OGH 9ObA122/95

OGH9ObA122/9511.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Mag.Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zentralbetriebsrat der B***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Charlotte Böhm und andere, Rechtsanwältinnen in Wien, wider die beklagte Partei B***** GesmbH, ***** vertreten durch Heller, Löber, Bahn & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 300.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 27.März 1995, GZ 32 Ra 184/94-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8.Juni 1994, GZ 20 Cga 272/93b-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

13.725 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.287,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales setzte am 12.11.1990 für die in privaten Bildungseinrichtungen (wie etwa Sprachinstituten) beschäftigten Arbeitnehmer einen Mindestlohntarif fest, in dem gemäß § 2 unter anderem für Arbeitnehmer mit unterrichtender Tätigkeit gestaffelt nach Berufsjahren in der Beschäftigungsgruppe I die Gehaltsstufe a und die Gehaltsstufe b für Arbeitnehmer mit unterrichtender Tätigkeit mit einschlägigem akademischen Abschluß oder staatlicher Lehramtsprüfung oder betrieblich vorgesehener Qualifizierung vorgesehen war. Im Verfahren 23 Cga 503/91 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien wurde, bestätigt durch das Oberlandesgerichtes Wien, festgestellt, daß alle bei der beklagten Partei beschäftigten Arbeitnehmer mit unterrichtender Tätigkeit, welche das vor einer solchen Tätigkeit zu absolvierende sogenannte Methoden- und Initialtraining im Ausmaß von 30 bis 40 Einheiten zu je 40 Minuten absolviert haben, keine "betrieblich vorgesehene Qualifizierung" im Sinne des § 2 (Gehaltsschema), Beschäftigungsgruppe I lit b des Mindestlohntarifes erworben haben. Das Methoden- und Initialtraining erfülle nicht die im Mindestlohntarif angeführte Bedingung der "betrieblich vorgesehenen Qualifizierung". Die Unterweisung durch dieses Training sei nämlich keinem akademischen Abschluß oder einer Lehramtsprüfung gleichzuhalten, wodurch die Verschiedenheit der Ausbildungsintensität deutlich gemacht werde.

Seit 1.Jänner 1993 gilt ein geänderter Mindestlohntarif, der im Gehaltsschema der Beschäftigungsgruppe 1 drei statt bisher zwei Kategorien von Arbeitnehmern unterscheidet: a) mit unterrichtender Tätigkeit, b) mit unterrichtender Tätigkeit und betrieblich vorgesehener Qualifizierung und c) mit einschlägigem akademischen Abschluß oder staatlicher Lehramtsprüfung.

Der klagende Zentralbetriebsrat begehrt im Hinblick auf den geänderten Wortlaut des Mindestlohntarifes die Feststellung, daß die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer mit unterrichtender Tätigkeit in das Gehaltsschema des § 2 Beschäftigungsgruppe I b des Mindestlohntarifes einzureihen seien. Das Methoden- und Initialtraining stelle eine solche betrieblich vorgesehene Qualifizierung dar. Dazu kämen regelmäßige Retrainings zwei- bis viermal jährlich von 4 bis 6 Einheiten a 40 Minuten und 4 Inspektionen jährlich.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt habe sich gegenüber dem Vorverfahren nicht geändert. Das Methoden- und Initialtraining in der Dauer von ungefähr einer Woche diene lediglich der Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb und bedeute keine betrieblich vorgesehene Qualifizierung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das sogenannte Methoden- und Initialtraining, das in der Dauer einer Woche vor der Anstellung im Rahmen eines Werkvertragsverhältnisses stattfinde, sei lediglich ein Vertrautmachen mit der B*****-Methode und den Lehrbüchern und sei Voraussetzung für eine Anstellung. Nach der Auswahl der Lehrer finde nur mehr eine zusätzliche Eingliederung in den Betrieb im Ausmaß von wenigen Stunden statt. Zu Retrainings komme es nur in Ausnahmefällen, wenn bei der Vermittlung des Lehrstoffes noch Schwächen bestünden. Inspektionen allein könnten keine "betriebliche Qualifizierung" begründen. Die "betriebliche Qualifizierung" sei hingegen das Erreichen eines gewissen Standards, der über dem normalen Standard liege. Das Aufbautraining ergebe sich zwangsläufig aus der Natur der unterrichtenden Tätigkeit selbst, begründe aber keine besondere Qualifizierung, die über die sich naturgemäß ergebende Tatsache, daß ein erfahrener Lehrer besser sei als ein unerfahrener, hinausgehe. Soweit das Bundeseinigungsamt in seiner Begründung des Mindestlohntarifs auf die Vorentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien Bezug genommen habe, sei darauf nicht einzugehen, da die Auslegung des Mindestlohntarifs hinsichtlich Ausdrucksweise und Zielrichtung nicht zweifelhaft sei.

