OGH 9ObA191/95

OGH9ObA191/9522.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Kurt Resch und Dr.Andreas Linhart als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bunpheng W*****, Arbeiterin, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei *****Wäscherei GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Klaus Altmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 15.399,- brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.August 1995, GZ 8 Ra 90/95-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.Jänner 1995, GZ 6 Cga 203/94d-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin S 15.399,- brutto

zuzüglich 4 % Zinsen seit 9.7.1994 binnen 14 Tagen bei Exekution zu

zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der Klägerin den mit S 5.940,- bestimmten Aufwandersatz für das erstgerichtliche Verfahren, den mit S 3.400,- bestimmten Aufwandersatz für das Berufungsverfahren und die mit S 3.655,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 609,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, die für ein Kind im Alter von 10 Jahren zu sorgen hat, war bei der Beklagten seit 3.3.1993 als Arbeiterin beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand im wesentlichen darin, die maschinell gewaschene Wäsche zusammenzulegen. Am 8.7.1994 wurde sie entlassen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie S 15.399,- brutto sA an Kündigungsentschädigung, anteiligen Sonderzahlungen und restlicher Urlaubsentschädigung. Sie habe von Montag bis Freitag eine Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 15.30 Uhr gehabt. Die Mittagspause habe eine halbe Stunde betragen. In der Woche vom 4.7. bis 8.7.1994 habe sie täglich bis 16.30 Uhr gearbeitet. Am Freitag, den 8.7.1994, habe sie um 16.30 Uhr nach Hause gehen wollen, da sie noch Einkäufe zu erledigen gehabt habe und ihr Kind betreuen habe müssen. Ihr Vorgesetzter habe ihr das Weggehen mit dem Hinweis untersagt, daß noch eine weitere Überstunde zu leisten sei. Dies habe sie mit dem Hinweis auf ihre Familie abgelehnt. Daraufhin sei ihr erklärt worden, wenn sie jetzt gehe, brauche sie nicht mehr weiter zu arbeiten. Da sie in dieser Woche bereits 5 Überstunden geleistet habe, sei sie nicht verpflichtet gewesen, der einseitigen Anordnung, weitere Überstunden zu leisten, nachzukommen, zumal kein Betriebsnotstand vorgelegen sei.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Am Tag der Entlassung sei es erforderlich gewesen, den Mehraufwand durch Überstunden zu decken. Sämtliche Arbeitnehmer der Abteilung hätten im Interesse des Betriebes ihre Arbeit fortgesetzt. Lediglich die Klägerin habe ihren Arbeitsplatz unbegründet verlassen. Zufolge dieser Arbeitsverweigerung sei die Entlassung gerechtfertigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Während der Saison in der Zeit von Juni bis Mitte Oktober fiel mehr Arbeit an, so daß auch von der Klägerin regelmäßig Überstunden geleistet wurden. Am 8.7.1994 fiel in der Früh eine der drei großen Waschröhren durch einen Maschinenschaden aus. An der Behebung des Schadens wurde bis in den späten Nachmittag gearbeitet. Der Assistent der Geschäftsleitung teilte den Arbeiterinnen mit, daß sie heute etwas länger arbeiten müßten. Es steht nicht fest, daß auch die Klägerin diese Mitteilung wahrgenommen hat.

Dem Betriebsleiter gelang es, die prompten Lieferungen durch Telefonate mit den Kunden so zu kürzen, daß alle Kunden trotz des Maschinenschadens zufriedengestellt werden konnten. Allerdings mußten die Arbeitnehmer bis 18.00 Uhr arbeiten. Als die Klägerin um ca.

