OGH 9ObA90/95(9ObA91/95, 9ObA92/95)

OGH9ObA90/95(9ObA91/95, 9ObA92/95)13.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Ing.Peter Pata und Dr.Franz Zörner als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Johann B*****, Chemiewerker, ***** 2.) Johann R*****, Angestellter, ***** und 3.) Rudolf H*****, Angestellter, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** Produktionsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Daniel Charim, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert je S 200.000,--), in eventu Kündigungsanfechtung (Streitwert je S 200.000,--), im Revisionsverfahren lediglich Kündigungsanfechtung (Streitwert S 600.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Februar 1995, GZ 32 Ra 189/94-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 13.Juni 1994, GZ 17 Cga 1145/93k (17 Cga 1146/93g, 17 Cga 1147/93d)-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird im Umfang der geltendgemachten Nichtigkeit und der Kostenrüge zurückgewiesen.

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, den Klägern die mit S 25.974,-- (darin S 4.329 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu je einem Drittel binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind seit 1.9.1992 bei der seit Juli 1992 bestehenden Beklagten beschäftigt. Am 2.8.1993 wurden sie vom Personalreferenten der Beklagten gekündigt.

Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger die Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis ungeachtet der Kündigungen weiter aufrecht sei; in eventu begehren sie, die Kündigungen für rechtsunwirksam zu erklären. Die Kündigungen seien unwirksam, weil der Personalreferent zu den Kündigungen nicht berechtigt gewesen sei. Für den Fall ihrer Wirksamkeit seien sie als Motivkündigungen gemäß § 105 Abs 3 ArbVG und als sozialwidrig anfechtbar. Sie seien gekündigt worden, weil sie eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Betriebsrates einberufen hätten.

Die Beklagte beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Der Personalreferent sei zu den Kündigungen bevollmächtigt gewesen. Diese seien betriebsbedingt erfolgt. Die Beklagte habe die Produktion aus Kostengründen eingestellt und führe lediglich Forschung und Entwicklung sowie den Vertrieb und die Verwaltung in neu gemieteten Geschäftsräumlichkeiten in S***** weiter. Die Kläger seien in der Produktion tätig gewesen. Ihr Vorhaben, einen Betriebsrat zu gründen, sei bei der Beklagten zur Zeit der Kündigung nicht bekannt gewesen.

Das Erstgericht wies das auf Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses gerichtete Hauptbegehren ab und gab dem in eventu gestellten Anfechtungsbegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klagen hatte die Beklagte nur eine Betriebsstätte in K*****. Die Betriebsräumlichkeiten waren von der L***** GmbH gemietet. Als diese im Herbst 1992 die Monatsmiete von S 270.000,-- auf S 1,000.000,-- erhöhen wollte, stand die Beklagte vor der Alternative, den Betriebsstandort zu kaufen oder zu verlegen. Über die L***** GmbH wurde am 4.1.1993 der Ausgleich und am 6.4.1993 der Anschlußkonkurs eröffnet. Es kam zu Verhandlungen der Beklagten mit dem Masseverwalter über den Kauf eines Teils der Liegenschaft; eine Einigung wurde nicht erzielt. Auf Antrag des Masseverwalters wurde der 16.8.1993 als Termin für die zwangsweise Räumung der Liegenschaft festgesetzt. Nach diesem Termin begann die Übersiedlung nach S*****, die erst im September 1993 abgeschlossen war.

Schon ab Herbst 1992 wurden bei der Beklagten Listen über jene Arbeitnehmer erstellt, die weiter beschäftigt werden sollten. Ab dem 20.5.1993 gab es genauere Listen; die letzten stammten vom 19. und 26.7.1993. Eine Liste über die zu kündigenden Arbeitnehmer gab es hingegen nicht. Es bestanden nämlich weder konkrete Vorstellungen, wer tatsächlich gekündigt werden, noch wann dies geschehen sollte. Einerseits war damals noch kein neuer Betriebsstandort gefunden worden und andererseits war es bei der Beklagten nicht bekannt, welche Produktionen ausgelagert und welche beibehalten würden. Bei der Betriebsversammlung am 27.7.1993 gab der Geschäftsführer der Beklagten bekannt, daß der neue Standort S***** sein werde. Es werde zu Auslagerungen und Personalreduktionen kommen. Der Personalreferent der Beklagten habe eine Liste jener Arbeitnehmer, die eingeladen würden, nach S***** mitzugehen. Er habe den Auftrag, die Eingeladenen zu fragen, ob sie tatsächlich mitgehen. Ohne weitere nähere Ausführungen begab sich der Geschäftsführer sodann am 28.7.1993 auf eine Geschäftsreise ins Ausland. Der Personalreferent begann die ihm aufgetragenen Gespräche, die am 2.8.1993 noch lange nicht abgeschlossen waren. Ihm und der Geschäftsführung der Beklagten war am 2.8.1993 nicht bekannt, wer tatsächlich gekündigt werden sollte und wer nicht.

Am Morgen des 2.8.1993 machten die Kläger einen Aushang, in dem sie für den 26.8.1993 eine Betriebs(Gruppen-)versammlung zur Wahl des Wahlvorstandes zum Zwecke der Wahl eines Arbeiter- und eines Angestelltenbetriebsrats einberiefen. Diese Kundmachung kam den Arbeitnehmern der Beklagten noch an diesem Tag zur Kenntnis. Die Kläger überbrachten die Kundmachung am selben Tag auch dem Personalreferenten. Dieser war darüber jedoch so "perplex", daß er ein von den Klägern angebotenes Gespräch ablehnte. Die Leiterin der Finanzbuchhaltung telefonierte am 2.8.1993 zu Mittag mit dem Geschäftsführer; sie teilte ihm mit, daß sich ein Betriebsrat in Gründung befinde. Der Geschäftsführer erteilte ihr den Auftrag, sich mit dem Beklagtenvertreter in Verbindung zu setzen und dem Personalreferenten mitzuteilen, daß er die Kläger kündigen solle. Der Personalreferent kündigte die Kläger daraufhin gegen 13.30 Uhr dieses Tages. Er kündigte auch noch zehn weitere Arbeitnehmer. Diese weiteren Kündigungen erfolgten im wesentlichen deswegen, um das Motiv zur Kündigung der Kläger zu verschleiern.

