OGH 7Ob16/95

OGH7Ob16/9522.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gebietskrankenkasse *****, ***** vertreten durch Dr.Helmut Destaller ua Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Franz R*****, vertreten durch Dr.Gottfried Eisenberger und Dr.Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 113.799,72 s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert S 163.799,72,--, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30.Jänner 1995, GZ 11 R 44/94-29, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24.Jänner 1994, GZ 21 Cg 4/93v-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.135,-- (darin S 1.522,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5.8.1990 stürzte im Gebiet der Mönichkirchner Schwaig (Bezirk Neunkirchen) das vom Beklagten pilotierte Motorsegelflugzeug ab, wodurch auch der Fluggast Paul L***** schwere Verletzungen, insbesondere einen Bruch des Oberarmes, erlitten hat. Wegen dieses Unfalls wurde der Beklagte mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes A***** vom 19.10.1990, U *****/90, rechtskräftig verurteilt. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wäre der Beklagte höher geflogen. Es liegt sohin kein für den Beklagten unabwendbares Ereignis vor, zumal es sich um ein für den Piloten zeitgerecht erkennbares Leegebiet gehandelt hat. Das Verschulden des Beklagten am Zustandekommen des Unfalls ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Vor dem Unfall hatte Paul L***** eine vom Beklagten vorformulierte Erklärung, die wie folgt lautet, unterfertigt:

"Ich, Unterfertigter, bestätige, daß ich auf eigenen Wunsch über mein Ersuchen auf eigenes Risiko mit Herrn Dr.Franz R*****, unentgeltlich mitfliege. Weiters erkläre ich, daß ich im Falle des Falles keinerlei Schadenersatzansprüche oder sonstige Forderungen an Herrn Dr.Franz R***** stellen werde."

Derartige Erklärungen hatte der Beklagte auch bei früheren Flügen bereits von anderen Fluggästen unterfertigen lassen. Außerstreit steht, daß der Beklagte wußte, daß L***** als unselbständig arbeitender Schlosser sozialversichert ist.

