OGH 14Os142/95

OGH14Os142/9514.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.November 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Wietrzyk als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerald D***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 1.Juni 1995, GZ 5 Vr 1.007/95-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr.Drahos zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der unter Punkt B/I/1 und 2 beschriebenen Taten auch nach § 109 Abs 1 StGB aufgehoben.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die verhängte Freiheitsstrafe auf 2 (zwei) Jahre herabgesetzt wird.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Gerald D***** (zu A) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB, (zu B/I) des (in zwei Angriffen begangenen) Vergehens des Hausfriedensbruches nach § 109 "Abs 1 und" Abs 3 Z 1 StGB, (zu B/II 1 bis 3) des (in drei Angriffen begangenen) Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 und § 15 StGB, (zu B/II/4) des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB, (zu B/III) des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und (zu B/IV) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in K*****

A. am 1.April 1995 die Elvira S***** und den Franz M***** gefährlich mit dem Tod und einer Brandstiftung bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ankündigte, sie umzubringen und die Scheune anzuzünden;

B. am 10.April 1995

I. den "Eintritt" in die Wohnstätte der Elvira S***** durch Gewalt "erzwungen", wobei er gegen die dort befindliche genannte Person Gewalt zu üben beabsichtigte, indem er

1. gegen den Widerstand der Elvira S***** die Wohnungstüre aufzwängte,

2. die verschlossene Wohnungstüre auftrat;

II. die Elvira S***** mit Gewalt (4) und/oder (1 bis 3) durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung oder Unterlassung genötigt oder zu nötigen versucht, und zwar:

1. durch demonstratives Herzeigen von mitgebrachten Messern, womit er zu verstehen gab, die Messer zum Brechen eines Widerstandes auch einsetzen zu wollen, und durch die Aufforderung, wieder zu ihm zu ziehen, zur Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft, wobei die Tatvollendung scheiterte;

2. durch Zuhalten des Mundes und Ansetzen eines Messers unter der Aufforderung, unbedingt ruhig zu sein, zum Unterlassen des Herbeirufens von Hilfe;

3. durch Festhalten am Hals und die Ankündigung, sie widrigenfalls umzubringen, zum Anruf beim Gendarmerieposten und zur Abgabe von wahrheitswidrigen Angaben;

4. durch Zerren an ihren Armen und der Kleidung zum Verlassen des PKWs, wobei die Tatvollendung scheiterte;

III. die Eingangstür des Franz M*****, mithin eine fremde Sache beschädigt, indem er die Türverglasung einschlug (Schaden 150 S) und die Türe mit dem Fuß auftrat (Schaden rund 2.000 S);

IV. die Elvira S***** durch die zu B/I/1 und B/II angeführten Tathandlungen vorsätzlich am Körper verletzt (Prellungen am Knie links, am Rücken rechts, am Gesäß links).

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 2, 3, 5, 5 a, 9 lit a (der Sache nach Z 10) und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 2 macht er geltend, daß das mit der Zeugin Elvira S***** vom Untersuchungsrichter aufgenommene Zeugenprotokoll vom 12.April 1995 (S 63 bis 66) in der Hauptverhandlung verlesen und im Urteil verwertet wurde, obgleich diese Zeugin auf das ihr als Mutter einer außerehelichen Tochter des Angeklagten zustehende Entschlagungsrecht mangels Belehrung durch den Untersuchungsrichter nicht ausdrücklich verzichtet und er selbst sich in der Hauptverhandlung gegen die Verlesung dieses Protokolls augesprochen hat.

Dabei übersieht der Angeklagte, daß Elvira S***** bei einer weiteren (gemäß § 162 a StPO im Beisein des Angeklagten vorgenommenen) Zeugeneinvernahme am 24.April 1995 durch den Untersuchungsrichter nunmehr über das ihr als Angehöriger gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO zustehende Entschlagungsrecht belehrt wurde. Im Anschluß daran hat die Zeugin auch ausdrücklich auf dieses Recht verzichtet und erklärt, "den Inhalt ihrer seinerzeitigen Zeugenaussage vollinhaltlich aufrecht zu erhalten" (S 65 verso).

