OGH 2Ob554/95

OGH2Ob554/9524.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verena K*****, vertreten durch Dr.Johann Buchner und Mag.Ingeborg Haller, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Werner H*****, vertreten durch DDr.Manfred König, Rechtsanwalt in Saalbach, wegen S 74.976,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 5.April 1995, GZ 22 R 108/95-23, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Zell am See vom 28.November 1994, GZ 5 C 533/94v-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die am 7.5.1971 geborene Klägerin ist die Stieftochter des Beklagten. Der Beklagte wurde mit Urteil vom 18.11.1993 wegen des Verbrechens des versuchten Beischlafes mit Unmündigen, des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen sowie des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses rechtskräftig verurteilt. Sämtliche Tathandlungen richteten sich gegen die Klägerin und erfolgten in der Zeit vom Sommer 1983 bis Mai 1990.

Im Jahr 1982 oder 1983 erklärte der Beklagte, der einen Pyjama trug, der Klägerin, die mit T-Shirt und Unterhose bekleidet war, daß er sie aufklären müsse. Er forderte sie auf, sich die Unterhose auszuziehen und besah sich die Schamlippen seiner Stieftochter und betastete sie. Sodann forderte er die Klägerin auf, sie möge sein erregtes Glied in die Hand nehmen und ihn damit eindringen lassen oder dieses in den Mund nehmen. Wegen der ablehnenden Haltung der Klägerin gelang es dem Beklagten aber nicht, auch nur eine äußere Berührung der Geschlechtsteile herbeizuführen. Die Klägerin, der die Situation zu unbehaglich wurde, ging daraufhin zu Bett; der Beklagte kam nicht nach, zumal die Klägerin mit ihrer Schwester ein Zimmer teilte. Der Beklagte war damals alkoholisiert. In der Folge ließ der Beklagte die Klägerin einige Zeit in Ruhe, bevor er begann, ihr mit der Begründung, er müsse messen, ob ihr Busen schon wachse, immer wieder an die Brust zu greifen. Solche Handlungen vollführte der Beklagte im alkoholisierten Zustand. Um den 30.3.1987 versuchte er in stark alkoholisiertem Zustand, die Klägerin zu küssen. Aufgrund der Alkoholisierung konnte die Klägerin den Beklagten relativ leicht von sich wegdrängen und zog sich in ihr Zimmer zurück. Als sie - mit einem Nachthemd bekleidet - bereits im Bett lag, kam der unbekleidete Beklagte mit einem erigierten Glied in ihr Zimmer. Da die verbalen Versuche der Klägerin, den Beklagten zum Verlassen des Zimmers zu bewegen, nichts fruchteten, stand die Klägerin auf und drängte den Beklagten aus dem Zimmer, was aufgrund seiner Alkoholisierung relativ leicht möglich war. Während die Klägerin den Beklagten aus dem Zimmer drängte, begrapschte er sie, wo er sie erwischen konnte, an der Brust und im Genitalbereich. Nach diesem Vorfall kam es immer wieder vor, daß der Beklagte, wenn er getrunken hatte und mit der Klägerin unbeobachtet war, diese an der Brust, am Hintern und auch zwischen den Beinen berührte. Die Klägerin drängte ihn aber immer ab. Die körperlichen Berührungen erfolgten jeweils über der Kleidung.

Aus dem Titel des Schadenersatzes begehrt die Klägerin die Zahlung von S 74.976,-- sA, und zwar S 50.000,-- für die "Verletzung der Geschlechtsehre gemäß § 1328 ABGB" und S 26.976,-- (abzüglich einer Zahlung von S 2.000,--) an materiellen Schäden aufgrund von Therapiestunden.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Betrag von S 24.976,-- an Kosten der Psychotherapie einschließlich Fahrtauslagen zu, das Mehrbegehren auf Zahlung von S 50.000,-- sA wurde abgewiesen. Den klagsabweisenden Teil seiner Entscheidung begründete das Erstgericht damit, daß es sich hiebei um einen nicht ersatzfähigen immateriellen Schaden handle.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß immaterieller Schaden im Rahmen des § 1328 ABGB nur im Falle echter Notzucht oder des gewaltsamen Mißbrauchs verlangt werden könne (JBl 1993, 595). Im vorliegenden Fall sei der Beklagte aber nicht gewaltsam vorgegangen und seien auch keine beischlafsähnlichen Handlungen erfolgt. Die Klägerin habe auch kein Schmerzengeld für psychisches Ungemach begehrt, sondern einen Pauschalbetrag für die Verletzung der Geschlechtsehre. Der Gesetzgeber habe aber erstmals im Gleichbehandlungsgesetz, BGBl 1979/108, durch die Novelle im Jahre 1992, BGBl 1992/833, Schadenersatzansprüche bei sexueller Belästigung auch auf ideelle Schäden ausgedehnt (§ 2a Abs.7 GleichbG).

