OGH 8ObA206/96

OGH8ObA206/9618.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Univ.Prof.Dr.Franz Schrank und Herbert Wolf als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard M*****, Vertragsbediensteter, ***** vertreten durch Dr.H.Peter Draxler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Land Wien, Stadtschulrat für Wien, Wien 1, Dr.-Karl-Renner-Ring 1, vertreten durch Dr.Peter Zöllner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Oktober 1994, GZ 8 Ra 109/95-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20.März 1995, GZ 27 Cga 154/94b-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war bis zu seiner zum 31.8.1994 ausgesprochenen Kündigung nach § 32 Abs 2 lit a und f VBG (gröbliche Verletzung der Dienstpflichten, dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträgliches Verhalten) bei der beklagten Partei als Hauptschullehrer tätig.

Er begehrt die Feststellung des aufrechten Bestandes seines Dienstverhältnisses über den 31.8.1994 hinaus mit dem Vorbringen, die Kündigung sei unberechtigt erfolgt, denn er habe weder Dienstpflichten verletzt noch sich dem Ansehen des Dienstes abträglich verhalten. In der Verhandlung vom 20.1.1995 (ON 20, AS 29) brachte er noch ergänzend vor, die beabsichtigte Kündigung sei dem Dienststellenausschuß nicht spätestens zwei Wochen vor ihrer Durchführung zur Kenntnis gebracht worden, weshalb die Kündigung gemäß § 10 Abs 9 PVG unwirksam sei.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, die Kündigung des Klägers sei gerechtfertigt. Er habe einen anderen Lehrer gröblich beschimpft; Schüler die ihn beschimpft hatten, geschlagen und aus der Schule fortgejagt; einen Schüler mit Ohrfeigen bedroht, wenn er wieder in die Klasse komme; schließlich habe er die Direktorin als hysterisch und unzurechnungsfähig beschimpft.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen.

Der Kläger war ab November 1989 bei der beklagten Partei als Hauptschullehrer beschäftigt und ab Jänner 1993 im Julius-Tandler-Zentrum, einer Expositur der Sondererziehungsschule Wien 3, Hörnesgasse 12, als Hauptschullehrer tätig. Im Julius-Tandler-Zentrum befindet sich ein Heim sowie eine Volks- und Hauptschule. Es werden dort Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren, die Erziehungsprobleme bereiten, aufgenommen. Die Anzahl der Hauptschüler schwankt üblicherweise zwischen 10 und 14.

