Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 13.333,-- brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit 1.1.1992 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 240,-- (Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 5.489,28 (darin S 914,88 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 3.248,64 (darin S 541,44 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom 1.12.1990 bis 31.12.1991 bei der beklagten Partei als Fachbetreuerin beschäftigt. Nach ihrem Dienstvertrag erhielt sie ein "im Sinne des Kollektivvertrags im vorhinein zahlbares Monatsgehalt" von S 9.000,-- und eine Superprovision vom polizzierten Produktionswert, den die ihr zugeordneten Mitarbeiter erbrachten. Für die Zeit vom 1.12.1990 bis 30.11.1991 wurde ihr eine Superprovision von insgesamt S 120.000,-- (= S 10.000,-- im Monatsdurchschnitt) garantiert und monatlich ausgezahlt. Die Abrechnung der garantierten Superprovision sollte zum Ende des Anspruchszeitraums bzw. zu einem eventuellen Austrittstermin erfolgen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den der Höhe nach außer Streit stehenden Betrag von S 13.333,-- brutto sA als Differenz zu den erhaltenen Sonderzahlungen. Die beklagte Partei habe die garantierte Provision bei der Ermittlung der Sonderzahlungen nur für den Zeitraum vom 1.12.1990 bis 31.3.1991 berücksichtigt, nicht aber für die Zeit ab 1.4.1991. Mit Wirkung vom 1.4.1991 sei der Kollektivvertrag zwar diesbezüglich geändert worden, doch seien nach dem Zusatzprotokoll vom 7.5.1991 die bisherigen günstigeren Regelungen unberührt geblieben.
Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Schon vor der Änderung des Kollektivvertrags seien die Sonderzahlungen nur nach dem kollektivvertraglichen oder im Dienstvertrag festgesetzten "Grundgehalt" zu ermitteln gewesen. Dies sei in der ab 1.4.1991 wirksam gewordenen Kollektivvertragsbestimmung insofern klargestellt worden, als Sonderzahlungen nunmehr überhaupt nur mehr nach dem kollektivvertraglichen "Grundgehalt" zu leisten seien. Die beklagte Partei habe der Klägerin lediglich aus Entgegenkommen bis 31.3.1991 auch Sonderzahlungen aus der Superprovision gewährt. Ab 1.4.1991 bestehe dafür aber keine Grundlage mehr.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Schon nach der bei Diensteintritt der Klägerin geltenden Fassung des Kollektivvertrags für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmungen (kurz KVA) bestehe ein Unterschied zwischen dem Mindesteinkommen und einer Provision. Das Mindesteinkommen bestimme sich entweder aus § 3 Abs 2 KVA oder aus einer abweichenden Vereinbarung im Dienstvertrag. Leistungsabhängige Provisionen seien in die Berechnungsgrundlage der Sonderzahlungen nicht einzubeziehen. Der Sinn einer garantierten Provision liege nicht darin, das leistungsunabhängige Mindesteinkommen zu steigern, sondern die Einkommenseinbußen eines neuen Mitarbeiters abzudecken, der noch keinen Kundenstock aufgebaut habe. Diese Anlaufphase werde dadurch zwar überbrückt; an dem grundsätzlich leistungsabhängigen Charakter der Provision ändere sich aber nichts (Gegenverrechnung). Da die Überbrückungshilfe zeitlich begrenzt sei, würde es zu einem schlagartigen Abfall der Bemessungsgrundlage für die Sonderzahlungen kommen, wenn die garantierte Provision wegfalle. Die Klägerin wäre in der Folge bei einem eigenständigen Provisionseinkommen erheblich schlechter gestellt gewesen als vorher. Der geltend gemachte Anspruch sei daher, selbst wenn günstigere Regelungen unberührt geblieben