Die Möglichkeit der Zeugnisbefreiung für nahe Angehörige des Angeklagten begünstigt nicht letzteren, sondern ausschließlich die Zeugen, deren verwandtschaftliche Gefühle geschont werden sollen (Foregger-Kodek StPO6 § 152 Anm III). Ebenso wie ein Zeuge, der zunächst von seinem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht hat, nach Verzicht auf dieses vernommen werden darf (KH 143, EvBl 1951/413, 11 Os 16/95), kann auch ein Zeuge, dessen frühere Aussage mangels ausdrücklichen Verzichts auf das ihm zustehende Entschlagungsrecht nichtig ist (§ 152 Abs 5 zweiter Satz StPO), bei einer späteren Zeugeneinvernahme nach erfolgtem Verzicht auf dieses Recht die früheren Angaben wiederholen.

Da die Zeugin Elvira S***** ihre Aussage vom 12.April 1995 nach Entschlagungsverzicht wiederholt hat, wurde diese Zeugenaussage zum Inhalt der prozeßordnungsgemäßen Einvernahme vom 24.April 1995, sodaß mit dem Protokoll über diese Vernehmung auch jenes über die Vernehmung vom 12.April 1995 (ON 9) in der Hauptverhandlung verlesen und im Urteil verwertet werden durfte.

Wenngleich die Zeugin S***** auch vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes entgegen der gemäß § 248 Abs 1 StPO in der Hauptverhandlung gleichermaßen anzuwendenden Bestimmung des § 152 Abs 5 StPO über ihre Zeugnisbefreiung nicht schon zu Beginn ihrer Vernehmung belehrt wurde und daher erneut vorerst ohne ausdrücklichen Verzicht auf das Entschlagungsrecht in der Hauptverhandlung als Zeugin Angaben machte, liegt auch der daraus vom Beschwerdeführer abgeleitete Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO nicht vor, weil die Zeugin noch vor Beendigung ihrer Vernehmung entsprechend belehrt wurde, worauf sie ausdrücklich erklärt hat, "auf jeden Fall aussagen zu wollen" (S 171).

Zwar verpflichtet § 152 Abs 5 StPO den Richter, die in § 152 Abs 1 und Abs 2 StPO erwähnten Personen vor ihrer Vernehmung oder sobald der Grund für die Zeugnisbefreiung bekannt wird, über ihr Entschlagungsrecht zu belehren; nichtig nach dem zweiten Satz des § 152 Abs 5 StPO ist aber eine Aussage nur dann, wenn der Zeuge auf sein Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet hat, nicht auch schon dann, wenn eine Belehrung verspätet erteilt wird. Daraus folgt, daß die erforderliche Belehrung bis zum Abschluß der Vernehmung nachgeholt werden kann und eine danach abgegebene ausdrückliche Verzichtserklärung des Zeugen den Eintritt der Nichtigkeitssanktion verhindert.

Auch mit seinen ausschließlich gegen Faktum A (= Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB) gerichteten Mängel- (Z 5) und Tatsachenrügen (Z 5 a) ist der Angeklagte nicht im Recht.

Das Erstgericht hat seine Feststellungen über die Umstände der Einlieferung des Angeklagten auf die Angaben der Bedrohten Elvira S***** und Franz M***** gestützt (US 11, 12; vgl S 165 ff iVm ON 9 und S 171 ff iVm ON 8). Dabei finden die vom Erstgericht angenommenen Gründe, weshalb der Angeklagte nach dem Eintreffen der von Elvira S***** und Franz M***** um Intervention ersuchten Gendarmeriebeamten überwältigt und in das Landeskrankenhaus Graz eingeliefert wurde, nämlich die Befürchtung, er werde die angedrohte Tat ausführen und anschließend Selbstmord begehen, in den Gendarmerieberichten (S 97, 98, 116) und der Zeugenaussage des intervenierenden Gendarmeriebeamten H***** (S 177 ff) ihre zureichende Deckung. Von "aktenwidrigen Unterstellungen" kann sohin keine Rede sein.

Daß aufgrund dieser Gendarmerieberichte und der Zeugenaussage des Gendarmen H***** über seine Beobachtungen am Tatort auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlußfolgerungen möglich gewesen wären, vermag einen Begründungsmangel nicht herzustellen.

Auch das weitere Beschwerdevorbringen (Z 5 a) ist nicht dazu angetan, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Mit dem Einwand, das zweimalige gewaltsame Eindringen in die Wohnstätte der Elvira S***** (B/I/1 und 2) sei nur Tatbegehungsmittel der unmittelbar anschließenden schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (B/II/1 bis 3) gewesen, behauptet der Angeklagte unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit a (sachlich Z 10) einen Rechtsirrtum des Erstgerichtes, weil es eine Konsumtion des Vergehens des Hausfriedensbruches durch das Verbrechen nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB nicht angenommen habe.