Am 25. Jänner 1994 waren die Hauptschüler besonders aggressiv und warfen brennende Hefte und Sesselteile aus den Fenstern. Etwa eine halbe Stunde, nachdem eine Lehrerin eine Klasse verlassen hatte, stellte sie am Gang eine Rauchentwicklung fest. Zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, woher der Rauch kam, weshalb der Kläger alle Schüler der Hauptschule in den Hof schickte. Erst später konnte rekonstruiert werden, daß die Schüler Klopapierrollen in eine Lackverdünnung getunkt und angezündet und anschließend die Klopapierrollen mit Feuerlöschern gelöscht hatten. Diesen Vorfall teilte der Kläger der Direktorin des Julius-Tandler-Zentrums, Dr.Trude F*****, telefonisch mit. Er sagte in diesem Telefonat aber nicht, daß er die Schüler geschlagen oder gewürgt habe, sondern schilderte ihr den Vorfall so, wie sich dieser zugetragen hat. Die Direktorin der Schule Dr.F***** hat ihr Büro und den Direktionssitz nicht im Julius-Tandler-Zentrum sondern in der Sondererziehungsschule Hörnesgasse in Wien 3. Seit sie im Jänner 1993 die Leitung der Sondererziehungsschule in der Hörnesgasse übernommen hat, der auch das Julius-Tandler-Zentrum unterstellt ist, besucht sie durchschnittlich einmal monatlich die Schule Julius-Tandler-Zentrum. Zusätzlich war sie noch etwa viermal im Jahr zu Konferenzen im JTZ. Seit Jänner 1994 befindet sie sich im Krankenstand. Der Vorfall im Hauptschulbereich am 25.1.1994 wurde insbesondere von einem Schüler namens Jürgen veranlaßt. Um die Situation in der Schule wieder zu beruhigen verbot der Kläger diesem Schüler, am nächsten Tag in die Schule zu kommen. Am nächsten Tag, den 26.1.1994, kam Direktor Dr.F***** in das JTZ. Als der Kläger sah, daß auch der Schüler Jürgen die Treppe zum Hauptschulbereich heraufkam, sagte er, daß dieser "heute nicht rein komme" und packte ihn am Arm oder an der Schulter, um ihn nicht in den Hauptschulbereich zu lassen. Der Kläger hat den Schüler nicht die Treppe hinuntergestoßen. Direktor Dr.F***** fuhr dazwischen und alterierte sich. Sie warf dem Kläger vor, er schlage Kinder, tatsächlich hat der Kläger den Schüler nicht geschlagen. Nachdem die Direktorin dem Kläger vorwarf, er schlage Kinder, antwortete ihr der Kläger, "werden Sie nicht hysterisch". Aufgrund dieses Vorfalls fühlte sich der Kläger schlecht und meldete sich deshalb bei einer Kollegin ab und ging nach Hause. Am 27.5.1994 waren die Kollegen des Klägers S***** und S***** in der Schule nicht anwesend.Peter I***** und Marietta H***** waren zum Supplieren eingeteilt. Sie waren nicht im JTZ beschäftigt, sondern versahen dort nur aushilfsweise Dienst. Der Kläger sperrte um etwa 8.00 Uhr die Hauptschule auf und ging mit einer wartenden Schülerin in den Hauptschulbereich. I***** und H***** blieben draußen, der Kläger beachtete sie nicht. Später ging der Kläger aus dem im dritten Stock befindlichen Hauptschulbereich in den ersten Stock kopieren. Als er mit den Kopien zurückkam und das dritte Mal an I***** und H***** vorbeiging, sprach ihn I***** an und fragte ihn, ob er nicht gebraucht werde. Dies verneinte der Kläger, I***** sagte daraufhin "wir sind nicht bei den Straßenkehrern". Der Kläger antwortete ihm, I***** möge nicht eine andere Berufsgruppe diskriminieren, woraufhin I***** antwortete, der Kläger diskriminiere sich selbst. Daraufhin sagte der Kläger zu I***** "Schleich dich, du Trottel". Daraufhin entfernten sich I***** und H*****. Der Kläger warf der Direktorin anläßlich einer Besprechung vor dem Stadtschulrat am 20.6.1994 vor, inkompetent und ahnungslos zu sein, er beschimpfte sie aber nicht als unmögliche Person und sagte auch nicht, daß sie "blöde Fragen" stelle. Mit Ausnahme der Beschimpfung von I***** mit den Worten "Schleich dich, du Trottel" und der vorgenannten Äußerung gegenüber der Direktorin hat der Kläger nie einen Kollegen, Schüler oder Vorgesetzten beschimpft. Im