seien, nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision gemäß § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß eine einmalige Superprovision nicht unter den Begriff des Mindesteinkommens fallen könne, wenn ohnehin ein monatliches Fixum zur Auszahlung gelange, das die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 KVA der Höhe nach erfülle. Erhalte ein Angestellter Fixum und Provision, sei hinsichtlich des Begriffes "Mindesteinkommen" zwischen den unabdingbaren und den darüber hinausgehenden Beträgen zu differenzieren. Auf ein von der Klägerin mit der Berufung vorgelegtes Protokoll vom 3.7.1959 über die Kollektivvertragsverhandlungen sei als unbeachtliche Neuerung nicht einzugehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der mit Wirkung vom 1.4.1991 geänderte KVA enthält im § 3 (Provision, Mindesteinkommen) Abs 2 den ziffernmäßig festgelegten Anspruch der Angestellten auf ein durchschnittliches monatliches Mindesteinkommen. Nach § 3 Abs 3 KVA kann dieses festgelegte Mindesteinkommen in Form eines Gehalts, einer Provisionsgarantie oder einer anderen Entlohnungsform gegeben werden, wobei sich das Mindesteinkommen auch aus mehreren der genannten Einkunftsarten zusammensetzen kann. Gemäß § 3 Abs 5 KVA haben sämtliche Angestellte Anspruch je auf die Hälfte des monatlichen Mindesteinkommens "gemäß Abs 2" als Urlaubszulage und Weihnachtsremuneration. Durch diese Bestimmungen ist klargestellt, daß sich die Höhe der Sonderzahlung nach der ziffernmäßigen Festlegung gemäß § 3 Abs 2 KVA bemißt, wobei es unerheblich ist, in welcher Entgeltform diese Beträge erreicht werden. Da die Klägerin nicht behauptet hat, ihr Monatsgehalt (Fixum) entspreche nicht der kollektivvertraglichen Mindesthöhe, bleibt nach dieser Rechtslage für Überlegungen, daß auch noch die darüber hinausgehende garantierte Provision (oder Teile davon) in die Bemessungsgrundlage der Sonderzahlungen einbeziehen seien, kein Raum.
Mit ebenfalls kundgemachtem Zusatzprotokoll zum KVA vom 23.5.1991 hielten die Kollektivvertragsparteien jedoch fest, daß mit dem Inkrafttreten der am 7.5.1991 vereinbarten Änderung unter anderem in § 3 Abs 5 KVA bisherige günstigere Regelungen unberührt bleiben. Diese in (durch) § 3 Abs 5 KVA (neu) erfolgte Regelung bezieht sich entgegen der Ansicht der beklagten Partei auf die bisherige (korrespondierende) Bestimmung des § 3 Abs 3 KVA (alt). Es ist daher zu prüfen, ob die Regelung des § 3 Abs 3 KVA (alt) im Sinne der Übergangsvorschrift für die Klägerin günstiger ist. Auch nach § 3 Abs 2 KVA (alt) hat der Angestellte einen Anspruch auf ein ziffernmäßig bestimmtes durchschnittliches Monatseinkommen, welches in Form eines Gehalts oder einer Garantie als Provisionseinkommen oder teils in der einen, teils in der anderen Entlohnungsform gegeben werden kann. Gemäß § 3 Abs 3 KVA (alt) erhalten sämtliche Angestellte nach einjährigem Bestehen des ungekündigten Dienstverhältnisses rückwirkend ab dem Beginn desselben je die Hälfte des "gemäß Abs 2 bzw. im Dienstvertrag garantierten" monatlichen Mindesteinkommens als Urlaubszulage und Weihnachtsremuneration. Diese Fassung des KVA unterscheidet sich von der geänderten sohin unter anderem dadurch, daß nicht nur das monatliche Mindesteinkommen "gemäß § 3 Abs 2" (= kollektivvertragliches Mindesteinkommen), sondern auch das "gemäß Abs 2 bzw. im Dienstvertrag garantierte" monatliche Mindesteinkommen zu berücksichtigen ist. Wollte man die Bemessungsgrundlage der Sonderzahlungen lediglich auf das (ohnehin zwingende) kollektivvertraglich garantierte Mindesteinkommen