OGH 6Ob619/95

OGH6Ob619/959.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I.***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Gerald Kopp und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Norbert R*****, vertreten durch Dr.Hans Wabnig, Rechtsanwalt in St.Johann i. P., wegen restlicher S 105.672 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 21.Juli 1995, AZ 1 R 150/95 (ON 16), womit aus Anlaß der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 4.April 1995, GZ 3 C 138/94i-12, das dem Vergleich vom 28.November 1994 nachfolgende Verfahren als nichtig aufgehoben und der Vergleichswiderruf der klagenden Partei zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß behoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom angenommenen Nichtigkeitsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrt nach Fällung eines Teilanerkenntnisurteiles restliche S 105.672 sA. In der mündlichen Streitverhandlung vom 28.11.1994 schlossen die Streitteile nachstehenden Vergleich:

1. Die beklagte Partei verpflichtet sich, der klagenden Partei binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu Handen des Klagevertreters den Betrag von S 55.000 zu bezahlen.

2. Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche bereinigt und verglichen.

3. Dieser Vergleich wird rechtskräftig, wenn er von der klagenden Partei nicht bis 20.12.1994 bei Gericht einlangend widerrufen wird.

Am 20.12.1994 langte um 16,52 Uhr ein im Wege der Telekopie (Telefax) übermittelter Vergleichswiderruf der klagenden Partei beim Erstgericht ein. Am 21.12.1994 überreichte die klagende Partei den gleichlautenden Schriftsatz, mit welchem sie den am 28.11.1994 bedingt geschlossenen Vergleich widerrief.

Das Erstgericht verfügte darauf die Zustellung einer Gleich- bzw Halbschrift des den Vergleichwiderruf betreffenden Schriftsatzes "mit dem Hinweis, daß der Vergleich möglicherweise rechtskräftig geworden ist, da der Widerruf erst am 21.12. bei Gericht eingelangt ist; allerdings am 20.12., 16,52 Uhr, also nach Dienstschluß bei Gericht ein Fax mit dem Widerruf eingelangt ist, welches erst am 21.12. zur Kenntnis genommen werden konnte. Zur Vermeidung unnötigen Prozeßaufwandes ist das Gericht jedoch in diesem Zweifelsfall bereit, die Rechtzeitigkeit des Widerrufs anzuerkennen, soferne nicht binnen acht Tagen ein Einwand durch die beklagte Partei erhoben wird".

Innerhalb offener Frist teilte dann die beklagte Partei dem Erstgericht mit Schriftsatz vom 17.1.1995 mit, "daß die Frage der Rechtzeitigkeit des Einlangens des Vergleichswiderrufes durch die beklagte Partei nicht beurteilt werden kann und es daher Aufgabe des Gerichtes sein wird, über die Frage der Rechtzeitigkeit des Einlangens des Vergleichswiderrufes zu entscheiden."

Hierauf verfügte das Erstgericht die Zustellung einer Gleich- bzw Halbschrift dieses Schriftsatzes an die Streitteile "je mit Hinweis, daß aufgrund des Umstandes, daß die beklagte Partei selbst nicht auf einer Verfristung besteht, im Zweifel nicht von einer Verfristung ausgegangen wird". Unter einem ordnete das Erstgericht für den 8.3.1995 eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung an, bei welcher ein Zeuge vernommen und die Verhandlung geschlossen wurde.

Mit Urteil vom 4.4.1995 gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Gegen dieses Urteil erhob die beklagte Partei Berufung. Die klagende Partei erstattete eine Berufungsbeantwortung.

Weder in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 8.3.1995 noch in den Rechtsmittelschriften gingen die Streitteile auf die Frage der Rechtzeitigkeit des Vergleichswiderrufes ein.

Das Berufungsgericht prüfte aus Anlaß der Berufung von Amts wegen die prozessuale Wirksamkeit des Prozeßvergleiches, weil ein unter Mißachtung der prozeßbeendenden Wirkung eines Vergleiches fortgesetztes Verfahren mit einem Mangel vom Gewicht einer Nichtigkeit behaftet sei. Es hob aus Anlaß der Berufung der beklagten Partei das sich an den am 28.11.1994 abgeschlossenen Vergleich anschließende Verfahren als nichtig auf und wies den Vergleichswiderruf der klagenden Partei aus folgenden Erwägungen zurück:

Die Streitteile hätten die Wirksamkeit des am 28.11.1994 vor dem Erstgericht geschlossenen Vergleiches davon abhängig gemacht, daß er seitens der klagenden Partei nicht durch eine befristete Erklärung gegenüber dem Erstgericht, die bei diesem bis spätestens 20.12.1994 hätte einlangen müssen, widerrufen werde. Nach der Rechtsprechung müsse schon aus dem Gedanken der Rechtssicherheit für die ohnedies nach Parteienübereinkunft zu bestimmende Widerrufsfrist ein eindeutiger und unverrückbarer Endtermin gefordert werden. Die vereinbarte Frist sei rechtsgeschäftlicher Natur. Für die Wirksamkeit des Widerrufes eines zwischen den Parteien bedingt abgeschlossenen Vergleiches sei aber mangels anderer Vereinbarung notwendig, daß der Widerruf am letzten Tag der Frist bei Gericht einlange, weil die Vorschrift des § 89 GOG über die Nichteinrechnung des Postenlaufes in die Frist nur bei gesetzlichen oder richterlichen Fristen zur Vornahme prozessualer Akte Gültigkeit habe. Der im vorliegenden Fall am 28.11.1994 durch Telefax erfolgte Widerruf leide an einem Formgebrechen, weil es sich dabei nicht um einen formgerechten Schriftsatz handle. Jeder Schriftsatz habe gemäß § 75 Z 3 ZPO die Unterschrift der Partei oder ihres gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten zu enthalten. Ein Telefax vermöge das Erfordernis der Schriftform im Sinne der Unterschriftsleistung nach § 886 ABGB und das eines Schriftsatzes nach § 75 Z 3 ZPO nicht zu ersetzen. Der unterfertigte Widerrufsschriftsatz sei aber erst nach Fristablauf bei Gericht eingelangt und wäre daher vom Erstgericht als verspätet zurückzuweisen gewesen. Ein Verbesserungsverfahren oder eine Verbesserungsmöglichkeit nach Fristablauf komme nicht in Betracht. Der somit verspätet eingelangte Vergleichswiderruf habe die prozeßbeendende Wirkung des am 28.11.1994 geschlossenen Vergleiches nicht mehr beseitigen können, das dem Vergleich nachfolgende Verfahren sei daher nichtig.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Entscheidung 3 Ob 569/92 (= JBl 1993,732) zur Frage der Einbringung von Rechtsmitteln im Wege der Telekopie die dort aufgezeigte (unechte) Gesetzeslücke in analoger Anwendung der Bestimmung des § 89 Abs 3 GOG geschlossen habe, zur Frage, ob diese Erwägungen spätestens vor einer rechtsgeschäftlichen Frist Halt machten, fehle eine oberstgerichtliche Judikatur.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 519 Z 2 ZPO zulässig, er ist auch berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß ein bedingter Prozeßvergleich, dessen Wirksamkeit von der Unterlassung einer Widerrufserklärung abhängen soll, rechtsgeschäftlichen Charakter hat und die nach der Übereinkunft der Parteien zu bestimmende Widerrufsfrist aus dem Gedanken der Rechtssicherheit und des prozeßbeendenden Charakters eines solchen Vergleiches einen eindeutigen Endtermin haben muß (EvBl 1980/125 ua). Wie dieser Endtermin und konkret die Form des Widerrufes festgelegt werden, obliegt der Disposition der Parteien und muß auch nach dem Parteiwillen im Einzelfall ausgelegt werden. Es bestehen jedoch keine Bedenken, mangels einer gegenteiligen Festlegung eine Vereinbarung über die Form des Widerrufes eines gerichtlichen Vergleiches etwa mit "Schriftsatz" als prozeßrechtliche Vereinbarung dahin auszulegen, daß damit auch die für Schriftsätze geltenden prozessualen Vorschriften im Sinne des § 89 Abs 3 GOG von der Vereinbarung umfaßt werden (JBl 1977, 428; 3 Ob 49/90; JBl 1971, 479; 6 Ob 1697/93). Schon aus diesem Grund begegnet demnach mangels einer gegenteiligen Parteienvereinbarung, wie etwa, daß für den Endzeitpunkt der Widerrufsfrist das Datum des Postaufgabestempels maßgeblich sein soll (vgl EvBl 1980/125), die analoge Anwendung des § 89 Abs 3 GOG auf einen im Wege der Telekopie (Telefax) übertragenen Vergleichswiderruf (in EvBl 1993/105 wurde klargestellt, daß die analoge Anwendung des § 89 Abs 3 GOG auf die im Wege der Telekopie übertragenen Eingaben geboten ist) keinen Bedenken.

Im vorliegenden Fall wurde lediglich das Einlangen des Widerrufes bei Gericht, sogar ohne Festlegung einer bestimmten Schriftsatzform, welche aber wohl unterstellt werden muß, vereinbart. Beide Streitteile haben sich gegen die vom Erstgericht angenommene Rechtzeitigkeit des Widerrufes im fortgesetzten erstinstanzlichen Verfahren in keiner Weise zur Wehr gesetzt, auch der unterlegene Beklagte hat sich noch im Rechtsmittelverfahren nicht gegen diese ausdrücklich mitgeteilte Ansicht des Erstgerichtes gewendet. Nach diesem Parteiverhalten kann umso mehr davon ausgegangen werden, daß die Parteien die für Schriftsätze und Rechtsmittel geltenden prozessualen Vorschriften für das Einlangen bei Gericht und die bestehende Bestätigungsmöglichkeit durch Nachholen der Unterschrift nach rechtzeitigem Einlangen eines Telegrammes oder eine Telekopie auch für den Endtermin des Vergleichswiderrufes angewendet wissen wollten.

Da somit von einer Rechtzeitigkeit des Vergleichswiderrufes auszugehen ist und das Verfahren danach zu Recht fortgesetzt wurde, war dem Berufungsgericht die meritorische Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufzutragen.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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