OGH 10ObS269/95

OGH10ObS269/9523.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Darmstädter (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz E*****, Versicherungsangestellter, *****, vertreten durch Dr.Friedrich Oedl und Dr.Rudolf Forstenlechner, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 1995, GZ 11 Rs 48/95-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. Dezember 1994, GZ 19 Cgs 27/94-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bei der beklagten Partei unfallversicherte Kläger ist Leiter der Filiale einer Versicherungsanstalt in *****, V*****straße *****. Als Organisationsleiter sind ihm etwa 20 Mitarbeiter unterstellt. Die Landesdirektion der Versicherungsaktiengesellschaft befindet sich in S*****P*****-Straße. Als Organisationsleiter muß sich der Kläger nahezu täglich in die Landesdirektion begeben; den Weg dorthin legt er im Winter zu Fuß oder mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, im Sommer - wenn es die Witterungsverhältnisse zulassen - mit dem Fahrrad zurück. Dieses Fahrrad benützt der Kläger zumindest im Sommer auch für die Fahrten von seinem Wohnort in S*****M*****straße *****zur Geschäftsstelle in der V*****straße *****und zurück, wobei er aus verkehrstechnischen Gründen die Fahrtroute V*****straße - S***** Hauptstraße - L***** Bundesstraße - M*****straße benützt. Am 31.8.1993 fuhr der Kläger nach Beendigung seiner Arbeit mit dem Fahrrad nach Hause. Da es zu regnen begann, stellte er das Fahrrad auf Höhe der Kreuzung V*****straße - S***** Hauptstraße ab; für den restlichen Heimweg benützte er den Bus. Am nächsten Tag (dem 1.9.1993) verblieb das Fahrrad zunächst auf seinem Abstellplatz. Der Außendienstmitarbeiter Karl-Heinz S***** wollte wegen seiner bevorstehenden Pensionierung mit dem Kläger die Übergabe des Kundenstockes besprechen. Der Kläger, der bei diesem Gespräch ungestört sein wollte, schlug ein Treffen im Gasthaus V***** vor. Als er sich an diesem Tag gegen 18.00 Uhr von seinem Arbeitsplatz zu dem genannten Gasthof begab, arbeitete am Computer noch ein Mitarbeiter, der die am Abend erforderliche Programmumstellung nicht beherrschte. Diesem gegenüber erwähnte der Kläger, er solle weitermachen, weil er (der Kläger) nachher vorbeikomme und das Gerät abschalte. In dieser Geschäftsstelle ist es von Montag bis Donnerstag jeweils am Abend notwendig, den Computer abzuschalten. Kurz nach 18.00 Uhr traf sich der Kläger im V*****mit Karl-Heinz S*****, mit dem er nahezu ausschließlich dessen bevorstehende Pensionierung und die mit der Übergabe des Kundenstocks zusammenhängenden Probleme besprach. Nach der Beendigung des Gesprächs beabsichtigte der Kläger, mit dem Fahrrad zurück in sein Büro zu fahren, um sich über das Gespräch eine Aktennotiz zu machen und um den Computer abzuschalten. Er ersuchte S*****, ihn mit dem Auto zum Abstellplatz des Fahrrades zu chauffieren. Da er sich aber witterungsbedingt nicht sicher war, vom Büro trocken mit dem Fahrrad nach Hause zu kommen, telefonierte er noch vom Gasthof aus mit seiner Frau und ersuchte sie, ihn mit dem Pkw vom Büro abzuholen. S*****fuhr den Kläger dann zum Abstellplatz des Fahrrades, der Kläger fuhr mit dem Fahrrad auf der V*****straße in Richtung seines Arbeitsplatzes. Im Bereich S*****straße/V*****straße wurde er gegen 21.10 Uhr von einem Pkw niedergestoßen und schwer verletzt.

Am nächsten Tag (2.9.1993) hätte der Kläger um 9.00 Uhr einen Termin in der Landesdirektion gehabt und für die Fahrt dorthin sein Fahrrad benützen wollen; deshalb war er am 1.9.1993 interessiert, sein Fahrrad zumindest in der Nähe seines Büros zu deponieren.