Gespräch beim Stadtschulrat am 20.6.1994 wurde der Kläger mit den von Direktor Dr.F***** gegen ihn erhobene Anschuldigungen konfrontiert. Die Personalreferentin Mag.S***** hat aus verschiedenen Papieren Anschuldigungen vorgelesen, der Kläger hat sich zuerst gerechtfertigt, wobei diese Rechtfertigung immer mehr zu einem Sich-Wehren ausartete. Der dem Gespräch als Personalvertreter des Klägers beigezogene Zeuge W***** hat nicht versucht einzulenken, um die Situation zu beruhigen. Er hat bei diesem Gespräch nichts gesagt und sich nicht eingemischt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dadurch, daß der Kläger den Mitbediensteten I***** mit den Worten "Schleich dich, du Trottel" beschimpfte, habe er eine Ehrverletzung gesetzt. Die objektive Eignung dieser Äußerung, ehrverletzend zu wirken, und ihre konkrete ehrverletzende Wirkung seien gegeben. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ergebe sich aber, daß I***** dem Kläger gegenüber ebenfalls eine nicht korrekte Äußerung abgegeben habe, indem er ihm gesagt habe "sie seien nicht bei den Straßenkehrern" und, daß "sich der Kläger selbst diskriminiere". Zu berücksichtigen sei auch das gespannte Verhältnis zwischen beiden und daß der Kläger bereits vor diesem Vorfall die Direktorin ersucht habe, sie möge diesen Kollegen nicht zum Supplieren zuteilen. Die genannten Äußerungen und die schwierigen Gegebenheiten am konkreten Arbeitsplatz machten die Beschimpfungen entschuldbar. Bei der Besprechung am 20.6.1994 seien gegenüber dem Kläger verschiedene Anschuldigungen erhoben worden. Er habe sich zunächst gerechtfertigt, diese Rechtfertigung habe sich immer mehr in ein Sich-Wehren geändert. Es sei zu berücksichtigen, daß der Kläger in diesem Gespräch völlig alleingelassen gewesen sei, auch der beigezogene Personalvertreter habe nicht beschwichtigend eingelenkt. Daher sei es zu einer Emotionalisierung des Klägers gekommen, weshalb er die Direktorin als inkompetent und ahnungslos bezeichnet habe. Unter Berücksichtigung der Umstände, daß sich die Direktorin nur selten in der Schule aufgehalten habe, in dieser nicht die täglich anfallenden schwierigen Arbeiten geleistet und dem Kläger lange zurückliegende Dienstverfehlungen zum Vorwurf gemacht habe, ergebe sich, daß es sich bei dieser Äußerung um eine entschuldbare Entgleisung gehandelt habe, welche insbesondere durch die unmittelbar vorausgehenden Vorwürfe hervorgerufen worden sei. Weiters sei zu berücksichtigen, daß es sich bei der Schule Julius-Tandler-Zentrum um eine Sondererziehungsschule mit äußerst problematischen Kindern handle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es erachtete die Feststellungen des Erstgerichtes als zutreffend, ebenso die rechtliche Beurteilung (§ 500 a ZPO). Die dem Kläger vorgeworfenen Unmutsäußerungen und sein übriges Verhalten stellten keinen Grund dar, der die Kündigung zulässig mache. "Soweit aus dem Akt ersichtlich sei, sei das gemäß dem PVG vorgesehene Verfahren für den Ausspruch einer Kündigung nicht eingehalten worden". Auch aus diesem Grunde wäre bei Vorliegen entsprechender Feststellungen dem Klagebegehren stattzugeben gewesen.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Gründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben und weist erneut darauf hin, daß die formellen Voraussetzungen für die Kündigung nach dem Personalvertretungsgesetz nicht gegeben seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG jedenfalls zulässig; sie ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Auf die von der beklagten Partei geltendgemachten Aktenwidrigkeiten braucht nicht eingegangen zu werden; es handelt sich dabei überwiegend um Einwendungen gegen die im Revisionsverfahren nicht überprüfbare Beweiswürdigung. Im übrigen sind diese Ausführungen im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung unerheblich.

