OGH 10ObS166/95

OGH10ObS166/9520.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Reinhard Drössler und Werner Jeitschko in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertrud D*****, Pensionistin, ***** wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeldes, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11.Mai 1995, GZ 7 Rs 22/95-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.November 1994, GZ 30 Cgs 51/94f-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, das der ersten Instanz jedoch nur insoweit, als der Klägerin für die Zeit vom 1.11.1993 bis 30.11.1994 ein das Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 von 33.193 S übersteigendes Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 von weiteren 13.275 S und ab 1.12.1994 ein das Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 übersteigendes Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zuerkannt wurde, werden aufgehoben. Insoweit wird die Sozialrechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 23.3.1994 lehnte die Beklagte den am 29.11.1993 gestellten Antrag der Klägerin auf Pflegegeld mit der Begründung ab, daß der ständige Pflegebedarf nicht mehr als 50 Stunden monatlich betrage.

Das auf ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 ab 1.11.1993 gerichtete Klagebegehren stützt sich ua darauf, daß die am 17.3.1914 geborene Klägerin auf Grund vielfältiger Behinderungen ua für die Beheizung des Wohnraumes (Zusatzherd) Hilfe benötige.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Der Sachverständige für innere Medizin führte in seinem schriftlichen Gutachten ON 4 AS 19 ua aus, daß die Klägerin nicht im Stande sei, das notwendige Heizmaterial herbeizuschaffen und eine Feuerstelle zu unterhalten. (Das Haus werde mit einer Etagenheizung beheizt, die vom Sohn bedient werde.) Vor dem Sachverständigen für Orthopädie gaben die Klägerin bzw der sie begleitende Sohn ua an: "Ich wohne ebenerdig in einem Einfamilienhaus mit im Haushalt meines Sohnes. Die Wohnung wird etagenbeheizt, gekocht wird elektrisch, das notwendige Brennholz befindet sich am Hof. Die Heizung wird von meinem Sohn versorgt..."

(ON 5 AS 25). Dieser Sachverständige kam zu dem Schluß, daß der Klägerin ua die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung des Brennmaterials nicht möglich sei (AS 31).

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin das Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zu zahlen, und zwar 46.468 S (= Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 für die Zeit vom 1.11.1993 bis 30.11.1994) binnen vierzehn Tagen und 3.588 S ab 1.12.1994 jeweils am Ersten eines Monates.

Nach den unbekämpft gebliebenen Tatsachenfeststellungen wohnt die Klägerin in einem Einfamilienhaus mit ihrem Sohn und dessen Familie. Die Wohnung wird etagengeheizt, das notwendige Brennholz befindet sich im Hof. Die Klägerin leidet an Kardiosklerose, Cerebralsklerose und Spondylosis deformans. Neben forteschrittenen Aufbrauchserscheinungen im Bereich des Achsenskelettes und der Extremitätengelenke bestehen eine ausgeprägte Rundrückenbildung mit Hyperlordose der Halswirbelsäule und eine fortgeschrittene Osteoporose, die mit einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Brust- und Lendenwirbelsäule verbunden ist. Dadurch kommt es zu einer stark verminderten Belastbarkeit des Achsenskelettes, die nicht nur Beschwerden und Schmerzen hervorruft, sondern auch die Aktivitäten der Klägerin einschränkt. Auf Grund dieser Behinderungen braucht die Klägerin für die Zubereitung einer kompletten warmen Mahlzeit Betreuung und für die Herbeischaffung von Narhungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung (der Wohnung und) der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn Hilfe.

Unter diesen Umständen nahm das Erstgericht (unter Zugrundelegung der Zeitwerte der Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz BGBl 1993/314 von insgesamt 80 Stunden) einen durchschnittlichen Pflegebedarf von mehr als 75 Stunden monatlich an. Der Betreuungs(richtig: Hilfs)bedarf für die Beheizung einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial sei zu berücksichtigen, weil die Klägerin diesen Aufwand auf Grund ihrer Lebensverhältnisse zu tätigen habe. "Daß dieser hilfsweise durch ihren Sohn durchgeführt werde", ändere daran nichts.

Die Beklagte ließ die Zuerkennung eines Pflegegeldes in Höhe der Stufe 1 ab 1.11.1993 unbekämpft. Ihre Berufung, in der sie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machte, richtete sich nur gegen die Zuerkennung eines Pflegegeldes in Höhe der Stufe 2.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es unterliege keinem Zweifel, daß die Klägerin nicht in der Lage sei, die offensichtlich mit festen Brennstoffen zu beheizende Etagenheizung selbst zu bedienen und das erforderliche Heizmaterial (Holz) aus dem Hofraum herbeizuschaffen. Diesbezüglich sei sie auf die Hilfe ihres Sohnes und dessen Familie angewiesen. Deshalb sei ein Pflege(richtig Hilfs)bedarf anzunehmen. Der Umstand, daß eine Person vorhanden sei, die Tätigkeiten ausführe, zu denen der Pflegebedürftige nicht mehr in der Lage sei, habe nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 1/46, 2/86 und 4/73) bei der Beurteilung der Pflegebedürtigkeit außer Betracht zu bleiben.