Mit Bescheid vom 18.1.1994 sprach die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, daß der Unfall vom 1.9.1993, den der Kläger mit seiner Tätigkeit als Versicherungsangestellter in Zusammenhang bringe, nicht als Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 1 ASVG anerkannt werde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage mit dem Begehren, die Beklagte sei schuldig, den Unfall als Arbeitsunfall "anzuerkennen". Im Verlaufe des Verfahrens modifizierte er das Klagebegehren dahin, daß festgestellt werde, der Unfall stelle einen Arbeitsunfall iS des § 175 ASVG dar.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Abholung des Fahrrades in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehe, sondern aus eigenwirtschaftlichen Gründen erfolgt sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Fahrt des Klägers vom Abstellort des Fahrrades zu der von ihm geleiteten Geschäftsstelle habe ausschließlich betrieblichen Zwecken gedient. Es sei ohne Belang, daß der Kläger zunächst zum Abstellort des Fahrrades chauffiert worden sei. Die Distanz habe nur etwa einen Kilometer betragen, die Fahrt drei bis vier Minuten gedauert.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Nach ständiger Rechtsprechung sei nur der direkte Weg zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte versichert. Auf einem längeren Weg bestehe nur dann Versicherungsschutz, wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht oder nur unter vor allem für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke entsprechende Bedingungen wenigstens annehmen habe können. Der allein oder überwiegend im privatwirtschaftlichen Interesse gewählte Umweg sei hingegen nicht versichert; das gleiche gelte auch für sogenannte Abwege. Ein solcher Abweg liege hier vor. Als der Kläger nämlich den Gasthof verlassen habe, um in seiner Geschäftsstelle eine Aktennotiz anzulegen und den Computer abzuschalten, wäre es zur Erfüllung dieser dienstlichen Aufgaben nicht notwendig gewesen, sich zu seinem Fahrrad chauffieren zu lassen, sondern es hätte dieser Zweck auf schnellerem und kürzerem Weg dadurch erreicht werden können, daß der Kläger einfach beim Haus V*****straße ***** ausgestiegen wäre. Der Weg von dort zum Abstellplatz des Fahrrades und von dort wiederum zurück bis zur Unfallstelle sei ein nicht unter Unfallversicherungsschutz stehender Abweg gewesen. Daß der Kläger noch am Abend des 1.9.1993 sein Fahrrad zur Geschäftsstelle zurückbringen wollte um es am nächsten Tag für die Fahrt zur Landesdirektion benützen zu können, begründe nicht den erforderlichen zeitlichen, örtlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Der Kläger hätte genausogut am Morgen des nächsten Tages von seinem Wohnhaus aus mit dem Bus zum Abstellplatz des Fahrrades fahren und von dort mit dem Fahrrad weiterfahren können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger vertritt im wesentlichen die Auffassung, die Zurückbringung seines am Vortag abgestellten Fahrrades zum Dienstort sei ausschließlich im dienstlichen Interesse gelegen, weshalb unerheblich sei, daß er das Fahrrad erst am nächsten Tag gebraucht hätte. Diesem Standpunkt ist folgendes entgegenzuhalten:

Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht unter anderem bei der Erledigung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (§ 175 Abs 1 ASVG) und darüberhinaus bei Fahrten, die einerseits mit dieser Tätigkeit zusammenhängen und andererseits nach und von dem Ort der Tätigkeit führen (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG). Der Versicherungsschutz nach den genannten Bestimmungen setzt voraus, daß das unfallbringende Verhalten entweder der Tätigkeit als solcher oder aber dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit sachlich zugerechnet werden kann: zwischen dem Vorgehen des Versicherten und seiner Arbeitsleistung bzw der Zurücklegung des Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit muß eine Beziehung bestehen, die sein Verhalten entweder mit der Arbeitstätigkeit als solcher oder mit der Zurücklegung des genannten Weges sachlich zusammenfaßt.

Bei der Feststellung einer sachlichen Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit bzw dem unter Versicherungsschutz stehenden Weg geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Diese vom Gesetz verlangte Wertentscheidung kann - insbesondere in sogenannten Grenzfällen - nicht allein nach objektiven Gesichtspunkten getroffen werden. Es ist vielmehr erforderlich, sämtliche Gesichtspunkte und Überlegungen miteinzubeziehen und sie sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit zu werten; erst daraus folgt entweder das Vorhandensein eines versicherten Verhaltens oder das Vorliegen privatwirtschaftlicher Verrichtungen. Ob sogenannte Vorbereitungshandlungen (wie etwa das Auftanken eines Fahrzeuges) bereits der Arbeitsleistung oder einem damit sachlich zusammenhängenden Weg zu und von der Arbeit zugerechnet werden müssen, ergibt sich nicht schon aus einer losgelösten Betrachtung allein des Verhaltens des Versicherten, sondern vielmehr erst im Zusammenhang mit allgemeinen rechtlich-systematischen Überlegungen. Auch andere grundsätzlich private Verhaltensweisen, wie beispielsweise die Nahrungsaufnahme (vgl § 175 Abs 2 Z 7 ASVG), können in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Entscheidend ist in allen solchen Verhaltensgestaltungen, ob die Gesamtumstände dafür oder dagegen sprechen das unfallbringende Verhalten, dem geschützten Bereich oder der Privatsphäre des Versicherten zuzurechnen. Die subjektive Meinung, betriebsdienlich tätig zu sein, ist unfallversicherungsrechtlich dann relevant, wenn diese Meinung in den objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (vgl BSG 24.1.1995, NZS 1995, 279; 10 ObS 83/95).

