OGH 10ObS205/94

OGH10ObS205/9419.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth B*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Günter Philipp, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17.Mai 1994, GZ 32 Rs 59/94-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 28. Dezember 1993, GZ 17 Cgs 1125/93i-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23.3.1993 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Ausgleichszulage (AZ) zur Alterspension ab. Die Pension von 6.272,60 S zuzüglich des Einkommens aus übergebenem Grundbesitz von 726 S und der anzunehmenden Unterhaltsleistung des geschiedenen Ehegatten von 1.363,50 S übersteige den Richtsatz von 7.000 S.

Das auf eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß von 1,40 S im Jahre 1993 gerichtete Klagebegehren stützt sich darauf, daß die Zurechnung einer angenommenen Unterhaltsleistung des geschiedenen Ehegatten zu entfallen habe, weil die Unterhaltsforderung trotz wiederholter Zwangsmaßnahmen offenbar gänzlich aussichtslos sei. Die AZ gebühre daher in der Höhe des Unterschiedes zwischen der Summe aus Pension und fiktivem Ausgedinge (6.272,60 S + 726 S = 6.998,60 S) und dem Richtsatz (7.000 S), also von 1,40 S.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß die Klägerin einen Unterhaltstitel aus dem Jahre 1951 habe und ihr geschiedener Ehegatte eine problemlos pfändbare Alterspension beziehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es traf folgende Tatsachenfeststellungen: Die Ehe der Klägerin mit Karl B***** ist seit 20.2.1951 wegen Verschuldens des Ehemannes geschieden. Dieser verpflichtete sich in einem gerichtlichen Vergleich vom selben Tag, der Klägerin ab 1.3.1951 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 10 vH seines jeweiligen monatlichen Nettoeinkommens zu zahlen. Die Klägerin hatte damals kein Einkommen. Ihr geschiedener Ehemann hatte für zwei Kinder zu sorgen. Die Klägerin bezog vom 1.1. bis 30.6.1993 eine monatliche Alterspension von 6.084,40 S netto, vom 1.7. bis 31.12.1993 eine solche von 6.053,10 S netto. Daraus errechnete das Erstgericht unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen für das 1. Halbjahr 1993 eine durchschnittliche monatliche Nettopension von 7.098,46 S, für das 2. Halbjahr 1993 eine solche von 7.061,95 S. Ihr geschiedener Ehegatte bezog seit 1.1.1993 eine Bruttopension von 13.387 S. Das entspricht einer monatlichen Nettopension von 11.498,40 S ab 1.1.1993 und von 11.452,80 ab 1.7.1993. Daraus errechnete das Erstgericht unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen für das 1. Halbjahr 1993 eine durchschnittliche monatliche Nettopension von 13.414,80 S und für das

2. Halbjahr 1993 eine solche von 13.361,60 S. Der frühere Ehemann hat keine Sorgepflichten und bezieht auch kein weiteres Einkommen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß die Verfolgung des verglichenen Unterhaltsanspruches iS des § 294 Abs 3 ASVG offenbar aussichtslos bzw unzumutbar sei, weil dieser Anspruch wegen Änderung der Verhältnisse erloschen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

Die Klägerin habe gegen ihren geschiedenen Ehegatten einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gemäß § 66 EheG. Ob sie beim Abschluß des Unterhaltsvergleiches im Jahre 1951 auf einen Teil des Unterhaltsanspruches verzichtet habe, sei unerheblich. Die im § 294 Abs 1 lit b ASVG angeordnete pauschalierte Anrechnung des Unterhaltsanspruches könnte nur unter den seit 1.7.1993 geänderten Voraussetzungen des Abs 3 leg cit unterbleiben. Diese lägen bei Bedachtnahme auf die Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten nicht vor. Die bloße Möglichkeit, daß der geschiedene Ehemann bei einer Exekution aus dem Unterhaltsvergleich eine Oppositionsklage einbringen könnte, reiche nicht aus.

In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG in der hier noch anzuwendenden Fassung der ASGG-Nov 1994 zulässige Revision ist nicht berechtigt.

(Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des ASVG.)