Die klagende Partei als gesetzlicher Krankenversicherer des Verletzten Paul L***** hat für diesen bisher Pflichtaufwendungen für Krankenhaus-, Transport-, Arzt- und Medikamentekosten sowie Krankengelder in Höhe von insgesamt S 113.799,72 erbracht und ihre Ansprüche jeweils gegenüber dem Beklagten fällig gestellt. Darüberhinaus begehrt sie gegenüber dem Beklagten die Feststellung, daß dieser für künftige Aufwendungen für ihren Versicherten aufgrund des gegenständlichen Unfalles zu haften habe.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete, soweit dies noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ein, daß der Klägerin aufgrund des vor Antritt des Fluges von Paul L***** abgegebenen Verzichtes auf alle Ansprüche aus einem allfälligen Schadensfall kein Ersatzanspruch zustehe. Paul L***** sei von ihm unentgeltlich als Fluggast in dem von ihm gemieteten Fluggerät mitgenommen worden, dies über seinen ausdrücklichen Wunsch und auf eigenes Risiko. Die von Paul L***** abgegebene "Freizeichnungserklärung" wirke auch gegenüber der klagenden Partei, weil diese keinen originären, ihr selbst direkt oder unmittelbar zustehenden Schadenersatzanspruch ihm gegenüber geltend machen könne. Ein Forderungsübergang nach § 332 ASVG setze primär das Bestehen eines Anspruches des direkt Geschädigten voraus. Vor Entstehen der Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers seien Vereinbarungen zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten auch mit Wirkung gegenüber dem Sozialversicherungsträger zulässig. Vom Beklagten wurde außer Streit gestellt, daß der Klägerin ein Feststellungsinteresse zustehe, sofern ihr grundsätzlich ein Rückersatzanspruch gegenüber dem Beklagten zustehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es gelangte zum rechtlichen Ergebnis, daß der Verschuldensgrad des Beklagten am Zustandekommen des Unfalls noch als leichte Fahrlässigkeit einzustufen sei. Demnach sei die Freizeichnungserklärung - als Verzicht auf Schadenersatz - zwar im Verhältnis zwischen dem Beklagten und dem Geschädigten Paul L***** wirksam. Unwirksam hingegen sei sie im Verhältnis zwischen den Streitteilen. Wenn der Schädiger, wie hier, wisse, daß der Verletzte als unselbständig Erwerbstätiger im Schadensfall jedenfalls Pflichtleistungen des gesetzlichen Krankenversicherers erhalte, und ihm daher erkennbar sei, daß der Geschädigte wegen der Legalzession nach § 332 ASVG in Wahrheit nicht auf eigene, sondern auf fremde, dem Sozialversicherungsträger zustehende Ansprüche verzichte, dann sei diese Erklärung im Verhältnis zum Legalzessionär nicht wirksam. Andernfalls könnten Schädiger und Geschädigter den Sozialversicherungsträger durch entsprechende Vereinbarung im Voraus endgültig mit den Kosten der Pflichtaufwendungen belasten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit der angefochtenen Entscheidung. Es erklärte die Revision für zulässig. Nach der Lehre würden vom Geschädigten gegenüber dem Schädiger abgegebene Verzichtserklärungen, die auch den Sozialversicherer binden, als zulässig angesehen; die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sei nicht einheitlich. Einerseits sei ein Vorausverzicht der Gattin gegenüber ihrem am Verkehrsunfall schuldtragenden Ehegatten auch gegenüber dem Sozialversicherer als bindend erachtet worden (2 Ob 635/56) und ebenso ein nach dem Unfall aber vor Leistung des Sozialversicherungsträgers abgeschlossener Vergleich zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger (2 Ob 44/56 = ZVR 1957/10), andererseits sei in 2 Ob 236/78 ausgesprochen worden, daß durch einen Vergleich sich der Geschädigte nur hinsichtlich derjenigen künftigen möglicherweise entstehenden Ersatzforderungen für abgefunden erklären könne, die ihm einmal selbst zustehen werden, nicht aber hinsichtlich solcher Ansprüche, die sofort im Zeitpunkt des Entstehens auf einen im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch unbekannten Sozialversicherungsträger übergehen würden; anderes widerspreche dem Grundgedanken der Legalzession nach § 332 ASVG. Dieser Rechtsauffassung schließe sich das Berufungsgericht an.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Mangels einer Sonderregelung im Luftfahrverkehrgesetz für die Haftung des Halters des Luftfahrzeuges gegenüber einem Flugzeuginsassen, mit dem dieser Halter keinen Beförderungsvertrag abgeschlossen hat, kommen im Haftungsfall aus einem solchen Beförderungsverhältnis die allgemeinen Schadenersatzbestimmungen des bürgerlichen Rechts zur Anwendung (vgl SZ 34/194 = JBl 1962, 204; EvBl 1962/164 = ZVR 1962/120; zuletzt 8 Ob 67/85).

Nach den §§ 332 ASVG, 125 B-KUVG, 178 BSVG, 190 GSVG gehen Schadenersatzansprüche des Verletzten auf den Träger der Sozialversicherung über, "soweit dieser Leistungen zu erbringen hat". Die Legalzession tritt in allen Arten der Krankenversicherung ein. Der Geschädigte verliert mit der Legalzession die aktive Legitimation auf Schadenersatz, soweit der Anspruch auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Nach der Rechtsprechung geht bei der Legalzession der mit dem Unfall entstandene Anspruch sofort auf den Sozialversicherer über. Zweck dieser Regelung ist es, den Schädiger nicht im Ausmaß der Sozialversicherungsleistung im Weg der Vorteilsausgleichung von einer Ersatzpflicht zu befreien (vgl MGA ABGB34 § 332 ASVG/E. 8, 17 und 35 a). Der Wortlaut des § 332 ASVG ergibt, daß der Ersatzanspruch des Geschädigten im Ausmaß der Versicherungsleistung bevorrechtet auf den Versicherungsträger übergeht (vgl Koziol, Haftpflichtrecht I2, 272 f). Selb (Schadensbegriff, 49 ff, sowie Individualschaden und soziale Sicherheit im Bereich des ABGB und des DBGB, ZfRV 1964, 195) geht vom Gedanken des "Sozialschadens" aus. Die Sozialversicherung soll ihrem Zweck nach nicht dem Schädiger zugutekommen, sondern nur dem Geschädigten Sicherheit gewähren; nicht die Gemeinschaft, sondern der Schädiger sei daher vorrangig zum Schadensausgleich verpflichtet.

Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Frage, ob ein vor dem schädigenden Ereignis abgegebener Verzicht des Sozialversicherten auf alle seine Schadenersatzansprüche den Sozialversicherer bindet, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes divergierend beurteilt worden ist (vgl 2 Ob 635/56 unter Berufung auf Geigel, Haftpflichtrecht8, 473, sowie ZVR 1957/10 im Gegensatz zu 2 Ob 236/78). Ein Vergleich des Geschädigten mit dem Schädiger nach Eintritt der Legalzession wurde dann für unzulässig erachtet, wenn der Ersatzpflichtige wußte, daß der Verletzte der Sozialversicherung unterliegt (vgl SZ 24/276, SZ 27/103, JBl 1969, 34, SZ 55/108, 2 Ob 31/86, ZVR 1960/55, 2 Ob 172/76, 8 Ob 145/82). Krejci (in Tomandl, Sozialversicherungssystem 3.2.5.1.2.) begründet seine Zweifel an der Bindung des Sozialversicherungsträgers an einen vom Geschädigten gegenüber dem Schädiger abgegebenen Verzicht mit dem grundsätzlichen Dispositionsverbot und dem dadurch vereitelten Zweck der Legalzession.

Über die einem Versicherten gegenüber der Sozialversicherung zustehenden Ansprüche kann im Gegensatz zu Ansprüchen gegenüber einem Privatversicherer nicht disponiert werden, ein solcher Verzicht wäre sittenwidrig (vgl. MGA ABGB34 § 879/196 und § 1444/3). Richtig ist, daß durch eine Legalzession der Grund des Anspruches nicht berührt wird, der Anspruch bleibt ein solcher des Verletzten, der Umfang der Schadenersatzverpflichtung des Schädigers - damit korrespondierend die möglichen Ansprüche des Verletzten - wird durch die Legalzession nicht verändert (vgl MGA ABGB34 § 332 ASVG/20 f). Dennoch ist aus der Schaffung der Bestimmung des § 332 ASVG eine Privilegierung des Sozialversicherungsträgers durch den Normsetzer zu entnehmen, sodaß es nicht erlaubt ist, daß der Geschädigte gegenüber dem Schädiger auf seine Ansprüche gegenüber dem Sozialversicherungsträger verzichtet. Nach der österreichischen Lehre und Rechtsprechung dürfen Rechte Dritter durch einen Verzicht nicht beeinträchtigt werden. Die Gültigkeit eines solchen Verzichts hängt von der Zustimmung des Dritten ab (vgl Rummel in Rummel ABGB2 § 1444 Rz 9 mwN). Aufgrund der bisherigen Darlegungen kann zwar nicht davon gesprochen werden, daß der Sozialversicherungsträger im Moment der Abgabe der Freizeichnungserklärung durch seinen Versicherungsnehmer bereits in seinen Rechten beeinträchtigt war, es war aber absehbar, daß er dies im Unglücksfall bei einer Verletzung seines Versicherungsnehmers sein wird, weil in der Freizeichnungserklärung mit keinem Wort erwähnt wird, daß der in Zukunft möglicherweise Geschädigte im Schadensfall seine Sozialversicherung nicht in Anspruch nehmen wird (vgl Wussow, aaO). Bei einer Verletzung L***** durch einen möglichen Flugunfall war von vornherein anzunehmen, daß dieser sich die entsprechenden Behandlungs- und Heilungskosten im Wege über seinen Sozialversicherungsträger verschafft. Damit wurde aber mit der vorliegenden Freizeichnungsklausel ein Haftungsausschluß vereinbart, der zur Folge haben konnte, daß dem Sozialversicherungsträger Regreßansprüche entzogen werden (vgl Plagemann aaO, 1190 und 1205 mwN). Ein solcher Verzicht ist sittenwidrig, weil damit der Zweck der Legalzession unterlaufen werden sollte. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 ZPO.

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