OGH 9ObA166/95

OGH9ObA166/9511.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Bauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Mag.Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat ***** Aktiengesellschaft "W*****", vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden Christian H*****, dieser vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G***** vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer und Mag.Martin Machold, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 51.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Juni 1995, GZ 7 Ra 46/95-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.Jänner 1995, GZ 2 Cga 159/94d-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die Dienstnehmer der beklagten Partei, welche weder dem Hausbesorgergesetz noch dem Angestelltengesetz unterliegen, Anspruch auf Bezahlung einer Fahrkostenvergütung und eines Wegegeldes gemäß § 9 I des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe bzw gemäß der Sonderregelung für Wien über Fahrtkostenvergütung und Wegegeld vom 26.5.1993 zum Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe in der jeweils gültigen Fassung haben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.110,76 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 1.128,96 S Umsatzsteuer und 80 S Barauslagen) sowie die mit 8.104 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 1.340 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 4.871,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 811,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Betriebsvereinbarung vom 30.April 1982, die für sämtliche Arbeitnehmer der beklagten Partei, welche nicht dem Hausbesorgergesetz unterliegen, abgeschlossen wurde, wurde vereinbart, daß für Arbeiter der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe in der jeweils geltenden Fassung mit der Maßgabe Geltung habe, daß für die Bestimmungen bezüglich des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration der Kollektivvertrag für die Angestellten zur Anwendung komme. Die nach der Klage festzustellenden Ansprüche wurden den von der Betriebsvereinbarung betroffenen Arbeitnehmern bisher nie ausgezahlt.

38 Dienstnehmer der beklagten Partei haben einen Aufnahmebogen unterfertigt, in dem eine Erklärung mit folgendem Wortlaut enthalten ist:

"Mit dem vereinbarten Stundenlohn von S........ sind die im Kollektivvertrag ausgewiesenen Zulagen und Sondererstattungen etc abgegolten."

Die beklagte Partei gewährte den Arbeitnehmern über den kollektivvertraglichen Stundensatz hinaus eine Mehrzahlung, und zwar den Technikern 24 S und den Hausarbeitern 18,50 S.

Die klagende Partei begehrt die Feststellung, daß die Dienstnehmer der beklagten Partei, welche weder dem Hausbesorgergesetz noch dem Angestelltengesetz unterliegen, Anspruch auf Bezahlung einer Fahrtkostenvergütung und eines Wegegeldes gemäß § 9 I des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe bzw gemäß der Sonderregelungen für Wien über Fahrtkostenvergütung und Wegegeld vom 26.5.1993 zum Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe in der jeweils gültigen Fassung haben. Die klagende Partei führte aus, es sei zwar richtig, daß eine Mehrzahlung bei den Stundenlöhnen erfolge, doch sehe der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe in § 5 I Z 13 ein Abgeltungsverbot vor.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Aufgrund der Einzelvereinbarungen seien die im Kollektivvertrag ausgewiesenen Zulagen und Sondererstattungen mit dem vereinbarten Stundenlohn abgegolten. Im übrigen entfalte die Betriebsvereinbarung keine normative Wirkung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Betriebsvereinbarung betreffe einen zulässigen Regelungsgegenstand im Sinne des § 97 Abs 1 Z 12 ArbVG und umfasse auch das Abtretungsverbot nach § 5 I Z 13 des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe, nach dem die Abgeltung von Aufzahlungen und Zulagen durch erhöhten Lohn unzulässig sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und teilte dessen Rechtsauffassung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hingegen ist die Rechtsrüge im Ergebnis berechtigt.

Soweit die Revisionswerberin allerdings vermeint, die gegenständliche Regelung des Wegegeldes und der Fahrtkostenvergütung sei nicht unter § 97 Abs 1 Z 12 ArbVG zu subsumieren, ist sie auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils zu verweisen (§ 48 ASGG).

Aus Anlaß der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge war im Rahmen der allseitigen rechtlichen Prüfung jedoch wahrzunehmen, daß mit der Betriebsvereinbarung vom 30.April 1982 auf die jeweils geltende Fassung des auf die Belegschaft der beklagten Partei aufgrund seines fachlichen und persönlichen Geltungsbereiches nicht zur Anwendung kommenden Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe verwiesen wurde. Da die Befugnis der Betriebsparteien, Dritte durch Betriebsvereinbarung zu binden, nicht aus der ihnen zukommenden Privatautonomie abzuleiten ist, bedurfte es - ebenso wie zur Begründung der entsprechenden Befugnisse der Kollektivvertragsparteien - einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zur Rechtssetzung mit Wirkung für am Abschluß nicht beteiligte Dritte. Diese Rechtssetzungsbefugnis kommt nur den im ArbVG genannten Betriebsparteien bezüglich der dort genannten Angelegenheiten zu; eine Delegation dieser Rechtssetzungsbefugnis im Wege einer dynamischen Verweisung an andere Rechtssubjekte kommt ebensowenig in Frage, wie die Delegation der den Kollektivvertragsparteien für einen räumlichen, fachlichen und persönlichen Zuständigkeitsbereich zugewiesenen Rechtssetzungsbefugnisse an andere Rechtssubjekte, etwa auch an andere, aufgrund ihres Zuständigkeitsbereiches nicht zur Rechtssetzung in diesen Angelegenheiten berufene Kollektivvertragsparteien (siehe Strasser in FS-Floretta, Dynamische Verweisung in Kollektivverträgen, 627 ff; derselbe in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht II3 152; DRdA 1990/40 [zust Mayer/Maly] = ZAS 1991/12 [zust Schnorr]); Infas 1990 A 22; ARD 4280/14/91; JBl 1993, 801).

Da auch eine Umdeutung der als dynamische Verweisung nichtigen Bezugnahme auf den Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe in eine statische Verweisung (siehe Strasser in Arbeitsrecht3 II 152) nicht zur Stattgebung des eine lange nach dem Abschluß der Betriebsvereinbarung getroffene kollektivvertragliche Regelung betreffenden Feststellungsbegehrens führen könnte und nach dem vom Erstgericht unbekämpft angenommenen Sachverhalt, wonach die laut Klage festzustellenden Ansprüche den von der Betriebsvereinbarung betroffenen Arbeitnehmern bisher nie ausgezahlt wurden, auch die individualrechtliche Anspruchsbegründung durch betriebliche Übung im Wege einer tatsächlichen Gewährung der kollektivvertraglichen Leistungen (siehe JBl 1993, 801; vgl aber ARD 4280/14/91) nicht in Frage kommt und eine nicht normativ wirkende Regelung überdies einzelvertraglich wirksam abbedungen werden kann, erscheint eine Rückverweisung der Sache an die erste Instanz zur allfälligen Erstattung weiteren Vorbringens durch die Parteien nicht erforderlich und ist die Sache im Sinne einer Abweisung des Feststellungsbegehrens spruchreif.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO; Pauschalgebühren für Berufung und Revision waren gemäß § 16 Z 1 lit a GGG iVm Anmerkung 5 zu TPZ und 3 GGG idF Art IX BGBl 1994/624 nicht zuzuerkennen.

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