Die Kläger wurden ausschließlich deswegen gekündigt, weil sie eine Gruppenversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes zur Wahl eines Arbeiter- und eines Angestelltenbetriebsrats einberufen hatten. Weder der Geschäftsführer noch der Personalreferent der Beklagten wollten einen Betriebsrat. Der Erstkläger wurde am 10.9.1993 und der Zweit- und Drittkläger am 16.9.1993 zu Mitgliedern des Betriebsrats gewählt. Bis September 1993 waren mindestens 25 Angestellte und 8 Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt.

Das Erstgericht folgte den gegenteiligen Aussagen des Geschäftsführers, des Personalreferenten und der Leiterin der Finanzbuchhaltung zum (betriebsbedingten) Motiv der Kündigung der Kläger nicht. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Personalreferent aufgrund des Auftrags des Geschäftsführers vom 2.8.1993 wohl zur Kündigung ermächtigt gewesen sei, die Kündigungen aber aus dem verpönten Motiv des § 105 Abs 3 Z 1 lit c ArbVG ausgesprochen wurden. Die Kündigungen seien daher gemäß § 105 Abs 7 ArbVG rechtsunwirksam.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme jener, daß die Kündigung der weiteren Arbeitnehmer der Verschleierung des verwerflichen Motivs für die Kündigung der Kläger hätte dienen sollen, und führte ergänzend aus, daß der Beklagten die Glaubhaftmachung der Betriebsbedingtheit der Kündigung der Kläger nicht gelungen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen Nichtigkeit des Verfahrens, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Kostenentscheidung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Umfang der geltendgemachten Nichtigkeit und im Kostenpunkt unzulässig und im übrigen nicht berechtigt.

Abgesehen davon, daß eine bereits vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit gemäß § 519 ZPO nicht neuerlich mit Revision oder Rekurs geltend gemacht werden kann (Fasching ZPR2 Rz 1905 und 1979; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 519 und Rz 2 zu § 503; SZ 54/190; SZ 59/169; EFSlg 55.098 uva), verkennt die Revisionswerberin mit dem Vorwurf, daß der Spruch der Entscheidung des Erstgerichtes wegen Widersprüchlichkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO nichtig sei, die unterschiedliche Funktion von Feststellungs- und Rechtsgestaltungsklagen. Voraussetzung einer auf Rechtsgestaltung gerichteten Anfechtungsklage im Sinne des § 105 ArbVG ist das Vorliegen einer nach zivilrechtlichen Grundsätzen rechtswirksamen Kündigung. Liegt eine unwirksame Kündigung vor, scheidet eine Anfechtung der Kündigung von vorneherein aus, weil das Arbeitsverhältnis ohnehin weiter fortbesteht. Streitigkeiten darüber sind durch Feststellungsklage zu bereinigen (RdW 1993, 341 ua). Liegt aber - wie hier - eine rechtsgültige Kündigung vor, kann diese mit der Wirkung angefochten werden, daß die Kündigung durch gerichtliche Rechtsgestaltung ex tunc für unwirksam erklärt wird (vgl Floretta/Strasser, KurzkommzArbVG2 § 105 Anm 2 und 113; B.Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, Arbeitsverfassungsrecht III § 105 Erl 1, 2, 8, 33 und § 107 Erl 3), so daß das Arbeitsverhältnis erst kraft dieser Rechtsgestaltung zum ununterbrochenen wird. Der von der Revisionswerberin aufgezeigte vermeintliche Widerspruch liegt sohin nicht vor.

Die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz im Kostenpunkt (bei der es offensichtlich auf § 58 Abs 1 Satz 1 ASGG Bezug nehmen wollte) ist gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO weder mit Rekurs noch mit Kostenrüge anfechtbar (RZ 1992/96; DRdA 1993/36; SSV-NF 2/82; SSV-NF 3/146; RZ 1995/47 mwH uva).

Den Ausführungen der Revisionswerberin in der Rechtsrüge, daß die Kündigung der Kläger betriebsbedingt zufolge unvermeidlicher Rationalisierungsmaßnahmen erfolgt sei, so daß eine Abwägung der Motive im Sinne des § 105 Abs 5 ArbVG hätte erfolgen müssen, ist entgegenzuhalten, daß sie damit nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen ausgeht. Nach dieser wurde die Kündigung der Kläger "ausschließlich" aus einem verpönten Motiv ausgesprochen. Soweit die Beklagte dazu auch in der Revision wiederum auf ihr Vorbringen und die Aussagen ihres Geschäftsführers und der Leiterin der Finanzbuchhaltung verweist, bekämpft sie lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Für die erfolgreiche Anfechtung von Kündigungen gemäß § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG genügt es aber bereits, daß das verpönte Motiv für die Kündigung wesentlich ist; es ist nicht notwendig, daß das Motiv ausschließlicher Beweggrund ist (vgl Floretta in Floretta/Strasser, Handkommz ArbVG 633; Arb 10.281; Arb 10.548; ZAS 1994/15 ua).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.

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