OGH 9ObA186/95

OGH9ObA186/958.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Rupert Dollinger und Herbert Lohr als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angela P*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Bernhard Waldhof und Dr.Thomas Praxmarer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei D***** & Co GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Josef Klaunzer und Dr.Alfons Klaunzer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 86.765,97 brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Mai 1995, GZ 5 Ra 54/95-20, womit infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Jänner 1995, GZ 47 Cga 248/93s-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird zum Teil Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin S 58.349,17 brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit 9.12.1992 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin S 28.416,80 brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit 9.12.1992 binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.

Die Beklagte ist weiters schuldig, der Klägerin die mit S 1.706,66 (darin S 40 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 1.700 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 2.028,80 (darin S 338,13 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Vater der Klägerin war vom 1.9.1972 bis zu seinem Tod am 9.12.1992 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Er war auch Vorsitzender des Betriebsrats. Sein letztes Bruttomonatsgehalt betrug S 36.157. Im Zeitpunkt seines Todes hatte er insgesamt 805,5 Urlaubsstunden offen. Die Beklagte zahlte eine Urlaubsentschädigung für 462 Stunden; damit war das Urlaubsjahr vom 1.9.1991 bis 31.8.1992 und der Urlaubsanspruch ab 1.9.1992 abgegolten.

Mit der am 10.9.1993 erhobenen Klage begehrt die Klägerin als Erbin nach ihrem Vater die restliche Urlaubsentschädigung für 343,5 Stunden in Höhe von S 86.765,97 brutto sA.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Es habe zwar eine "freie Betriebsvereinbarung" gegeben, wonach die Beklagte auf die Verjährung des Urlaubsanspruches der Arbeitnehmer gemäß § 4 Abs 5 des UrlG verzichtet habe, doch sei diese "freie Betriebsvereinbarung" von ihr mit Schreiben vom 8.10.1991 gekündigt worden. Die in der Klage geforderte Urlaubsentschädigung betreffe somit bereits verjährte Ansprüche.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Die Geschäftsleitung der Beklagten schloß am 19.7.1990 mit dem Betriebsrat eine "freie Betriebsvereinbarung", die der Vater der Klägerin als Betriebsratsvorsitzender selbst unterfertigt hatte. Nach dieser Vereinbarung verzichtete die Beklagte ungeachtet des Grundsatzes, daß der Urlaub möglichst bis zum Ende des Jahres verbraucht werden sollte, auf die Verjährung des Urlaubsanspruches gemäß § 4 Abs 5 UrlG. Diese Vereinbarung konnte nach Punkt 4 von beiden Seiten jederzeit gekündigt werden. Am 10.9.1991 ordnete die Beklagte in einem Umlauf an, daß der Urlaub ab sofort im Laufe des Dienstjahres konsumiert werden müsse und daß eine Übertragung auf das folgende Jahr nur mit Zustimmung der Betriebsleitung möglich sei. Mit Schreiben vom 8.10.1991 kündigte die Beklagte die "freie Betriebsvereinbarung" vom 19.7.1990 auf. Sie gab den Arbeitnehmern - auch dem Vater der Klägerin - die offenen Urlaubsguthaben schriftlich bekannt; der Vater der Klägerin erklärte sich daraufhin bereit, im Jahr 1992 verstärkt Urlaub zu verbrauchen. Sowohl die "freie Betriebsvereinbarung" als auch deren Kündigung waren im Betrieb ausgehängt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die "freie Betriebsvereinbarung" zwar nicht die Normwirkung einer echten Betriebsvereinbarung habe entfalten können; es komme ihr aber insoferne rechtliche Bedeutung zu, als sie Grundlage für eine einzelvertragliche Ergänzung des Arbeitsvertrages gewesen sei. Soweit der Inhalt der "freien Betriebsvereinbarung" Bestandteil der einzelnen Arbeitsverträge geworden sei, könne die Vereinbarung vom Arbeitgeber in der Regel nicht mehr einseitig wirksam gekündigt werden. Sei aber die Möglichkeit der Kündigung zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat ausdrücklich vorgesehen, müsse sie auch der einzelne Arbeitnehmer gegen sich gelten lassen. Die Beklagte habe bereits eine Urlaubsentschädigung für die letzten beiden Urlaubsjahre ab 1.9.1991 gezahlt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der "freien Betriebsvereinbarung" am 19.7.1990 sei der Urlaubsanspruch für das Urlaubsjahr 1989/1990 schon mit 1.9.1989 entstanden gewesen. Da die Klage erst am 10.9.1993 bei Gericht eingelangt sei, sei dieser Urlaubsanspruch gemäß § 4 Abs 5 UrlG ebenso verjährt wie der am 1.9.1990 entstandene Urlaubsanspruch für das Urlaubsjahr 1990/1991.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die beiden in Frage stehenden Jahresurlaube weder zum Zeitpunkt des Eingehens noch der Aufkündigung der "freien Betriebsvereinbarung" verfallen gewesen seien. Der Urlaub aus dem Urlaubsjahr 1989/1990 sei am 31.8.1992 verjährt und jener aus dem Urlaubsjahr 1990/1991 am 31.8.1993. Abgesehen davon, daß eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung aufgrund eines Anerkenntnisses bisher nie behauptet worden sei, liege sohin kein Anerkenntnis einer verjährten Forderung vor. Durch die etwas mehr als ein Jahr bestehende "freie Betriebsvereinbarung" sei der Vater der Klägerin auch nicht gehindert worden, seine Alturlaube zu verbrauchen. Der Vater der Klägerin habe sich vielmehr zum Urlaubsverbrauch ausdrücklich bereit erklärt, so daß er damit wohl schlüssig und für ihn verbindlich auf eine allfällige Rück- oder Weiterwirkung der "freien Betriebsvereinbarung" verzichtet habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihrem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt sie Aufhebungsanträge.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die erhebliche Rechtsfrage der Verjährung von Urlaubsentschädigungsansprüchen unzutreffend gelöst hat; sie ist aber auch zum Teil berechtigt.

