OGH 11Os166/95

OGH11Os166/959.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Jänner 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brunner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Muhabi H***** und einen anderen wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Muhabi H***** und Afrim S***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich beider Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. März 1995, GZ 10 Vr 2192/94-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Muhabi H*****und Afrim S*****(1.) des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und

(2.) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB [mangels Identifizierung des unmittelbaren Täters und des Beitragstäters (US 13) insoweit unter - den Angeklagten angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit sämtlicher Begehungsweisen des § 12 StGB nicht zum Nachteil gereichender - alternativer Zitierung auch des dritten Falles des § 12 StGB] für schuldig erkannt.

Inhaltlich des Schuldspruchs haben Muhabi H*****und Afrim S*****im bewußten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter

1. außer den Fällen des § 201 StGB eine Person mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem sie Carina Sch*****ins Wasser des Nichtschwimmerbeckens zogen, einer sie von hinten am Ellbogen festhielt und der andere das Mädchen am Geschlechtsteil und an der rechten Brust über dem Badeanzug grob betastete und

2. durch die zu Punkt 1. beschriebene Tathandlung die am 24. März 1981 geborene, sohin unmündige Carina Sch*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten gestützt auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO, die des Angeklagten Afrim S***** gestützt auch auf die Z 3 und 9 lit a leg cit.

Beide Nichtigkeitsbeschwerden sind nicht im Recht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Muhabi Halimi:

Dieser Beschwerdeführer erachtet sich zunächst durch die Abweisung (in der Beschwerde unzutreffend: Nichterledigung) der von seinem Verteidiger gestellten Beweisanträge auf Aktenrückleitung an den Untersuchungsrichter zur Ausforschung und Vernehmung des Bademeisters und auf Einvernahme weiterer Zeugen (191 f iVm 202) in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt. Mit dem erstangeführten Antrag sollte nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles die Richtigkeit der Verantwortung der Angeklagten, die unmündige Carina Sch*****in keiner Weise kontaktiert und deren gegenteilige Angaben sogleich als unrichtig bezeichnet zu haben, durch die beantragten weiteren Zeugenaussagen hinwider die (eine Verwechslungsgefahr nahelegende) Anwesenheit auch anderer Ausländer im tatgegenständlichen Schwimmbecken sowie der Umstand dargetan werden, daß zur Tatzeit (dem Vorbringen der Carina Sch*****zuwider) keiner der beiden Angeklagten eine Badehaube getragen habe.

Soweit in der Beschwerde die Befragung des Bademeisters auch zum Hergang der vom intervenierenden Polizeibeamten Michael G*****(196 iVm 20) durchgeführten Gegenüberstellung des Tatopfers mit den Angeklagten reklamiert wird, hält der Beschwerdeführer nicht an dem bei der Antragstellung geltend gemachten Beweisthema fest und bringt seine Verfahrensrüge (Z 4) insoweit nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung.

Da die erste polizeiliche Befragung der beiden Angeklagten, bei der sie nach der Aktenlage (noch) einräumten, das Tatopfer Carina Sch*****ins Wasser geworfen und kurz untergetaucht zu haben, während sie bloß die inkriminierten Tathandlungen in Abrede stellten (19 und 197), erst nach der Überstellung ins Wachzimmer und demnach also in Abwesenheit des Bademeisters durchgeführt wurde, erweist sich der in Rede stehende Beweisantrag auch als sachlich unbegründet. Die beantragte Zeugenaussage ist demzufolge von vornherein nicht geeignet, die Richtigkeit der in der Folge vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung von den angeführten Primärangaben abweichenden Einlassungen der Angeklagten zu bestätigen.

Zurecht wurde aber auch der Antrag auf Vernehmung zweier weiterer Zeugen abgewiesen, weil weder der Umstand, daß sich zur Tatzeit noch mehrere andere Ausländer im betreffenden Schwimmbecken aufgehalten haben, noch die der Schilderung des Äußeren des Erstangeklagten durch Carina Sch*****in Einzelheiten anhaftenden Ungenauigkeiten die Richtigkeit ihres unmittelbaren Wiedererkennens der Angeklagten als Täter ausschließen.

Es versagt aber auch die Mängelrüge (Z 5).

