OGH 2Ob92/95

OGH2Ob92/9523.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Srdjan A*****, vertreten durch Dr.Thomas Wanek und Dr.Helmut Hoberger, Rechtsanwälte in Perchtoldsdorf, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr.Josef Krist, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Mai 1995, GZ 35 R 380/95-2, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, das gesetzliche Verfahren über die Wiederaufnahmsklage einzuleiten.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit der am 14.10.1991 beim Bezirksgericht Liesing zu 3 C 6/93w, eingebrachten Klage begehrte der Kläger von Mato K***** - ihm konnte die Klage nicht zugestellt werden - und von der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer des LKW MAN, Kennzeichen W***** die Zahlung von S 50.596,80 mit der Begründung, durch das Alleinverschulden des Mato K***** sei ihm ein Schaden in dieser Höhe entstanden. K***** habe am 22.4.1991 eine Stop-Tafel mißachtet und sei mit dem ihm entgegenkommenden einbiegenden PKW des Klägers zusammengestoßen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es allein die Tatsachenfeststellung traf, es könne nicht festgestellt werden, daß sich am 22.4.1991 der vom Kläger behauptete Verkehrsunfall ereignet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte nach Beweiswiederholung und Beweisergänzung diese Entscheidung. Es traf Feststellungen über die Schäden am Fahrzeug des Klägers und des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten LKW und stellte schließlich fest, die Schäden am Fahrzeug des Klägers könnten unmöglich aufgrund eines Unfalles stammen, den der Kläger als Linksabbieger mit einem ihm entgegenkommenden geradeaus fahrenden LKW erlitten habe.

Die außerordentliche Revision des Klägers wurde zurückgewiesen.

Am 24.5.1995 brachte der Kläger beim Berufungsgericht eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage ein. In dieser wendet sich der Kläger gegen die Feststellung, die Schäden könnten unmöglich auf einen Unfall zurückzuführen sein, den er als Linksabbieger mit einem ihm entgegenkommenden geradeaus fahrenden LKW erlitten habe.

Das Berufungsgericht wies die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Unzuständigkeit zurück und erklärte den ordentlichen Rekurs nicht für zulässig. Es vertrat die Ansicht, gemäß § 532 Abs 2 ZPO richte sich die Zuständigkeit für die Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO) darnach, welches Gericht die Tatsachenfeststellungen getroffen habe, die vom Anfechtungsgrund betroffen werden. Das Berufungsgericht sei nur dann zuständig, wenn die maßgebenden Feststellungen ausschließlich von ihm getroffen wurden. Zwar werde in der gegenständlichen Wiederaufnahmsklage auch die Feststellung des Berufungsgerichtes bekämpft, daß die vom Kläger dargestellte Unfallsvariante aus technischer Sicht nicht möglich sei, die neu aufgefundenen Beweismittel würden sich jedoch vor allem gegen die entscheidende Feststellung des Erstgerichtes richten, daß nicht festgestellt werden könne, daß am 22.4.1991 zwischen dem Fahrzeug der klagenden Partei und dem bei der beklagten Partei versicherten LKW tatsächlich ein Verkehrsunfall stattgefunden habe. Daraus ergebe sich die Zuständigkeit des Erstgerichtes für die gegenständliche Wiederaufnahmsklage.

Dagegen richtet sich der beim Erstgericht eingebrachte außerordentliche Rekurs des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß der angefochtene Beschluß ersatzlos aufgehoben und dem Berufungsgericht die Verhandlung und Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage aufgetragen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß dieser Rekurs zu Recht beim Erstgericht des Vorprozesses eingebracht wurde (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 533 mwN).

Der Rekurs des Klägers ist zulässig, weil im angefochtenen Beschluß zwar die Rechtsprechung richtig wiedergegeben wurde, aber eine unrichtige Subsumtion des festgestellten Sachverhaltes unter diese Leitsätze erfolgte, was in gleicher Weise ein Abweichen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bedeutet, wie wenn davon ausdrücklich und bewußt abgegangen worden wäre (MietSlg 37.770).

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht habe keine der erstgerichtlichen Feststellungen übernommen, sondern nur neue getroffen. Es könne daher nur das Berufungsurteil vom Wiederaufnahmsgrund betroffen sein. Der Sachverhalt habe sich somit geändert und habe durch die Berufungsverhandlung eine Berichtigung erfahren; die neuen Tatsachen und Beweismittel, die er in der Wiederaufnahmsklage geltend gemacht habe, würden genau diese Änderungen betreffen.

Diese Ansicht ist grundsätzlich zutreffend:

Eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage, wie sie hier erhoben wurde, muß gemäß § 532 Abs 2 ZPO beim Prozeßgericht erster Instanz, wenn aber nur eine in höherer Instanz ergangene Entscheidung von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen wird, bei diesem Gericht höherer Instanz angebracht werden. Maßgebend für die Zuständigkeit ist grundsätzlich, welches Gericht die Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die durch neue Tatsachen oder Beweismittel entkräftet werden sollen. Stammt diese Tatsachengrundlage von dem im Vorprozeß in erster Instanz eingeschrittenen Gericht, dann ist dieses Gericht auch dann zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage berufen, wenn das Berufungsgericht die betreffenden Feststellungen gebilligt, aber etwa zu ungunsten des nunmehrigen Wiederaufnahmsklägers verwertet oder aus ihnen andere rechtliche Schlußfolgerungen abgeleitet hat als das Erstgericht. Die individuelle Zuständigkeit des Berufungsgerichtes nach § 532 Abs 2 ZPO ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die maßgebenden Feststellungen im Vorprozeß ausschließlich von diesem Gericht getroffen worden sind (Kodek, aaO, Rz 3 zu § 532 mwN; 8 Ob 519/84; 9 Ob A 159/88 uva).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes des Vorprozesses wurden die Tatsachenfeststellungen, die durch die neuen Tatsachen oder Beweismittel der Wiederaufnahmsklage entkräftet werden sollen, von ihm selbst getroffen. Das Erstgericht hat nämlich (negativ) festgestellt, es könne nicht festgestellt werden, daß der vom Kläger behauptete Verkehrsunfall stattgefunden hat. Demgegenüber hat aber das Berufungsgericht die Schäden an den Fahrzeugen festgestellt und weiters (positiv) festgestellt, die Schäden am Fahrzeug des Klägers könnten unmöglich "aufgrund eines Unfalles stammen", den der Kläger als Linksabbieger mit einem ihm entgegenkommenden, geradeaus fahrenden LKW erlitten hat. Während also das Erstgericht die Frage, ob sich der vom Kläger behauptete Unfall tatsächlich ereignete offen ließ (was zu einer Anwendung der Beweislastregeln führt), hat das Berufungsgericht festgestellt, daß sich der vom Kläger behauptete Unfall nicht ereignete. Die von der Wiederaufnahmsklage betroffenen Feststellungen im Vorprozeß wurden sohin ausschließlich vom Berufungsgericht getroffen, dieses hat sich nicht darauf beschränkt, die Feststellung des Erstgerichtes zu übernehmen.

Daraus folgt, daß das Berufungsgericht des Vorprozesses gemäß § 532 Abs 2 ZPO zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage zuständig ist.

Auf die Frage, ob überhaupt mit Zurückweisung der Klage vorzugehen war (siehe hiezu SZ 66/10) ist somit nicht einzugehen.

Es war daher in Stattgebung des Rekurses der klagenden Partei dem Berufungsgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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