Gemäß § 9 Abs 3 UrlG ist der Anspruch auf Urlaubsentschädigung vererblich. Dem Erben gebührt eine Urlaubsentschädigung, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet und der Urlaubsanspruch zwar bereits entstanden, aber noch nicht verbraucht worden ist (vgl Cerny UrlR6 § 9 Erl 12). Aufgrund der Doppelnatur des Urlaubsanspruches (vgl Arb 9693, 10.177, 10.179, 10.275 uva) kommt dem Anspruch auf Freistellung von der Arbeit und dem Entgeltfortzahlungsanspruch trotz mancher Verknüpfungen ein "gewisses Eigenleben" zu (Klein/Martinek, UrlR 109 mwH). Der Anspruch auf Urlaubsentschädigung ist kein Schadenersatz-, sondern ein selbständiger Erfüllungsanspruch (Kuderna UrlG2 § 9 Erl 3 mwN; Arb

10.275 ua). Dem Arbeitnehmer bleibt der entstandene, in natura nicht mehr erfüllbare Urlaubsanspruch hinsichtlich des Urlaubsentgelts gewahrt. Dieser Anspruch wird im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Da im Urlaubsgesetz für Ansprüche auf Urlaubsentschädigung weder eine besondere Verjährungs- oder Fallfrist vorgesehen ist, gilt für den Anspruch auf Urlaubsentschädigung die Verjährungsbestimmung des § 1486 Z 5 ABGB (vgl Schubert in Rummel2 ABGB § 1486 Rz 9; Kuderna aaO § 9 Erl 3 mwH; Cerny aaO 120; Arb

10.578 ua).

Im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Vaters der Klägerin am 9.12.1992 war dessen Anspruch auf Naturalurlaub aus dem Urlaubsjahr vom 1.9.1990 bis 31.8.1991 noch aufrecht, da dieser Anspruch gemäß § 4 Abs 5 UrlG erst am 31.8.1993 hätte verjähren können. Die am 9.12.1992 fällig gewordene Urlaubsentschädigung, welche der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt, war daher zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage (10.9.1993) noch nicht verjährt. Der Anspruch auf Naturalurlaub aus dem Urlaubsjahr vom 1.9.1989 bis 31.8.1990 wäre hingegen gemäß § 4 Abs 5 UrlG am 9.12.1992 bereits verjährt gewesen. Es ist daher vorerst zu prüfen, welche Bedeutung der "freien Betriebsvereinbarung" über den Verjährungsverzicht und deren Kündigung durch die Beklagte zukommt.

Beide Teile gehen davon aus, daß es sich bei der Vereinbarung zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat vom 19.7.1990 (mangels spezieller Regelungskompetenz) um eine sogenannte "freie Betriebsvereinbarung" handelt, der keine Normwirkung gemäß § 31 ArbVG zukommt (vgl Mayer-Maly in Mayer-Maly/Marhold, ArbR I 150 f; infas 1995 A 25 ua). Nachwirkungsfragen im Sinne des § 32 Abs 3 ArbVG stellen sich sohin nicht. Da sowohl die Geschäftsführung als auch die Arbeitnehmer der Beklagten die Unverbindlichkeit der Absprache als Betriebsvereinbarung kannten, konnte diese lediglich im Wege eines schlüssig angenommenen Angebots in die Einzelarbeitsverträge eingehen, wobei die Arbeitnehmer dieses Anbot aber auch zu den Bedingungen zu akzeptieren hatten, die der Arbeitgeber erkennbar dafür aufgestellt hatte (vgl Arb 9832; DRdA 1993/2 [Kerschner] uva). Insoferne blieb auch der beiden "vertragsschließenden Teilen" eingeräumte ausdrückliche Widerrufsvorbehalt (Kündigungsmöglichkeit) beachtlich, zumal gerade dem Vater der Klägerin als damaligen Betriebsratsvorsitzenden der gesamte Inhalt der Regelung bekannt war (vgl Strasser in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 II 391 ff mwH; Tomandl in FS Strasser (1983), Die Rechtswirkungen "freier Betriebsvereinbarungen" 583 ff, 604; Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 I 190; Marhold in Mayer-Maly/Marhold, ArbR II 290 f mwH). Auch wenn daher der Widerruf des Verjährungsverzichts vereinbarungsgemäß wirksam geworden ist, stellt sich die weitere Frage der Auswirkung dieses Widerrufs auf die restlichen Urlaubsansprüche des Vaters der Klägerin.