16.30 Uhr weggehen wollte, kam es zu Unmutsäußerungen unter den anderen Arbeiterinnen. Der Assistent der Geschäftsleitung lief der Klägerin nach und forderte sie auf, wieder zur Arbeit zurückzukehren; wenn sie nicht bleibe, werde sie wegen Arbeitsverweigerung entlassen. Da sich die Klägerin weigerte, zu bleiben, erklärte ihr der Assistent, dann brauche sie am Montag nicht mehr zu kommen. Dennoch verließ die Klägerin den Betrieb.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß ein Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden verpflichtet sei, wenn diese angeordnet und notwendig seien. Es sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Da das Interesse des Betriebes auf Grund der Umstände schwerer wiege als das Interesse der Klägerin, zu ihrem Kind zu gehen, sei die Entlassung gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Interessenabwägung in nachvollziehbarer Weise zu Lasten der Klägerin ausschlage. Der Ausfall einer Maschine in einem Wäschereibetrieb mache die Verlängerung der Arbeitszeit und sohin die Anordnung von zusätzlichen Überstunden erforderlich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Ansicht der Vorinstanzen, daß es bei Beurteilung der Zulässigkeit der Überstundenanordnungen lediglich auf eine Interessenabwägung im Sinne des § 6 Abs 2 AZG ankomme, der Judikatur des Obersten Gerichtshofs widerspricht; die Revision ist auch berechtigt.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist aus § 6 Abs 2 AZG keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Überstundenleistung abzuleiten. Der Arbeitnehmer ist mangels einer entsprechenden - zulässigen - Vereinbarung auf Grund seiner Treuepflicht vielmehr nur ausnahmsweise, etwa bei Vorliegen eines Betriebsnotstandes im Sinne des § 20 AZG, zur Leistung einseitig angeordneter Überstunden verpflichtet. Diese Pflicht besteht daher nicht schon bei jeder betrieblichen Notwendigkeit, etwa weil der Arbeitgeber sonst die von ihm übernommenen Aufträge nicht rechtzeitig erfüllen könnte oder weil - wie hier - eine der drei Waschröhren ohne nachteilige Folgen für den Betrieb ausgefallen ist, wozu das Berufungsgericht noch feststellte, daß die "meiste Zeit" ohnehin nur zwei Waschtunnels im Betrieb gewesen sind (vgl Grillberger, AZG § 6 Erl 5 ff; Cerny, Arbeitszeitrecht2 73 ff, 133; Arb 8050, 10.427, 10.449, 10.563; infas 1992 A 50; 9 ObA 122/93; 9 ObA 221/93 uva).

Die Klägerin hatte zum Zeitpunkt der Entlassung schon ihre "regelmäßigen Überstunden" erbracht, weitere Überstunden waren jedenfalls nicht vereinbart. Da nicht feststeht, daß sie die Ankündigung des Assistenten der Geschäftsleitung, daß heute länger gearbeitet werden müsse, wahrgenommen hat, wurde sie nach Erbringung einer Überstunde erst bei Arbeitsschluß mit der einseitigen Anordnung konfrontiert, weitere Überstunden zu leisten. Dazu war sie aber mangels zulässiger arbeitsvertraglicher Bindung nicht verpflichtet. Das Vorliegen eines Betriebsnotstandes im Sinne des § 20 AZG wurde weder eingewendet noch lag ein solcher nach den Feststellungen vor. Da der Vorgesetzte der Klägerin sohin nicht zur einseitigen Anordnung von Überstunden berechtigt war, erübrigt sich eine Interessenabwägung im Sinne des § 6 Abs 2 AZG, die nur dann stattzufinden hätte, wenn sich die Pflicht des Arbeitnehmers zur Überstundenleistung vorerst schon aus Gesetz, Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag ableiten ließe. Daraus folgt, daß das Verlassen des Betriebs nicht pflichtwidrig war (vgl Kuderna, Entlassungsrecht2 105), so daß der Klägerin die der Höhe nach nicht bestrittenen entlassungsabhängigen Ansprüche zustehen.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet. Die für das Revisionsverfahren verzeichnete Pauschalgebühr steht nicht zu, weil Arbeitsrechtssachen in dritter Instanz seit 1.1.1995 bis zu einem Streitwert von S 20.000,- gebührenfrei sind (Art IX BGBl 1994/624).

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