Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, der Klägerin S 64.166,25 brutto sA binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 22. 570,72 (darin S 3.735,12 USt und S 160 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 13.357,76 (darin S 1.352,96 USt und S 5.240 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 11.491,04 (darin S 811,84 USt und S 6.620 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahren binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 1.12.1992 in der Tabaktrafik des Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Am 29.6.1993 wurde sie entlassen.
Mit der Behauptung, die Entlassung sei unberechtigt und im übrigen verspätet erfolgt, begehrt sie S 64.166,25 brutto sA an Kündigungsentschädigung und Urlaubsabfindung.
Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Entlassung sei gerechtfertigt. Die Klägerin habe unter anderem erklärt, daß der Beklagte zahlreiche außereheliche Beziehungen unterhalte und daß seine Tochter eine Schlampe bzw eine Hure sei. Weiters habe sie fälschlich behauptet, daß ihr der Sohn des Beklagten ein "blaues Auge" zugefügt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen fest:
Die Klägerin besuchte am 25.6.1993 (Freitag) in Gesellschaft der Tochter und des Stiefsohns des Beklagten sowie weiterer bekannter und unbekannter Personen das Donauinselfest, wo alle eine nicht unbedeutende Menge von Alkohol zu sich nahmen. Die Klägerin war bereits ziemlich betrunken. Gegen 23.15 Uhr äußerte sie sich gegenüber dem Stiefsohn des Beklagten, daß die Begleiterin eines Bekannten häßlich sei. Der ebenfalls nicht mehr ganz nüchterne Stiefsohn des Beklagten nahm an, daß die Klägerin selbst Beziehungen zu diesem Mann unterhalten habe und deshalb eifersüchtig sei. Er erwiderte sinngemäß, daß ihn die "Drescherl" oder "Trutscherl" dieses Bekannten nichts angingen.
Darüber fühlte sich die Klägerin beleidigt und sie begann zu schimpfen. Der Stiefsohn des Beklagten schimpfte zurück. Unter anderem äußerte sich die Klägerin sinngemäß dahin, daß der Stiefsohn des Beklagten ein "Hurenbock" sei wie sein Vater, der "sich durch den ganzen 19. Bezirk budert"; seine Schwester sei eine "Schlampe". Die Klägerin meinte diese Äußerungen nicht wirklich ernst, zumal ihr von etwaigen außerehelichen Beziehungen des Beklagten nichts bekannt und sie mit dessen Tochter befreundet war. Sie wollte damit nur den Stiefsohn des Beklagten treffen.
Die Klägerin äußerte in diesem Zusammenhang auch, der Stiefsohn des Beklagten solle vor der eigenen Tür kehren anstatt sie zu beleidigen; er solle überlegen, was er seiner Schwester angetan habe. Damit wollte sie auf ein Gerücht anspielen, wonach dieser seine Schwester vergewaltigt habe. Der Stiefsohn des Beklagten verstand dieses Anspielung aber nicht, weil das Gerücht nicht den Tatsachen entsprach. Ein Wort gab das andere. Der Stiefsohn des Beklagten geriet derart in Zorn, daß er die Klägerin ins Gesicht schlug. Als sie zu Boden fiel, trat er mit dem Fuß gegen ihren Brustkorb. Nachdem die Klägerin aufgestanden war, schimpfte sie, daß der Vorfall Folgen haben und sie alle "einweichen" werde. Eine Verletzung war noch nicht sichtbar.
