser Gefahr ereilt wird, kann ebenfalls nicht auf Leistungen der Versicherungsgemeinschaft rechnen (SSV-NF 2/102 und 4/52, jeweils mwN). Ob freilich unter Berücksichtigung aller dieser Umstände und Grundsätze diese - aus betriebsfremden Motiven - selbst geschaffene Gefahr letztlich auch bedingungsmäßig (und damit kausal) zum Unfallgeschehen beitrug, wovon nach den Feststellungen der Vorinstanzen unschwer schon deshalb ausgegangen werden kann, da sich der Unfall ja nach den Behauptungen des Klägers selbst ohne (schuldhafte) Einwirkung etwa eines dritten Verkehrsteilnehmers ereignet hat, ist für das gefundene rechtliche Ergebnis letztlich irrelevant.

Die Vorinstanzen haben damit zutreffend den gegenständlichen Unfall nicht unter die Bestimmung des § 175 ASVG subsumiert. Damit ist aber auch die (ausschließlich aus Feststellungsmängeln des Berufungsgerichtes) abgeleitete "Mangelhaftigkeit" (welche richtigerweise ebenfalls dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist: Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 503 mwN) zum Scheitern verurteilt (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO). Dazu kommt, daß die erst in der Revision vorgelegten Beweisurkunden auch gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO verstoßen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

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