Daß die erste polizeiliche Befragung - entgegen den insoweit nicht aktenkonformen Urteilsausführungen - nicht schon am Tatort, sondern erst im Wachzimmer stattgefunden hat (US 8 iVm 19 und 197), ist nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung. Genug daran, daß die im vorliegenden Zusammenhang allein entscheidungswesentliche Annahme einer maßgeblichen Divergenz zwischen den Primäreinlassungen beider Angeklagten bei der Polizei, das Mädchen zwar ins Wasser geworfen und kurz untergetaucht, aber nicht unsittlich betastet zu haben und ihrer - jegliche Berührung des Mädchens in Abrede stellenden - späteren Verantwortung vor dem polizeilichen Journaldienst und in der Hauptverhandlung in den entsprechenden Bekundungen des Meldungslegers Michael G*****ihre aktenmäßige Deckung findet (19 und 197) und diese Verfahrensergebnisse vom Erstgericht einer eingehenden Erörterung unterzogen wurden (US 8 f).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat auch (die Mutter des Tatopfers) Cäcilie Sch*****keine von den bezughabenden Schilderungen des Meldungslegers abweichenden Äußerungen der beiden Angeklagten unmittelbar am Tatort bekundet. Die Angeklagten haben sich vielmehr durch die Beteuerung "nichts gemacht" zu haben bzw "dies nicht gemacht zu haben" (153, 155) bloß auf das unmittelbare Bestreiten des Tatvorwurfes beschränkt, ohne auf ihre später vor dem intervenierenden Polizeibeamten bekundetes Verhalten überhaupt einzugehen. Mangels Vorliegens eines diesbezüglichen Widerspruchs waren die erwähnten Angaben der Cäcilie Sch*****im Interesse einer gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO gebotenen gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe nicht weiter erörterungsbedürftig.

Die Urteilsfeststellung über die altersgemäße physische Entwicklung der Carina Sch*****und über das vorsätzliche Handeln beider Angeklagten (auch) in bezug auf die von ihnen dementsprechend erkannte Unmündigkeit der Genannten hat das Gericht denkrichtig mit der Beschreibung des körperlichen Zustandes des Mädchens in der Anzeige (20) und durch die psychologische Sachverständige im Vorverfahren (50) begründet (US 5, US 6 f und 12), sodaß auch insoweit von einem Begründungsmangel keine Rede sein kann.

Ebensowenig ist der Beschwerdeführer mit seiner Tatsachenrüge (Z 5a) im Recht. Soweit er nämlich auch unter diesem Nichtigkeitsgrund das Unterbleiben der Vernehmung des Bademeisters und zweier beantragter Zeugen bemängelt, ist er auf die Ausführungen bei Erörterung der Verfahrensrüge (Z 4) zu verweisen.

Keine Grundlage für erhebliche Bedenken im Sinne des relevierten Nichtigkeitsgrundes vermag der Hinweis des Angeklagten auf - vom Erstgericht ohnedies berücksichtigte - Widersprüche in den Angaben der Carina Sch*****und auf Divergenzen zwischen den jeweiligen Depositionen dieses Mädchens abzugeben.

Der zur Darlegung erheblicher Zweifel am Gelingen der Wahrheitsfindung erforderliche Vergleich aktenkundiger Umstände mit entscheidenden Feststellungen kann nämlich nicht durch die Behauptung ersetzt werden, daß die von der ersten Instanz mit intersubjektiv plausibler Begründung als glaubhaft angesehene Zeugenaussage infolge innerer Unwahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung unglaubwürdig sei. Auch unter dem Aspekt der Tatsachenrüge ist nämlich die Beweiswürdigung der Tatrichter im kollegialgerichtlichen Verfahren einer Bekämpfung entzogen (NRsp 1994/176).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Afrim Sylejmani:

Eine Nichtigkeit (Z 3) begründende Zeugnisunfähigkeit der Carina Sch*****(iS des § 151 Z 3 StPO) erblickt der Angeklagte in dem Umstand, daß das Mädchen bei seiner Befragung durch die Verteidigung in Tränen ausgebrochen sei und demzufolge keine zusammenhängenden Antworten mehr habe geben können.

Diese Beschwerdebehauptung findet im Hauptverhandlungsprotokoll keine Deckung, weil das Mädchen nach den Ausführungen der psychologischen Sachverständigen (durch die Befragung eines der Verteidiger) lediglich "in Mitleidenschaft gezogen wurde", ohne aber - wie auch aus seinem trotz Weinens folgerichtigen - Vorbringen in der Hauptverhandlung vom 17. Jänner 1995 zu ersehen ist - die Fähigkeit zur Wiedergabe der tatrelevanten Wahrnehmung verloren zu haben (insbesondere 161 f, 165, 201).

Aber auch der Versuch, unter dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund die fachliche Kompetenz der psychologischen Sachverständigen und die inhaltliche Richtigkeit ihres Gutachtens in Zweifel zu ziehen, schlägt fehl. Einer allfälligen Fehlerhaftigkeit des betreffenden Gutachtens im Sinne der §§ 125, 126 StGB wäre nämlich durch eine - vom Beschwerdeführer aber unterlassene - Antragstellung in der Hauptverhandlung zu begegnen gewesen, wonach eine abweisliche Erledigung erst die Möglichkeit der Geltendmachung eines Verfahrensmangels in der Bedeutung der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO eröffnet hätte. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund (Z 3) hingegen wird mit der vorliegenden Beschwerdeargumentation nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung gebracht.

