OGH 2Ob57/95

OGH2Ob57/9524.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter S*****, vertreten durch Dr.Werner Zach, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt W*****, vertreten durch Dr.Nikolaus Bilowitzki, Rechtsanwalt in Wien, und deren Nebenintervenientin Firma A***** AG, ***** vertreten durch Dr.H.Peter Draxler und Dr.Peter Stock, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zahlung von S 316.511,-- sA und Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen den Beschluß und das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29.April 1994, GZ 12 R 199/94-66, womit infolge Berufung der klagenden Partei die Bezeichnung der beklagten Partei richtiggestellt und das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20.Juli 1994, GZ 3 Cg 180/93z-58, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 20.8.1990 ereignete sich in ***** W*****, K*****gasse, vor den Häusern 30 und 32 ein Unfall, bei dem der Kläger als Lenker eines Gelenksomnibusses der W***** Stadtwerke verletzt wurde. Eine Gabelkeilschraube, mit der ein Stahldraht der von der MA 33 betriebenen öffentlichen Beleuchtung an der Hausmauer befestigt war, hatte sich aus dem Mauerwerk gelöst und war gegen die Windschutzscheibe des Autobusses geschnellt. Splitter der Frontscheibe drangen in das rechte Auge des Klägers ein, was zur Folge hatte, daß dieses operativ entfernt werden mußte.

Gestützt auf den Titel des Schadenersatzes begehrt der Kläger vom Land W***** S 250.000,-- an Schmerzengeld, S 11.900,-- für eine neue Sehbrille, S 1.971,-- an Taxispesen, S 2.640,-- Behandlungskosten und S 50.000,-- Verunstaltungsentschädigung. Weiters stellte er ein Feststellungsbegehren. Er brachte vor, die Beklagte habe durch die MA 33 die Nebenintervenientin mit der Erneuerung von öffentlichen Beleuchtungseinrichtungen in der K*****gasse beauftragt. Dabei seien im Mai 1990 Stahldrähte erneuert und die Verankerungen der Stahldrähte in den Hausmauern nachgezogen worden. Aufgrund mangelhafter und unsachgemäßer Verankerung einer Gabelkeilschraube habe sich diese aus der Hausmauer gelöst.

Die Beklagte erhob die Einrede der mangelnden Passivlegitimation, weil die öffentliche Beleuchtung nicht vom Land W*****, sondern von der Stadt W***** betrieben werde. Diese habe die Nebenintervenientin mit Umbauarbeiten an der elektrischen Straßenbeleuchtung beauftragt. Eine Kausalität zwischen diesen Umbauarbeiten und dem vom Kläger erlittenen Unfall sei nicht gegeben. Die beklagte Partei habe es nicht zu vertreten, daß sich ein Maueranker gelöst habe und deshalb das Drahtseil heruntergehangen sei. Dazu sei es durch Erschütterungen beim U-Bahn-Bau gekommen. Den Kläger treffe ein überwiegendes Mitverschulden, weil er bei gehöriger Aufmerksamkeit dem herabhängenden Drahtseil ausweichen hätte können. Der Kläger sei privatrechtlicher Bediensteter der W***** Stadtwerke, nicht aber der beklagten Partei. Der Dienstgeber hafte dem Kläger gemäß § 333 Abs.4 ASVG nur für vorsätzliche Verursachung des Unfalles. Eine solche liege aber keinesfalls vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Die Stadt W***** erteilte durch die MA 33 der Nebenintervenientin den Auftrag zur Erneuerung öffentlicher Beleuchtungseinrichtungen in ***** W*****, K*****gasse Höhe ON 30 bis 32. Es wurden die Spanndrähte, die Leitungen und die Leuchten der öffentlichen Beleuchtung erneuert. Dies geschieht so, daß die vorhandene öffentliche Beleuchtung abgesenkt wird, darüber werden der neue Draht und die neuen Anlagen verspannt und nach Durchführung einer Funktionsprobe die alte Beleuchtung abmontiert. Die Befestigungen an den Häusern werden dabei nicht herausgenommen, sondern nur die neuen Drähte in die vorhandenen Gewindekeilschrauben eingehängt. Eine Gewindekeilschraube funktioniert ähnlich einem Dübel. Es handelt sich um einen konischen Zylinder, der in die Wand eingelassen wird. Durch Schrauben spreizt sich der Keil, der aus vier Platten besteht, auseinander und hält so im Mauerwerk. Liegt die Gewindekeilschraube ganz am Mauerwerk an, kann davon ausgegangen werden, daß sie fest verbunden ist; steht sie etwas heraus, muß damit gerechnet werden, daß sie locker ist. Eine Lockerung von Gewindekeilschrauben kommt gelegentlich vor. Bei den Arbeiten in der K*****gasse wurden die Gabelkeilschrauben nicht erneuert. Die Baustelle wurde täglich von einem Werkmeister der MA 33 überwacht, es wurde der Baufortschritt festgestellt und über die Fertigstellung der Arbeiten berichtet. Die Durchführung der Arbeiten erfolgte in der Zeit vom 7.5. bis 13.5.1990.