Diese Auffassung widerspricht der einhelligen Lehre und ständigen Rechtsprechung (Leukauf-Steininger Komm3 RN 35, 36; Kienapfel BT I3 RN 64 ff; Bertel in WK Rz 54; Bertel-Schwaighofer BT I3 Rz 23 je zu § 109 mit Judikaturnachweisen). Der in der Judikatur abweichend gelöste Sonderfall eines Zusammentreffens mit dem Verbrechen des Raubes (JBl 1982, 550; vgl Leukauf-Steininger aaO RN 37 und Kienapfel aaO RN 68) ist hier nicht aktuell.

Auch der weitere Einwand (Z 10), die Sachbeschädigung (B/III) sei dem Beschwerdeführer nicht gesondert zuzurechnen, weil das Einschlagen der Türverglasung ebenfalls lediglich Mittel zum Zweck einer schweren Nötigung (B/II/3) gewesen sei, ist verfehlt, weil eine Sachbeschädigung weder typische Begleittat einer Nötigung ist, noch deren gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Vorstufe darstellt, und die sonstigen Fälle scheinbarer Konkurrenz hier von vornherein ausscheiden (siehe dazu Leukauf-Steininger Komm3 § 28 RN 28 ff).

Im Recht ist der Angeklagte mit seiner Beschwerde nur insofern, als er die Unterstellung der vom Erstgericht als Vergehen des sogenannten schweren Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB beurteilten Straftaten (B/I/1 und 2) auch unter die Bestimmung des § 109 Abs 1 StGB rügt (Z 10).

Wegen der unterschiedlichen Ausführungshandlungen ("Eintritt erzwingen": "eindringen") sind die Deliktsfälle des § 109 Abs 3 StGB keine Qualifikationen des § 109 Abs 1 StGB. Es handelt sich bei den Tatbeständen des § 109 Abs 1 und des § 109 Abs 3 StGB vielmehr um Hausfriedensbruchsdelikte eigenständiger Art, die nicht im Verhältnis von Grunddelikt und Deliktsqualifikation stehen. Einfacher Hausfriedensbruch und schwerer Hausfriedensbruch schließen daher einander aus; erfüllt der Täter die Voraussetzungen des Abs 3, so kann er nicht (auch) nach Abs 1 bestraft werden (Leukauf-Steininger Komm3 § 109 RN 33; Kienapfel BT I3 § 109 RN 34 und 63 je mwN; vgl auch SSt 56/26). Die verfehlte Subsumtion war daher aus dem Urteil zu eliminieren. Damit ist auch dem weiteren Einwand (Z 9 lit b) fehlender Ermächtigung der Boden entzogen.

Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur hatte dies aber nicht auch die Aufhebung des Strafausspruches zur Folge, weil eine substantielle Veränderung dessen schuldspruchmäßiger Grundlage dadurch hier (anders als bei der Aufhebung eines beschwerenden Qualifikationsausspruches) nicht eingetreten ist.

Bei der nach § 106 Abs 1 StGB vorgenommenen Strafbemessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen eines Verbrechens mit mehreren Vergehen, die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, daß durch die Tat mehrere Personen in Furcht und Unruhe versetzt worden sind und den raschen Rückfall als erschwerend; als mildernd hingegen ein Teilgeständnis, und daß es teilweise beim Versuch geblieben ist. Es verhängte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Dagegen richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit der er eine Herabsetzung der Strafe auf ein Jahr anstrebt.

Die Berufung ist - allerdings nicht im begehrten Ausmaß - berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ungeachtet ihrer juristisch zu differenzierenden Beurteilung bilden die zusammentreffenden strafbaren Handlungen des Angeklagten wegen ihres motivationsbedingt und opferbezogen äußerst engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges einen weitgehend einheitlichen Tatenkomplex, war unter dem Gesichtspunkt der unrechtsorientierten Täterschuld (§ 32 StGB) nicht unberücksichtigt bleiben darf. Auch der Vorstrafenbelastung des Angeklagten, die sich noch im Bereich der Kleinkriminalität hält, kommt nicht jenes Gewicht zu, das ihr der Schöffensenat beigemessen hat. Nach dem persönlichen Eindruck, den der Angeklagte im Gerichtstag hinterließ, scheint eine Freiheitsstrafe im Ausmaß eines Vielfachen der über ihn bisher jeweils verhängten Strafsanktionen zur Erreichung der Strafzwecke nicht erforderlich zu sein. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher zu einer deutlichen Reduktion der Freiheitsstrafe bestimmt.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.

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