OGH 10ObS143/93

OGH10ObS143/9314.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Peter Fischer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Milenko S*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. April 1993, GZ 33 Rs 19/93-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29. September 1992, GZ 14 Cgs 130/92-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger vom 1.6. bis 31.12.1991 einen Vorschuß auf die Ausgleichszulage von monatlich S 2.854,60 und ab 1.1.1992 einen solchen von monatlich S 3.228,80 zu zahlen und die mit S 9.058,48 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 1.510,04 Ust.) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 6.1.1920 geborene Kläger ist österreichischer Staatsbürger und hat seinen ständigen Wohnsitz im Inland. Er bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Invaliditätspension als österreichische Teilleistung, die im Jahr 1991 S 3.145,40 und im Jahr 1992 S 3.271,20 betrug. Weiters hat er Anspruch auf eine jugoslawische Teilrente erworben, doch sind vom ausländischen Versicherungsträger seit Juni 1991 keinerlei Zahlungen an den Kläger erfolgt. Es liegt offenkundig Zahlungsunfähigkeit der pensionsauszahlenden Stelle im Ausland vor. Neben der österreichischen Teilpension hat der Kläger seit Juni 1991 keinerlei anderweitige Einkünfte.

Mit Bescheid der Beklagten vom 24.6.1992 wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung der Ausgleichszulage ab 1.6.1991 abgelehnt, weil die österreichische Invaliditätspension und die durchschnittliche jugoslawische Rente zusammen die Höhe des Richtsatzes übersteigen.

Mit der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Klage begehrte der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm die Ausgleichszulage zu seiner österreichischen Teilpension ab Juni 1991 für die weitere Dauer des Ausbleibens der jugoslawischen Rentenzahlungen ohne Berücksichtigung der jugoslawischen Rente zuzuerkennen, in eventu (hilfsweise) die daraus erfließenden Ausgleichszulagenbeträge für den Fall einer späteren Flüssigmachung der rückständigen jugoslawischen Rentenbeträge in Österreich (umgerechnet zu den dann gültigen Umrechnungskurs) vorschußweise auszuzahlen. Der Kläger begründete sein Begehren damit, daß er die jugoslawische Teilrente seit Juni 1991 nicht mehr ausgezahlt erhalten habe. Es liege Zahlungsunfähigkeit der pensionsauszahlenden Stelle in Belgrad vor. Auch unter Berücksichtigung der politischen Umstände sei eine Verfolgung des Anspruches durch den Kläger unzumutbar. Abgesehen von jenen Fällen, in denen das Gesetz zur Feststellung eines Ausgleichszulagenanspruches die Berücksichtigung fiktiver oder durchsetzbarer Ansprüche vorsehe, sei es verfehlt, nicht realisierbare Ansprüche zu den übrigen Einkünften iS des § 292 Abs 1 ASVG zu rechnen. In analoger Anwendung des § 294 ASVG sei die jugoslawische Pension mangels Eintreibbarkeit nicht anzurechnen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 existiere nach wie vor und sei bisher von keinem der Vertragsparteien außer Kraft gesetzt worden. Ausschließlich auf Grund dieses Abkommens sei es möglich gewesen, die österreichische Teilpension zu gewähren. Es stehe fest, daß der Kläger Anspruch auf eine jugoslawische Teilrente habe und daß diese Leistung auch bezogen worden sei. Die Republik Österreich habe keine Haftung für allfällige Zahlungsausfälle im ehemaligen Jugoslawien zu übernehmen. Mit der Anspruchsverfolgung sei aus diesem Grund jedenfalls der Kläger zu betrauen. Die Lehre von den nicht realisierbaren Ansprüchen könne sich nur auf innerstaatliche Angelegenheiten beziehen. Andernfalls müßte im Wege der Ausgleichszulage eine Ausfallshaftung der Republik Österreich für alle Vertragsstaaten der Erde übernommen werden, was nicht nur wirtschaftlich unmöglich sei. Der einmal festgestellte jugoslawische Rentenanspruch bestehe unzweifelhaft dem Grunde nach weiter. Derzeit seien zwar vorübergehende Schwierigkeiten in bezug auf die Auszahlung dieser Rente nicht auszuschließen, doch obliege die Verfolgung des Anspruchs ausschließlich dem Kläger. Da dieser seit längerem keine jugoslawischen Zahlungsabschnitte vorgelegt habe, sei der Beklagten keine andere Möglichkeit geblieben, als von einer durchschnittlichen jugoslawischen Rente auszugehen.