In der Revision macht die Beklagte unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil durch Abweisung des auf ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 gerichteten Mehrbegehrens abzuändern oder allenfalls die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben.

Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist iS des Eventualantrages berechtigt.

Die Rechtsrüge richtet sich nur dagegen, daß für die - der Klägerin nicht mehr mögliche - Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial ein - auf den Monat bezogener - fixer Zeitwert von 10 Stunden angenommen wurde. Für diese Verrichtungen bestehe nach den konkreten Verhältnissen der Klägerin überhaupt kein Hilfsbedarf, weil sie nur an der Beheizung des Hauses durch ihren Sohn partizipiere.

Der erkennende Senat hat schon in der zu § 105a ASVG ergangenen Grundsatzentscheidung SSV-NF 1/46 ausgeführt, daß, der Hilflosenzuschuß, wenn die Hilflosigkeit das im Abs 1 der zit Gesetzesstelle umschriebene Ausmaß erreicht hat, auch dann gebührt, wenn die Kosten der ständigen Wartung und Hilfe im konkreten Fall nur deshalb geringer sind als der (begehrte) Zuschuß, weil die Pflegeperson für die (an sich) notwendigen Dienstleistungen nichts oder weniger als üblich verlangt. Daß Angehörige zur Betreuung vorhanden sind, sei für die Gewährung des Hilflosenzuschusses ohne Bedeutung. Diese Rechtsansicht wurde wiederholt bestätigt (zB SSV-NF 2/32 und 86; 4/63; 5/46 und 115), in der E SSV-NF 4/63 allerdings auf Hilfeleistungen beschränkt, die einen ins Gewicht fallenden Aufwand an Zeit und Mühe erfordern. Andere Hilfeleistungen müßten hingegen außer Betracht bleiben, zumal sie bei Bedarf und nach Möglichkeit jedermann, also auch jemand, der zum Hilfsbedürftigen in keinem Naheverhältnis steht, unentgeltlich zu leisten bereit sei.

Diese Rechtsprechung zum Hilflosenzuschuß ist auch auf das Pflegegeld anwendbar (vgl Gruber/Pallinger, BPGG § 4 Rz 39, 42, 43; Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich 111f mit Hinweisen auf Lehre und Rechsprechung und 194f).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wäre im vorliegenden Fall dann kein Hilfsbedarf für die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial anzunehmen, wenn die Mitbeheizung des Wohnraumes der Klägerin im Rahmen der Beheizung des Einfamilienhauses durch die Etagenheizung keinen ins Gewicht fallenden Mehraufwand an Zeit und Mühe einer dritten Person erforderte. Dies wäre ein Anwendungsfall des § 13 Satz 2 der Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) SozSi 1994, 686 (687) Amtliche Verlautbarung Nr 120/1994. Danach kann bei vorhandener Zentralheizung kein Hilfsbedarf berücksichtigt werden, wenn die Wartung und Temperatursteuerung nicht vom Pflegebedürftigen vorgenommen werden muß (zB Fernwärme, Gasetagenheizung). Ein erheblicher Mehraufwand könnte aber zB dadurch entstehen, daß der Wohnraum der Klägerin wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes auch außerhalb der üblichen Heizperiode beheizt oder auch während der üblichen Heizperiode auf höhere Temperatur gebracht werden müßte. Dies könnte einen so vermehrten Aufwand an Zeit und Mühe im Zusammenhang mit der Herbeischaffung des (festen) Heizmaterials und der Beschickung, aber auch der Reinigung der Etagenheizung, allenfalls (auch) des inn der Klage erwähnten Zusatzherdes im Wohnraum der Klägerin bedingen, daß die damit verbundenen Hilfsverrichtungen im Pflegebedarf berücksichtigt werden müßten.

Die dem Revisionsgericht erheblich scheinenden näheren Umstände im Zusammenhang mit der Beheizung des von der Klägerin bewohnten Hauses und ihres Wohnraumes wurden bisher nicht ausreichend erörtert und festgestellt. Deshalb sind das angefochtene Urteil und der noch nicht in Rechtskraft erwachsene Teil des erstgerichtlichen Urteils aufzuheben; die Sozialrechtssache ist an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückzuverweisen (§ 496 Abs 1 Z 3 und Abs 3, §§ 499 und 503 Z 4, §§ 511 und 513 ZPO).

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