Das Gericht der zweiten Instanz änderte über Berufung der klagenden Partei das angefochtene Urteil dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab.

Es traf zusätzliche Feststellungen aus der Begründung des Beschlusses, mit welchem der Mindestlohntarif festgesetzt wurde. Danach sollte unter Berücksichtigung der Vorentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien zwischen den ungeprüften Lehrern und solchen mit akademischer Ausbildung eine Zwischenstaffelung vorgesehen werden. Dabei werde dem Umstand einer speziellen, wenn auch nicht akademischen Ausbildung Rechnung getragen.

Der Begriff "betrieblich vorgesehene Qualifizierung" könne durch die Wortinterpretation nicht erklärt werden. Es komme daher der Absicht des Normgebers Bedeutung zu. Aus der Begründung des Mindestlohntarifes folge, daß das Bundeseinigungsamt Sprachlehrer, wie sie bei der beklagten Partei beschäftigt werden, als Arbeitnehmer mit betrieblich vorgesehener Qualifizierung eingestuft sehen wollte. Die betrieblich vorgesehene Qualifizierung ergebe sich daraus, daß Sprachlehrer der Beklagten ihre Muttersprache nach einem speziellen pädagogischen System, das die Beklagte vertrete und für das sie erfolgreich sei, unterrichten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache, hilfsweise wegen Nichtigkeit und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern.

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Mindestlohntarife sind als Verordnungen nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen (Arb 9429; 9 Ob A 213/91). Dabei ist vom objektiven Inhalt der Norm auszugehen. Die Normadressaten, denen nur der Text der Norm zur Verfügung steht (vgl Strasser in Floretta/Strasser, Handkommz ArbVG § 25 Erl 7), müssen sich darauf verlassen können, daß die Absicht des Normgebers im kundgemachten Text ihren Niederschlag gefunden hat. In erster Linie ist daher der Wortsinn und die sich aus dem Text ergebende Absicht des Normgebers zu erforschen (vgl ZAS 1993/16 [Strasser], DRdA 1994/3 [Jabornegg]; 9 Ob A 146/94; 9 Ob A 802/94; 9 Ob A 62/95). Dabei wird versucht, den Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen. Der Auszulegende hat die Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe selbständig weiter- und zu Ende zu denken (Arb 9429 mwN).

Ob und inwieweit das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien 34 Ra 145/91, wonach die methodische Ausbildung der Lehrer der beklagten Partei eine akademische Ausbildung nicht substituieren, sondern nur ergänzen könne und keine betrieblich vorgesehene Qualifizierung im Sinne einer einer akademischen oder staatlichen Ausbildung gleichwertigen Ausbildungsform sei, bei der Festsetzung des Mindestlohntarifes für in privaten Bildungseinrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer vom 13.11.1992 von Bedeutung war, hat im veröffentlichten Text des Mindestlohntarifes keinen Niederschlag gefunden, so daß darauf nicht eingegangen werden kann. Die Ausführungen der Revisionswerberin zum Revisionsgrund der Nichtigkeit (richtig Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens) können daher auf sich beruhen. Der für Arbeitnehmer in privaten Bildungseinrichtungen bestehende Mindestlohntarif vom 12.11.1990 unterschied zwischen Arbeitnehmern mit unterrichtender Tätigkeit, die unter die Beschäftigungsgruppe I a fielen und unter I b einzustufende Arbeitnehmer mit unterrichtender Tätigkeit mit einschlägigem akademischen Abschluß oder staatlicher Lehramtsprüfung oder betrieblich vorgesehener Qualifizierung.