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil die oberstgerichtliche Rechtsprechung aufgrund der zunehmenden Tendenz zum Ersatz immaterieller Schäden nicht als gesichert angesehen werden könne.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß ihr insgesamt S 74.976,-- sA zugesprochen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist unzulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und der überwiegenden Lehre entspricht.

Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, daß der Oberste Gerichtshof immaterielle Schäden im Falle der vorsätzlichen Freiheitsberaubung im Hinblick auf Art.5 Abs.5 MRK zugesprochen habe (SZ 48/69). In der Folge sei der Ersatz eines immateriellen Schadens, insbesondere im Fall von sexuellen Mißbrauchshandlungen, von der Rechtsprechung und Lehre in Anlehnung an die genannte Entscheidung entwickelt und wiederholt zugesprochen worden. Dabei sei unbestritten, daß im Falle der echten Notzucht und des gewaltsamen Mißbrauchs ein Ersatz des Schadens bzw. des erlittenen Ungemaches gebühre. Der Oberste Gerichtshof habe in JBl 1993, 595 ausgesprochen, daß bei Anwendung dieser Bestimmung nicht primär auf den Vollzug des Beischlafes abzustellen sei, sondern der Begriff "außereheliche Beiwohnung" weiter zu fassen sei. Es erscheine deshalb der Ersatz des ideellen Schadens für die erlittene Beeeinträchtigung der sexuellen Unversehrtheit bei jeder Form des sexuellen Mißbrauchs nicht nur gerecht bzw. angemessen, sondern auch notwendig. Die in der zitierten Entscheidung JBl 1993, 595 verwendete Formulierung "gewaltsamer Mißbrauch" sei eine Tautologie. Ein sexueller Mißbrauch könne per se nur gewaltsam sein. § 1328 ABGB stelle ein brauchbares Instrumentarium dar, um bei sexuellen Mißbrauchshandlungen jeder Art bzw. der daraus resultierenden Verletzung der Geschlechtssphäre Ersatz zu fordern. Auch wenn die Übergriffe des Beklagten als eher "harmlos" zu bewerten seien, ändere dies nichts daran, daß die Klägerin in ihrer Geschlechtsehre massiv verletzt wurde bzw. psychische Schmerzen erlitten habe. Wenn Ersatz nicht nur bei Notzucht, sondern auch bei gewaltsamen Mißbrauch zugesprochen werde, so müsse denknotwendigerweise auch ein Ersatz bei Anwendung von psychischer Gewalt gebühren.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden:

Auszugehen ist davon, daß es sich bei den im Revisionsverfahren nur mehr strittigen Betrag von S 50.000,-- um eine Forderung auf Ersatz immateriellen Schadens handelt ("Verletzung der Geschlechtsehre gemäß § 1328 ABGB"). Ein Ersatz solcher immaterieller Schäden gebührt in den Fällen vorsätzlicher Freiheitsberaubung (SZ 52/28) und in jenen echter Notzucht (SZ 58/80 = JBl 1986, 114). Der Oberste Gerichtshof hat aber erst vor kurzem ausgesprochen, daß im Rahmen des § 1328 ABGB - den Fall der Notzucht oder des gewaltsamen Mißbrauchs ausgenommen - immaterieller Schaden nicht verlangt werden kann (JBl 1993, 595 = EFSlg 69.133). Diese Ansicht entspricht auch der herrschenden Lehre (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 167; Reischauer in Rummel2 Rz 14 zu § 1328; Harrer in Schwimann Rz 10 zu § 1328; F.Bydlinski, Der Ersatz ideellen Schadens als sachliches und methodisches Problem, JBl 1965, 173 [252]; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil2, 509; Frick, Persönlichkeitsrechte 94; gegenteilig lediglich Strasser, Zum schadensrechtlichen Schutz der Geschlechtssphäre, JBl 1965, 573). Da im vorliegenden Fall weder eine echte Notzucht vorliegt noch ein gewaltsamer Mißbrauch der Klägerin erfolgte, entspricht die Entscheidung der Vorinstanzen der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, sodaß die Voraussetzungen des § 502 Abs.1 ZPO nicht gegeben sind.

So sehr auch einerseits das Verhalten des Beklagten dazu geeignet ist, negative Emotionen zu erregen und anderseits die Bestimmung des § 1328 ABGB in ihrer Beschränkung auf erlittenen Schaden und entgangenen Gewinn als "brutal" angesehen wird (Gschnitzer, aaO; Frick, aaO), ist es dem Obersten Gerichtshof doch verwehrt, Rechtsfortbildung contra legem zu betreiben.

Die Revision der Klägerin war sohin mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Da die beklagte Partei nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der klagenden Partei hingewiesen hat, hat sie die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

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