Zum Unfall des Klägers vom 20.8.1990 kam es dadurch, daß sich die am Haus Nr.32 befestigte Gabelkeilschraube aus der Mauer löste. Sie hing am Spanndraht und verfing sich in der Halterung des Außenspiegels und wurde gegen die Windschutzscheibe geschleudert.

Vor dem Umbau waren zwei Spanndrähte auf der zum Unfall des Klägers führenden Gabelkeilschraube angehängt, nach dem Umbau nur mehr einer. Ein Spanndraht, der sehr schräg in Richtung D***** gespannt war, wurde nicht mehr eingehängt. Durch diesen schrägen Spanndraht wurde eine wesentliche Verstärkung der Verankerungswirkung bewirkt. Die Weglassung der schrägen Abspannung führte zu einer wesentlichen Verringerung der Reibungskräfte und damit zu einer wesentlichen Verringerung der Wirkung der Gabelkeilschraube.

Eine Zugprobe durch einen Monteur ohne zusätzliche Geräte oder Vorkehrungen ist nicht möglich. Eine Überprüfung der Gabelkeilschrauben erfolgte optisch, nicht aber mechanisch. Für die Monteure war im damaligen Zustand die Auswirkung des Wegfalls der schrägen Abspannung auf die Reibungsverhältnisse der Gabelkeilschraube nicht erkennbar.

In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß das Land W***** nicht passiv legitimiert sei, weil die öffentliche Beleuchtung von der Stadt W***** betrieben werde.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht berichtigte mit in das Urteil aufgenommenem Beschluß die Bezeichnung der beklagten Partei dahin, daß sie statt "Land W*****" "Stadt W*****" zu lauten habe. Insoweit wurde ausgesprochen, daß gegen diesen Beschluß ein Rekurs nicht zulässig sei. Im übrigen wurde der Berufung teilweise Folge gegeben und wurde die beklagte Partei verurteilt, dem Kläger den Betrag von S 304.611,-- zu bezahlen und wurde festgestellt, daß die beklagte Partei für alle künftigen Schäden hafte.

Das Mehrbegehren von S 11.900,-- sowie das Feststellungsmehrbegehren, soweit es nicht künftige Schäden betrifft, wurden abgewiesen. Insoweit wurde die ordentliche Revision für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht führte hinsichtlich der Berichtigung der Parteienbezeichnung aus, daß Land und Stadt W***** eine einzige Gebietskörperschaft seien. Überdies habe der Kläger bereits in der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise dargelegt, gegen wen er seine Ansprüche richte, nämlich gegen diejenige Körperschaft, die die öffentliche Straßenbeleuchtung im Bereiche der K*****gasse betreibe. Die Berichtigung der Parteienbezeichnung sei in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen vorzunehmen.

In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Meinung, es sei § 1319 ABGB heranzuziehen, zumal der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen habe, daß diese Bestimmung auch auf ein Halteseil der Straßenbeleuchtung Anwendung finde (RZ 1988/44). Demnach hafte der Besitzer des Gebäudes oder Werkes, hier der Betreiber der öffentlichen Straßenbeleuchtung, wenn die Ereignung eine Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes sei und er nicht beweise, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Der Geschädigte müsse bloß die Schädigung durch ein mangelhaftes Werk beweisen. Der Besitzer des Werkes könne sich nur dann von seiner Haftung befreien, wenn er beweise, daß er alle Vorkehrungen getroffen habe, die nach den gegebenen Umständen und der Verkehrsauffassung vernünftigerweise von ihm erwartet werden könnten. Die Haftungsverschärfung durch Beweislastumkehr könne einer Erfolgshaftung nahekommen, wenn dem Besitzer des Werkes der Beweis seiner Schuldlosigkeit nicht gelinge; im Zweifel solle nämlich er dessen Gefahren tragen. Besondere Fachkenntnis bewirke einen besonderen Grad der Haftung; einer Stadtgemeinde sei gegenüber der Allgemeinheit eine besondere Verantwortung aufgebürdet (EvBl 1987/192 mwN). Im vorliegenden Fall sei es zum Unfall dadurch gekommen, daß der Reibungswiderstand zwischen Gabelkeilschraube und Mauerwerk überwunden worden sei. Dies setze voraus, daß die Gabelkeilschraube unzureichend angezogen oder gelockert war, sodaß nicht von einem ordnungsgemäßen Zustand der Anlage gesprochen werden könne. Das Werk weise somit eine mangelhafte Beschaffenheit im Sinne des § 1319 ABGB auf.