Das Erstgericht erkannte, ohne über das Hauptbegehren abzusprechen, die Beklagte schuldig, dem Kläger ab 1.6.1991 eine vorläufige Leistung (gemeint offenbar einen Vorschuß) in Höhe einer monatlichen Ausgleichszulage von S 3.328,80 zu zahlen. Dem Kläger gebühre in Anwendung des § 292 Abs 1 ASVG die Differenz zwischen seiner österreichischen Teilpension und dem Richtsatz als vorläufige Leistung. Die bloße Gewährung einer vorläufigen Leistung sei in analoger Anwendung des § 18 ARÜG erfolgt, weil nur dadurch gewährleistet werden könne, daß im Falle einer späteren Gewährung der jugoslawischen Rentenbeträge eine Rückzahlung der von der Beklagten erbrachten Zahlungen erfolge.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Wenngleich der Berufungswerberin zugestanden werden möge, daß in einem Fall wie hier die Versicherungsgemeinschaft in Österreich letztlich eine Ausfallshaftung treffen könnte, stehe dieser jedenfalls der individuelle Anspruch eines Pensionsbeziehers auf Ausgleichszulage unter den in den §§ 292 ff ASVG normierten Voraussetzungen gegenüber. Das Ausgleichszulagenrecht in Österreich entspreche dem Fürsorgerecht, nach dessen Grundsätzen vor Inanspruchnahme einer Leistung sämtliche andere zur Verfügung stehende Quellen ausgeschöpft werden müßten. Dem Gesetz könne nicht entnommen werden, im Ausgleichszulagenrecht wäre der Anspruch auf Einkünfte maßgebend, vielmehr seien bei der Ermittlung der Ausgleichszulage tatsächlich vorhandene Einkünfte heranzuziehen. Bei der gegebenen Sachlage, insbesondere daß vom serbischen Versicherungsträger derzeit keine Beträge der jugoslawischen Teilrente des Klägers ausgezahlt würden, und zumal ein Verzicht darauf weder behauptet noch erwiesen sei, habe das Erstgericht zutreffend den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage in Höhe der Differenz der österreichischen Pension zum Richtsatz bejaht. Durch Zuerkennung nur eines Vorschusses bleibe die Möglichkeit gewahrt, bei der endgültigen Festsetzung der Ausgleichszulage Zahlungen des ausländischen Versicherungsträgers oder Umstände zu berücksichtigen, die der Kläger zu vertreten hätte, zu welchen aber keinesfalls gehöre, daß er als österreichischer Staatsbürger derzeit seinen Anspruch in Belgrad persönlich verfolge. Eine schriftliche Bestätigung des Versicherungsträgers in Belgrad über die Nichtzahlung seiner Teilrente von dort habe er bereits mit der Klage vorgelegt.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Aktenwidrigkeit. Es wird die Abänderung des Urteils im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens, hilfsweise im Sinne des Zuspruchs einer niedrigeren Ausgleichszulage oder aber die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine untere Instanz beantragt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur teilweise berechtigt.

Aus den Bestimmungen über die Ausgleichszulage (§§ 292 ff ASVG) ergibt sich, daß bei der Feststellung des Anspruches auf diese Leistung grundsätzlich nur tatsächlich bezogenes Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten (und seines mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners) zu berücksichtigen ist. Dies erfordert der Zweck dieser Zusatzleistung, die zusammen mit der Pension, dem aus übrigen Einkünften erwachsenden Nettoeinkommen und den gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträgen das Existenzminimum des Pensionsberechtigten (und des mit ihm zusammenlebenden Ehepartners) sichern soll (SSV-NF 6/140 mwN aus Lehre und Rechtsprechung). Es kommt also nicht darauf an, welche gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüche einem Ausgleichszulagenwerber zustehen, sondern welche Einkünfte ihm tatsächlich zukommen. Die Frage, ob ein Ausgleichszulagenwerber die ihm an sich mögliche Realisierung von Ansprüchen unterläßt, ist unter dem Blickwinkel des Verzichtes auf realisierbare Einkünfte zu sehen. Der erkennende Senat hat sich in jüngster Zeit ausführlich mit diesem Problem auseinandergesetzt und ist in seinen Entscheidungen vom 23.2.1993, 10 Ob S 161/91, und vom 30.3.1993, 10 Ob S 233/92, zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Ausgleichszulagenbezieher sein Recht auf Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu verzichten, zwar immer ausüben kann, ein solcher Verzicht aber bei der Feststellung seines Anspruches auf Ausgleichszulage dann nicht zu berücksichtigen ist, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen. Ein Rechtsmißbrauch liegt nicht erst dann vor, wenn die Absicht des Ausgleichszulagenbeziehers, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, der einzige Grund des Verzichtes ist, sondern schon dann, wenn das unlautere Motiv des Verzichtes die lauteren Motive eindeutig überwiegt, also so augenscheinlich im Vordergrund steht, daß andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, demnach zwischen den vom Verzichtenden (vorsätzlich) Verfolgten und den beeinträchtigten Interessen des Trägers der Ausgleichszulage ein krasses und zu mißbilligendes Mißverhältnis besteht.