Am folgenden Morgen hatte die Klägerin starke Schmerzen. Sie hatte eine blutunterlaufene Stelle unter dem linken Auge, eine geschwollene Nase und Prellungen im Brustkorbbereich. Sie begab sich in die Trafik des Beklagten und erzählte ihm, daß sein Stiefsohn sie geschlagen und getreten habe. Der Beklagte brachte sie in eine Ambulanz und riet ihr, Strafanzeige zu erstatten. Nachdem er die Klägerin ins Krankenhaus gebracht hatte, erkundigte sich der Beklagte noch am 26.6.1993, was auf der Donauinsel vorgefallen sei. Er erhielt die Antwort, daß der Stiefsohn die Klägerin nicht geschlagen, daß diese aber die ganze Familie beschimpft habe. Daraufhin entschloß sich der Beklagte zur Entlassung der Klägerin. Da er vorher aber noch mit seinem Steuerberater darüber reden wollte, teilte er ihr die Entlassung erst mit Schreiben vom 29.6.1993 mit.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die festgestellten Beschimpfungen den Tatbestand des § 27 Z 6 AngG nicht erfüllten. Es bestehe kein dienstlicher Zusammenhang und die Klägerin, die aufgrund ihrer Alkoholisierung nicht in der Lage gewesen sei, die volle Tragweite ihrer Äußerungen zu erfassen, habe diese nicht ernst gemeint. Da für den Beklagten keine Notwendigkeit bestanden habe, einen Steuerberater zu konsultieren, sei die Entlassung auch verspätet.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Da die Tatbestandsmerkmale des § 27 Z 6 AngG nicht gegeben seien, müsse auf die Frage einer allfälligen Verfristung der Entlassung nicht näher eingegangen werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 27 Z 6 AngG ist der Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung eines Angestellten berechtigt, wenn sich dieser erhebliche Ehrverletzungen gegen den Dienstgeber oder dessen Angehörige zuschulden kommen läßt. Tatbestandsobjekte sind sohin der Arbeitgeber und dessen Angehörige. Eine Ehrverletzung ist dann erheblich, wenn sie von einer solchen Art ist und unter solchen Umständen erfolgt, daß sie von einem Menschen mit normalem Ehrgefühl nicht anders als mit dem Abbruch der Beziehungen beantwortet werden kann; sie muß in einem besonderen Maße ehrverletzend sein (vgl Kuderna, Entlassungsrecht2 122 f mwH; 9 ObA 192/93 = ARD 4510/16/93 uva). Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Ausgehend von den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts - die vom Berufungsgericht darüber hinaus angestellten Vermutungen im Tatsachenbereich sind unbeachtlich - äußerte sich die Klägerin ohne dazu irgendeine Veranlassung zu haben gegenüber dem Stiefsohn des Beklagten in Anwesenheit weiterer Personen sinngemäß dahin, daß dieser ein "Hurenbock" sei wie sein Vater (Beklagter), der "sich durch den ganzen 19. Bezirk budert"; seine Schwester sei eine "Schlampe". Sie wollte mit diesem verbalen "Rundumschlag" unter Einbeziehung seiner Familie (S 113) den Stiefsohn des Beklagten treffen. Auch ihre weitere auf eine Vergewaltigung der Schwester anspielende Anschuldigung, der Stiefsohn des Beklagten solle überlegen, was er der Schwester angetan habe, war objektiv im besonderen Maß geeignet, ehrverletzend zu wirken. Welche Wirkung ihre unqualifizierten Beleidigungen hervorriefen, zeigt schon die Reaktion des Stiefsohns des Beklagten. Die Klägerin war zwar "ziemlich betrunken", doch wurde eine schuldausschließende Alkoholisierung, für welche sie beweispflichtig gewesen wäre (vgl 9 ObA 195/88; 9 ObA 80/91 ua), nicht festgestellt.
Insgesamt erweist sich das außerdienstliche Verhalten der Klägerin als so schwerwiegend, daß es zwangsläufig Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben mußte. Dem Beklagten war eine Weiterbeschäftigung der Klägerin, die ihn und seine Angehörigen derart schwer beleidigt hatte, nicht mehr zumutbar. Da der Beklagte von den Anschuldigungen erst am Samstag erfuhr, und er sich vorerst noch mit einem Fachmann beraten wollte (vgl Kuderna aaO 16), erfolgte die schließlich ausgesprochene Entlassung noch nicht verspätet.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.
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