beschränken, wäre der weitere Anspruchsgrund des Dienstvertrages weginterpretiert. Die Vereinbarung eines unterkollektivvertraglichen Mindesteinkommens ist gemäß § 3 Abs 1 ArbVG unzulässig. Sollte ohnehin nur das kollektivvertragliche Mindestentgelt vereinbart werden dürfen, wäre der Hinweis auf das im Dienstvertrag "garantierte" monatliche Mindesteinkommen überflüssig. Es kann daher damit nur ein höheres Mindesteinkommen als es der Kollektivvertrag vorsieht, gemeint sein. Andererseits ist auch eine begriffliche Unterscheidung zwischen Fixum und Provision mangels Unterscheidung im Kollektivvertrag nicht zielführend, da das durchschnittliche monatliche Mindesteinkommen sowohl durch das Gehalt oder das garantierte Provisionseinkommen oder in einer Kombination beider Entgeltarten erreicht werden kann. Üblicherweise gehen der Provisionsabrechnung Provisionsaconti voraus; demgemäß wurde auch die Superprovision mit S 10.000,-- im Monatsdurchschnitt garantiert und der Klägerin in dieser Weise ausgezahlt. Die garantierte Superprovision bildete sohin unabhängig vom tatsächlichen Provisionsaufkommen aus dem polizzierten Provisionswert insgesamt auch einen Teil des im Dienstvertrag garantierten (leistungsunabhängigen) Mindesteinkommens. Es kann daher den Vorinstanzen nicht beigepflichtet werden, daß ein im Dienstvertrag garantiertes Mindesteinkommen allenfalls nur ein überkollektivvertragliches Fixum sein könne. Dafür und für die Ansicht der beklagten Partei, es komme nur auf ein auf Dauer angelegtes "Grundgehalt" an, findet sich im Kollektivvertrag kein Anhaltspunkt.
Kollektivverträge sind in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6 und 7 ABGB), auszulegen (vgl. Infas 1990 A 45 uva). Aus der von der Klägerin vorgelegten Niederschrift über die Kollektivvertragsverhandlungen betreffend das garantierte Mindesteinkommen ergibt sich, daß die Kollektivvertragsparteien darüber einig waren, daß bei einer auf eine bestimmte Zeit zugestandenen höheren Mindestgarantie sich der
14. Bezug nach dem Ablauf der vereinbarten Zeit auf das kollektivvertragliche Ausmaß der Mindestgarantie verringere. Der Bedachtnahme auf die Absicht der Kollektivvertragsparteien steht entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht das verfahrensrechtliche Neuerungsverbot (§ 63 Abs 1 ASGG) entgegen, sondern die Frage der Verwertbarkeit von "Materialien" zu den gemäß § 43 Abs 3 ASGG von Amts wegen zu ermittelnden Kollektivvertragsnormen. Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können nämlich die Vorstellungen, welche die Kollektivvertragsparteien beim Abschluß vom Inhalt der Normen hatten, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich darauf verlassen, daß die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat. Es kann daher dabei verbleiben, daß diese "einvernehmliche Feststellung" der Kollektivvertragsparteien jedenfalls nicht gegen die aus dem Kollektivvertrag selbst gewonnene Auslegung des Begriffes eines "im Dienstvertrag garantierten monatlichen Mindesteinkommens" spricht. Ist dieses aber ein Mindesteinkommen, das vertraglich unabhängig von sonstigen Kriterien zur Auszahlung gelangt, ist es auch gemäß § 3 Abs 3 KVA (alt) bei der Bemessung der Sonderzahlungen zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidungen sind in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet. Gerichtsgebühren können nicht zugesprochen werden, da Verfahren in Arbeitsrechtssachen bis zu einem Streitwert von S 15.000,-- gebührenfrei sind.
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