Gleiches gilt für das Vorbringen, mit dem der Angeklagte gegen das Unterbleiben der von ihm (mit Schriftsatz ON 36) verlangten stenographischen Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge in der Hauptverhandlung remonstriert; ist doch mit Nichtigkeit (Z 3) nur die gänzliche Unterlassung der Führung eines Hauptverhandlungsprotokolls bedroht.

In seinen Verteidigungsrechten entscheidungswesentlich beeinträchtigt wähnt sich dieser Angeklagte zudem durch die Abweisung der vom Verteidiger Dr. St*****in der Hauptverhandlung vom 14. März 1995 auch zu seinen Gunsten gestellten Beweisanträge auf Ausforschung und Vernehmung des Bademeisters (unter Rückleitung des Aktes an den Untersuchungsrichter) und auf Einvernahme zweier weiterer Zeugen zu den in den Ausführungen der Verfahrensrüge (Z 4) des Erstangeklagten Muhabi H*****angeführten Beweisthemen. Insoweit genügt es den - ebenfalls unrichtig von einer Nichterledigung dieser Beweisanträge sprechenden - Beschwerdeführer mit seinen- die Relevanz der Beweisanträge weitwendig begründenden - Beschwerdeausführungen auf die Darlegungen im Rahmen der Behandlung der Verfahrensrüge des Erstangeklagten Muhabi H*****zu verweisen.

Soweit Afrim S*****unter dem relevierten Nichtigkeitsgrund auch die Nichtzulassung einer Frage seines Verteidigers an die Zeugin Cäcilie Sch*****"nach der sekundären Geschlechtsentwicklung" der Unmündigen durch den Vorsitzenden rügt (157), fehlt schon mangels erforderlicher Antragstellung auf Herbeiführung eines Zwischenerkenntnisses durch das Schöffengericht die Legitimation zur Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes.

Aber auch die Mängelrüge (Z 5) erweist sich als verfehlt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat die unmündige Carina Sch*****die Dauer der inkriminierten Berührung auch im Bereich ihres Geschlechtsteiles sowohl gegenüber dem intervenierenden Polizeibeamten Michael G*****als auch vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung im wesentlichen stets gleichbleibend mit wenigen Sekunden angegeben (18, 49 und 159), sodaß von einer diesem Vorbringen im gegenständlichen Zusammenhang anhaftenden Divergenz keine Rede sein kann.

Es besteht aber auch zwischen der konstatierten altersgemäßen Entwicklung der Carina Sch*****und den weiteren Urteilsannahmen, wonach die Genannte von den beiden Angeklagten (demzufolge) auch - zumindest mit bedingtem Vorsatz - für noch unmündig eingeschätzt wurde, kein Widerspruch.

Mit der Behauptung einer fehlenden Begründung zur Urteilsannahme, daß die Brust der Carina Sch*****erkennbar altersgemäß entwickelt und demgemäß bereits physiologisch der Geschlechtssphäre zuzurechnen war, ist der Beschwerdeführer schließlich zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Rahmen der Erörterung gleichartiger Einwendungen in der Mängelrüge des Erstangeklagten zu verweisen.

Der Angeklagte vermag aber auch mit seiner Tatsachenrüge (Z 5a) nicht durchzudringen. Dies gilt zunächst für die schon im Rahmen der Mängelrüge vorgebrachten Einwendungen gegen die Urteilskonstatierungen über den körperlichen Entwicklungszustand der Carina Sch*****, weil er damit keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachensubstrats aufzuzeigen vermag.

Nicht anders verhält es sich mit den behaupteten Ungereimtheiten in den Aussagen der Zeugen Carina Sch*****und Mirjam Sch*****. Die betreffenden Verfahrensergebnisse wurden vom Erstgericht in die beweiswürdigenden Überlegungen ohnedies mit einbezogen (US 8 ff), wogegen die vorliegende Beschwerdeargumentation in Wahrheit auf eine Umdeutung dieser Verfahrensergebnisse zu Gunsten des Angeklagten und damit auf eine auch in diesem Rahmen im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer Schuldberufung hinausläuft.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) des Beschwerdeführers entbehrt schließlich einer gesetzeskonformen Ausführung, weil sie - statt an der hinsichtlich der Unmündigkeit des Tatopfers bedingten Vorsatz der Angeklagten bejahenden Urteilsannahme festzuhalten - bloß erneut bereits in der Mängelrüge relevierte Kritik an der vom Erstgericht dafür angegebenen Begründung wiederholt, ohne damit durch den Vergleich des festgestellten Sachverhaltsubstrates mit dem darauf angewendeten Gesetz einen dem Erstgericht unterlaufenen Rechtsfehler darzutun.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285 d Abs 1 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus folgt, daß zur Entscheidung über die Berufungen das Oberlandesgericht Graz zuständig ist (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung basiert auf der angeführten Gesetzesstelle.

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