Zutreffend wendet sich die Revision gegen die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, die dem Kläger vorgeworfenen Unmutsäußerungen und sein übriges Verhalten stellten keinen Kündigungsgrund dar.

Die vom Kläger zugegebene Beleidigung eines Lehrerkollegen bedeutet einen groben Verstoß gegen seine Dienstpflicht (§ 32 Abs 2 lit a VBG) sowie ein Verhalten, das dem Ansehen und den Interessen des Dienstes abträglich ist (§ 32 Abs 2 lit f VBG). Der Kläger kann sich für sein Verhalten gegenüber seinem Kollegen, der ihn als Supplierlehrer unterstützen sollte, auch nicht mit der angespannten Situation der Sondererziehungsschule entschuldigen. Die vermeintliche Rechtfertigung des Klägers, "er könne diesen Kollegen gar nicht beschimpfen, dies stehe ihm zu" (so die Äußerung des Klägers laut Niederschrift vom 6.6.1994, siehe erstgerichtliches Urteil S 7), zeigt eine ungewöhnliche Uneinsichtigkeit und bedeutet der Sache nach eine Wiederholung der Beschimpfung in einer Weise, daß es sich dabei nicht um eine bloß situationsbedingte Unmutsäußerung gehandelt haben kann. Der Vorwurf des Klägers gegenüber der Direktorin, sie sei "inkompetent" kann vom Kläger mit der Behauptung, er habe sich bei der Aussprache vom 20.6.1994 in die Enge getrieben zur Wehr setzen müssen, ebenfalls nicht entschuldigt werden. Die Juristin der beklagten Partei hatte in dieser Besprechung die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, ohne daß ihr deshalb angelastet werden könnte, sie würde ein Strafverfahren abführen und dabei gleichzeitig die Rolle des Anklägers und des Richters (so die Äußerung in der Revisionsbeantwortung, AS 265) übernehmen. Die Gegenwart eines Personalvertreters soll die Sachlichkeit der Erörterung gewährleisten, ohne daß diesem die Funktion eines "Verteidigers" zukäme.

Das dargestellte, in seiner Gesamtheit nicht mehr entschuldbare Verhalten des Klägers bildet entgegen seiner Ansicht und der der Vorinstanzen somit einen Kündigungsgrund im Sinne des § 32 Abs 2 lit a und f VBG.

Auf das weitere Vorbringen des Klägers (ON 20, AS 79), es seien die Voraussetzungen einer Kündigung nach dem PVG nicht gegeben, ist das Erstgericht nicht eingegangen und hat hiezu auch keine Feststellungen getroffen. Lediglich das Berufungsgericht hat ausgehend von seiner, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten, Ansicht zum Kündigungsgrund ausgeführt, daß das nach dem PVG vorgesehene Verfahren "soweit aus dem Akteninhalt ersichtlich", nicht eingehalten worden sei. Gemäß § 10 Abs 9 PVG sind Maßnahmen nach § 9 Abs 1 lit i PVG (ua Kündigung durch den Dienstgeber), die unter Verletzung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes getroffen wurden, aufgrund einer Klage des Bediensteten für unwirksam zu erklären, wenn die Klage innerhalb von 6 Wochen eingebracht wird. Dieses Anfechtungsrecht steht dem Bediensteten seit der PVG-Novelle 1983 zu (Schragel, Komm z PVG, Rz 66 zu § 10, 302 f); vgl Arb 10.514 = SZ59/2 = JBl 1986, 265 = EvBl 1986/102, 372; 9 Ob A 171/89 vom 30.8.1989). Der Mitwirkung der Personalvertretung gibt das Gesetz in den Fällen der Kündigung besonderes Gewicht (Schragel aaO, Rz 38 zu § 9, 210 f).

Ob dieses besondere Verfahren, vergleichbar dem Kündigungsvorverfahren gemäß § 105 Abs 1 und 2 ArbVG, wenn auch mit unterschiedlicher Anfechtungsberechtigung, beachtet wurde, ist von den Vorinstanzen bisher noch nicht aufgrund entsprechender ergänzender Parteienbehauptungen erörtert worden. Das Erstgericht hat nämlich die gebotene Prozeßleitung gemäß § 182 Abs 1 ZPO zu dem Vorbringen des Klägers vom 20.1.1995 unterlassen, wodurch das Verfahren an einem aus Anlaß der Rechtsrüge wahrzunehmenden sekundären Verfahrensmangel leidet. Im fortzusetzenden Verfahren wird dies mit den Parteien zu erörtern und es werden die entsprechenden Feststellungen zu treffen sein. Eine lediglich spekulative Erörterung, soweit dies aus dem Akteninhalt ersichtlich ist, reicht hiezu nicht aus, zumal die beklagte Partei dazu nicht näher Stellung genommen hat (AS 79).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 2 erster Satz ZPO.

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