Bei Anwendung des § 292 ist der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den geschiedenen Ehegatten, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, dadurch zu berücksichtigen, daß ihrem Nettoeinkommen 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens ihres geschiedenen Ehemannes zuzurechnen sind (§ 294 Abs 1 lit b). Dieses betrug nach den erstgerichtlichen Feststellungen ab 1.1.1993 13.414,80 S und ab 1.7.1993 13.361,60 S. Der monatliche Zurechnungsbetrag machte daher ab 1.1.1993 1.676,85 S und ab 1.7.1993 1.670,20 S aus. Da das dem Verpflichteten verbleibende Nettoeinkommen den Richtsatz gemäß § 293 Abs 1 lit b nicht unterschreitet und der Verpflichtete auch gegenüber keinen weiteren Angehörigen unterhaltspflichtig ist, kommt es weder zu einer Verminderung des Zurechnungsbetrages gemäß § 294 Abs 1 letzter Satz noch zu einer Verminderung des Hundertsatzes des monatlichen Nettoeinkommens gemäß Abs 2 leg cit.

Bei Berücksichtigung der genannten Zurechnungsbeträge würde der für die Klägerin ab 1.1.1993 geltende Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb von 7.000 S überschritten.

Eine Zurechnung zum Nettoeinkommen könnte nach § 294 Abs 3 Satz 2 nur in der Höhe eines Vierzehntels der jährlich tatsächlich zufließenden Unterhaltsleistung erfolgen, wenn die nach Abs 1 berechnete Unterhaltsforderung, also die oben genannten Zurechnungsbeträge, der Höhe nach trotz durchgeführter Zwangsmaßnahmen einschließlich gerichtlicher Exekutionsführung uneinbringlich oder die Verfolgung eines Unterhaltsanspruches in dieser Höhe offenbar aussichtslos (bis 30.6.1993 geltende Rechtslage) bzw offenbar unzumutbar (seit 1.7.1993 auf Grund der 51. ASVG-Nov BGBl 1993/335 geltende Rechtslage) wäre. Die durch Art IV Z 13 der 41. ASVGNov BGBl 1986/111 geänderte, seit 1.1.1986 geltende Fassung des § 294 Abs 3 Satz 2, nach der eine Zurechnung zum Nettoeinkommen in dem Ausmaß unterblieb, in dem die Unterhaltsforderung trotz durchgeführter Zwangsmaßnahmen einschließlich gerichtlicher Exekutionsführung uneinbringlich oder die Verfolgung eines Unterhaltsanspruchs offenbar aussichtslos war, wurde bereits durch Art IV Z 5 der 48. ASVGNov BGBl 1989/642 mit Wirkung vom 1.1.1990 im wesentlichen auf den noch immer geltenden Text geändert, dem durch Art I Z 127 der 51. ASVGNov BGBl 1993/335 mit Wirkung vom 1.7.1993 die Wörter "offenbar unzumutbar" eingefügt wurden.

§ 294 Abs 3 Satz 2 in den hier anzuwendenden Fassungen ist nicht so zu verstehen, daß eine Zurechnung zum Nettoeinkommen überhaupt nicht vorzunehmen ist, wenn dem (der) Pensionsberechtigten tatsächlich keine Unterhaltsleistung zufließt, obwohl die Unterhaltsforderung zwar nicht in der vollen nach Abs 1 und 2 leg cit berechneten Höhe, wohl aber wenigstens teilweise einbringlich oder die Verfolgung eines derartigen Unterhaltsanspruches nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar ist. Unterläßt ein(e) Ausgleichszulagenwerber(in) die Durchsetzung eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches, obgleich ihm (ihr) dessen Durchsetzung zumindest teilweise möglich und zumutbar wäre und würde er (sie) davon auch nicht Abstand nehmen, wenn der Ausfall nicht durch die Ausgleichszulage gedeckt wäre, so sind diese Ansprüche bei Berechnung dieser Zulage als tatsächlich zufließend zu berücksichtigen (vgl 10 ObS 143/93 SSV-NF 7/93 = SVSlg 40.880; ähnlich OLG Linz 29.3.1994, 12 Rs 30/94 SVSlg 40.926).

So wäre auch dann vorzugehen, wenn man in wörtlicher Auslegung des § 294 Abs 3 Satz 2 der Meinung wäre, daß eine Zurechnung zum Nettoeinkommen nach dieser Gesetzesstelle gänzlich zu entfallen hätte, weil dem Pensionsberechtigten tatsächlich keine Unterhaltsleistung zufließt. In diesem Falle lägen nämlich keine Bezüge aus Unterhaltsansprüchen privater Art vor, die nach § 294 berücksichtigt werden und daher nach § 292 Abs 4 bei Anwendung der Abs 1 bis 3 dieser Gesetzesstelle außer Betracht zu bleiben haben. Die Unterhaltsleistungen, deren Durchsetzung möglich und zumutbar wäre, wären dann als tatsächlich erbracht anzusehen und als übrige Einkünfte des Pensionsberechtigten im Sinne des § 292 Abs 1 seinem Nettoeinkommen zuzurechnen.