Der beklagten Partei sei auch der Nachweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, nicht gelungen. Es wäre erforderlich gewesen, nach der Änderung der Verspannung eine besondere Belastungsprobe durchzuführen oder anzuordnen. Die Tatsache, daß sich die beklagte Partei eines befugten Gewerbsmannes bediente, befreie sie nicht von ihrer Haftung, zumal den Monteuren der Nebenintervenientin die negativen Auswirkungen des Wegfalles der schrägen Abspannung auf die Reibungsverhältnisse der Gabelkeilschraube nicht unbedingt erkennbar sein mußten. Es wäre eine Überprüfung durch die technisch versierten Organe der MA 33 umso erforderlicher gewesen.

Mangels eines Entlastungsbeweises im Sinne des § 1319 ABGB sei die Haftung der beklagten Partei grundsätzlich zu bejahen.

Das Berufungsgericht erachtete das vom Kläger erhobene Zahlungsbegehren der Höhe nach mit Ausnahme der Kosten der Anschaffung einer Brille, welche nicht auf die Verletzung des Auges zurückzuführen sei, als berechtigt.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil die gegenständlichen Haftungsfragen nach Ansicht des Berufungsgerichtes einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof bedürften.

Die beklagte Partei bekämpft Beschluß und Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der beklagten Partei ist nicht zulässig.

Insoweit sich das Rechtsmittel der beklagten Partei gegen den Berichtigungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet, handelt es sich dabei um einen Rekurs, doch ist die unrichtige Benennung des Rechtsmittels unerheblich, weil das Begehren deutlich erkennbar ist (§ 84 Abs.2 ZPO). Dieser Rekurs richtet sich allerdings gegen einen im Berufungsverfahren ergangenen Beschluß des Berufungsgerichtes, der nicht im § 519 ZPO aufgezählt ist. Derartige Beschlüsse können überhaupt nicht angefochten werden (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 519; 2 Ob 517/95).

In der Sache selbst ist die Revision der beklagten Partei unzulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO nicht vorliegt; weder das Berufungsgericht noch die beklagte Partei zeigen erhebliche Rechtsfragen im Sinne dieser Bestimmung auf. Gemäß § 508a Abs.1 ZPO ist das Revisionsgericht an den Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs.2 Z 3 ZPO nicht gebunden.

In der Sache selbst macht die beklagte Partei geltend, es sei unrichtig, daß sie für besondere Fachkenntnisse einzustehen habe; eine Behörde habe prinzipiell niemals für Fachwissen einzustehen, es sei denn, es seien die Voraussetzungen des Amtshaftungsgesetzes gegeben, was hier nicht zutreffe. Überdies habe sie davon ausgehen können, daß der beauftragte Unternehmer alle für die Gebrauchsfähigkeit und Sicherheit des fertiggestellten Werkes erforderlichen Druckproben etc. unternehme.

Da keine Vorschrift die Durchführung einer Belastungsprobe vorsehe, sei der beklagten Partei nicht zuzumuten, daß sie von selbst eine solche durchführe. Die Stadt W***** als "Gemeinde" habe nicht mehr oder weniger Fachkenntnisse zu vertreten, als alle übrigen österreichischen Gemeinden, die ebenfalls die örtliche Straßenbeleuchtung betreiben.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß eine besondere Fachkenntnis einen höheren Grad der Haftung bewirkt und daß etwa einer Stadtgemeinde gegenüber der Allgemeinheit eine besondere Verantwortung aufgebürdet wird, entspricht der in der angefochtenen Entscheidung zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (EvBl 1987/192 mwN). In dieser Entscheidung wurde auch ausgesprochen, daß sich die beklagte Partei nicht dadurch ihrer Verantwortung entziehen kann, daß sie ein anderes Unternehmen mit der Durchführung der Arbeiten beauftragt. Insoweit entspricht daher die Entscheidung des Berufungsgerichtes der Judikatur des Obersten Gerichtshofes, sodaß die Voraussetzungen des § 502 Abs.1 ZPO nicht gegeben sind.

Was aber die Frage des Maßes der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt betrifft, richtet sich diese nach Umständen des Einzelfalles, weshalb der berufungsgerichtlichen Entscheidung auch insoweit keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (8 Ob 1501/93).

Die Revision der beklagten Partei war sohin mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Da die klagende Partei nicht auf die gänzliche Unzulässigkeit des Rechtsmittels der beklagten Partei hingewiesen und nicht dessen Zurückweisung beantragt hat, hat sie die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

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