Diese zum Verzicht auf realisierbare Einkünfte ausgesprochenen Grundsätze müssen auch dann gelten, wenn ein Ausgleichszulagenwerber - ohne ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht - die Durchsetzung gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche unterläßt. Der Grundsatz, daß ein gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten nicht leistungsbegründend wirken kann, muß in jenen Fällen gelten, in denen bisher aufgrund eines (gesetzlichen oder vertraglichen) Titels erbrachte Leistungen grundlos eingestellt werden und dagegen vom Leistungsberechtigten nichts unternommen wird, obgleich es hiezu nicht erst eines Prozesses mit all seinen Risken, sondern etwa lediglich eines Exekutionsantrages bedürfte und von dem der Leistungsberechtigte in der Regel auch nicht Abstand nehmen würde, wenn der Ausfall nicht oder wenigstens nicht zur Gänze durch eine Ausgleichszulage gedeckt wäre (zutreffend bereits OLG Wien SSV 9/20). Es kommt also darauf an, ob die Durchsetzung des Anspruches möglich und zumutbar wäre.

Im vorliegenden Fall steht unbekämpft fest, daß der Beklagte zwar Anspruch auf eine Teilrente vom serbischen Sozialversicherungsträger hat, daß aber durch diesen Träger seit Juni 1991 keinerlei Zahlungen erbracht wurden. Für einen Verzicht des Klägers auf diese Ansprüche fehlen jegliche Tatsachengrundlagen. Ob diese Nichterbringung der gebührenden Leistung durch den ausländischen Versicherungsträger auf Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsstockung oder nur Zahlungsunwilligkeit zurückzuführen ist, muß hier außer Betracht bleiben, weil es nicht zu Lasten des österreichischen Pensionisten und Ausgleichszulagenwerbers gehen kann, daß sich ein Vertragsstaat abkommenswidrig verhält. Daß aber die Durchsetzung der dem Kläger vorenthaltenen Rentenansprüche in Serbien wenn überhaupt nur mit beträchtlichen Schwierigkeiten möglich wäre, ist angesichts der derzeitigen politischen Lage offenkundig und bedarf keines näheren Beweises. Unter diesen Voraussetzungen ist es dem Kläger aber unzumutbar, vor Erlangung der Ausgleichszulage, die sein Existenzminimum sichern soll, langwierige und mühselige Versuche zur Durchsetzung seines ausländischen Rentenanspruches zu unternehmen.

Die in diesem Zusammenhang von der Revisionswerberin gerügten Feststellungsmängel, die darin gelegen sein sollen, daß nicht erhoben wurde, welche Beträge an den Kläger konkret bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz überwiesen worden seien, liegen nicht vor, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen seit Juni 1991 bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz (am 29.9.1992) überhaupt keine Zahlungen des serbischen Versicherungsträgers erfolgt sind.

Berechtigt ist die Revision lediglich der Höhe nach. Was den Zeitraum 1.6. bis 31.12.1991 betrifft, wurde von den Vorinstanzen einerseits die österreichische Teilleistung, andererseits der gesetzliche Richtsatz unrichtig angenommen. Die Differenz zwischen dem damals geltenden Richtsatz von S 6.000,-- und der vom Kläger bezogenen österreichischen Teilleistung von S 3.145,40 beträgt richtig S 2.854,60. Ab 1.1.1992 wurde der Richtsatz auf S 6.500,-- erhöht, während die österreichische Teilleistung auf S 3.271,20 anstieg. Daraus errechnet sich ab 1.1.1992 bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz ein Ausgleichszulagenanspruch von S 3.228,80. In diesem Sinne waren die der Beklagten aufgetragenen Vorschußzahlungen in teilweiser Stattgebung ihrer Revision zu reduzieren.

Wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt hat, unterließ das Erstgericht eine Entscheidung über das auf Zahlung der Ausgleichszulage gerichtete Hauptbegehren des Klägers. Die nicht gänzliche Erledigung des Klagebegehrens durch das Ersturteil wurde jedoch vom Kläger nicht gerügt; es ist daher davon auszugehen, daß dieses Begehren aus dem Verfahren ausgeschieden ist (vgl. Fasching III 816; SSV-NF 4/4, 5/26 5/93, 6/76 ua), so daß als Gegenstand des Rechtsstreites nur mehr das auf Gewährung eines Vorschusses gerichtete Begehren verblieben ist. Daß die urteilsmäßige Verpflichtung zur Zahlung eines Vorschusses auf die Ausgleichszulage möglich ist (vgl. SSV-NF 4/1 und 5/4), wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen. Die Rechtsgrundlage für die Bevorschussung der Leistung ist allerdings nicht, wie das Erstgericht meint, die analoge Anwendung des § 18 ARÜG, sondern die Bestimmung des § 368 Abs 2 ASVG.

In diesem Sinne waren die Urteile der Vorinstanzen entsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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