Im Sinne dieser Ausführungen ist dem Nettoeinkommen der Klägerin aus folgenden Überlegungen ein einbringlicher monatlicher Unterhaltsbeitrag ihres geschiedenen Ehegatten in einer die begehrte Ausgleichszulage übersteigenden Höhe zuzurechnen:

Die Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten haben sich seit der vergleichsweisen Regelung des gesetzlichen Unterhaltsanspruches der Klägerin im Jahre 1951 zweifellos wesentlich geändert. Damals bezog nur der geschiedene Ehemann ein Erwerbseinkommen, hatte dieses allerdings mit der Klägerin und zwei Kindern zu teilen. Die Klägerin verfügte seinerzeit über kein Erwerbseinkommen und hatte das etwa drei Jahre alte gemeinsame Kind zu pflegen und zu erziehen. Nunmehr sind die weiteren Sorgepflichten des geschiedenen Ehemannes weggefallen; die beiden früheren Ehegatten beziehen Alterspensionen. Schon diese wesentlichen Änderungen könnten im Hinblick auf die Umstandsklausel, für deren Nichtanwendbarkeit kein Anhaltspunkt vorliegt, an sich sowohl eine Erhöhung als auch eine Verringerung des im Scheidungsvergleich titulierten Unterhaltsanspruchs der Klägerin bewirkt haben. Wesentliche Änderungen rechtfertigen die Neufestsetzung des Unterhaltsanspruches (EFSlg 62.558 f ua). Dabei kann auch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse in der Vergangenheit geltend gemacht und eine rückwirkende Unterhaltserhöung oder -herabsetzung begehrt und nicht nur eine Oppositionsklage gegen eine betriebene Unterhaltsforderung erhoben werden (EvBl 1989/50; 1990/2; RZ 1991/52 ua). Da die Alterspension der Klägerin unter, die ihres geschiedenen Ehemannes jedoch um mehrere tausend Schilling über dem für beide geltenden Richtsatz liegt, wäre dieser Anspruch etwa mit 40 vH des Pensionseinkommens beider geschiedener Ehegatten abzüglich des Pensionseinkommens der Klägerin zu bemessen (zB EFSlg

66.478 = ÖA 1992, 159; SSV-NF 6/42 mwN). Das gemeinsame durchschnittliche monatliche Nettopensionseinkommen der geschiedenen Ehegatten im ersten Halbjahr 1993 wurde mit 20.513,26 S, im 2. Halbjahr mit 20.423,55 S, die durchschnittliche monatliche Nettopension der Klägerin in diesen beiden Halbjahren mit 7.098,46 S und 7.061,95 S festgestellt. Daraus läßt sich die Höhe ihres gesetzlichen monatlichen Unterhaltsanspruches im Jahr 1993 mit etwa 1.100 S errechnen. Umstände, daß eine Unterhaltsforderung in dieser Höhe trotz durchgeführter Zwangsmaßnahmen einschließlich gerichtlicher Exekutionsführung uneinbringlich oder dier Verfolgung eines Unterhaltsanspruches in dieser Höhe offenbar aussichtslos oder offenbar unzumutbar wäre, liegen nach den Feststellungen nicht vor.

Ob ab 1.7.1993 eine Anrechnung nach dem dem § 294 durch die 51. ASVG-Nov angeführten Abs 5 zu unterbleiben hat, muß im vorliegenden Fall nicht näher geprüft werden. Nach dieser Bestimmung erfolgt eine Anrechnung nach Abs 1 leg cit auch dann nicht, wenn die Ehe aus dem Verschulden des anderen Ehegatten geschieden wurde, eine Unterhaltsleistung aus dieser Scheidung auf Grund eines Unterhaltsverzichtes nicht erbracht wird und dieser Verzicht spätestens zehn Jahre vor dem Stichtag abgegeben wurde. Von der Klägerin wurde im Verfahren erster Instanz nicht behauptet, daß sie einen Unterhaltsverzicht abgegeben hätte. Sie brachte sogar in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 7.9.1993 (ON 4a AS 11) vor, sie habe vor Jahren versucht, gegen ihren (geschiedenen) Ehegatten Exekution zu führen. Dies sei meistens so ausgegangen, daß sie nichts bekommen habe. Nur vor etwa 20 Jahren habe sie einen ganz geringen Betrag exekutiv hereingebracht. Von einem Unterhaltsverzicht kann somit nicht die Rede sein.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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