Verrichtungen, die der Instandhaltung des eigenen Beförderungsmittels dienen, sind grundsätzlich eigenwirtschaftlich und daher im allgemeinen nicht versichert. Ausnahmsweise besteht der Versicherungsschutz jedoch bei Maßnahmen, die zur Wiederherstellung und der Betriebsfähigkeit des Beförderungsmittels dienen, wenn sie unvorhergesehen während der Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit, unter Umständen auch beim Antritt des Weges notwendig werden und ohne sie der Weg nicht begonnen oder fortgesetzt werden kann, und zwar auch dann, wenn der eigentliche Weg von oder nach der Arbeitsstätte verlassen oder die Verrichtung im häuslichen Bereich vorgenommen wird. Es dürfen allerdings keine Umstände vorliegen, nach denen dem Versicherten zuzumuten wäre, den Weg ohne das betriebsunfähige Fahrzeug etwa zu Fuß oder mit einem öffentlichen Verkehrsmittel fortzusetzen; auch darf die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art- und Zeitaufwand nicht in einem Mißverhältnis zur Dauer des Weges im ganzen stehen und muß sich auf solche Verrichtungen beschränken, die für den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit nötig sind (Lauterbach, Unfallversicherung3 268/2; Ricke im Kasseler Komm zum SozVR Rz 61 zu 11 RVO § 550; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 72. Nachtrag 486 h II, 486 i; Podzun, Unfallsachbearbeiter 118, 3; BGSE 16, 245; Tomandl, Der Wegunfall, in: Tomandl, Grenzen der Leistungspflicht 154; vgl auch SSV-NF 3/148 = RZ 1990, 147/61 mwN - Schneeräumung; 10 ObS 83/95 = teilweise ARD 4703/22/95 - Reifenwechsel). Rein vorbereitende Tätigkeiten sind im allgemeinen nicht versichert, wie zB das Tanken, Reparieren des Fahrzeuges oder Freischaufeln der Garage von Schnee am Vortag (Ricke aaO Rz 62; Tomandl aaO ua; 10 ObS 83/95). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze wurde in der zuletzt genannten Entscheidung auch das auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstelle durchgeführte Wechseln der Bereifung als unter Versicherungsschutz stehend angenommen, weil es unvorhergesehen notwendig wurde, ein Antritt oder eine Fortsetzung des Weges ohne das Beförderungsmittel dem Versicherten nicht zuzumuten war und die Verrichtung auch nicht in einem Mißverhältnis zur Dauer des Weges im ganzen stand.

Die dargelegten Grundsätze über rein vorbereitende Tätigkeiten, die im allgemeinen nicht versichert sind, können auch im vorliegenden Fall nutzbar gemacht werden. Der Kläger hatte sein Fahrrad am Abend des 31.8.1993 auf der Heimfahrt wegen einsetzenden Regens unterwegs abgestellt und offenbar am 1.9.1993 nicht benötigt; er wollte es erst am Abend des folgenden Tages vom Abstellort in die Nähe seines Arbeitsplatzes zurückbringen, um es am darauffolgenden Tag, dem 2.9.1993 wieder zur Verfügung zu haben. Das Zurückbringen des Fahrrades von seinem Abstellort zum Dienstort stellt im Sinne der obigen Ausführungen eine rein vorbereitende Tätigkeit dar, die zB dem Auftanken oder Reparieren des Fahrzeuges am Vortag oder dem Freischaufeln der Garage von Schnee am Vortag gleichzuhalten ist. Die geschilderten Gesamtumstände sprechen dafür, das unfallbringende Verhalten der Privatsphäre des Versicherten zuzurechnen. Daß der Kläger mit dem Fahrrad auch nicht den Heimweg antreten wollte, ergibt sich nach den Feststellungen daraus, daß er bereits seine Frau telefonisch aufgefordert hatte, ihn mit dem Pkw von seinem Büro abzuholen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wäre es ihm genausogut möglich gewesen, am nächsten Morgen mit einem öffentlichen Verkehrsmittel bis zum Abstellplatz des Fahrrades zu fahren und für den restlichen Weg zur Arbeitsstelle das Fahrrad zu benützen. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, der Unfall habe sich auf einem nicht unter Unfallversicherungsschutz stehenden Abweg ereignet, ist daher zutreffend. Bei diesem Ergebnis braucht auch nicht näher darauf eingegangen zu werden, daß das vorliegende Feststellungsbegehren nach neuerer Rechtsprechung in dieser Form nicht zulässig ist (SSV-NF 8/14 und 81).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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