Der Mindestlohntarif vom 13.11.1992 hat dagegen für die bisher unter Ib angeführten Arbeitnehmer eine Zwischenstufe geschaffen, so daß nunmehr insgesamt drei Entlohnungsgruppen vorgesehen sind. Entgegen der Meinung der Revisionswerberin ist damit eine beachtliche Änderung der Rechtslage eingetreten. Die Neuregelung trägt dem Umstand Rechnung, daß eine staatliche Lehramtsprüfung oder eine akademische Ausbildung im betreffenden Lehrfach grundsätzlich höhere Anforderungen stellt als die bisher in einem Zug genannte betriebliche Qualifizierung, so daß die Schaffung der Zwischenstufe sachlich gerechtfertigt und nicht bedeutungslos war. Die betrieblich vorgesehene Qualifizierung begründet lediglich eine betriebsspezifische Voraussetzung, während die akademische oder staatliche Ausbildung eine berufsspezifische Ausbildung beinhaltet, die nicht an einen bestimmten Betrieb gebunden ist. Demgegenüber stehen Lehrer der Beschäftigungsgruppe I a, die keine über ihre gewöhnliche Berufskenntnis hinausgehende Ausbildung aufweisen und die auch ohne betriebsspezifische Qualifikation unterrichten.

Diese Dreigliederung des Entlohnungsschemas ist nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen sachgerecht, sondern trägt auch den unterschiedlichen Ausbildungserfordernissen in den verschiedenen, dem fachlichen Geltungsbereich unterliegenden Betrieben Rechnung. Der Mindestlohntarif ist ja nicht nur auf Sprachinstitute jeder Art beschränkt, sondern führt diese nur neben anderen, wie sonstigen privaten Bildungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen zur Sekretärinnenausbildung oder zur Management- und Datenverarbeitungsausbildung, an.

Gerade bei Lehrern kann die Kenntnis des Lehrfaches, im Sprachinstitut der Beklagten die Kenntnis der Muttersprache, vorausgesetzt werden. Diesbezüglich ist daher eine weitere betriebliche Qualifizierung im Sinne einer zusätzlichen Fachausbildung nicht erforderlich. Es ist nur entscheidend, ob die Berufskenntnis durch eine staatliche Lehramtsprüfung oder den akademischen Abschluß nachgewiesen wird; in diesem Fall fällt der Lehrer ungeachtet einer betriebsintern vorgesehenen weiteren Methodeneinschulung in die Entlohnungsstufe I c. Hat der nicht akademisch oder durch Lehramtsprüfung ausgebildete Lehrer im jeweiligen Betrieb nach einer speziellen betrieblichen Unterrichtsmethode im jeweiligen Lehrfach vorzugehen, die ein betriebsinternes Methoden- oder Initial- bzw Retraining mit einer nicht unbedeutenden Intensität erfordert und die über ein bloßes Zurkenntnisbringen der Unterrichtsorganisation des Betriebes hinausgeht, dann liegt eine "betriebliche Qualifizierung" im Sinne des Mindestlohntarifes vor, welche die Entlohnung in der Entlohnungsgruppe I b rechtfertigt. Ob diese Qualifizierung im Betrieb vor der Anstellung oder danach erworben wird, ändert nichts an der betrieblich vorgesehenen Qualifizierung, die zur Ausübung der speziellen Unterrichtstätigkeit erforderlich ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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