Gemäß § 1502 ABGB kann der Verjährung weder im voraus entsagt, noch kann eine längere Verjährungsfrist, als durch Gesetz bestimmt ist, bedungen werden. Ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung vor Ablauf der Verjährungsfrist ist demnach unwirksam. Nach den Feststellungen verzichtete die Beklagte am 19.7.1990 auf die Verjährung des Urlaubsanspruches gemäß § 4 Abs 5 UrlG und widerrief diesen Verzicht am 8.10.1991. Der Urlaubsanspruch des Vaters der Klägerin aus dem Urlaubsjahr 1989/1990 ist am 31.8.1992, sohin schon vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, verjährt. In der Zeit vom 19.7.1990 bis 8.10.1991 hatte der auf die Zusage der Beklagten vertrauende Arbeitnehmer keine Veranlassung, den bereits am 1.9.1989 entstandenen Urlaubsanspruch wegen drohender Verjährung zu verbrauchen.

Die Anordnung des § 1502 ABGB findet aber dort ihre Grenze, wo sie mit tragenden Grundsätzen des bürgerlichen Rechts, insbesondere den natürlichen Rechtsgrundsätzen (§ 7 ABGB) in Widerspruch gerät. Es trifft daher nicht zu, daß der Vorausverzicht ohne jegliche Wirkung war. Verhält sich nämlich der Schuldner so, daß der Gläubiger mit Recht annehmen darf, daß der Schuldner die Einrede der Verjährung nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht erheben werde, kann der Gläubiger nach Lehre und Rechtsprechung der vom Schuldner dann doch erhobenen Verjährungseinrede die Replik der Arglist, des Handelns wider Treu und Glauben, entgegensetzen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Beklagte einen verfrühten Verzicht nach Ablauf der Verjährungsfrist zurückgenommen hätte (vgl Schubert in Rummel2 ABGB § 1502 Rz 1; SZ 47/17 mwH; SZ 62/64 ua).

Abgesehen davon, daß die Klägerin keine Replik der Arglist erhoben hat, ist für den vorliegenden Fall entscheidend, daß der Verzichtswiderruf bereits längere Zeit vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgte. Nach der Aufforderung vom 10.9.1991, den Urlaub ab sofort im Laufe des Dienstjahres zu verbrauchen, und des Verzichtswiderrufs am 8.10.1991 gab die Beklagte dem Vater der Klägerin das offene Urlaubsguthaben bekannt. Dieser erklärte sich daraufhin bereit, im Jahre 1992 verstärkt Urlaub zu machen. Dazu stand ihm der Zeitraum vom Oktober 1991 bis 31.8.1992 zur Verfügung. Es wäre an der Klägerin gelegen, darzutun, aus welchen gegen Treu und Glauben verstoßenden Gründen ihr Vater in der verbleibenden Zeit von zehn Monaten verhindert war, seinen restlichen Alturlaub im Ausmaß von 112,5 Stunden zu verbrauchen. Behauptungen in diese Richtung wurden aber gar nicht aufgestellt, so daß die konkrete Möglichkeit des Urlaubsverbrauches nicht weiter zu prüfen ist.

Daraus folgt, daß der Klägerin zwar noch eine Urlaubsentschädigung aus dem Urlaubsjahr 1990/1991 für 231 Stunden zusteht, nicht aber aus dem Resturlaub aus dem Urlaubsjahr 1989/1990 im Ausmaß von 112,5 Stunden.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 43 Abs 1 ZPO iVm § 58a ASGG und § 50 Abs 1 ZPO begründet. Die Klägerin hat mit rund zwei Drittel ihrer Ansprüche obsiegt, so daß ihr ein Drittel ihrer Kosten zustehen. Ein Ersatzanspruch hinsichtlich der Gebühren, von deren Bestreitung sie einstweilen befreit wurde, steht ihr nicht zu (§ 70 Abs 1 ZPO).

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